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Die dunklen Schatten von Venedig

Roman | Psychologische Spannung in der Lagunenstadt

von David Hewson (Autor:in) Hedda Pänke (Übersetzung)
©2022 568 Seiten

Zusammenfassung

Die Verführung des Bösen … Der fesselnde Spannungsroman »Die dunklen Schatten von Venedig« von David Hewson jetzt als eBook bei dotbooks.

Venedig: eine Stadt voller Pracht, erhabener Kunst – und finsterer, lang gehüteter Geheimnisse … Der junge Engländer Daniel Forster kommt in die Lagunenstadt, um eine altehrwürdige Bibliothek zu katalogisieren. Als er dort die Noten eines verlorenen Meisterwerks aus Vivaldis Zeit entdeckt, weckt dies die Aufmerksamkeit des reichen Kunstmäzens Hugo Massiter. Schon bald zieht der ebenso charismatische wie undurchschaubare Mann Daniel in seinen Bann – überredet ihn zu kleinen Betrügereien, dann zu Straftaten … Erst als Daniels Freunde ermordet werden, begreift der junge Student, wie nah er bereits am Abgrund steht: Kann er sich noch aus der Hand dieses Puppenspielers befreien?

Als hätten Patricia Highsmith und Donna Leon gemeinsam einen psychologischen Thriller geschrieben: Meisterhaft verwebt der internationale Bestsellerautor David Hewson das Venedig der Gegenwart mit den Erinnerungen an die Lagunenstadt zu Lebzeiten Vivaldis.

»Großartige Unterhaltung: intelligent und fesselnd!« The Sunday Times

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der düstere Spannungsroman »Die dunklen Schatten von Venedig« von David Hewson. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Venedig: eine Stadt voller Pracht, erhabener Kunst – und finsterer, lang gehüteter Geheimnisse … Der junge Engländer Daniel Forster kommt in die Lagunenstadt, um eine altehrwürdige Bibliothek zu katalogisieren. Als er dort die Noten eines verlorenen Meisterwerks aus Vivaldis Zeit entdeckt, weckt dies die Aufmerksamkeit des reichen Kunstmäzens Hugo Massiter. Schon bald zieht der ebenso charismatische wie undurchschaubare Mann Daniel in seinen Bann – überredet ihn zu kleinen Betrügereien, dann zu Straftaten … Erst als Daniels Freunde ermordet werden, begreift der junge Student, wie nah er bereits am Abgrund steht: Kann er sich noch aus der Hand dieses Puppenspielers befreien?

Als hätten Patricia Highsmith und Donna Leon gemeinsam einen psychologischen Thriller geschrieben: Meisterhaft verwebt der internationale Bestsellerautor David Hewson das Venedig der Gegenwart mit den Erinnerungen an die Lagunenstadt zu Lebzeiten Vivaldis.

»Großartige Unterhaltung: intelligent und fesselnd!« The Sunday Times

Über den Autor:

David Hewson wurde 1953 geboren und begann bereits im Alter von 17 Jahren für eine Lokalzeitung im Norden Englands zu arbeiten. Später war er Nachrichten-, Wirtschafts- und Auslandsreporter bei der »Times« und Feuilletonredakteur bei »The Independent«. Heute ist er ein international bekannter Bestsellerautor. Sein Thriller »Todesritual«, auch bekannt unter dem Titel »Semana Santa«, wurde mit dem W. H. Smith Fresh Talent Preis für einen der besten Erstlingsromane ausgezeichnet und verfilmt. Er schrieb die Bücher zur dänischen Fernsehserie »The Killing« und seine Nic-Costa-Kriminalromane wurden weltweit zum großen Erfolg.

David Hewson veröffentlichte bei dotbooks bereits »Das Blut der Märtyer« und »Der Kult des Todes«, außerdem den Thriller »Todesritual«.

Die Website des Autors: davidhewson.com

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eBook-Neuausgabe April 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2001 unter dem Originaltitel »Lucifer’s Shadow« bei HarperCollinsPublishers, London.

