Lade Inhalt...

Rückkehr auf die Insel

Zwei Romane in einem eBook: »Das Haus auf der Insel« und »Das Haus hinter dem Deich«

©2022 646 Seiten

Zusammenfassung

Wenn die Schönheit des Nordens ein Herz erobert: Der schicksalhafte Romantik-Sammelband »Rückkehr auf die Insel« von Anke Cibach als eBook bei dotbooks.

Zwei Frauen, die dem Ruf der rauen Nordsee zurück in ihre Heimat folgen … Als die junge Designerin Nele ihr Elternhaus auf einer Nordseeinsel erbt, kehrt sie nur widerwillig dorthin zurück. Doch Stück für Stück schleicht sich die leise Schönheit der Insel erneut in ihr Herz – und als sie bei einem Spaziergang im Watt eine geheimnisvolle Flaschenpost entdeckt, muss sie sich ein für alle Mal entscheiden, wo ihre wahre Heimat liegt … Birte hingegen führt der Tod ihrer Großmutter zurück in ihr einstiges Zuhause. In deren Nachlass entdeckt sie ein altes Tagebuch: Während sie durch blühende Apfelhaine streift, taucht sie ein in die Welt ihrer Großmutter, und kommt einem bislang wohl gehüteten Familiengeheimnis auf die Spur ...

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Nordsee-Sammelband »Rückkehr auf die Insel« von Anke Cibach verspricht bewegende Lesestunden mit den zwei Urlaubsroman-Highlights: »Das Haus auf der Insel« und »Das Haus hinter dem Deich«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Zwei Frauen, die dem Ruf der rauen Nordsee zurück in ihre Heimat folgen… Als die junge Designerin Nele ihr Elternhaus auf einer Nordseeinsel erbt, kehrt sie nur widerwillig dorthin zurück. Doch Stück für Stück schleicht sich die leise Schönheit der Insel erneut in ihr Herz – und als sie bei einem Spaziergang im Watt eine geheimnisvolle Flaschenpost entdeckt, muss sie sich ein für alle Mal entscheiden, wo ihre wahre Heimat liegt… Birte hingegen führt der Tod ihrer Großmutter zurück in ihr einstiges Zuhause. In deren Nachlass entdeckt sie ein altes Tagebuch: Während sie durch blühende Apfelhaine streift, taucht sie ein in die Welt ihrer Großmutter, und kommt einem bislang wohl gehüteten Familiengeheimnis auf die Spur...

Über die Autorin:

Anke Cibach (1949–2012) studierte Psychologie und Anthropologie in Hamburg. Als Dipl.-Psychologin interessierte sie sich nicht nur für die Schokoladenseiten der Menschen, sondern auch für die geheimen, psychopathischen Anteile eines jeden. Sie liebte schwarzen Humor, Vogelspinnen und das Meer. Ihr Motto: Bücher sind Schokolade für die Seele!

Als eBook veröffentlichte Anke Cibach bei dotbooks ihre Romane »Der Tote vom Leuchtturm«, »Die Toten vom Hafen« und »Mörderische Kaffeefahrt«.

***

Sammelband-Originalausgabe August 2022

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-102-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Rückkehr auf die Insel« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Anke Cibach

Rückkehr auf die Insel

Zwei Romane in einem eBook

dotbooks.

Das Haus auf der Insel

Kann sie dem rauen Charme ihrer Heimat widerstehen? Als die junge Designerin Nele ihr Elternhaus auf einer Nordseeinsel erbt, kehrt sie nur widerwillig dorthin zurück – schließlich liebt sie ihr Leben in der Großstadt. Doch Stück für Stück schleicht sich die leise Schönheit der Insel in ihr Herz, ebenso wie ihr Jugendfreund Enno, den sie nie vergessen hat. Dann aber entdeckt sie bei einem Spaziergang im Watt eine geheimnisvolle Flaschenpost: Die Nachricht scheint allein für Nele bestimmt zu sein und der rätselhafte Unbekannte mehr über ihre Vergangenheit zu wissen als sie selbst. Hütet ihre Familie schon lange ein dunkles Geheimnis? Nun ist es an Nele, zu entscheiden, wo ihre wahre Heimat liegt …

