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Sommerblumenträume

Roman

©2018 336 Seiten

Zusammenfassung

Erfrischend wie ein Cocktail und romantisch wie ein Dinner am Strand: Die Liebeskomödie »Sommerblumenträume« von Ana Capella als eBook bei dotbooks.

Die Liebe fällt wohin sie will … Die Fotografin Leah braucht dringend eine Auszeit: Neue kreative Energie muss her … und was bietet sich dafür besser an als ein Urlaub an den sonnigen Stränden Spaniens? Kurzerhand quartiert Leah sich dort bei ihrer Schwester Anna ein. Sie ist bereit, sich ins Abenteuer zu stürzen! Doch ein romantischer Flirt droht schnell, im Chaos zu enden – könnte es sein, dass Leahs Verehrer ausgerechnet der Mann ist, den ihre Schwester schon lange heimlich liebt? Und dann gibt es da auch noch den Fotografen Joel, der Leah eigentlich nur helfen will, wieder Inspirationen für ihren Job zu finden. Eine rein berufliche Verbindung, versteht sich. Aber warum, verdammt noch mal, lässt auch er ihr Herz bei jeder Begegnung schneller schlagen?

Zwei Schwestern, zwei Männer und ein Sommer voller Möglichkeiten: Genießen Sie diese zauberhafte Liebeskomödie!

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die romantische Komödie »Sommerblumenträume« von Ana Capella. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Die Liebe fällt wohin sie will … Die Fotografin Leah braucht dringend eine Auszeit: Neue kreative Energie muss her … und was bietet sich dafür besser an als ein Urlaub an den sonnigen Stränden Spaniens? Kurzerhand quartiert Leah sich dort bei ihrer Schwester Anna ein. Sie ist bereit, sich ins Abenteuer zu stürzen! Doch ein romantischer Flirt droht schnell, im Chaos zu enden – könnte es sein, dass Leahs Verehrer ausgerechnet der Mann ist, den ihre Schwester schon lange heimlich liebt? Und dann gibt es da auch noch den Fotografen Joel, der Leah eigentlich nur helfen will, wieder Inspirationen für ihren Job zu finden. Eine rein berufliche Verbindung, versteht sich. Aber warum, verdammt noch mal, lässt auch er ihr Herz bei jeder Begegnung schneller schlagen?

Zwei Schwestern, zwei Männer und ein Sommer voller Möglichkeiten: Genießen Sie diese zauberhafte Liebeskomödie!

Über die Autorin:

Ana Capella ist das Pseudonym einer 1963 geborenen Autorin. Nach ihrem Studienabschluss in Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Französisch wanderte sie nach Spanien aus, wo sich auch heute noch mit ihrem französischen Partner und ihren vier Kindern lebt. Unter ihrem zweiten Pseudonym Lea Korte veröffentlichte die Autorin bereits zahlreiche historische Romane, in denen sich die reiche Kultur und Geschichte ihrer Wahlheimat widerspiegeln.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin auch ihre Romane »Sommerregenküsse«, »Sommerkuss und Meeresglitzern« und »Sommerduft und Strandgeflüster«.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe August 2018

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Ein Tisch mit drei Beinen« bei Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München, und 2015 unter dem Titel »Schwesterherz & Männerschmerz« als Neuausgabe bei dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Nadya Eugene, Anastasia Blekskina und Kavalenkau

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-385-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Ana Capella

Sommenblumenträume

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Müde wischte sich Leah eine Strähne ihres langen dunkelblonden Haars aus dem Gesicht und suchte mit brennenden Augen die kalkweißen Häuserwände nach einem Straßenschild ab. Als die Autos hinter ihr ein Hupkonzert anstimmten, gab sie notgedrungen Gas und lenkte ihren Jaguar weiter durch die engen, holprigen Gassen der Altstadt von Sitges. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich zum Haus ihrer Schwester zu gelangen. Aussteigen. Sich strecken. Etwas trinken. Sich duschen. Und schlafen. Schlafen vor allen Dingen.