Die deutsche Erstausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Luzifers Schatten« bei Ullstein.

Copyright © der englischen Originalausgabe David Hewson 2001

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung eines Motivs von Cara-Foto/shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-196-7

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David Hewson

Die dunklen Schatten von Venedig

Roman

Aus dem Englischen von Hedda Pänke

dotbooks.

Kapitel 1: San Michele

Er trug Schwarz. Den billigen, dünnen Anzug von Standa. Gewienerte Lederschuhe. Imitierte Ray-Ban Predators, die er irgendeinem japanischen Touristen auf der Piazzale Roma aus dem Bus geklaut hatte.

Rizzo zündete sich eine Zigarette an und wartete am Eingang von San Michele. Es war der erste Sonntag im Juli. Träge Hitze stieg vom Wasser auf, zwitschernd schossen Schwalben über seinen Kopf hinweg, in der Lagune wurde es Sommer. Ein leichter Wind bewegte die Zypressen, die auf dem Friedhof aufragten wie dunkelgrüne Ausrufezeichen. Im diskreten Halbdunkel einer Nische rechts von ihm stand ein Stapel leerer Kiefernholzsärge. Er sah, wie sich etwas auf die sonnenbeschienene Ecke des obersten Sargs zubewegte. Eine Eidechse huschte in den Lichtstrahl, hielt kurz inne und sauste in die Ritzen des Mauerwerks zurück.

Toller Job, dachte Rizzo, eine Leiche zu überprüfen.

Der Friedhofsverwalter kam aus seinem Büro und starrte auf die Zigarette, bis Rizzo sie auf den Boden warf und austrat. Der Mann war ungefähr vierzig, klein, korpulent und schwitzte in seinem weißen Baumwollhemd. Er hatte fettige, strähnige Haare und einen Schnurrbart, der aussah, als hätte man einen abgebrochenen Kamm über seine fleischigen Lippen geklebt.

»Sie haben die nötigen Papiere?«

Rizzo nickte und rang sich ein Lächeln ab. Der Verwalter beäugte ihn misstrauisch. Rizzo war fünfundzwanzig, wirkte aber, so wie er angezogen war, glatt fünf Jahre älter. Dennoch sah er vielleicht ein bisschen zu jung aus, um Anspruch auf einen wurmzerfressenen Kadaver zu erheben, als wäre er ein Koffer in einem Bahnhofsschließfach.

Er zog die Dokumente hervor, die ihm der Engländer am Morgen im Palazzo neben dem Guggenheim-Museum gegeben hatte. Damit müsste es klappen, hatte Massiter gesagt. Teuer genug waren sie gewesen.

»Sie sind ein Angehöriger?«, fragte der Verwalter und studierte die Unterlagen.

»Ein Cousin.«

»Weitere Angehörige gibt es nicht?«

»Alle verblichen.«

»Soso.« Der Mann faltete die Unterlagen zusammen und stopfte sie in seine Hosentasche. »Sie hätten sich noch vier Wochen Zeit lassen können, wie Sie vielleicht wissen. Liegedauer zehn Jahre. Auf den Tag. Aber viele lassen den Zeitpunkt verstreichen. Die wenigsten tauchen rechtzeitig auf.«

»Termine, Verpflichtungen.«

Der Verwalter verzog das Gesicht. »Verstehe. Die Toten haben sich nach uns zu richten. Nicht umgekehrt. Aber ...« Er bedachte Rizzo mit einem Blick, der möglicherweise sogar einen Funken Sympathie enthielt. »Jetzt sind Sie ja hier. Sie wären überrascht, wie viele dieser armen Kreaturen offenbar einfach vergessen werden. Sie liegen ihr Jahrzehnt hier ab und dann bringen wir sie ins städtische Beinhaus. Uns bleibt keine andere Wahl, wissen Sie. Kein Platz.«

Das weiß doch jeder in Venedig, dachte Rizzo. Wer auf San Michele bestattet werden will, muss sich an die Regeln halten. Die kleine Insel zwischen Murano und dem Norden der Lagunenstadt war voll. Die prominenten Toten, für die sich die Touristen interessierten, waren ihrer Gräber natürlich sicher. Allen anderen wurde ein Liegerecht von genau zehn Jahren eingeräumt. Sobald die Pachtdauer für die kleine Parzelle abgelaufen war, blieb es den Angehörigen überlassen, die Knochen anderswo zu bestatten oder diese Aufgabe der Stadt zu überlassen.