Prolog

Das Kind in der roten Kapuzenjacke und den dazu passenden knallroten Gummistiefeln hüpfte über einen schmalen Priel, bückte sich hin und wieder nach Muscheln und entdeckte schließlich im Watt einen Krebs, der sich halb in den Sand eingegraben hatte. Sie packte ihn geschickt hinter den Scheren und hielt ihn triumphierend in die Höhe. »Enno, komm her und schau ihn dir an«, befahl sie. »Du sollst ihn für mich tragen.«

»Nele, wir müssen zurück. Der Wind kommt von See, das Wasser wird schneller auflaufen als sonst.« Der schlaksige, hoch aufgeschossene Junge, etwa zwölf Jahre und damit doppelt so alt wie das Mädchen, schaute besorgt zum Himmel, an dem Wolkenfetzen im Abendrot wie feurige Rösser zogen. Die Hallig hinter ihnen glich einer Luftspiegelung, verschwommen und schemenhaft.

»Gleich«, sagte Nele. »Hörst du sie, die Möwe? Sie ruft uns.« Schnell drückte sie dem Freund ihre Beute in die Hand und lief in die glitzernde Weite des Watts. Flink war sie, die Kleine. Noch vor ihrem Freund erreichte sie die Sandbank, der sich bereits von der Seeseite züngelnde kleine Wellen näherten. Der Wind hatte aufgefrischt und fuhr ihr unter die Jacke. Nele breitete die Arme aus und drehte sich verzückt im Kreis. »Ich bin eine Sturmwolke«, schrie sie. »Oder nein, lieber eine Möwe. Die Königin der Möwen. Schau, Enno, ich kann fliegen.«

Bei diesen Worten lief sie auf ihn zu und warf sich ihm mit der ganzen Kraft ihres kleinen Körpers entgegen. Enno fing sie auf und packte sie dann ärgerlich am Arm. »Lass den Unsinn. Wir müssen uns beeilen.«

Was würden Neles Eltern sagen, wenn ihrer einzigen Tochter etwas zustieße? Und was sein eigener Vater, der ihn immer wieder gewarnt hatte, Verantwortung für dieses wilde Mädchen zu übernehmen?

Schon verwandelten sich auf dem Rückweg die seichten Priele in tiefe Gräben. »Ich nehm dich huckepack«, sagte er und ließ sich seine Sorge nicht anmerken.

»Hü, mein Seepferd«, rief sie gegen das Brausen des Windes und umklammerte seinen Hals.

Kniehoch watete er durch das Wasser, während Nele ihm begeistert die Hacken in die Seiten stieß. »Hörst du die Glocken, Enno? Die Kirchenglocken von Rungholt, sagt Wilhelmine. Ob wohl jemand sterben muss?«

Diese spökenkiekerische Alte, dass sie es nicht lassen konnte, der Kleinen die alten Gruselgeschichten zu erzählen. Nun ja, sie hatte Nele auf die Welt geholt, genauso wie damals ihn und die meisten der anderen fünfzehn Halligbewohner. Das verschaffte ihr auf Greunfall eine Sonderstellung.

Und Wilhelmine Johann war es auch, die mit ihrer altmodischen Laterne jetzt am Wattsaum stand und ihm das nasse Mädchen abnahm. »Na, hat man euch keinen Respekt vor den Gezeiten beigebracht?«, schimpfte sie, aber Enno hörte die Erleichterung in ihrer Stimme mitschwingen. »Von dir hätte ich mehr Vernunft erwartet, Enno Broders. Gnade dir, wenn dein Vater davon erfährt.«

Aber sein Vater war noch auf Fischfang, und seine Mutter … die hatte die See geholt, als er noch ganz klein gewesen war. Das Meer war gierig, verschlang alles, was sich ihm leichtfertig darbot.