Seit dem frühen Nachmittag des gestrigen Tages saß Leah nun schon hinterm Steuer. Inzwischen war ihr klar, dass es eine Schnapsidee gewesen war, die beinahe 1500 Kilometer von Wiesbaden bis Nordspanien durchzufahren. Und dann noch nach so einer Nacht! Bis sechs Uhr früh hatte sie bei Julius Kahn, einem ihrer Hauptauftraggeber, Silvester gefeiert. Nicht, dass das Fest so unterhaltsam gewesen wäre, aber sehen und gesehen werden war nun einmal ein Muss in ihrem Gewerbe, und das schon gleich zweimal, wenn man sich – wie sie – für ein Jahr aus dem Geschäft zurückziehen wollte, um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen: ein Jahr ohne Verpflichtungen, ohne Termindruck, ohne Stress. Ein Buch über Katalonien wollte sie in dieser Zeit machen, endlich einmal Fotografien, die nicht nur zum schnellen Konsum gedacht waren. Sie hatte sich vorgenommen, in aller Ruhe zu arbeiten, mit Muße – und Genuss. Es würde eine völlig neue Erfahrung werden, nach all dem Rummel, den sie gewöhnlich um sich hatte. Einen Verleger für ihr Buch hatte sie auch schon gefunden, und es war nicht einmal schwierig gewesen: Schließlich war sie Leah Liebig, die LL, ein Markenzeichen. Es gab nicht viele Fotografen in Deutschland, die so bekannt waren wie sie. Und schon gar nicht viele Fotografinnen.

Trotzdem: ein letztes »Hier bin ich, seht ihr mich auch alle?!« hatte sie an Silvester noch inszenieren müssen. Und dann, nach wenigen Stunden Schlaf, war sie aufgebrochen. Wenn sie einmal loslegte, musste sie weitermachen, bis sie am Ziel war, so war sie eben. Die harte Schule ihrer Mutter hatte sie geprägt. In allem. Sonst wäre sie nie die LL geworden. Und sonst hätte sie dieses Jahr auch nicht so bitter nötig gehabt.

Carrer Àngel Vidal, las Leah und wurde für den Augenblick wieder wacher. Ein Straßenschild! Unfassbar. So gab es hier also doch welche! Sie verlangsamte das Tempo, nahm den Stadtplan vom Beifahrersitz, den Anna ihr schon vor Monaten geschickt hatte, und suchte darauf den Namen der Straße, doch sogleich fing es hinter ihr wieder zu hupen an. »Ja, ja, ja!«, schimpfte Leah und fuhr widerwillig weiter. Als sie nach etlichen Abzweigungen und einer Vollbremsung für einen knochendürren, filzigen Kater endlich eine Garageneinfahrt fand, in der sie halten konnte, hatte sie längst wieder die Orientierung verloren. Ärgerlich klatschte sie die Karte auf den Sitz neben sich und starrte auf das Garagentor.

Leah war bei Regen und Glatteis in Deutschland losgefahren. Hier in Sitges aber thronte die Sonne über der Stadt und das an diesem Wintertag auch für die hiesigen Verhältnisse mit beachtlicher Kraft. Da ihr Parkplatz in der prallen Sonne lag, wurde es Leah schnell zu heiß. Ihre schwarze Armanijeans brannte ihr auf den Beinen, und ihr ebenfalls schwarzer Rollkragenpullover aus feinster Kaschmirwolle kam ihr mit einem Mal wie eine Zwangsjacke vor. Leah schob die Ärmel hoch, schlug den Rollkragen um, bis er kaum noch höher als ein Schildkrötkragen war, ließ die Fenster hochfahren und schaltete die Klimaanlage ein. Noch ehe sie ihren Wagen zurück auf die Straße gesetzt hatte, spürte sie die angenehm kühle Luft und entspannte sich. »Ich werde einfach einen Passanten nach dem Weg fragen«, nahm sie sich vor und trat, von neuem Mut erfüllt, aufs Gaspedal.

