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Das Leuchten der Indigoblüte

Roman | Ein farbenprächtiger Historienroman über eine mutige Frau im alten Indien

©2023 706 Seiten

Zusammenfassung

Ein verstecktes Juwel in einem Meer aus Palmen: Der prachtvolle historische Roman »Das Leuchten der Indigoblüte« von Ana Veloso als eBook bei dotbooks.

Indien zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Noch steht die blühende Küstenregion Goas unter der Kontrolle Portugals, doch längst haben niederländische Handelsherren begonnen, nach der Macht zu greifen. In dieser gefährlichen Zeit begegnen sich auf einer prachtvollen Indigoplantage zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der junge Miguel Ribeiro Cruz, der ans andere Ende der Welt geschickt wurde, um die Geschäfte seiner Familie zu sichern, und die geheimnisvolle Inderin Amba, die ihr Gesicht hinter einem blauen Schleier vor den Augen der Menschen verbirgt. Obwohl sie aus unterschiedlichen Welten stammen, fühlen die beiden sich zueinander hingezogen. Aber dann beginnt die portugiesische Inquisition, das Land in ihren Würgegriff zu nehmen – und alle in tödliche Gefahr zu bringen, die nicht reinen Glaubens sind …

Ein mitreißender Historienroman, der den Duft und den Glanz des alten Indiens wiederauferstehen lässt – und die ergreifende Geschichte einer Liebe, die jede Grenze überwindet: »Praller, exotischer und historischer Abenteuerroman, gewürzt mit Rache, Intrigen und einer spannenden Liebesgeschichte«, urteilt der Frankfurter Stadtkurier.

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwelgerische Landschaftsroman »Das Leuchten der Indigoblüte« von Bestseller-Autorin Ana Veloso, ursprünglich erschienen unter dem Titel »Der indigoblaue Schleier«, wird alle Fans von Linda Holemans und Tara Haighs Exotik-Epen begeistern! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Indien zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Noch steht die blühende Küstenregion Goas unter der Kontrolle Portugals, doch längst haben niederländische Handelsherren begonnen, nach der Macht zu greifen. In dieser gefährlichen Zeit begegnen sich auf einer prachtvollen Indigoplantage zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der junge Miguel Ribeiro Cruz, der ans andere Ende der Welt geschickt wurde, um die Geschäfte seiner Familie zu sichern, und die geheimnisvolle Inderin Amba, die ihr Gesicht hinter einem blauen Schleier vor den Augen der Menschen verbirgt. Obwohl sie aus unterschiedlichen Welten stammen, fühlen die beiden sich zueinander hingezogen. Aber dann beginnt die portugiesische Inquisition, das Land in ihren Würgegriff zu nehmen – und alle in tödliche Gefahr zu bringen, die nicht reinen Glaubens sind …

Ein mitreißender Historienroman, der den Duft und den Glanz des alten Indiens wiederauferstehen lässt – und die ergreifende Geschichte einer Liebe, die jede Grenze überwindet: »Praller, exotischer und historischer Abenteuerroman, gewürzt mit Rache, Intrigen und einer spannenden Liebesgeschichte«, urteilt der Frankfurter Stadtkurier.

Über die Autorin:

Ana Veloso wurde 1964 geboren. Nach ihrem Studium der Romanistik arbeitete sie als Journalistin für mehrere namhafte deutsche Magazine. Ihr erster Roman, »Der Duft der Kaffeeblüte«, wurde ein großer Erfolg und in viele Sprachen übersetzt. Ana Veloso lebt als Journalistin und Autorin in Hamburg, verbringt aber jedes Jahr mehrere Monate im Ausland, um dort Eindrücke für ihre Romane zu sammeln.

Bei dotbooks veröffentlichte Ana Veloso ihre exotischen Love-and-Landscape-Romane »Der Duft der Kaffeeblüte«, »Der Himmel über dem Alentejo« und »Die Frau vom Rio Paraíso«. Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Website der Autorin: www.ana-veloso.de/

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eBook-Neuausgabe März 2023

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Der indigoblaue Schleier« bei Knaur

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Knaur Verlag. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-549-1

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Ana Veloso

Das Leuchten der Indigoblüte

Roman

dotbooks.

