Lade Inhalt...

Das Reich des Windes

Die große Saga in einem eBook | Die Chroniken von Lur: »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«

von Karen Miller (Autor:in) Michaela Link (Übersetzung)
©2023 1549 Seiten

Zusammenfassung

Ist er der Auserwählte, der die Welt retten kann? Das High-Fantasy-Epos »Das Reich des Windes« von Karen Miller jetzt als eBook bei dotbooks.

Er ist zu Großem bestimmt – doch er könnte tief fallen ... Asher, Sohn einer einfachen Fischerfamilie, trifft durch einen Wink des Schicksals auf Gar, den Prinzen des Königreichs Lur, und gewinnt seine Freundschaft. Schnell steigt er zum treuesten Berater des Prinzen auf, der ihm nicht von der Seite weicht. Aber damit begibt er sich in höchste Gefahr, denn eine finstere Macht hat es auf Gar abgesehen – eine Horde dämonischer Ungeheuer wartet nur noch auf den Befehl zum Angriff auf die Mauern des Königreichs. Nun ist es an Asher zu zeigen, ob er der prophezeite Held ist, der Lur vor dem Untergang bewahren kann ...

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der epische High-Fantasy-Sammelband »Das Reich des Windes« von Karen Miller enthält die Bände »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms« und wird die Fans der australischen Bestsellerautorin Trudi Canavan begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Er ist zu Großem bestimmt – doch er könnte tief fallen ... Asher, Sohn einer einfachen Fischerfamilie, trifft durch einen Wink des Schicksals auf Gar, den Prinzen des Königreichs Lur, und gewinnt seine Freundschaft. Schnell steigt er zum treuesten Berater des Prinzen auf, der ihm nicht von der Seite weicht. Aber damit begibt er sich in höchste Gefahr, denn eine finstere Macht hat es auf Gar abgesehen – eine Horde dämonischer Ungeheuer wartet nur noch auf den Befehl zum Angriff auf die Mauern des Königreichs. Nun ist es an Asher zu zeigen, ob er der prophezeite Held ist, der Lur vor dem Untergang bewahren kann ...

Über die Autorin:

Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada geboren und lebt bereits seit ihrem zweiten Lebensjahr in Australien. Nachdem sie ihr Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hatte, zog sie für drei Jahre nach England. Sie arbeitete in vielen verschiedenen Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin. Inzwischen widmet sich Karen Miller in Sydney ganz dem Schreiben.

Karen Miller veröffentlichte bei dotbooks bereits die Godspeaker-Trilogie mit den Bänden »Die Herrscherin«, »Die Thronerbin« und »Die Tyrannin« und die Chroniken von Lur mit den Bänden »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«, die im Sammelband »Das Reich des Windes« zusammengefasst sind.

***

Sammelband-Originalausgabe Februar 2023

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Published by arrangement with HarperCollins Publishers Pty Ltd

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ Aleksey Sagitov; TgoChin; m.mphoto; Lidiia; AKV

Map by Karen Miller and Darren Holt

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-136-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Das Reich des Windes«an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Karen Miller

Das Reich des Windes

Die große Saga in einem eBook

dotbooks.

Karen Miller

Der Erbe des Windes

Niemand kann sich dem Ruf des Schicksals entziehen … Asher, als Sohn einer einfachen Fischerfamilie geboren, sucht sein Glück in der Hauptstadt des Königreichs Lur. Hier gelingt ihm das Unglaubliche: er gewinnt die Freundschaft von Prinz Gar, dem Sohn der magiebegabten Königsfamilie, und wird dessen Berater. Asher ist auf die Intrigen des Hofstaats gefasst – doch schon bald müssen sich die beiden Freunde einem viel schrecklicheren Feind stellen: Hinter der von Magie gespeisten Mauer Lurs erwacht ein uraltes Übel … und droht, alles Leben im Königreich zu vernichten!

Prolog

Neunhundertsiebenundneunzig ... neunhundertachtundneunzig ... neunhundertneunundneunzig ... eintausend!

Asher öffnete die Augen. Endlich ....

Es war Zeit zu gehen.

Mit angehaltenem Atem schob er sich aus seinem alten, knarrenden Bett und setzte die nackten Füße auf den Boden, so sachte, wie die aufgehende Sonne die Mündung des Restharvener Naturhafens küsste.

In dem anderen Bett wälzte sein Bruder Bede sich im Schlaf, regte sich und grunzte unter seinen Decken. Asher wartete, verharrte reglos zwischen zwei Herzschlägen. Bede grunzte abermals, dann begann er zu schnarchen, und Asher stieß einen lautlosen Seufzer der Erleichterung aus. Barl sei gedankt, dass sie sich dieses Zimmer nicht noch immer mit Niko teilten. Es reichte, wenn eine Fliege furzte, und der verdammte Niko wachte fluchend auf. Wenn Niko noch hier geschlafen hätte, wäre es unmöglich gewesen, sich unbemerkt aus dem Haus zu stehlen.

Aber nachdem Wishus sich endlich mit Pippa verheiratet hatte, diesem Zankteufel von einer Frau, und aus seiner Einzelkammer in ein eigenes Steinhäuschen in der Hakengasse gezogen war, hatte Niko sofort dessen frei gewordenes Zimmer in Besitz genommen. Er hatte festgestellt, dass es sein gutes Recht sei, da er der älteste Bruder war, der noch zu Hause wohnte – und wem dieser Grund nicht einleuchtete, dem bläute er ihn mit den Fäusten ein.

Als Jüngstem stand Asher kein eigenes Zimmer zu. Als Jüngstem standen ihm eine Menge Dinge nicht zu. Obwohl er zwanzig Jahre alt und ein Mann war und hätte heiraten können, wenn er es gewollt hätte. Wenn es in Restharven oder irgendwo sonst an der Küste eine Frau gegeben hätte, bei der ihm das Herz schneller schlug – und zwar länger als für die Dauer eines Kusses und einiger kurzer Liebkosungen auf den Klippen über dem Meer.

Er nahm seine Stiefel vom Fußende des Bettes und schlich sich hinaus auf den Flur und vorbei an Nikos geschlossener Tür. Vor Pas Zimmer zögerte er. Schaute hinein.

Pa war nicht da. Das wechselnde Mondlicht enthüllte das durchgelegene, leere Doppelbett. Die Decken waren unberührt, ebenso wie das einzige Kissen auf der Matratze. Der Raum verströmte einen modrigen Geruch; er wirkte verlassen, obwohl noch jemand darin lebte. Wenn er die Augen schloss, konnte er beinahe eine Andeutung von Mas süßem Parfüm wahrnehmen.

Aber nur beinahe und nur, wenn er es sich einbildete. Ma war lange tot und begraben, und alles, was von ihrem Parfüm übrig geblieben war, war eine aufgebrauchte Flasche, die Pa auf dem staubigen Fenstersims aufbewahrte.

Asher ging weiter, ein Geist im Haus seiner Familie.

Er fand seinen Vater im Wohnzimmer, wo er der Länge nach in seinem Sessel lag und schnarchte. Auf dem Tisch neben seiner rechten Hand stand ein leerer Bierkrug; der Humpen lag ihm auf dem Teppich umgekippt zu Füßen. Säuerlicher Gestank nach vergossenem Bier und durchweichter Wolle stach Asher in die Nase.