Sie fuhr straßauf, straßab, doch die Passanten, die eben noch zuhauf auf den engen, zur Straße hin seltsam abschüssigen Gehwegen spaziert waren, schienen auf einmal wie weggehext. Als Leah schließlich auf eine der breiteren und in beide Richtungen befahrenen Straßen am Rand der Altstadt gelangte, schwor sie sich, hier so lange hin und her zu fahren, bis sie jemanden erwischte, der ihr den Weg weisen konnte. Auf dieser gut asphaltierten Straße litt ihr Jaguar wenigstens nicht weiter Schaden. Schon bei ihrer ersten Runde entdeckte sie gut dreißig Meter vor ihr eine ältere Frau, die mit zwei prall gefüllten Einkaufstaschen aus einem Obst-und-Gemüse-Geschäft trat. Sobald Leah auf einer Höhe mit ihr war, ließ sie das Fenster der Beifahrerseite herunterfahren und parkte – sehr zum Unmut ihres Hintermannes – in zweiter Reihe.

»Hola, Señora«, rief sie. Als Leah merkte, dass die Frau sie nicht hörte, löste sie ihren Gurt und beugte sich winkend und rufend über den Sitz. Endlich wurde die Frau auf sie aufmerksam. Mit kleinen, gemächlichen Schritten näherte sie sich dem Wagen.

»Si, noia, digues?«, fragte sie auf Katalanisch und stützte sich mit ihren feisten Händen im Fensterrahmen ab, um besser in den Wagen schauen zu können. Noch ehe Leah etwas erwidert hatte, blitzte in ihren tiefschwarzen Augen Erkennen auf. »Ets la Leah, oi que si?«, strahlte sie erfreut.

Erstaunt hob Leah die Augenbrauen. »Si, soy Leah …« Sie stöberte in ihrem Kopf nach weiteren Vokabeln, um herauszufinden, woher die Frau wusste, wer sie war, aber da redete diese schon weiter: »No trobes la casa de la teva germana?«

Außer casa, das – zumindest auf Spanisch – Haus bedeutete, verstand Leah keine Silbe. In der Hoffnung, dass diese anscheinend allwissende Frau ahnte, dass sie das Haus ihrer Schwester suchte, nickte sie.

Die Frau lachte, wobei ihr Busen mütterlich wogte, und überfiel Leah im nächsten Augenblick mit einem so gewaltigen Schwall Katalanisch, dass diese erst gar nicht den Versuch machte, etwas zu verstehen. Widerspruchslos sah sie zu, wie die Frau die Wagentür öffnete, ihre Handtasche vom Beifahrersitz nahm und sie zwischen die auf den Rücksitzen gestapelten Lederkoffer stopfte, um sich mit einem breiten Ächzen auf den Sitz fallen zu lassen. Mit erstaunlich zierlichen Füßen schob sie die leeren Espressobecher und angefangenen Plätzchenrollen beiseite, bis sie genug Platz hatte. Dann packte sie die Einkaufstaschen auf den Schoß, ließ die Tür zufallen und wedelte Leah aufmunternd zu: »Tot dreta, noia, tot dreta«Erst einmal geradeaus!

Leah ließ sich tiefer und tiefer in die Altstadt hineinlotsen, bis sie schließlich ein energisches »Ja estem aqui« vernahm. Als die Frau auf eine Parklücke zwischen einem älteren Renault-Kastenwagen und einem grünen Müllcontainer zeigte, vermutete Leah, tatsächlich am Ziel ihrer Reise angekommen zu sein, und parkte höchst erleichtert ein. Kaum standen sie, wuchtete sich die Frau mitsamt ihren Einkaufstaschen unter Gelächter, Ächzen und einem weiteren Wortschwall aus dem Wagen hinaus. Bis Leah ihre Handtasche zwischen den Koffern herausgefingert hatte, war ihre hilfreiche Lotsin schon verschwunden. Auch sonst war keine Menschenseele auf der Straße. Leah spürte, wie sie plötzlich ein Gefühl abgrundtiefer Verlassenheit überkam, und schalt sich deswegen albern. Schließlich brachte ihre Arbeit es mit sich, dass sie sich ständig an neuen Orten aufhielt. Aber das Gefühl verflog nicht. Und sie war ja auch nicht zum Arbeiten hier. Sie war hier, um ihre Schwester wiederzusehen. Auf einmal fühlte sie sich ganz seltsam bei dem Gedanken.