Prolog

Rajasthan, März 1616

Mit einem kaum wahrnehmbaren Geräusch landete die Frangipani-Blüte auf der Erde. Das kleine Mädchen, das mit seiner Puppe unter dem Baum saß, schrak auf. Die Blüte lag genau vor ihm, in dem offenen Dreieck, das seine zum Schneidersitz verschränkten Beine bildeten. Hätte man eine Linie von einem Knie des Mädchens zum anderen gezogen, hätte die Frangipani-Blüte exakt deren Mitte beschrieben. Das Mädchen war sich sicher, dass das etwas bedeuten musste. Was genau, danach würde es später seine ayah fragen, die in der Deutung solcher Zeichen sehr bewandert war.

Das Kind betrachtete die Blüte einen Augenblick lang verzückt, bevor es nach ihr griff, sie sich unter die Nase hielt und dann wieder etwas von sich entfernte, um sie intensiv anzuschauen. Der Duft war betörend, doch noch schöner war der Anblick. Ihre fünf wachsgleichen Blütenblätter waren zu einem perfekten Kreis aufgefächert, der im Innern gelb war und nach außen hin weiß wurde. Das Mädchen betastete und untersuchte die Blüte von allen Seiten. Nachdem es an ihr absolut keinen Makel entdecken konnte, weder eine bräunliche Stelle noch ein von Insekten verursachtes Loch, schob es sich die Blüte hinters Ohr.

Dann fiel eine weitere Blüte herab, die diesmal genau auf dem Scheitel des Mädchens auftraf, bevor sie zu Boden fiel. Auch damit hatte es bestimmt eine besondere Bewandtnis. Das Mädchen beschloss, diese Blüte in den Zopf seiner Puppe zu stecken, der ebenso glänzend, schwarz und lang war wie sein eigener. Auch die Kleidung der Puppe ähnelte der ihrer Besitzerin. Beide trugen seidene Pluderhosen unter einem farblich harmonierenden Hemd. Die Puppe war in Rot-, Orange- und Gelbtöne gewandet, das Mädchen in Blau- und Grüntöne.

Als die dritte Blüte herabfiel, blieb dem Mädchen keine Zeit, sich über deren Verwendung oder über die Bedeutung der Stelle, an der sie aufgetroffen war, den Kopf zu zerbrechen. Ein lautes Rufen riss es aus seinen Gedanken.

»Bhavani!«, vernahm es die ärgerliche Stimme seiner ayah, der Kinderfrau. »Bhavani, hast du nicht gehört? Du sollst sofort zur Veranda kommen.«

Bhavani erhob sich unwillig. Bei diesem Tonfall gehorchte man der ayah besser. Als sie sich dem Haus näherte, fuhr die Kinderfrau etwas leiser fort: »Ah, immer diese Träumerei, Kindchen, das geht so nicht weiter! Dein abba kann doch nicht den ganzen Tag auf dich warten, er ist ein wichtiger Mann und hat Besseres zu tun, als einem zehnjährigen Kind beim Spielen zuzusehen. Und die karanjis sind auch schon kalt, nicht, dass dein Bruder dir noch viele übrig gelassen hätte.«

Bhavani war ebenso erfreut wie verwundert. Ihr abba, ihr geliebter Vater, war zu Hause? Warum hatte man sie nicht eher gerufen? Schnell schüttelte sie an der Treppe die Sandalen von den Füßen, rannte die Stufen zur Veranda hinauf und von dort gleich weiter in das Arbeitszimmer, in dem sie ihren Vater vermutete. Die süßen, knusprigen karanjis, sonst ihr Lieblingsgebäck, waren ihr jetzt herzlich egal. Wenn es nach ihr ginge, konnte Vijay sie alle aufessen und noch dicker werden. Bhavani riss den Vorhang, der den Flur von dem Arbeitszimmer trennte, beiseite und stürmte in den Raum, bereit, sich jauchzend in die Arme ihres Vaters zu stürzen.