Die Vorhänge des Wohnzimmers waren noch geöffnet, und das Mondlicht fiel in Streifen auf Boden und Sessel. Auf Pa. Asher blickte auf ihn hinab, und ein Anflug von schlechtem Gewissen durchzuckte ihn. Sein Vater sah so müde aus, wenn er auch jedes Recht dazu hatte. Er ging auf die sechzig zu. Wenn man ihn auf See erlebte, war es schwer zu glauben, dass er sieben Söhne hatte und bereits elf Enkel. Er führte tageweise das Kommando auf Fischkuttern anderer Eigner, brüllte seine Befehle hinaus und übertönte die Elemente, hievte Netze voller Fisch an Bord, nahm sie aus und feilschte mit den Händlern um die Preise dafür. Es gab im ganzen Königreich von Lurk einen Mann, der den Wellen so zu trotzen vermochte wie Pa. Der nur mit einem Haken an einer Schnur den springenden Sägefisch fing oder einen Volly mit seinen leuchtenden Schuppen von der Reling aus ergriff und mit bloßen Händen tötete.

Aber jetzt und hier im silbrigen Mondlicht sprachen das schüttere graue Haar und das in sorgenvollem Schlaf eingefallene, wettergegerbte Gesicht eine andere Sprache, und die sechzig Jahre, die er hinter sich hatte, waren nicht zu verleugnen.

Pa war alt. Er war alt, und Arbeit und Gram laugten ihn zunehmend aus.

Die Stiefel noch in den Händen, ging Asher neben seinem Vater in die Hocke. Eine gewaltige Woge der Liebe schlug über ihm zusammen. Er würde dieses Gesicht vermissen, mit der schiefen Nase, die Pa sich bei einer trunkenen Schlägerei um Ma gebrochen hatte, als er ihr den Hof gemacht hatte. Sein Blick fiel auf das vernarbte Kinn, gespalten nach einem Sturz auf Deck eines vom Sturm gebeutelten Kutters vor fünf Jahren.

»Es wird höchste Zeit, dass dir jemand die Sorgen abnimmt, Pa«, flüsterte er. »Höchste Zeit, dass dein Leben etwas leichter wird. Ich habe versprochen, dass ich das eines Tages für dich tun würde, und ich schätze, dieser Tag ist gekommen.«

Das Problem war, dass es einfacher gesagt als getan war. Um sein Versprechen einzuhalten, brauchte er mehr als Träume, obwohl er davon jede Menge hatte. Er brauchte Geld. Sehr viel Geld. Aber das würde er in Restharven nicht finden. Nicht nur weil es Restharven war, sondern wegen seiner Brüder. In einem Familiengeschäft war verdientes Geld geteiltes Geld ... und der Jüngste bekam das kleinste Stück vom Kuchen.

Nun, zum Kuckuck damit!

Er würde sich auf den Weg machen, seinen eigenen Kuchen zu finden, und den würde er mit niemandem teilen. Nicht bis der Kuchen groß genug war, um sich ein eigenes Boot davon kaufen zu können, damit Pa und er Zeht und die anderen sich selbst überlassen konnten, ganz gleich, was aus ihnen wurde. Ihn und Pa würde es nicht scheren. Sie würden ihr eigenes Boot haben und von dem eingeteilten Erlös ihrer Fänge so prächtig leben können wie der König selbst.

Seit zwei Jahren hatte er gespart und geknausert und auf alles verzichtet, um genug Geld zusammenzukratzen, um über die Runden zu kommen. Genug für die weite Reise in die Stadt Dorana. Er hatte sich alles genau überlegt.

»Es ist nur für ein Jahr, Pa«, flüsterte er. »Ich werde nur ein Jahr fort sein. So viel Zeit ist das im Grunde gar nicht. Und ich werde zurück sein, bevor du mich groß vermissen kannst. Du wirst schon sehen.«

Die Uhr an der Wand schlug halb elf, laute, in der Stille widerhallende Schläge. Der Rostige Anker würde bald schließen, und Jed wartete auf ihn mit seinem Rucksack und seiner Börse. Er musste aufbrechen. Asher beugte sich über den Sessel, drückte seinem Vater einen Kuss auf die runzlige Wange und schlüpfte aus dem kleinen Steinhaus, in dem er und all seine Brüder geboren waren.

Als er sich sicher war, dass er vom Haus aus nicht länger zu hören war, stieg er in seine Stiefel und eilte dann von einem Schatten zum nächsten, bis er den Rostigen Anker erreichte. In dem Lokal herrschte das übliche Gedränge. Asher drückte die Nase gegen die Fensterscheibe und hielt Ausschau nach Jed. Als er seinen Freund endlich in der Menge zechender Fischer entdeckte, klopfte er und winkte und hoffte, dass Jed ihn bemerkte. Gerade als er der Verzweiflung nahe war, wich Jed einem begeistert geschwungenen Arm aus, stolperte, drehte sich um und sah ihn.

»Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass du noch kommen würdest!«, brummte sein Freund, als er durch die Tür trat, einen frischen Humpen Bier in der Hand. »Du hast gesagt, zehn Uhr oder kurz darauf. Jetzt ist es so spät, dass der Anker gleich schließen wird!«

»Sieht nicht so aus, als hättest du mich sehr vermisst.« Asher entriss Jed den Humpen und nahm einen ordentlichen Schluck von dem kalten, bitteren Bier. »Hast du sie mitgebracht?«

Jed eroberte sich den Humpen zurück. »Klar habe ich sie mitgebracht«, sagte er und verdrehte die Augen. »Ich bin dein Freund, oder?«

»Ein Freund würde mir erlauben, diesen Humpen zu leeren«, erwiderte Asher grinsend. »Ich habe eine weite Strecke vor mir – bis zur nächsten Schenke –, und so wie du aussiehst, wird ein Humpen mehr ein Humpen zu viel sein.«

»Nicht bei mir«, sagte Jed. Dann gab er nach. »Hier.« Er hielt ihm den Humpen hin. »Elender Menschenschinder. Jetzt aber los. Ich habe deine Sachen gleich um die Ecke versteckt. Wenn du endlich kommst, statt mir hier die Zeit zu stehlen, dann kriege ich vielleicht selbst noch einen Schluck zu trinken, bevor der Anker schließt.«

Asher nahm den Humpen. Der gute alte Jed. Es gab keinen anderen Menschen, dem er seine kostbare Börse mit Trins und Kuicks anvertraut hätte oder seinen Ziegenschlauch mit Wasser und den Rucksack mit Käse, Äpfeln, Brot und Kleidung. Auch seine Träume hätte er keinem anderen anvertraut. Sie waren ihr Leben lang Freunde gewesen, er und Jed. Er hatte sich sogar erboten, Jed in die Stadt mitzunehmen, aber dazu bestand keine Notwendigkeit. Jed wurde schließlich nicht von einem Haufen Brüder geplagt. Er würde in einigen Jahren das Boot seines Vaters erben.

Glückspilz!