Doch Leah wäre nicht Leah gewesen, wenn sie sich lange mit der Betrachtung ihrer Gefühle aufgehalten hätte. Weiter, weiter, drängte es in ihr, und schon wandte sie sich um und suchte an den Mauer an Mauer gebauten, kalkweißen Häusern nach einer Hausnummer – ohne jedoch eine einzige entdecken zu können. Da das Haus ihrer Schwester die Nummer eins trug, konnte es sich nur an dem einen oder dem anderen Ende der Straße befinden. Entschlossen machte sich Leah auf den Weg, um es am oberen Ende der Straße zu versuchen. Schon nach wenigen Metern erreichte sie eine Nebenstraße, in der zwei Kinder Fußball spielten. Winkend trat sie auf den Jungen zu. »¡Oye, niño!«

Geschickt stoppte der Junge, den Leah auf elf Jahre schätzte, den Ball und kickte ihn mit der Fußspitze in seinen rechten Arm. »¿Si, Señora? ¿En qué puedo ayudarle?«

Auch seine wohl etwas jüngere, auf jeden Fall aber um einiges kleinere Spielgefährtin sprang sogleich herbei. Als sie neben dem Jungen zum Stehen kam, legte der automatisch seinen freien Arm um ihre Schulter. Leah verspürte den Impuls, zu ihrem Wagen zurückzulaufen und ihre Kamera zu holen. So, wie die beiden dastanden, hätten sie ein sehr schönes Foto abgegeben. Wie eine uneinnehmbare Festung wirkten sie, eine Einheit, ein Ganzes, und überdies hatten sie auch noch sehr anziehende Gesichter. Leah gefielen an dem hoch aufgeschossenen Jungen die fast adlige Feinheit der Züge, die Festigkeit des Blicks und das dicke, sehr dunkle Haar; an dem Mädchen die freche Zigeunerbräune, die immens blauen Augen, die sie überaus dreist anblickten, und die Lichteffekte, welche die tief stehende Sonne auf ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar zauberte. Ja, dachte Leah, die beiden gäben ein herrliches Foto für ihr Buch ab. Dann aber fühlte sie wieder ihre bleierne Müdigkeit und dachte, dass sie die beiden sicher irgendwann einmal wiedersehen würde und dann noch immer fotografieren könnte. Sie fragte sie, ob sie wüssten, an welchem Ende der Straße die Hausnummer eins sei.

»¡No tengo ninguna idea!« Der Junge zuckte ratlos mit den Schultern. Das Mädchen grinste und fragte, wer denn in dem Haus wohne.

»Anna Liebig.« Leah sah sie hoffnungsvoll an. Statt ihr zu antworten, stieß das Mädchen den Jungen an, worauf der grinste. Er hob den Arm und wies zum höher gelegenen Ende der Straße: »¡La última casa a la izquierda!«

Leah lächelte dankbar und war auf einmal sehr neugierig auf die Tochter ihrer Schwester. Sie hoffte, dass sie ein wenig von dem Pep und der Ausstrahlung dieses Mädchens besaß. Leah mochte keine langweiligen Kinder. Sie mussten einen flinken Verstand und eine ausgeprägte Persönlichkeit haben, damit sie etwas mit ihnen anfangen konnte. Am wenigsten mochte sie phlegmatische Kinder – vielleicht weil ihre Mutter Anna als Kind immer phlegmatisch geschimpft hatte.