Ihr Vater jedoch erwartete sie nicht, wie sonst, mit einer überschwenglichen Begrüßung – wenn sie mit ihm allein war und keine kritischen Beobachter sich über die unstandesgemäße Vernarrtheit wundern konnten, nahm er seine Tochter gern in die Arme und wirbelte sie herum. Jetzt aber würdigte er sie kaum eines Blickes, und Bhavani vermutete schon, es müsse sich eine weitere Person in dem Zimmer befinden. Onkel Manesh womöglich, der seinen Bruder immer tadelte, wenn er Bhavani mit allzu großer Zärtlichkeit und Nachgiebigkeit begegnete. Sie blickte sich um, sah aber niemanden sonst. Ihr Vater stopfte hektisch allerlei Dinge in eine große Tasche. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, seine Kleidung sah zerrauft aus. Bhavani lief auf ihn zu und umklammerte seine Beine, doch er schüttelte das Mädchen ungehalten ab.

»Wir müssen uns beeilen, Bhavani. Später. Später, wenn wir das alles überstanden haben, können wir uns alle umarmen und küssen. Aber jetzt müssen wir uns sputen.« Er hielt kurz inne und sah Bhavani tief in die Augen: »Versprich mir etwas.«

»Hm ... was denn?«

»Ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu feilschen. Hör mir gut zu. Du musst mir versprechen, dass, wenn mir etwas zustoßen sollte, du dich gut um deinen Bruder kümmern wirst. Wenn ...«

»Aber ...«

»Scht. Hör nur genau zu. Wenn fremde Männer mich abholen kommen, dann lauf fort, so schnell du kannst. Verliere nie Vijay aus den Augen. Begebt euch zu Onkel Manesh, und passt auf, dass niemand euch folgt. Wenn dir im Haus von Onkel Manesh irgendetwas merkwürdig vorkommt, anders als sonst, dann flieht. Eure ayah wird euch immer begleiten, aber sie ist nicht mehr die Jüngste. Wenn ihr sie zurücklassen müsst, um euer eigenes Leben zu retten, dann tut es.«

Bhavani waren Tränen in die Augen getreten. Was hatte das zu bedeuten? Was waren das für furchterregende Worte? Warum sollte sie aus ihrem eigenen Haus fortlaufen sollen, noch dazu ohne ihren abba? Sie verstand die Welt nicht mehr.

»Es tut mir leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe. Und für Erklärungen ist jetzt keine Zeit. Aber die Lage ist mehr als kritisch. Wenn wir das alles überstanden haben, was wir ohne jeden Zweifel tun werden, meine süße Bhavani-beti, dann erkläre ich dir, was es damit auf sich hatte. Betrachte die ganze Angelegenheit vorerst als ein Abenteuer. Bist du nicht im Versteckenspielen auch immer die Gewinnerin? Na also. Mach es genauso wie bei dem Spiel: Sei schnell und raffiniert. Ja?«

Bhavani nickte. Sie schluckte schwer und gab sich jede Mühe, die heraufsteigenden Tränen zurückzudrängen. Ein Abenteuer? Ein Spiel? Das Ganze erschien ihr eher wie eine der Gruselgeschichten, die sich das Küchengesinde abends am Feuer erzählte und denen sie manchmal heimlich gelauscht hatte.

»Und wenn du die Männer abgehängt hast, die euch verfolgen, dann geh zum Tempel der Parvati und bitte die Göttin, dir beizustehen. Versprichst du mir das?«

Erneut nickte Bhavani. Sie zitterte vor Furcht. Zugleich mischte sich auch ein Gefühl von Stolz darunter. So hatte sie ihren abba noch nie erlebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte er sie nicht wie ein kleines, verwöhntes Mädchen behandelt, sondern mit ihr gesprochen wie mit einer Frau. Natürlich würde sie ihm das alles versprechen. Sie war fast elf Jahre alt, so gut wie erwachsen also – ihre Cousine hatte immerhin mit dreizehn geheiratet. Vijay war acht, benahm sich aber meistens wie ein Kleinkind. Auch wenn er als einziger männlicher Nachkomme mehr Rechte hatte als sie, hatte ihr Vater doch ihr, Bhavani, die Verantwortung übertragen, und sie war sicher, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war.