»Pass auf dich auf«, sagte Jed streng, während Asher den Rest des Bieres trank. »Dorana ist weit, und dort ist es bestimmt mächtig trocken. Ganz zu schweigen davon, dass es da nur so wimmelt von Doranen. Also gib Acht, was du tust, Meister Asher. Du bist nicht gerade der respektvollste Mensch, den zu kennen ich je das Vergnügen hatte. Tatsache ist: Ich bin mir nicht sicher, ob das magische Volk dort auf jemanden wie dich vorbereitet ist.«

Asher lachte und warf ihm den leeren Humpen zu. »Ich schätze, das magische Volk dort kann auf sich selbst aufpassen, Jed. Genau wie ich. Also, du wirst nicht vergessen, morgen früh gleich als Erstes bei meinem Pa vorbeizuschauen und ihn wissen zu lassen, dass es mir gut geht und dass ich heute in einem Jahr zurück sein werde, ja?«

»Natürlich werde ich das nicht vergessen. Aber ich finde trotzdem, dass du mir erlauben solltest, ihm zu sagen, wo du sein wirst. Er wird nämlich bestimmt fragen.«

»Ja, ich weiß, aber daran lässt sich nichts ändern«, erwiderte Asher. »Du musst die Zunge hinter den Zähnen halten, Jed, denn zwei Sekunden nachdem du es ihm erzählt hast, wird er es Zeht und den anderen erzählen, und das wird das Ende der Geschichte sein. Sie werden mich finden und hierher zurückschleppen, und ich werde niemals genug Geld sparen können, um Pa und mir ein prächtiges Leben aufbauen zu können. Nur weil wir verwandt sind und ich der Jüngste bin, denken sie, ich wäre ihr Besitz. Aber das ist nicht wahr. Also wird es das Sicherste sein, wenn du dich einfach so benimmst, als hättest du nicht den leisesten Schimmer, wo ich bin.«

»Du meinst, ich soll lügen?«

Asher verzog das Gesicht. »Zu deinem eigenen Wohl, Jed. Und zu meinem.«

»Also schön«, antwortete Jed und rülpste. »Wenn du es sagst.«

Asher band sich den mit Wasser gefüllten Ziegenschlauch an den Gürtel und warf sich den Rucksack über die Schultern. »Ich sage es.«

Jed stieß einen kläglichen Seufzer aus. »Du wirst das Fest versäumen.«

»Dieses Jahr. Dafür können wir im nächsten Jahr dann doppelt so viel trinken, um es wieder wettzumachen. Ich zahle. Und jetzt schwing dich in den Anker, bevor sich jemand fragt, wo du abgeblieben bist, und nach dir sucht.«

»Jawohl, Meister Asher«, sagte Jed und drückte Asher so ungestüm und unbeholfen an sich, dass seinem Freund die Rippen schmerzten. »Lass es dir gut gehen! Und komm gesund und munter nach Hause zurück.«

»Das habe ich vor.« Asher trat zurück. »Gesund und obendrein mit mächtig dicken Taschen. Und vielleicht werde ich zusammen mit meinem Geld auch ein hübsches, strammes Olkenmädchen mitbringen!«

Jed schnaubte. »Vielleicht wirst du das tatsächlich. Vorausgesetzt, dass sie halb blind und vollkommen blöde ist. Los jetzt, um der Liebe Barls willen, es sind nur noch zehn Minuten, bis der Anker schließt. Wenn du nicht endlich verschwindest, wirst du bei deinem Aufbruch Publikum haben.«

Was das Letzte war, was er brauchte. Mit einem Lächeln und einem Winken drehte Asher sich um und eilte die Straße hinauf, weg von seinem Freund und der Schänke und dem einzigen Leben, das er je gekannt hatte. Wenn er die ganze Nacht marschierte, würde er das Dorf Schoomer rechtzeitig erreichen, um sich von einem Kartoffelwagen nach Colford mitnehmen zu lassen. Von Colford aus konnte er auf die gleiche Weise nach Jerring gelangen, dann weiter von Jerring nach Sapslo, und in Sapslo konnte er sich einen Platz in einem der Wagen kaufen, die nach Dorana fuhren.

Und diesen Plan würden seine elenden Brüder niemals durchschauen.

Während er hügelaufwärts zur Küstenstraße ging, blickte er nach links, wo der große Naturhafen von Restharven unter dem rundleibigen Mond leuchtete wie ein frisch geprägter Trin. Die Nacht war warm und erfüllt von Salzgeruch und dem fernen Donnern der Wellen, die das Meer jenseits der Hafeneinfahrt gegen die den Hafen schützenden Klippen krachen ließ.

Er spürte seinen Herzschlag, das Hämmern gegen die Rippen. Ein Jahr im trockenen Dorana. Ein Jahr ohne die See. Keine schreienden Möwen, keine Brandung, die einem die Haut wegscheuerte. Kein schlingerndes Deck unter den Füßen, keine geblähten Segel über ihm. Keine Wettfahrt mit den Gezeiten und seinen Brüdern zurück zum Hafen, kein Sprung mehr vom Delfinskopf in die wogende blaue See, kein Abendessen mit Jed und den anderen Kameraden, bei dem sie sich vollstopften mit frisch gebratenen, vor Öl und Essig triefenden Fischen aus ihrem Fang.

Konnte er das ertragen?

Ha! »Konnte?« war nicht die Frage. Er musste es ertragen. Da waren Träume zu verwirklichen und ein Versprechen einzulösen, und nichts von alledem konnte er tun, ohne sein Herz und seine Seele hinter sich zu lassen. Ohne seine Heimat zu verlassen.

Mit hoch erhobenem Kopf, pfeifend und furchtlos, strebte Asher seiner Zukunft entgegen.

Kapitel 1

»Er ist hier.«

Matt, der sie nicht hatte kommen hören, richtete sich jäh auf und betrachtete die Frau in der Stalltür. Ihre dünnen Finger umklammerten die verriegelte Unterhälfte der zweiteiligen Tür, und ihr kantiges Gesicht war angespannt von unterdrückter Aufregung. Das verschreckte Pferd, das er sattelte, warf den Kopf hoch und schnaubte.

»Ganz ruhig, Ballodair, du alter Narr«, sagte er, eine Hand auf den tänzelnden braunen Hinterläufen. »Musst du dich immer so anschleichen und einen zu Tode erschrecken, Dathne?«

»Tut mir leid.« Wie gewöhnlich klang sie nicht besonders reuig. »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«

Matt duckte sich unter dem Hals des Hengstes hindurch und überprüfte die Schnallen des Sattelgurts zu beiden Seiten. »Eigentlich nicht.«

Dathne sah sich kurz um, schob den Riegel der Stalltür zurück und schlüpfte hinein. Vom Hof hinter ihr erklangen zu fröhlichem Gelächter erhobene Stimmen und das Klipp-Klapp der eisenbeschlagenen Hufe auf geglättetem Kies. Zwei der Stallburschen führten die Pferde auf die Weide.