Auch dem Engländer war das bekannt. Aus Gründen, die Rizzo nicht wissen wollte, hatte er die Exhumierungspapiere früh genug besorgt, um als Erster zu erfahren, was sich in der Kiste befand. Vielleicht interessierte sich noch jemand für die verwesende Leiche, jemand, der die Zehnjahresfrist einhalten würde. Vielleicht auch nicht. Irgendwie begriff Rizzo den Sinn des Ganzen nicht recht. Ging es um die Frage, ob sich tatsächlich eine Leiche im Sarg befand? So musste es sein. Aber eigentlich war es ihm egal. Wenn ihm der Typ zwei Millionen Lire dafür zahlte, dass er mit gefälschten Dokumenten herumwedelte, konnte es ihm nur recht sein. Es war doch mal was anderes, als die Touristen in der Umgebung von San Marco um ihre Portemonnaies und Brieftaschen zu erleichtern.

»Wir haben Erfahrung in diesen Dingen«, sagte der Mann. »Und erledigen sie pietätvoll und würdig.«

Er setzte sich in Bewegung und Rizzo folgte ihm an den Stapeln nagelneuer Särge vorbei in die glühende Sonne. Sie durchquerten den ersten Abschnitt des Friedhofs, in dem die Toten Dauerwohnrecht genossen, und gelangten in die Bereiche, in denen Verstorbene im Dekadenrhythmus permanent rotierten. Grüne Planen markierten die Flächen, wo die aktuelle Skeletternte eingebracht wurde. Jeder Grabstein trug ein Foto. Junge und Alte blickten in die Kamera, als wären sie fest überzeugt, nie sterben zu müssen. In Recinto 1, Campo B, blieben sie inmitten eines Meeres duftender Blumen stehen. Der Verwalter deutete auf einen Stein. Und da stand ihr Name, der Familienname zuerst, wie üblich auf diesem Friedhof: Gianni Susanna. Gerade achtzehn Jahre alt, als sie starb. Das Grab war leer, die Erde ockerfarben.

Rizzo konnte die Augen nicht von dem ovalen Porträt auf dem Marmorgrabstein losreißen. Susanna Gianni war das hübscheste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie lächelte ihn an und wirkte eher wie einundzwanzig. Das Foto musste an einem sonnigen Tag irgendwo im Freien aufgenommen worden sein, kurz vor ihrem Tod. Aber sie wirkte überhaupt nicht krank. Sie trug ein violettes T-Shirt. Die schwarzen Haare fielen ihr auf die Schultern. Gesicht und Hals waren sonnengebräunt und die Lippen zu einem natürlichen, offenen Lächeln geformt. Sie sah aus wie eine Studentin vielleicht, unschuldig, aber etwas in ihrem Blick deutete an, dass sie so naiv nicht mehr war. Rizzo schloss die Augen und versuchte, sich zu beherrschen. Es war absurd, aber er spürte, dass er angesichts dieses unbekannten Mädchens, das vor fast einem Jahrzehnt aus ihm unbekannten Gründen gestorben war, einen Ständer bekam.

»Legen Sie Wert auf den Stein?« Die Stimme des Verwalters riss ihn aus seinen Träumen. »Sie können ihn mit dem Sarg mitnehmen. Ich vermute, Sie lassen ihn mit dem Boot abtransportieren?«

Rizzo antwortete nicht. Er steckte die Hände tief in die Taschen, hielt das Sakko vor sich und überlegte, ob der Mann etwas bemerkt hatte.

»Wo ist sie?«, fragte er.