»Komm mit zu uns, sollst erst mal trocknen«, befahl die Alte, mittlerweile etwas freundlicher.

»Ich hab die Glocken gehört«, erzählte Nele und zitterte nun doch vor Kälte. Der erste Herbststurm zog über die Hallig, und da das Abenteuer im Watt vorbei war, verwandelte sich die Königin der Möwen wieder in ein frierendes kleines Mädchen, das sich nach dem Kaminfeuer in der Stube sehnte.

»Nele, was ist passiert?« Die dichten weißen Haare von Undine Lorentz bildeten einen merkwürdigen Kontrast zu dem fast faltenfreien Gesicht, das nicht unfreundlich, aber leicht abwesend wirkte.

Es ging etwas Archaisches von ihr aus, etwas, das man öfter bei Menschen fand, die sich viel in der Natur aufhielten und eine selbst gewählte Einsamkeit vorzogen. Sie verfügten über eine Art natürlicher Würde, gepaart mit Stolz und manchmal auch Eigensinn.

»Wilhelmine wird sich um dich kümmern, nicht wahr?« Neles Mutter war im Begriff, das Haus zu verlassen. »Es stürmt«, murmelte sie. »Ich muss noch einmal nach draußen. Dein Vater treibt die Schafe auf die Warft. Wir sehen uns später.« Flüchtig fiel ihr Blick auf Enno. »Danke. Ich weiß, dass sie bei dir gut aufgehoben ist.«

»Da geht sie wieder«, schimpfte Wilhelmine, während sie Nele aus den nassen Sachen schälte und vor dem Feuer abrubbelte. »Steht am Wasser und erblickt etwas, das nur sie alleine sehen kann.«

Enno ließ sich überreden, in Hose und Pullover von Harm Lorentz, Neles Vater, zu schlüpfen.

»Du siehst komisch aus«, sagte Nele kichernd und wies mit dem Finger auf ihn. Ihre langen blonden Flechten kräuselten sich durch die Feuchtigkeit, und ihr Gesicht glühte.

»Jetzt auch noch frech werden, mein Fräulein, das lass man bleiben«, schalt Wilhelmine. »Ich wette, du hast das alles wieder ausgeheckt.«

»Es war Nelly«, behauptete Nele. »Sie hat gesagt, wir sollen ins Watt gehen und nach Bernstein suchen.«

»Schon wieder diese Nelly.« Wilhelmine schüttelte den Kopf.

Neles unsichtbare Spielgefährtin, die sie sinnigerweise auch noch Nelly getauft hatte, gab so manches Mal Anlass zu Ärger. Stets war es Nelly, die tollkühne Abenteuer suchte, den Eltern nicht gehorchte oder Schabernack auf der Hallig trieb und Enno, diesen gutmütigen Jungen, mit in Dinge hineinzog, für die er als der Ältere dann bestraft wurde. Aber auf Greunfall waren die beiden die einzigen Kinder und einander wie die Großen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

»Ich will malen«, erklärte Nele nun und setzte sich an den schweren Eichentisch. »Enno, gib mir meinen Krebs.«

»Den hab ich nicht mehr«, entgegnete er ruhig, was bei Nele zu einem Zornesausbruch führte, der erst durch das Erscheinen ihres Vaters beendet wurde.

»Was muss ich da von euch hören?« Harm Lorentz sprach strenger als sonst, denn die Vorstellung, dass Nele, seinem Sonnenschein, etwas zustoßen könnte, war nicht zu ertragen.