Ihr Vater lächelte sie an. »Ich wusste doch, was für ein tapferes großes Mädchen du bist. Und weil du schon alt genug für ...«

Ein lautes Klirren ließ ihn innehalten. Es hatte geklungen wie das Aufschlagen von Messing auf Keramik, ein Geräusch, das Bhavani nur allzu vertraut war. Vijay hatte schon häufig die mit Wasser und schwimmenden Blüten gefüllte Messingschale im Eingang von ihrem Sockel gestoßen. Aber das damit einhergehende Triumphgeheul ihres Bruders blieb diesmal aus, desgleichen das anschließende leise Umherhuschen und Aufräumen der Bediensteten.

Dann passierte plötzlich alles auf einmal. Ein großer, dunkelhäutiger und grimmig dreinschauender Mann mit Turban stürmte in das Arbeitszimmer und schwang dabei einen Säbel. Ihm folgten weitere Männer, allesamt in kampfbereiter Haltung. In der Miene von Bhavanis Vater zeichnete sich Entsetzen ab. Er drängte Bhavani zum Fenster und entriss ihr die Puppe, um seine Tochter hinauszuheben und an beiden Armen auf den Sockel hinabzulassen. Von dort war es nur noch ein kleiner Sprung in den Garten.

»Nein, abba! Ich ...«

»Lauf! Schnell!« Er drückte ihr einen kleinen Beutel in die Hand, bevor er ihr einen Schubs gab und sich abwendete. Bhavani hörte die Eindringlinge brüllen und toben. Dem Klang nach zu urteilen, zerschlugen sie die gesamte Einrichtung. Sie hörte ihren Vater ein paar Worte in ruhigem Ton sagen, dann vernahm sie nur noch ein Röcheln. Sie klammerte sich am Gesims fest und zog sich hinauf, um einen Blick in den Raum zu werfen. Doch in diesem Augenblick erschien einer der Angreifer im Fenster.

Bhavani sprang und rannte davon.

Die Abenddämmerung setzte bereits ein, als Bhavani sich aus ihrem Versteck herauswagte. Ihren Bruder, der noch verstörter war als sie selbst, ließ sie vorübergehend in dem hohlen Baum zurück, in dem sie, als sie noch kleiner waren, oft gespielt hatten und der jetzt viel zu wenig Raum für sie beide bot. Sie schlich sich vorsichtig zum Haupthaus und hielt dabei die Luft an. Dabei war klar, dass die Eindringlinge schon seit Stunden fort waren – genau wie sämtliche Bewohner und Diener. Eine tödliche Stille lag über dem Anwesen. Einzig das sanfte Rascheln der Vorhänge war zu vernehmen, die durch die offenen Fenster nach draußen flatterten. Bhavani nahm all ihren Mut zusammen und huschte in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie hatte Verwüstung erwartet, vielleicht sogar einen Verletzten oder gar Leichnam, der auf dem Boden lag. Doch dort, inmitten der zertrümmerten Möbel und der Scherben, lag einzig ihre Puppe, die bernsteinfarbenen Glasaugen starr der Decke zugewandt, die schillernde Kleidung zerrissen.

Leise setzte sich Staub auf die welke Frangipani-Blüte in ihrem aufgelösten Zopf.