»Ich sagte«, wiederholte sie und senkte die Stimme, »er ist hier

Die goldenen Schnallen am Zaumzeug des Pferdes saßen nicht ganz gleichmäßig. Matt zog sie zurecht, dann wandte er sich stirnrunzelnd zu ihr um. »Wer? Seine Hoheit?« Er schnalzte mit der Zunge. »Schon wieder zu früh dran, der verflixte Bursche. Um neun Uhr soll ich Ballodair für ihn fertig haben, irgendeine Versammlung irgendwo, aber ich hab nicht mal ...«

Dathne gab ein ungeduldiges Zischen von sich. »Nicht Prinz Gar, du Tölpel. Er

Zuerst konnte er keinen Sinn in ihren Worten finden. Dann sah er ihr ins Gesicht, sah sie wirklich an, sah ihr in die Augen. Sein Herz tat einen Satz, und er musste sich an Ballodairs warmen, muskulösen Hals lehnen.

»Bist du dir sicher? Woher weißt du das?« Seine Stimme klang eigenartig: brüchig, trocken und angstvoll. Er hatte Angst. Wenn Dathne Recht hatte – wenn der eine, auf den sie so lange gewartet hatten, endlich gekommen war –, dann war dieses Leben, das er trotz seiner gefährlichen Geheimnisse liebte, zu Ende. Und dieser Tag, so strahlend und blau, so wunderbar erfüllt vom warmen Duft von Jasmin und Rosen und feinknochigen, muskulösen Pferden, markierte den Anfang vom Ende aller bekannten und geliebten Dinge.

Das Ende von allem, sollten er und Dathne versagen.

Dathne starrte ihn an, und Überraschung und Ärger spiegelten sich in ihrem schmalen, kompromisslosen Gesicht. »Woher soll ich das wissen? Ausgerechnet du von allen Menschen stellst mir diese Frage?«, begehrte sie auf. »Ich weiß es. Er hat mich mit seinem Kommen spät in der vergangenen Nacht aus dem Schlaf gerissen. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich an ihn denke.« Dann hob sie die Achseln, ein ungeduldiges Zucken ihrer knochigen Schultern. »Und wie dem auch sei, ich habe ihn gesehen.«

»Ihn gesehen?«, fragte Matt verblüfft. »Ich meine, in Fleisch und Blut? Du sprichst nicht von einer Vision? Wann? Wo?«

Nachdem sie ihren leichten Schal fester um sich geschlungen hatte, trat sie in dem raschelnden Stroh einen Schritt näher und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »In der Frühe. Ich bin der Nase nach gegangen, bis ich ihn fand, wie er gerade aus Verrys Herberge kam.« Sie rümpfte die Nase. »Ich kann nicht behaupten, dass ich von seinem Geschmack besonders viel hielte.«

»Dathne, das war töricht.« Er wischte sich die verschwitzten Hände an der Reithose ab. »Was, wenn er dich gesehen hat?«

Ein weiteres Achselzucken. »Und wenn es so wäre? Er kennt mich nicht und weiß nicht, was ich vorhabe. Außerdem hat er mich nicht gesehen. In der Stadt wimmelt es nur so von Menschen, die zum Markttag wollen. Ich war nur eine von sehr vielen.«

»Du glaubst nicht ...« Matt zögerte. »Glaubst du, er weiß es?«

Dathne runzelte die Stirn, schob die Zehen in die gelben Strohhalme und dachte nach. »Er könnte es wissen«, sagte sie schließlich. Dann schüttelte sie den Kopf. »Aber ich denke, nicht. Wenn er es wüsste, warum würde er uns dann brauchen? Wir haben bei alledem, das noch nicht begonnen hat, eine Rolle zu spielen.« Ihre dunklen Augen nahmen einen einschüchternden, vertrauten Glanz an. »Ich frage mich, wohin es uns führen wird. Du nicht auch?«

Matt schauderte. Dies war die Art von Fragen, die er lieber nicht stellte oder beantwortete. »Solange es mich nicht in ein frühes Grab führt, schert es mich nicht viel. Hast du Veira Bescheid gesagt?«

»Noch nicht«, erwiderte Dathne, nachdem sie einen Herzschlag lang gezögert hatte. »Sie muss sich um die Angelegenheiten des Zirkels kümmern, es gibt Ärger in Grundberg, und abgesehen davon, dass er hier ist, habe ich nichts zu erzählen. Noch nicht.«

»Du klingst so gelassen. So sicher.« Er wusste, dass sein Tonfall anklagend war. Doch er konnte es nicht verhindern. Dort stand sie, stark, selbstsicher, unabhängig und beherrscht wie immer, während seine Eingeweide sich verknoteten und frischer Schweiß sein Hemd durchfeuchtete. Als Ballodair seine Unruhe spürte, blies er eine Warnung durch blutrote Nüstern und legte die scharf gewölbten Ohren an den Kopf. Matt holte erstickt Atem und strich auf der Suche nach Trost über die glänzende Wange des Pferdes. »Wie kommt es, dass du dir so sicher bist?« Seine Stimme war ein klägliches Flüstern.

Dathne lächelte. »Weil ich ihn träumte und er kam.«

Das war es. Dumm von ihm, mehr zu erwarten. Trost zu erwarten.

Dathne war Dathne: scharfzüngig, rätselhaft, nicht aus der Ruhe zu bringen und allein. Nach sechs Jahren, in denen er sie gekannt hatte, in denen er mit ihr gestritten und sich ihr unterworfen hatte, nicht mehr als die flatternde Motte zu ihrer Flamme, wusste er, dass ein Protest sinnlos war. Sie würde sein, was sie war, und damit war die Angelegenheit erledigt. Geradeso gut konnte man sich darüber beklagen, dass ein Pferd vier Beine und einen Schwanz hatte.

Ein Grinsen, ebenso flüchtig wie spitzbübisch, erhellte ihr reizloses Gesicht. Sie konnte so mühelos in ihm lesen wie in jedem der Bücher, die sie in ihrem Laden verkaufte, zum Kuckuck mit ihr. »Ich sollte jetzt gehen. Der Prinz wird jeden Augenblick hier sein, um sein Pferd zu holen, und ich habe noch einiges zu tun.«

Etwas in ihren leuchtenden Augen brachte von neuem Aufruhr in seine Eingeweide. »Was?«

»Triff mich heute Abend auf ein Bier in der Gans«, lud sie ihn ein, während ihre Finger leicht auf der Stalltür ruhten. »Könnte sein, dass ich dir dann eine Geschichte zu erzählen habe.«

»Dathne ...«

Aber sie hatte bereits den Stall verlassen und verriegelte die Tür hinter sich. Die Sonne spiegelte sich hell auf dem rabenschwarzen Haar, das sie sich zu einem Knoten dicht an ihrem langen, geraden Hals geflochten hatte. »Nicht später als sieben, hörst du?«, rief sie über die Schulter, bevor sie geschickt dem jungen Bellybone mit seinen Wassereimern auswich. »Ich brauche meinen Schönheitsschlaf ... Was immer der mir bisher genutzt hat!«

Dann war sie fort, die Frau, der zu dienen und zu folgen Matt seine Seele verpfändet hatte. Während Matt ihr nachsah, trat der Prinz durch die Tür in der Wand, die zu seiner Turmresidenz führte – bereit, auszureiten und sich seinen Geschäften zu widmen, das leuchtend gelbe Haar wie geschmolzenes Gold und ein unbefangenes Lächeln auf dem Gesicht, das so vieles verbarg ...