Erwartungsvoll machte sich Leah auf den Weg zum oberen Ende der Straße und musterte dabei die überwiegend zweistöckigen Häuser. Sie schätzte, dass sie in der Mitte des letzten Jahrhunderts erbaut worden waren. Sie waren in recht unterschiedlichem Zustand, von sorgsam renoviert bis abrissbereit, und gaben zum Teil lohnende Fotomotive ab. Allein der Kontrast zwischen den frisch lackierten, tiefblauen Klappläden dieses Hauses und den kaum mehr wasserblauen, schon ganz porösen Läden des Nachbarhauses! Manche der Gitter vor den Fenstern im Erdgeschoss waren kleine Kunstwerke und erschienen dank tausender von Rostpünktchen beinahe lebendig. Und die Blumen: Vor den Fenstern des einen Hauses prunkten üppig blühende Alpenveilchen, vor dem nächsten kümmerten trotzig ein paar Geranien im Joghurt-Familienbecher vor sich hin, dort rankte eine tieflila blühende Bougainvillea stolz und erhaben bis hinauf auf den Stehbalkon, und hier hockten dicke Primelchen in alten, von Moos und Kalkflecken überwucherten Tonkästen. Und dann eine echte Überraschung: Ein schmales eisernes Tor durchbrach die endlose Folge von Hauswand, Fenster, Tür und gewährte einen Einblick in einen blassblau gestrichenen Patio. In seiner Mitte stand ein gewaltiger, der Jahreszeit entsprechend blattloser Feigenbaum, an dessen Ästen zahllose Töpfe mit weiß und bläulich lila blühenden Blumen schaukelten. Am nächsten Haus erspähte Leah endlich eine Hausnummer – die Vier. Das Haus wirkte penibelst gepflegt, noch weißer als die anderen Häuser und war mit ultramodernen Anbauten so eigenwillig restauriert, dass Leah sich vornahm, es sich in den nächsten Tagen genauer anzuschauen.

Schräg gegenüber fand Leah schließlich das Haus ihrer Schwester. Eine schlicht aus Ton gearbeitete Eins hing neben der blau lackierten Eingangstür; links und rechts von der Tür befand sich je ein kleines, zweiflügeliges Fenster, vor dem blickdichte Gardinchen hingen. Plötzlich spürte Leah eine dumpfe Schwere in den Gliedern, und sie hielt inne. Die ganze Wiedersehensfreude, die sie auf der langen Fahrt aller Müdigkeit zum Trotz vorangetrieben hatte, wich einem riesigen Kloß Angst, der ihr nun in den Magen sank. Mensch, Anna …

Fast zehn Jahre lag die letzte Begegnung von Leah und ihrer Schwester zurück; beim Begräbnis von Tante Julia, der Lieblingsschwester ihres Vaters, hatten sie sich zum letzten Mal gesehen. Seitdem hatten sie oft und lange miteinander telefoniert und immer wieder davon gesprochen, dass man sich doch recht bald einmal wiedersehen müsse. Meist aber hatte Leah so viele Fototermine gehabt, dass sie nichts hatte dazwischen schieben können – und dann waren die beiden Schwestern es ja auch schon seit ihrer Kindheit gewohnt, voneinander getrennt zu sein. Als Anna 13 und Leah 16 gewesen waren, hatten ihre Eltern sich scheiden lassen. Anna, die sich von klein auf dem Vater näher gefühlt hatte, war mit ihm nach Spanien gezogen, wo die Familie schon seit Jahren ein Ferienhaus mit Pool, eigenem Tennisplatz und einem Atelier für ihre Mutter besessen hatte. Gearbeitet hatte ihr Vater damals nicht mehr – über 20 Jahre älter als seine Frau, hatte er sich bereits einige Jahre zuvor von seinem Vorstandsposten bei der Bank zurückgezogen. Wahrscheinlich war es genau das gewesen, was die Ehe letztlich hatte zerbrechen lassen: Seine Frau hatte es einfach nicht ertragen, ihn ständig um sich zu haben. Nähe war für sie schon immer ein Problem gewesen.

Leah war damals bei ihrer Mutter in Wiesbaden geblieben. Weniger als ihre Mutter hatten sie ihre Freunde dort gehalten; außerdem hatte ihr die fremde Sprache Angst gemacht. Hinzu kam, dass sie zu ihrem Vater bei weitem kein so inniges Verhältnis wie Anna gehabt hatte. Ihr Vater hatte ihr ihre zurückhaltende Art manchmal vorgeworfen; sie würde ihn mit dieser Kühle verletzen, hatte er gesagt, und sie dann gleich darauf damit entschuldigt, dass sie diese wohl von ihrer Mutter geerbt habe. Leah hatte ihre vermeintliche Kühle nicht gestört, wohl aber, dass sie sie von ihrer Mutter haben sollte. Sie hatte sie selbst sein wollen. Zumindest in diesem einen Punkt war sie wie alle Mädchen in diesem Alter gewesen.