Aber schon flog sie ihm in die Arme und rieb ihre Wange an seiner. »Ich hab dir etwas mitgebracht«, sagte er, schon milder gestimmt. Dann ging er noch einmal nach draußen und brachte einen Karton herein. »Eine junge verletzte Möwe. Willst du sie pflegen?«

Mit einem mitleidigen Aufschrei beugte sich Nele über den Vogel, der sich zitternd in eine Ecke drängte und den einen Flügel auffällig hängen ließ. Sachte pustete sie das Tier an. »Ich mach dich wieder gesund«, flüsterte sie. »Versprochen. Und wenn du wieder fliegen kannst, komm ich mit. Dann zeigst du mir den Rest der Welt.«

Wilhelmine wandte sich leise an Neles Vater. »Undine ist wieder unterwegs. Sie war schon den ganzen Tag so unruhig. Vielleicht wäre es besser …«

Wortlos knöpfte er seine Wetterjacke wieder zu.

»Enno, kannst auch gehen, hab keine Zeit mehr für dich«, sagte Nele, ohne sich umzudrehen. »Ich muss mich um meine Möwe kümmern.«

»Soll ich bei den Schafen helfen?«, bot Enno an, der noch immer linkisch herumstand.

»Du bleibst hier und trinkst erst mal einen heißen Tee«, bestimmte Wilhelmine energisch. »Nele muss sich noch bei dir bedanken. Wer weiß, was ohne dich sonst draußen passiert wäre. Wo sie doch die Totenglocken gehört hat.«

Der Mann und der Junge warfen sich einen Blick zu. Aberglaube. Weibergeraune. Aber beide schwiegen, denn es gab Themen, bei denen man besser nicht mitredete.

Der Sturmgott fegte über die Hallig, trieb die Gischt des Meeres bis auf die Warften und heulte zornig, als er kein Opfer fand. Das Vieh war längst in den Ställen, und die tief nach unten gezogenen Reetdächer der Häuser trotzten jeder Gewalt.

Doch halt, da stand eine einsame Gestalt am Sommerdeich, stemmte sich gegen den Wind und reckte die Arme in einem lautlosen Schrei gen Himmel.

»Undine, komm mit nach Hause.« Harm Lorentz führte seine Frau beschützend wie ein Kind. Tränen liefen ihr über das regenfeuchte Gesicht, aber sie sagte kein einziges Wort.

»Meine Mutter spricht nicht mehr«, berichtete Nele am nächsten Tag, als Enno und sie vor der Schulstunde auf einem Weidengatter saßen. »Vater sagt, sie ist krank, aber Wilhelmine sagt, wir brauchen keinen Doktor. Es ist nur der Wind.«

Enno fühlte sich unbehaglich. Jeder auf Greunfall wusste, dass Undine Lorentz Zeiten hatte, in denen in ihrem Kopf etwas in Unordnung war, aber man sprach nicht darüber. Wozu auch, nach einigen Wochen war sie wieder wie früher.

»Möchtest du noch mehr hören? Meine Möwe ist tot.«

»Das tut mir leid«, sagte Enno hilflos.

»Muss es nicht. Ich kann sie wieder lebendig machen.« Eifrig zog Nele ihren Zeichenblock aus dem Ranzen. Da war sie, die Möwe. Nicht mehr mit gebrochener Schwinge, nein, sondern in freiem Flug am Himmel, unter ihr das Meer und am Horizont eine Stadt mit Türmen und hohen Häusern.

»Husum?«, fragte er zweifelnd.

Sie schaute ihn verächtlich an. »Hamburg. Da kommst du nie hin. Aber ich, wenn ich erst groß bin.«

»Wenn du willst, besuche ich dich dort«, versprach er ernst, aber sie schüttelte energisch den Kopf.

»Du bleibst hier. Ich nehme nur Nelly mit.«

Kapitel 1

Der Leuchtturm blinkte beharrlich, und die Schiffssirene heulte in immer kürzeren Abständen.

»Komm schon, gib Ruhe!« Nele Lorentz warf ein Buch nach dem Wecker, der in weiser Absicht so weit von ihr entfernt auf einem Tischchen platziert war, dass sie zum Abstellen normalerweise aus dem Bett musste.