Mit einem Seufzer schob Matt seine Sorgen beiseite und schickte sich an, den Sohn des Herrschers zu begrüßen.

Auf dem großen zentralen Platz von Dorana, der Hauptstadt des Königreiches Lur, war der Markttag in vollem Gang. Er fand am ersten Barlstag eines jeden Monats statt, so regelmäßig, wie der Regen fiel. Und obwohl die Sonne noch kaum die höchsten Türme des fernen Königspalastes vom Nebel befreit hatte, herrschte auf dem Platz bereits ein dichtes Gedränge. Die Menge von Käufern, Verkäufern und Schaulustigen erinnerte Asher an das Gezappel von Fischen in einem wohlgefüllten Netz.

Er stand inmitten des Trubels und blickte sich hilflos um, als sei er schwach von Verstand. In seinem Kopf drehte sich alles, wenn er versuchte, der Vielzahl von Eindrücken Herr zu werden. Der Lärm dröhnte ihm in den Ohren, und die Mannigfaltigkeit verschiedener Gerüche überwältigte seine Sinne. Es roch nach Schweiß, Rauch und Kuhmist, nach Weihrauch, Blumen und Süßigkeiten, geröstetem Federvieh, frischgebackenem Brot und mehr. Sein leerer Magen krampfte sich zusammen.

Die meisten Standbesitzer waren von seinem Volk, dunkelhaarige Olken. Emsig verkauften sie ihre Waren mit munterer Wildheit. Frische Früchte, Gemüse, vom Metzger zerlegtes Fleisch, lebende Hühner, geräucherte Fische, Kerzen, Bücher, Juwelen, Sattelzeug, Möbel, Gemälde, Haarschnitte, Brot, Uhren, Süßigkeiten, Pasteten, Wolle, Arbeitskleidung, luxuriöse Kleider ... Es schien nichts zu geben, das man nicht kaufen konnte, wenn man das Verlangen danach verspürte – und das Geld hatte.

»Bänder! Kauft euch hübsche Bänder hier, sechs Kuick das Dutzend!«

»Teshoes! Reife Teshoes!«

»He! Pass auf, wo du hintrittst, Bengel! Zurück!«

Asher fuhr auf dem Absatz herum und konnte sich gerade noch vor einem schokoladebraunen Bullen in Sicherheit bringen, der von seinem Treiber zum Viehviertel geführt wurde. Der polierte Nasenring des Stiers blitzte im Sonnenschein, und seine gespreizten Hufe knallten auf den Pflastersteinen.

»He, du großer Tölpel, geh mir aus dem Weg!«, brummte eine Obstverkäuferin, eine fette Olkin, die das dunkle Haar zu einem schlampigen Knoten zusammengebunden trug. Ihr leuchtend grünes Kleid war größtenteils bedeckt von einer obstbefleckten Schürze, und in einer Hand hielt sie mehrere dicke, rosige Teshoes. »Du bringst noch meine Kunden zu Fall!«

Da er sich geschworen hatte, jeden zu fragen, den er fragen konnte, sagte er zu ihr: »Brauchst du vielleicht einen Mann um Lohn?«

Die Obstverkäuferin zwinkerte der Menge zu, die sich um ihren Handkarren versammelt hatte, und lachte gackernd. »Danke, Söhnchen, aber ich hab schon einen Mann, der zwei von deiner Sorte ergeben würde, schätze ich, also machst du dich wohl besser auf den Weg, wenn du hier nichts kaufen willst!« Ihre fleischigen Schultern zogen ihren üppigen Busen in die Höhe, und ihre Lippen schürzten sich zu einer höhnischen Einladung.

Um ihn herum erklang Gelächter. Mit heißem Gesicht wartete Asher, bis der alte Besen ihm den Rücken kehrte, ließ eine Teshoe aus der ersten Reihe mitgehen und mischte sich unter die rasch vorübereilenden Passanten.

Er verzehrte die Frucht mit drei Bissen und leckte sich den herben Saft von seinem stoppeligen Kinn. Das war alles an Frühstück, was er bekommen würde. Und es würde ihm auch als Mittagessen und vielleicht sogar als Abendessen genügen müssen, wenn er heute keine Arbeit fand. Die Börse, die in seinem Gürtel steckte, war unheilverkündend flach; er hatte fast all seine mageren Ersparnisse aufbrauchen müssen, nur um hierher zu gelangen, und dann hatte die letzte Nacht in der Pension den größten Teil des Rests verschlungen. Er hatte noch genug übrig für ein weiteres Nachtquartier, eine Schale Suppe und einen Kanten Brot. Danach würde er in der Klemme sitzen. Aber obwohl der Zweifel mit scharfen Rattenzähnen an seinen Eingeweiden nagte, spürte er, wie sich ein wildes Grinsen auf seinen Zügen breitmachte.

Er war in Dorana. Dorana! In der großen, mauerumschlossenen Stadt. Wenn Pa ihn jetzt nur hätte sehen können. Wenn seine Brüder ihn hätten sehen können ... Sie würden sich ihre jämmerlichen Eingeweide aus dem Leib würgen, so viel stand fest.

Ha!

Er hatte bereits davon geträumt, diese Stadt zu sehen, lange bevor der Plan zu seiner Reise festere Formen angenommen hatte. In seiner Kindheit und Jugend war dieser Traum von Geschichten genährt worden, die Ole Hemp der wissbegierigen Schar von Jungen zu erzählen pflegte, die sich nachmittags zu seinen Füßen sammelten, sobald die Boote im Hafen und die gefangenen Fische geputzt und ausgeweidet waren. Wenn die Möwen sich auf dem Pier ihren Anteil erstritten hatten, begann Ole Hemp zu erzählen.

Ole Hemp war der einzige Mann in Restharven, der die Stadt je gesehen hatte. Während er der Länge nach auf seiner Lieblingsbank unten am Hafen lag und an seiner knorrigen Pfeife paffte, erzählte er Geschichten, die ihnen allen das Herz höher schlagen ließen, Geschichten, bei denen ihnen beinahe die Augen aus dem Kopf sprangen.

»Dorana«, sagte Ole Hemp manchmal, »ist so groß, dass man Restharven mindestens zwanzigmal hineinpacken könnte. Seine Häuser und Herbergen sind riesig, so hoch wie die Bäume im Binnenland, und bemalt mit allen Farben unter dem Himmel. Und ihre Bierschänken, nun, die trocknen niemals aus. Und die Gerüche! Genug, um euch das Wasser im Mund zu einem Fluss zusammenlaufen zu lassen, denn in ihren Küchen rösten sie Schweine und Lämmer und fette, saftige Bullen über Feuergruben, die so groß und so tief sind, dass eine ganze Familie aus Restharven darin Platz fände. Beinahe jedenfalls.«

Und die lauschenden Jungen seufzten, malten sich die Bilder aus und rieben sich die mit Fisch gefüllten Bäuche.