Damals hatten Leah und Anna sich nur noch während der Schulferien gesehen. Als Leah später Fotografie studiert hatte, hatte sie die Ferien eher mit Freunden verbracht und ihren Vater und Anna nur noch zu Weihnachten besucht. Vor elf Jahren schließlich war ihr Vater gestorben. Da ihre Mutter ihr Erbe hatte ausgezahlt bekommen wollen, hatte Anna, damals 22, das Haus in Spanien räumen und zum Verkauf anbieten müssen. Anna war dann eine Weile herumgezogen, bis sie sich in Gibraltar in einen Amerikaner verliebt hatte, von ihm schwanger geworden und kurz darauf auch schon wieder von ihm verlassen worden war. In ihrer Not war Anna damals zurück nach Sitges gegangen. Ihre Mutter, der kleine Kinder ein Gräuel waren, hatte sie nicht bei sich haben wollen. Leah hatte von den Auseinandersetzungen erst später erfahren. Sie war damals in China gewesen. Erst auf Tante Julias Begräbnis hatten sie und Anna sich wiedergesehen. Leah konnte sich noch gut daran erinnern, wie Anna mit diesem kleinen Bündel Mensch bei dem Begräbnis aufgetaucht war. Wie hatte ihre Mutter noch gesagt? »Demonstrativ« hätte sie sich ihr »Balg« vor den Bauch gebunden. Leah hatte die Ausdrucksweise ihrer Mutter als sehr unfair empfunden. Schließlich trugen viele Mütter ihre Babys in diesen praktischen Tragetüchern vor dem Bauch. Trotzdem hatte sie nicht die Kraft aufgebracht, Anna zu verteidigen. Sie hatte damals selbst zu viele Probleme gehabt, bei deren Lösung ihr schließlich auch keiner geholfen hatte.

Nachdenklich blickte Leah auf Annas Haus und fragte sich, wie es ihr wohl jetzt mit ihrer Schwester ergehen würde. Ein ganzes Jahr wollte sie hier wohnen und arbeiten. Schon vor geraumer Zeit hatte Anna ihr das vorgeschlagen. »Da beschwerst du dich ständig, wie leid du die Kurzlebigkeit deiner Fotos bist, und arbeitest doch immer weiter nur für Zeitschriften! Warum nimmst du dir nicht mal die Zeit, einen richtigen Fotoband zu machen? Den nehmen die Leute immer wieder in die Hand. Komm doch einfach her, mach das Buch hier! Ich richte dir das Gästezimmer her. Du wirst dich wohl fühlen bei uns!« Ein »uns«, ein Haus, in dem jemand auf einen wartete, hatte Leah nicht mehr gehabt, seit ihr Vater damals mit Anna nach Spanien gezogen war. Auf einmal verspürte Leah wieder Freude und eine riesige Sehnsucht, ihre Schwester endlich wiederzusehen! Es würde schon gut gehen mit ihnen. Und das musste es auch. Denn für sie beide stand viel auf dem Spiel.

Kapitel 2

Da Leah nirgends eine Klingel entdecken konnte, klopfte sie an die Haustür. Als auch nach ihrem zweiten Klopfen niemand öffnete, fiel ihr auf, dass das kleine Butzenfenster der Haustür nur angelehnt war. Leah öffnete es einen Spalt, konnte aber wegen des engen Blickwinkels nicht viel vom Innern des Hauses erspähen. Sie sah nur, dass links und rechts je ein Zimmer abging und dass sich der Eingangsbereich weiter hinten zu einem großen Wohnraum hin öffnete. Gegenüber der Eingangstür führte eine offen stehende Tür hinaus in den Patio. Leah meinte dort draußen jemanden auf einem Stuhl sitzen zu sehen. Da auch jetzt niemand auf ihr Klopfen reagierte, stieg sie das kleine Eingangstreppchen wieder hinab, lief um die Hausecke, sah ein Gartentor, das zu eben diesem Patio führen musste – und hörte Stimmen. Schade, dachte sie, dann ist Anna ja gar nicht allein! Ihr wurde bewusst, dass es ihr viel bedeutet hätte, Anna zunächst einmal allein gegenüberzustehen. Das hätte es leichter gemacht …