»Sagen Sie den Bootsleuten nur Bescheid. Sie wissen, wo sie anlegen müssen.«

»Wo ist sie?«, wiederholte er. Der Engländer hatte sich sehr präzise ausgedrückt.

»In einem dafür vorgesehenen Gebäude.« Der Verwalter seufzte, als wüsste er genau, was nun kam.

»Führen Sie mich hin.«

Wortlos drehte sich der Mann um und lief zu einer verlassenen Ecke im nördlichen Teil des Friedhofs. Rechts von ihnen kam eine der großen Fähren auf ihrem Weg nach Burano und Torcello vorbei. Möwen segelten mit der Luftströmung. Vor ihnen bewegten sich Leute durch die Reihen von Grabsteinen, manche mit Blumensträußen in den Händen. Rizzo war erst einmal hier gewesen, mit einer alten Freundin, die ihre Großmutter besuchen wollte. Der Friedhof war ihm unheimlich. Wenn sein letztes Stündlein geschlagen hatte, wollte er im Krematorium in Mestre auf dem Festland in Asche und Rauch aufgehen. Und nicht hier in der Erde von San Michele liegen und darauf warten, ein Jahrzehnt später wieder ausgebuddelt zu werden.

Sie kamen zu einem kleinen, flachen Gebäude mit einem einzigen winzigen Fenster. Der Verwalter zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete die Tür. Rizzo nahm die Sonnenbrille ab und folgte ihm ins Innere. Dann wartete er, dass der Mann Licht anmachte, ließ seinen Augen Zeit, sich an den abrupten Wechsel zwischen strahlendem Sonnenschein, Dunkelheit und der flirrenden Neonröhre an der Decke zu gewöhnen.

Der Sarg war in der Mitte des Raums aufgebockt. Sein Holz hatte eine stumpfgraue Farbe. Der Boden von San Michele muss wirklich trocken sein, dachte Rizzo. Es sieht so aus, als wäre die Kiste mitsamt ihrem Inhalt über die Jahre hinweg in der Erde einfach verdorrt.

»Wie gesagt«, wiederholte der Mann. »Schicken Sie Ihre Männer her. Sie wissen, was zu tun ist. Sie brauchen nicht zuzusehen. Glauben Sie mir.«

Rizzo kannte seinen Auftrag.

»Öffnen Sie ihn.«

Unterdrückt fluchend verschränkte der Verwalter die Arme vor der Brust. »Unmöglich«, murmelte er. »Welches Spielchen spielen Sie hier eigentlich mit mir, junger Freund?«

Rizzo griff in die Tasche und holte ein paar Hunderttausend-Lire-Scheine heraus. Massiter hatte mit Nebenausgaben gerechnet.

»Hören Sie, die Giannis haben einen ausgeprägten Familiensinn. Lassen Sie mich einen letzten Blick auf meine liebe kleine Cousine werfen, dann sind Sie mich los. Einverstanden?«

»Mist«, sagte der Mann, sackte die Geldscheine ein und griff nach einem an der Wand lehnenden Brecheisen. »Soll ich den Deckel abnehmen? Oder ist Ihr Familiensinn so ausgeprägt, dass Sie es lieber selbst machen?«

Rizzo gierte nach einer Zigarette. Im Raum war es unerträglich stickig. Der Sarg strömte einen muffigen Geruch aus. »Na, hören Sie mal. Wer wird hier für so was bezahlt?« Er machte eine herrische Kopfbewegung Richtung Sarg.

Widerstrebend hob der Mann das Brecheisen und schob es zwischen Sarg und Deckel. Er beachtete kaum, was er tat. Vermutlich hat er diese Kisten schon millionenfach aufgebrochen, dachte Rizzo. Es ist so, als würde man in einem Schlachthaus oder einem Leichenschauhaus arbeiten. Nach einer Weile denkt man über seine Beschäftigung nicht einmal mehr nach.