Aber da sei noch mehr, pflegte Hemp zu sagen, so leise und voller Ehrfurcht, dass seine Stimme klang wie die Gischt auf dem Strandkies, sobald alle Wellen ins Meer zurückgelaufen waren. Von Dorana aus könne man Barls Mauer sehen, die turmhohe, goldene Barriere aus Magie, die sich, im Sägezahngebirge tief verankert, hinter der Stadt dahinzog.

»Sie sehen?«, stießen die Jungen dann atemlos hervor, ungläubig, ganz gleich, wie viele Male sie die Geschichte gehört hatten.

»O ja«, versicherte Ole Hemp ihnen. »Barls Mauer ist nicht unsichtbar wie die Zauber, die tief eingesenkt sind in das Drachenzahnriff, das ihr alle kennt. Es reicht vom einen Ende des Horizonts zum anderen und trennt die ruhigeren Gewässer vor der Küste von der hohen See. Kein Boot kann es jemals überwinden. Aber Barls Mauer ist etwas Großes, Flammendes, und an einem wolkenlos blauen Tag kann man sie um die Mittagszeit deutlich sehen. Sie schenkt uns Sicherheit. Sie beschützt jeden Einzelnen – ob Olk, Olkin oder Olkenkind – vor den Gefahren der lange aufgegebenen Welt jenseits der Mauer.«

An diesem Punkt fragte stets jemand: »Und was ist mit den Doranen, Hemp? Beschützt die Mauer sie auch?« Und Hemp antwortete jedes Mal: »Natürlich tut sie das. Glaubst du, sie würden eine Mauer bauen, die ihresgleichen nicht zuerst und zuvorderst retten würde?«

Aber das sagte er immer ganz leise, als könnten sie ihn hören, obwohl die nächsten Doranen über fünfzig Kilometer entfernt lebten. Denn doranische Ohren waren magische Ohren, und die Doranen gehörten nicht zu denjenigen, die Kritik allzu freundlich aufnahmen.

Beunruhigt und von jähem Heimweh erfüllt, schüttelte Asher die Erinnerungen ab und blickte über den Marktplatz in die Ferne, über die Stadt hinaus, wo Barls Mauer in der Morgensonne schimmerte. Was das betraf, hatte Ole Hemp jedenfalls Recht gehabt: Dort war die Mauer, und dort würde sie stehen, höchstwahrscheinlich bis zum Ende der Zeit selbst.

Eine lachende Gruppe von Doranen schlenderte vorbei. Asher konnte sich nicht bezähmen: Er starrte sie an.

Sie waren eine hochgewachsene Rasse mit Haar in der Farbe von Silber oder Gold, von reifem Weizen oder Sonnenschein, und sie trugen es gelockt oder zu Schleifen und Zöpfen gebunden, durchflochten mit lässig zur Schau gestellten kostbaren Juwelen. Sie hatten klare, schöne Augen mit grüner, blauer und grauer Iris, und ihre Haut war weiß wie frische Milch. Die langen, eleganten Glieder waren schlank und rank, und sie kleideten sich in Seide, Brokat, Samt, Leinen und Leder. Ihre ganze Haltung vermittelte den Eindruck, dass sie nicht wie andere Geschöpfe waren, dass sie unberührt und unberührbar waren, und wo immer sie gingen, zog der Staub des Marktplatzes sich ehrerbietig vor ihnen zurück.

Das war Magie ... Und sie trugen sie wie einen unsichtbaren Mantel. Hüllten sie sich um die schlanken Schultern und wussten zu verhindern, dass sie an ihnen hinabglitt: Mit hochmütig vorgerecktem Kinn und mit der Art, wie sie die in feinem Schuhwerk steckenden Füße auf den Boden setzten, als sollten unter ihren Schritten blühende, wohlduftende Blumen sprießen.

Unten in Restharven bekam man von einem Ende des Jahres bis zum nächsten kaum je einmal einen Doranen zu sehen. Den König beim Fest der Meeresernte. Den Steuereintreiber. Den Volkszähler. Einen ihrer fantastischen Pother, falls ein guter, altmodischer Olkenheiler jemanden nicht von seinen Bauchschmerzen kurieren oder einem anderen einen gebrochenen Knochen richten konnte. Davon abgesehen blieben sie auf ausgedehnten Landsitzen oder in den großen Städten des Königreiches unter sich, und natürlich lebten viele von ihnen hier in der Hauptstadt. Mit welchen Dingen sie sich vergnügten, wusste Asher nicht. Wahrscheinlich hielten sie Vieh und fischten in den Flüssen, bauten Trauben an und züchteten Pferde, genau wie seine eigenen Leute. Nur dass sie natürlich Magie benutzten.

Asher spitzte unwillkürlich die Lippen. Sein Leben mit Magie zu leben ... Das war einfach nicht natürlich. Diese vornehmen, gelbhaarigen Leute mit ihren kostbaren Kräften, die alles für sie taten, die dafür sorgten, dass die Welt sich ihren Wünschen und Launen beugte, die in ihrem ganzen Leben niemals eine noch so kleine Blase an den Händen haben geschweige denn schwitzen würden ... Was verstanden sie denn schon von der Welt? Davon, wie ein Mann der Welt verbunden sein sollte, wie er sich in ihre Gezeiten und Rhythmen einfügte und ihren leisen Stimmen gehorchte?

Nichts. Trotz all ihrer geheimnisvollen, magischen Kräfte verstanden die Doranen nichts.

Mit einem ungeduldigen, verdrossenen Seufzen ging er weiter. Wenn er nur Maulaffen feilhielt, würde er bestimmt keine Arbeit finden.

Die Ellbogen angewinkelt, eine Hand schützend über seiner Geldbörse, schob er sich durch die überfüllten Gänge zwischen den dicht umlagerten Marktbuden und fragte jeden Standbesitzer nach einer Arbeit. Er hatte bald mehr Abweisungen gesammelt, als die kleinen Mädchen daheim Strandschnecken, wenn sie bei einsetzender Flut mit ihren prall gefüllten Beuteln ins Dorf zurückkehrten.

Sein Herzschlag hatte sich unangenehm beschleunigt. So hatte er sich das in seinen Träumen ganz und gar nicht ausgemalt. Er war davon ausgegangen, dass es verdammt viel leichter sein würde, eine Arbeit zu finden ...

Mit einem finsteren Stirnrunzeln blieb er vor einem der wenigen doranischen Stände auf dem Markt stehen. Die hübsche junge Frau, die ihre Waren feilbot, lächelte ihn an und schnippte mit den Fingern. Der raffiniert geschnitzte und bemalte Spielzeughund, der zwischen den anderen Spielzeugen einherstolzierte, begann sofort zu bellen und schlug einen Purzelbaum. Mit einem weiteren Fingerschnippen begann ein fröhlicher, fetter Clown, der ein Kostüm aus roten Flitterplättchen trug, mit drei gelben Bällen zu jonglieren. Der kleine Hund jaulte und versuchte, einen der Bälle aus der Luft zu schnappen.