Bevor die Angst sie erneut packen konnte, drückte Leah das schwere, schmiedeeiserne Gartentor auf, das von innen mit einer Bambusmatte verkleidet war – und blickte im nächsten Moment in drei überraschte Gesichter. Einzig Anna reagierte sogleich. Mit einem »Mensch, Leah, und ich hab dich erst heute Abend erwartet!« sprang sie von ihrem Gartenstuhl auf, rannte auf ihre Schwester zu und fiel ihr um den Hals. Überwältigt von Annas Freudenausbruch stiegen Leah Tränen in die Augen.

»Ach, Anna, Anna, Anna!« Leah drückte ihre Schwester so fest an sich, wie sie schon seit Jahren niemanden mehr gedrückt hatte. Anschließend hielt sie ihre »kleine« Schwester, die tatsächlich ein paar Zentimeter kleiner als sie war, ein Stück von sich weg und betrachtete sie. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Wie du dich verändert hast, mein Gott, du bist ja nicht wieder zu erkennen!«

Während Anna bei Tante Julias Begräbnis noch genauso pummelig und farblos wie als Backfisch gewesen war, stand heute eine um vieles schlankere und höchst attraktive Frau vor ihr. Statt der mausgrauen und seltsam sackartigen Kleider, mit denen sie früher versucht hatte, ihr zeitweise wirklich heftiges Übergewicht zu kaschieren, trug sie eine locker die Hüfte umspielende, olivfarbene Leinenhose und ein knapp bauchlanges, ärmelloses Blüschen in warmen Gelb-, Orange- und Olivtönen. Die Farben passten ausgezeichnet zu ihrem sonnengebräunten Teint und den schulterlangen kastanienbraunen Haaren und hoben zudem ihre warmen, braungrünen Augen hervor. Auf einmal konnte Leah gar nicht mehr verstehen, wie Anna mit diesen leuchtenden Augen und dem wunderschönen Haar je fad und grau hatte wirken können. Und welche Lebensfreude sie ausstrahlte, welche Kraft und Lebendigkeit!

»Meine Güte, wie schön du geworden bist!«, rief Leah begeistert und fragte sich, was diese Veränderung ihrer Schwester wohl ausgelöst haben mochte.

»Ich und schön? So ein Blödsinn!« Lachend strich Anna Leah über das Gesicht. »Schön bist immer nur du gewesen, und du bist es noch – auch wenn du allmählich vielleicht ein bisschen sehr dünn bist!« Voll Bewunderung sah Anna zu ihrer Schwester auf. Ja, dachte sie, allein schon die großen, smaragdgrünen Augen verliehen ihrem ebenmäßigen Gesicht eine besondere Note, dazu die hohen Wangenknochen, der schön geschwungene Mund, die lange dunkelblonde Mähne und der hoch gewachsene, gazellenartige Körper …

Anna drückte Leah noch einmal herzlich an sich und zog sie dann zu dem Holztisch in der Mitte des Patios, um den zwei Männer saßen. Einer der beiden erhob sich sogleich voller Eifer. Mit einem schnellen Handgriff kontrollierte er den tadellosen Sitz seines makellos weißen Hemdes und deutete eine Verbeugung an.

»Ich bin hoch erfreut, Sie kennen zu lernen«, erklärte er mit gewichtiger Miene und bildete das »ch« so tief im Hals, wie es nur ein wahrer Schweizer konnte. »Schon seit Wochen kennt Ihre Schwester kein anderes Gesprächsthema als Ihre baldige Ankunft, und ich muss sagen, jetzt, wo ich Sie sehe, kann ich sie nur zu gut verstehen! Sie sind in der Tat ein Gewinn für unsere kleine Gemeinschaft. Ein ganz hinreißender Gewinn!«

Nach einer formvollendeten Verbeugung reichte Ulrich Gass Leah die Hand. Leah ergriff sie und spürte die Kraft seines Händedrucks bis ins Schultergelenk.