Heute, an einem Montagmorgen, traf sie ihn sogar zu ihrer Überraschung. Weniger überrascht war sie allerdings über die Tatsache, dass der kitschige Wecker gleich noch die Blumenvase mit vom Tisch riss, die ihren Inhalt über einen Stapel Zeichnungen ergoss, den sie gestern eigentlich noch hatte wegräumen wollen.

»Typisch für mich.« Nele sprang aus dem Bett und öffnete erst einmal die Balkontür. Aufräumen wollte sie später. Mit der frischen Luft strömte auch der Straßenlärm herein, aber wenn man sich weit genug über die Balkonbrüstung im vierten Stock lehnte, konnte man gerade noch einen kleinen Zipfel der Hamburger Binnenalster erhaschen. Wasser, sie brauchte diesen Anblick mitten in der Stadt.

Seit zwei Jahren lebte sie jetzt in Hamburg, hatte nach dem Schulabschluss, den sie in einem Internat auf dem Festland gemacht hatte, zunächst eine Fachschule für Kommunikationsdesign, Schwerpunkt Gebrauchsgrafik, besucht und dann nach einigen Jahren in Husum endlich ihre Traumstelle bei der Werbeagentur Löffler & Co. in Hamburg ergattert.

Traumstelle, na ja … ihre Begeisterung hatte sich inzwischen gelegt, aber immerhin reichte der Verdienst, um sich ihre »Wohnhöhle« in einem guten Stadtviertel leisten zu können. So nannte Nele schon mal die Wohnung, weil es noch zwanzig ähnlich geschnittene – eineinhalb Zimmer, Miniküche, fensterloses Bad und Balkon mit Geranienpflicht – im Haus gab.

Ein Blick auf die Uhr ließ sie endgültig wach werden. In einer knappen Stunde würde die Sitzung anfangen. Heute war der Tag, an dem Nele ihren Entwurf für die neue Verpackung von »Schumanns Schuhcreme« vorstellen sollte. Wo hatte sie bloß die Entwürfe hingelegt? Aber jetzt erst mal unter die Dusche, der Rest würde sich danach schon finden.

»Moin, Romeo, moin, Julia«, begrüßte sie nach dem Duschen ihre Haustiere, zwei Seesterne in einem Salzwasseraquarium, die ihr zu Studienzwecken dienten.

Sie hoffte, mit ihrem Team den Auftrag für Kinderbettwäsche an Land ziehen zu können, und gab es etwas Schöneres, als abends mit lächelnden Seesternen einzuschlafen und am nächsten Morgen gut gelaunt in ihrer Gesellschaft wieder aufzuwachen?

Nele stürzte ein Glas kalte Milch hinunter, raffte ihre Unterlagen zusammen und überlegte dabei fieberhaft, wo sie gestern Moby Dick geparkt hatte. Moby, ihr hellblauer, liebevoll bemalter Käfer, den ihr die Eltern damals zur Volljährigkeit geschenkt hatten. Lange hatte das Auto in einer Garage auf dem Festland auf seinen Einsatz warten müssen, denn auf der Hallig waren nur Pferdefuhrwerke und landwirtschaftliche Maschinen für den Gemeinschaftsgebrauch erlaubt.

Zu ihrer Erleichterung entdeckte Nele den Wagen zwei Seitenstraßen weiter. Mist, sie fuhr bereits seit vorgestern auf Reserve, was Moby Dick ihr irgendwie übel zu nehmen schien, denn beim Starten gab er nur einen röchelnden Laut von sich.

»Durchhalten«, bat sie und klopfte dabei aufmunternd auf die Ablage. Mit der Folge, dass die Blumenvase mit dem Strauß getrockneten Halligflieder abfiel. Erst beim dritten Versuch bequemte sich Moby, spuckend und bockend in Gang zu kommen.