Die anderen Zuschauer vor dem Stand lachten. Asher konnte ein Lächeln gerade noch unterdrücken. Schnaubend wandte er dem Hund, dem Clown und der hübschen jungen Frau den Rücken zu und stapfte durch die Menge davon. Verfluchte Doranen. Brachten nicht einmal albernes Spielzeug für Kleinkinder zustande, ohne einen Zauber zu benutzen.

Mitten auf dem Marktplatz stand ein Springbrunnen, der Wasser spie wie ein Wal. Sein Zentralstück war eine aus Grünstein geschnitzte Statue Balls, die Arme ausgestreckt und einen Blitzstrahl in einer Faust. Unter der gurgelnden Oberfläche blinkten Trins und Kuicks im Sonnenlicht. Asher angelte einen einzelnen kostbaren Kupferkuick aus seiner Börse und warf ihn hinein.

»Was ich brauche, ist eine Arbeit«, sagte er zu dem schweigenden Gesicht über ihm. »Nichts Großartiges, und alles für eine gute Sache. Meinst du, du siehst eine Möglichkeit, mir zu helfen?«

Die Statue blieb still. Feuchtigkeit überzog ihre gemeißelten, grünen Wangen wie Tränen – obwohl Asher keine Ahnung hatte, welchen Grund Barl haben sollte zu weinen. Schließlich drehte Asher sich um und ließ sich schwer auf den Rand des Springbrunnens fallen. Nicht dass er erwartet hätte, dass die Statue tatsächlich sprechen würde. Aber er hatte doch halb und halb auf irgendeine Art von Antwort gehofft. Eine Eingebung. Eine gute Idee. Er war gewiss nicht der häufigste Gast in der Kapelle, aber wie alle anderen im Königreich glaubte er. Und er gehorchte den Gesetzen. Allen. Sie mussten zu irgendetwas nütze sein.

Er weigerte sich zu akzeptieren, dass sein Traum gestorben war, noch bevor er seinen ersten Atemzug getan hatte. Irgendwo innerhalb dieser lärmenden, ummauerten Stadt musste es doch einen Olken geben, der einen ehrlichen, jungen Mann brauchte, einen Mann mit einem starken Rücken und der Bereitschaft, ein hartes Tagewerk für eine warme Mahlzeit, ein weiches Bett und einen gerechten Lohn am Abend zu verrichten. Irgendjemand musste doch Verwendung für ihn haben, sei es ein Mann oder eine Frau. Es hatte keinen Sinn, bei den vornehmen Olken vorstellig zu werden. Sie waren fast so schlimm wie die Doranen. Vornehme Stadtolken mit vornehmen Stadthäusern und weichen Stadthemden und mehr Geld als Verstand würden Arbeiter – nein, Personal – mit Zeugnissen, hauptstädtischer Aussprache und Kleidung wollen, die so viel wert war wie ein ganzer Jahresfang Makrelen. Er hatte nichts übrig für dergleichen Unfug, und die Leute, die das anders sahen, würden wenig übrig haben für ihn.

Nein. Er war als Fischer in Restharven geboren und groß geworden, und er kannte seinen Wert. Irgendwo in dieser Stadt würde er jemanden finden, der das ebenfalls tat. Statue hin, Statue her, er würde sich eine Arbeit beschaffen.

Er musste. Es galt, ein Vermögen zu verdienen und Versprechungen zu halten.

Das entrüstete Brüllen einer Kuh übertönte das Geplapper und den Lärm auf dem Marktplatz, und Asher, der immer noch auf dem Rand des Springbrunnens gehockt hatte, fuhr jäh auf. Natürlich. Der Viehmarkt. Du Narr. Er hätte es von Anfang an dort versuchen sollen, statt hier von Stand zu Stand zu laufen und für seine Mühen nichts anderes zu ernten als ein Nein nach dem anderen. Auf dem Viehmarkt würde er Bauern und Viehzüchter finden, Männer seines Schlages. Gewiss würde es dort irgendjemanden geben, der die Art von Diensten suchte, die Asher von Restharven anzubieten hatte.

Mit neu entfachter Hoffnung sprang er auf. Auf der anderen Seite des Marktplatzes waren Geräusche und Bewegungen, die ihn ablenkten. Rufe. Pfiffe. Applaus. Zwischen Marktständen und den dicht an dicht gedrängten Menschen hindurch konnte er ein Aufblitzen von dunklen Köpfen und blauen und blutroten Livreen sehen: Die Stadtgarde kam die abschüssige Straße vom Palast heruntermarschiert.

Asher ging dem Trubel entgegen. Der Viehmarkt würde ihm nicht davonlaufen, und er war neugierig. Fünf Minuten mehr oder weniger spielten gewiss keine Rolle.

»Macht Platz!«, rief eine strenge Stimme, die sich über das Getöse des Markttreibens erhob. »Macht Platz für Seine Hoheit Prinz Gar!«

Asher wurde unsanft vom Rest der Menge mitgerissen, während sie um ihn herum wogte und brodelte. Er verstand den Aufruhr nicht. Warum sollte man so aus dem Häuschen geraten, nur weil der Prinz kam? Der Prinz lebte hier in der Stadt, nicht wahr, zusammen mit dem Rest der königlichen Familie? Bekamen die Städter ihn denn nicht an den meisten Tagen der Woche ohnehin zu Gesicht? Jawohl, das taten sie. Weshalb also einem Säugling die Zehen brechen, um jetzt einen Blick auf den Prinzen werfen zu können?

Aber noch während er murrte und fluchte und sich gegen die Menge zur Wehr setzte, musste er zugeben, dass auch er selbst einen Anflug von Aufregung verspürte. Nicht einmal Ole Hemp hatte je ein Mitglied der königlichen Familie zu Gesicht bekommen. Das würde ihn im Dorf ganz an die Spitze bringen. Pa würde ganz aus dem Häuschen sein vor Freude.

Nachdem die Einkäufer und Budenbesitzer die Straße frei gemacht hatten, war es dem Prinzen möglich, sein braunes Vollblutpferd mit nur einer Hand an den Zügeln zu reiten. Es war ein wunderschönes Tier, gesprenkelt mit helleren Abzeichen wie ein Apfelschimmel, und trug ein juwelenbesetztes Halfter. Asher schnürte es vor Neid die Kehle zusammen. Das also trug es einem ein, ein Prinz zu sein: ein wunderbares Tier wie dieses und höchstwahrscheinlich noch hundert mehr von seinesgleichen daheim.

Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er flüchtiges Selbstmitleid.

Der Prinz schien aus ebenso edler Zucht zu stammen wie sein Pferd. Er trug das strohblonde Haar lang wie ein Mädchen und im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sein grünes Seidenhemd war ebenso makellos wie die Reithose aus gelbbraunem Leder, der Glanz seiner schwarzen Lederstiefel beinahe blendend. Als Zeichen seines Ranges zierte ein rubinbesetzter Kranz aus getriebenem Silber seine Stirn. Während er den Glückwünschenden zu seiner Linken und Rechten lächelnd zuwinkte, strahlte sein schmales Gesicht vor Freude.