Kapitel 1

Goa, 1632

Miguel Ribeiro Cruz wälzte sich unruhig in seiner Koje hin und her. Er träumte, sie seien endlich an der Küste Goas angelangt. Der Traum war so lebensnah, dass er meinte, das aufgeregte Fußgetrappel auf dem Hauptdeck zu vernehmen, die unflätigen Flüche der Matrosen und die Befehle der Offiziere. Miguel rollte sich auf die linke Seite und legte einen Arm schützend über das rechte Ohr. Konnte man auf diesem elenden Schiff denn nicht ein einziges Mal in Ruhe ausschlafen und zu Ende träumen? Dann, in diesem merkwürdigen Schwebezustand zwischen Wachen und Schlafen, träumte er, dass das alles ja Teil seines Traums war. Halb belustigt über die trügerische Realität der Illusion ließ er sich erneut in die schöne Phantasiewelt abgleiten. Ein leises Lächeln lag auf seinen Lippen.

Ah, wie herrlich das wäre, wenn sie wirklich bald wieder festen Boden unter den Füßen hätten! Wie sehr er sich nach Dingen sehnte, von denen er vorher gar nicht gewusst hatte, dass man sie vermissen konnte: den frischen Duft von Wiesen und Wäldern, gepflegte Gespräche mit vornehmen Damen und Herren oder in vollem Galopp ausgedehnte Ausritte zu unternehmen. Er hatte den Kragen gestrichen voll von dem Gestank von Salz, Fisch und Teer, von den zotigen Witzen der Mannschaft genauso wie von deren ungewaschenen Leibern und nicht zuletzt von der Enge an Bord sowie dem Gefühl, eingesperrt zu sein. Er hielt es kaum noch aus. Diese lange Reise verlangte Miguel alles an Selbstbeherrschung ab, dessen er fähig war.

»Wach auf, mein Freund!«, drang eine Stimme wie aus sehr weiter Ferne in sein Bewusstsein.

Miguel grunzte, rollte sich auf den Bauch und presste das Kissen auf seinen Kopf.

»Wach endlich auf, Miguel! Du verpasst ja das Beste!« Diesmal blieb es nicht bei dem Rufen. Der Mann rüttelte Miguel an der Schulter. Als auch das nichts fruchtete, entriss er ihm gewaltsam das schützende Kissen.

»Grrrmh!«

»Ja, ja, ich weiß. Aber du würdest mich noch mehr hassen, wenn ich dich schlafen ließe, glaub mir. Wir sind da! Miguel, hörst du? Wir haben es geschafft! Reiß dich zusammen und komm mit mir aufs Deck – das Fort Aguada ist schon zu sehen, in Kürze fahren wir in die Mündung des Mondavi-Flusses ein.«

Das, beschloss Miguel, war eindeutig nicht mehr Teil seines Traums. Er drehte den Kopf, öffnete die Augen und sah seinen Freund Carlos Alberto, der, ordentlich gekämmt und rasiert wie seit Monaten nicht mehr, vor seiner Koje stand, noch dazu in voller Montur. In Stulpenstiefeln und Schaube wirkte Carlos Alberto viel erwachsener, wichtiger irgendwie, als Miguel ihn kannte. Mit einem Satz sprang Miguel auf. Sein Schädel pochte, und sein Mund war so trocken, dass er kein Wort herausbrachte. Das hatte er nun davon, dass er letzte Nacht mit dem Bootsmann und ein paar anderen Männern bis in die Puppen gezecht hatte – und zwar genau weil, so erinnerte er sich nun wieder, das baldige Ende der Überfahrt in Sicht war. Stöhnend griff er nach seiner Kleidung, zog sich hastig an und folgte Carlos Alberto, der schon die Kajüte verlassen hatte, hinauf aufs Deck.

Miguels Beine waren so wacklig, dass er nur mit Mühe die schmale Treppe erklomm. Oben angekommen, rannte ein Matrose ihn beinahe um. »Steht nicht so im Weg herum«, blaffte der Mann ihn an, doch es klang eher fröhlich als ärgerlich. Auch die Seeleute waren glücklich darüber, heil am Ziel angelangt zu sein. Ihre Geschäftigkeit war von einer so guten Stimmung und so viel Optimismus geprägt, dass Miguel seinen Kater schlichtweg vergaß. Er lief zu Carlos Alberto an die Reling auf der Steuerbordseite. Schweigend nahmen sie den Anblick auf, der sich ihnen bot.