Löffler & Co. lag in der neuen Hafencity und verfügte über einen eigenen Firmenparkplatz, dessen Schranke man mittels einer Chipkarte öffnen konnte. Vorausgesetzt, man hatte diese Karte auch bei sich …

»Flo, dich schickt der Himmel!« Florian, Freund und Kollege aus einer anderen Abteilung, bog gerade mit seinem Rennrad um die Ecke, als Nele ihm in den Weg trat und hastig den Schlüssel für ihren Wagen in die Hand drückte. »Sei ein Schatz, bring Moby irgendwo unter.« Sie hielt ihm flüchtig die Wange zu einem der nur angedeuteten Freundschaftsküsse hin, die gerade modern waren. »Falls er bockt, braucht er Benzin. Super ist nicht nötig. Kannst du das Geld bitte auslegen? Ich hab es brandeilig, bin schon auf dem letzten Drücker.«

War das schon jemals anders, dachte Florian ergeben, als er Nele mit fliegenden blonden Haaren, die mehr schlecht als recht von einer Micky-Maus-Haarspange zusammengehalten wurden, zum Fahrstuhl eilen sah. Unterwegs bückte sie sich nach einigen Blättern, die aus ihrer Mappe herausgerutscht waren. Das Hupen eines Wagens riss ihn aus seinen Gedanken.

»Können Sie Ihre Hippiekarre endlich mal aus dem Weg räumen?«

»Ich bin davon ausgegangen, dass es sich bei Leder um ein Naturprodukt handelt.« Nele schaute Beifall heischend in die Runde und erntete ein neutrales Kopfnicken des Kunden.

»Bitte fahren Sie doch fort, Frau Lorentz.« Herr Löffler, Juniorchef in mittleren Jahren, blickte bereits ungeduldig auf die Uhr.

»Ich schlage vor, wir bauen in unserer Kampagne auf die Assoziationen des Endverbrauchers. Schuhcreme, Lederschuh, Naturbelassenheit. Bereits die Verpackung sollte das ausstrahlen.« Sie legte ihre erste Faltschachtel auf den Tisch und betätigte den Beamer, der verschiedene Strukturzeichnungen an die Wand warf. »Modell Flaumfedern für beigefarbene und weiße Schuhe.« Als keiner reagierte, ging sie zum nächsten Bild über. »Struktur von Haifischhaut mit Perleffekt für schwarze Schuhe.«

»Ich finde das recht originell.« Jenny aus Neles Team bot Schützenhilfe an, denn noch hatte sich der Kunde nicht geäußert.

»Dürfen wir jetzt bitte das Modell für braune Schuhcreme in Augenschein nehmen?« Herr Löffler klang sarkastisch, aber Nele blieb optimistisch, denn für braune Schuhe hatte sie gleich zwei Ideen.

Nur – wo waren die Schachteln? Konnte es sein, dass sie noch zu Hause unter dem Leuchtturmwecker lagen? Egal, dann mussten eben die Strukturzeichnungen reichen.

»Kann es sein, dass das Bild auf dem Kopf steht?« Die erste Reaktion des Kunden, sicher ein gutes Zeichen, denn der Satz sprach für Interesse und Aufmerksamkeit.

»Getrockneter Seetang«, erklärte Nele stolz. »Und hier ist mein persönliches Lieblingsmodell.« Sie strahlte den Kunden an und schenkte auch Herrn Löffler ein Lächeln. »Vielleicht möchten Sie gerne einmal selber assoziieren?«

»Raten. Frau Lorentz möchte, dass wir raten«, übersetzte der Juniorchef. Überflüssigerweise, fand Nele.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2022
ISBN (eBook)
9783986901028
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (August)
Schlagworte
Inselroman Familiengeheimnisroman Schicksalsroman Frauenunterhaltung Nordsee-Roman Küsten-Roman Christine Lehmann Patricia Koelle Dörte Hansen eBooks
Zurück

Titel: Rückkehr auf die Insel