Von der wogenden Menge bis an den Rand der Straße gedrängt, musterte Asher den Reiter von Kopf bis Fuß. Das also war Seine Königliche Hoheit Prinz Gar. Selbst im fernen Restharven wusste man über ihn Bescheid. Gar, der Nichtmagische. Gar, der Krüppel. Und sogar, flüsterten einige in ihre Bierbecher, Gar, die Schande. Zu blond, um ein Olk zu sein, zu nichtmagisch für einen Doranen. Das war es, was die Leute über Seine Königliche Hoheit Prinz Gar zu sagen wussten ... Zumindest im fernen Restharven.

Aber so, wie die Stadtolken ihm jetzt zujubelten, schien es ihnen nichts auszumachen, dass der Prinz keine Magie wirken konnte. Dass er nicht derjenige war, der als Wettermacher einspringen würde, sobald sein Vater, der König, erschöpft war. Nein, die städtischen Olken schienen zu denken, dass er etwas war, wofür man kreischte und tanzte. Warum? Welchen Nutzen hatte ein Magier, der zu keiner Magie fähig war? Ashers Meinung nach war er ungefähr so viel wert wie ein Schiff ohne Segel.

Und es sah so aus, als sei er nicht der Einzige, der so dachte.

Kaum eine Handvoll Doranen war stehen geblieben, um dem Sohn ihres Königs zuzujubeln, während er davonritt, um einen anstrengenden Tag auf dem Land damit zu verbringen, sich am Duft der Blumen zu ergötzen oder zu tun, was immer er tat, um sich die Zeit zu vertreiben. Einige wenige hielten inne, um zu lächeln und zu nicken. Erheblich mehr schenkten ihm jedoch keinerlei Beachtung oder sahen ihm mit ausdrucksloser Miene und abschätzigem Blick nach. Hatte der Prinz es bemerkt? Kümmerte es ihn? Es war schwer zu sagen. Sein strahlendes Lächeln geriet jedenfalls nicht ins Wanken, und er behielt die Zügel ruhig in der Hand ... Aber vielleicht war da ein Flackern in den grünen Augen. Ein kurzer Moment der Kälte oder des unterdrückten Schmerzes.

Asher schnaubte. Es war unglaublich – er verschwendete seine Zeit darauf, Mitleid mit einem Prinzen zu haben.

Der Sohn des Königs war jetzt fast auf gleicher Höhe. Gleich würde er Asher so nah sein, dass er die Hand ausstrecken und ihn berühren könnte, wenn ihm der Sinn danach stand. Fest entschlossen, sich nicht von dem Spektakel beeindrucken zu lassen, blickte Asher in das glatte, unbeschwerte Gesicht ... und der Prinz erwiderte seinen Blick.

Ein Stirnrunzeln. Ein Aufflackern von Gefühl: von Interesse oder Ablehnung oder etwas, das dazwischen lag. Dann warf ein Olkenmädchen eine Rose. Sie traf das tänzelnde Pferd des Adligen am Hals. Das Pferd scheute, und der Prinz musste seine ganze Aufmerksamkeit seinem Reittier zuwenden.

Beunruhigt trat Asher vom Straßenrand zurück, ohne auf die Zehen zu achten, auf die er trat, und die Flüche der Menschen hinter ihm. Er wollte es nicht und verachtete sich sogar dafür, aber er war beeindruckt. Der Prinz hatte etwas, das ihn zu etwas Besonderem machte. Der Königssohn besaß eine Aura von Autorität – und mehr noch: von Würde. Etwas Angeborenes, das mit Blut und Knochen und Herkunft zu tun hatte, nicht mit Lebensumständen. Etwas, das ihn von anderen Menschen abhob.

Unfug! Der Prinz war reich, und Magie hin, Magie her, er war ein Dorane und von königlichem Blut; wahrscheinlich war es das und nicht mehr.

Asher schüttelte sich und brach damit den eigenartigen, unwillkommenen Bann. Was für eine Narrheit, herumzustehen und einen Edelmann anzugaffen. Pa hätte ihm schon lange eins auf die Ohren gegeben. Es wurde Zeit, dass er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte.

Er wandte sich ab. Plötzlich hörte er ganz in der Nähe einen lauten Knall. Ein Schrei folgte. Asher drehte sich um und sah wirbelndes, blitzendes Licht, als die Raketen an einem Feuerwerkstand in flammende Pracht ausbrachen und in einem Regen von grünen und gelben Funken himmelwärts schossen. Die Menge kreischte.

Das Vollblut des Prinzen, das ohnehin bereits nervös war, wieherte voller Angst und bäumte sich auf. Seine Königliche Hoheit fiel rücklings aus dem Sattel und landete mit dem königlichen Hintern im Schmutz. Das von Panik erfasste Tier hatte sich auf die Hinterbeine aufgestellt und die Augen verdreht. Schaumtropfen sprühten ihm aus dem weit geöffneten Maul.

»Ballodair!«, rief der Prinz, als das Pferd mit einem gewaltigen Sprung über seinen Kopf hinwegsetzte.

»Fangt ihn ein!«, erklang eine andere Stimme, scharf und befehlsgewohnt, irgendwo in der Nähe aus der Menge.

Ohne nachzudenken, sprang Asher dem verängstigten Pferd in den Weg. Ein Leben auf Segelbooten in ungezähmtem Wetter hatte seine Reflexe geschärft und ihn Gefahren gegenüber gleichgültig gemacht. Er ergriff die losen Zügel mit der gleichen Mühelosigkeit, mit der er bei Sturm ein loses Fall packte; es war nicht viel schwerer, das ungestüme Tier festzuhalten, als ein Netz voller Fische niederzuringen, die nicht sterben wollten.

Außerdem schien es ihm eine Schande zu sein, dass ein so prächtiges Tier wie dieses sich eins seiner schlanken Beine brechen sollte, nur weil irgendein königlicher Tropf seinen Hintern nicht im Sattel behalten konnte.

Das Pferd, dessen beschlagene Hufe auf dem Pflaster Funken schlugen, warf sich herum, und die Zuschauer in unmittelbarer Nähe ergriffen schreiend die Flucht. Asher fluchte, als er und das Pferd mit den Köpfen zusammenstießen, und er sah Sterne, als ein eisenbeschlagener Huf seine Zehen in den Boden trat. Trotzdem versuchte er mit aller Gewalt, das Tier zum Stehen zu bringen. Das Blut aus seiner aufgeplatzten Braue nahm ihm die Sicht, und die schweißnassen Hände vermochten kaum die Lederzügel zu halten, während das Pferd schnaubend austrat und sich seine Freiheit zu erkämpfen trachtete.

Am Ende trug Asher den Sieg davon, und das Pferd stand zwar zitternd, aber sonst still da. Durch die geröteten, weit aufgeblähten Nüstern strich sein heißer, nach Heu riechender Atem über Asher hinweg. Es hatte die Augen weit aufgerissen, aber nicht länger verdreht. Asher beugte sich vor, um etwas frische Luft in seine Lungen zu bekommen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalsausgabe
Jahr
2023
ISBN (eBook)
9783986901363
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Februar)
Schlagworte
Fantasy High Fantasy Magie-Roman High Fantasy Erwachsene Trudi Canavan George R. R. Martin Patrick Rothfuss Brandon Sanderson Neuerscheinung eBook

Autoren

Zurück

Titel: Das Reich des Windes