Die Sonne erhob sich als goldglühender Ball aus dem Horizont. Ein sattes Grün, über dem dichter Frühnebel waberte, überzog die Landschaft, die recht flach war. Nur sehr viel weiter landeinwärts ließen sich höhere Hügel ausmachen. Die Farbe des Himmels ging von Violett in Mittelblau über. Sie fuhren direkt auf das Fort zu, das sich am nördlichen Ufer des Mandovi-Deltas über den Fluss und das Meer erhob, bevor sie schließlich in die Flussmündung einbogen – und jegliches Gefühl von Einsamkeit, das sie auf hoher See nur zu gut kennengelernt hatten, wie weggeblasen war: Man erkannte bereits die Masten der großen Segelschiffe, die vor Govepuri, der Hauptstadt der Kolonie, vor Anker lagen.

Ein kleines Boot, einer Piroge nicht unähnlich, kam ihnen entgegen, und eine Fähre überquerte gleich vor ihnen den Fluss von Süd nach Nord. Sie transportierte nur wenige Passagiere, vorwiegend Inder. Miguels Puls beschleunigte sich. Die Eingeborenen leibhaftig zu sehen war doch etwas ganz anderes, als sie sich anhand von Abbildungen oder Erzählungen vorzustellen. Sie waren nicht nah genug, als dass er ihre Gesichter hätte studieren können, und doch wirkten sie auf ihn wunderschön mit ihrem schwarzen, geölten Haar und der dunklen Haut, auf der ihre sonderbaren bunten Gewänder zu leuchten schienen.

Ein kleines Ruderboot kam direkt auf sie zu. »Der Lotse«, klärte Carlos Alberto seinen Freund auf, als ob es dessen bedurft hätte. Miguel war in Lissabon aufgewachsen und hatte von Kindesbeinen an die Ankunft von Schiffen aus Übersee verfolgt. Das Ruderboot machte am Rumpf der Galeone fest. Eine Strickleiter wurde herabgelassen, und ein kleines, zähes Männlein unbestimmbaren Alters kletterte hurtig herauf. Er war von mittelbrauner Hautfarbe, sicher einer der vielen Mischlinge, die das sittenlose Treiben, für das Goa berühmt war, hervorgebracht hatte. Der Lotse grüßte nickend und verschwand im Steuerhaus. Miguel wandte sich wieder der Szenerie zu.

Rechter Hand säumte ein breiter Streifen weißen Sandes das Ufer, linker Hand lag eine herrliche Kirche, die in der Morgensonne in gleißendem Weiß erstrahlte. Carlos Alberto und Miguel bekreuzigten sich gleichzeitig und schmunzelten darüber. Trotz ihres manchmal gottlosen Geredes waren sich beide stillschweigend einig, dass sie ihrem Schöpfer von Herzen dankbar sein mussten. Es konnten nicht allein das Geschick des Kapitäns, günstige Winde oder die robuste Bauweise der Galeone für ihre gesunde Ankunft verantwortlich sein. Gott hatte seine schützende Hand über sie gehalten.

Die Ellbogen auf der Reling abgestützt und in gebeugter Haltung bestaunten die beiden jungen Männer das Panorama und warteten ungeduldig darauf, endlich die Stadt zu erreichen, die rund sieben Meilen landeinwärts am Fluss lag – die Stadt, die als das »Rom des Ostens« galt, die von dem großen Dichter Camões besungen worden war und in einem Atemzug mit Lissabon genannt wurde, wenn es um die prachtvollsten Städte der Erde ging.

Ohne seinen Freund dabei anzusehen, fragte Miguel: »Was ist heute für ein Tag?«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2023
ISBN (eBook)
9783986905491
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (März)
Schlagworte
Historischer Liebesroman Exotik-Roman Indien-Roman Liebesroman Linda Holeman Nicole C. Vosseler Tara Haigh 17. Jahrhundert Neuerscheinung eBooks
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Titel: Das Leuchten der Indigoblüte