Langsam arbeitete sich das Brecheisen um den Sarg herum, hob den Deckel jeweils nur wenige Zentimeter an, entblößte die verbogenen, rostigen Nägel, die das Ding zusammenhielten. Als das Brecheisen seine Runde gemacht hatte, sah der Mann Rizzo an.

»Na, wollen Sie es sich nicht noch mal überlegen, Junge? Ich habe schon viele von euch große Töne spucken gehört, aber dann, wenn es wirklich zur Sache geht, seid ihr plötzlich ganz klein.«

Rizzo ließ sich nicht gern »Junge« nennen. »Öffnen«, sagte er.

Der Verwalter schob das Brecheisen weit unter den Deckel und drückte ihn hoch. Mit einem lauten Knacken zerbrach das Holz in zwei Stücke. Unwillkürlich zuckte Rizzo zusammen. Staub und Holzspäne erfüllten die Luft. Dann ein anhaltend widerlicher Geruch, eindeutig menschlichen Ursprungs. Nur ein Blick, dachte er. Mehr will der Engländer nicht.

Er beugte sich vor und spähte in den Sarg. Ihr Kopf lag im Schatten der Sargwand. Die langen Haare waren grau. Dünn und vertrocknet aussehend hingen sie zu beiden Seiten des Schädels herab, an dem noch immer Reste von brauner, ledriger Haut hingen. In den Augenhöhlen war irgendwas, aber das sah er sich lieber nicht so genau an. Auf ihren Schultern entdeckte er die Trägerreste eines einstmals weißen Totenhemdes.

Rizzo glaubte, er müsse lange auf den Schädel starren und darüber nachdenken, wohin die Schönheit des Gesichtes verschwunden war. Von seiner Erektion spürte er nichts mehr. Er fröstelte. Die Luft vor ihm begann zu flirren und zu wabern. Fast rechnete er damit, sich erbrechen zu müssen. Nicht aus Entsetzen oder Ekel, sondern wegen der stickigen Atmosphäre im Raum. Es kam ihm vor, als stünde er in einer dichten Wolke von Staub – menschlichen Staubs, hinterlassen von all den Toten, die im Lauf der Jahrhunderte die Tore von San Michele durchquert hatten.

Aber er hielt sich nicht lange mit dem Schädel auf. Ihre Arme waren auf der Brust gekreuzt, lange, skelettdünne Arme. Zu seiner Überraschung umklammerten sie einen Gegenstand, der ihr vom Kinn bis zu den Hüften reichte. Verblüfft starrte er das Ding an und wusste, dass der Verwalter das Gleiche tat. Er brauchte eine Weile, um es anhand seiner Form zu identifizieren. Susanna Gianni war mit einem alten Geigenkasten beerdigt worden und drückte ihn so zärtlich an sich, als wäre er ein Baby.

Davon hatte der Engländer nichts gesagt. Nur: Werfen Sie einen Blick auf die Leiche, und das wär’s. So lautete die Abmachung, also konnte es ihm niemand verübeln, wenn er nebenbei ein kleines Geschäft machte.

Behutsam lockerte Rizzo die Griffe der knochigen Arme und wollte den Kasten darunter hervorziehen.

Der Verwalter musterte ihn finster. »Das sollten Sie nicht tun.«

Seufzend hielt Rizzo inne. Er hatte genug von diesem Zwerg, mehr als genug von diesem erdrückenden Raum. Er griff in seine Tasche und zog das kleine Schnappmesser heraus, das er stets bei sich trug. Dem Dicken fest in die Augen blickend, ließ er die silberne Klinge vorschnellen, ging auf ihn zu und packte ihn am Kragen. Er drückte die Messerspitze gegen das linke Augenlid des Mannes, hob die schlaffe Haut an und ritzte sie gerade so weit ein, dass ein winziger Blutstropfen hervorquoll.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2022
ISBN (eBook)
9783986901967
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Schlagworte
Spannung Kriminalroman Familiengeheimnis 18. Jahrhundert Venedig-Roman Patricia Highsmith Donna Leon Ian Rankin Neuerscheinung eBook

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Titel: Die dunklen Schatten von Venedig