»Mensch, Uli, nun quatsch doch nicht so geschwollen daher!« Anna versetzte dem leicht ergrauten Endvierziger einen freundschaftlichen Stoß in die Seite, blickte ihn aber trotz ihrer rauen Worte mit offenkundiger Zuneigung an. »Leah ist hier, um endlich mal wieder ein privater Mensch zu sein, und du malträtierst sie mit förmlichem Geschwätz. Dass du immer so steif sein musst!«

Ulrich hob die Brauen und hatte weiterhin nur Augen für Leah. »Ich nehme an, Sie kennen Ihre Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie keine Ahnung hat, wie zivilisierte Menschen miteinander umgehen.«

Leah musste grinsen. »Sie und Anna kennen sich anscheinend wirklich gut.«

Knurrend zog Anna ihre Schwester von Ulrich weg und wandte sich dem anderen Mann zu, der kaum älter als Leah war. Anna stellte ihr den für einen Spanier recht großen, dunkelhaarigen Mann als Joel Sanchez García vor.

Hastig erhob sich dieser und wirkte ziemlich verlegen, dass er nicht schon längst Ulrichs Beispiel gefolgt war. »Molt de gust!«Ich freue mich, dich kennen zu lernen!

Während Leah seine Wangenküsse erwiderte und dabei seinen feinherben Geruch als höchst angenehm registrierte, suchte sie nach einer passenden Entgegnung auf seine Begrüßung. »Yo también« – Ich mich auch – sagte man auf Spanisch ganz sicher nicht, grübelte sie. Dann glaubte sie sich zu erinnern, dass es »Igualmente« hieß, und sie sagte es auch, worauf der Mann sie seltsam forschend ansah: Ob meine Entgegnung doch falsch war?, rätselte Leah.

»Joel und Ulrich sind Freunde von mir«, redete Anna fröhlich weiter und war so beschäftigt mit ihrem Glück, endlich ihre Schwester bei sich zu haben, dass sie gar nicht merkte, welche Verlegenheit sich zwischen Joel und Leah breit machte – und auch nicht, mit welch verzücktem Blick Ulrich jede auch noch so winzige Regung ihrer Schwester verfolgte. »Ulrich wohnt schräg gegenüber. Vielleicht ist dir sein Haus schon aufgefallen. Es ist schneeweiß und höchst eigenwillig renoviert.« Leah nickte. »Und Joel wohnt ein paar Häuser weiter die Straße hinauf. Sein Sohn Nico und meine Nina sind dicke Freunde. Du wirst sie ja bald kennen lernen … und, ach ja, Joel ist Fotograf, genau wie du!«

Joel hob abwehrend die Hände. »Però jo no sóc ni tant bo ni tant famós como tú!«

»Natürlich bist du auch bekannt«, entgegnete Anna in beinahe akzentfreiem Katalanisch und stemmte die Hände in die Hüften. »Sei nicht immer so bescheiden! Als du noch als freier Fotograf gearbeitet hast, hast du schließlich etliche Preise gewonnen!« Sie erinnerte ihn an die Urkunden, die seine Mutter in schweren Goldrahmen über dem Sofa in der guten Stube hängen hatte.

Verlegen fuhr sich Joel mit allen zehn Fingern durch das dichte Haar. In diesem Moment trat Ulrich zwischen sie und zog für Leah einen Stuhl heran. »Meine Güte, was sind wir alle unhöflich! Da haben Sie die lange Reise hinter sich, und wir lassen Sie mitten im Hof stehen! Bitte, setzen Sie sich doch … Anna, willst du deiner Schwester nicht etwas zu trinken anbieten?«

Anna schlug sich mit der Hand vor den Kopf, aber noch ehe sie ein munter-aufgekratztes »Ausnahmsweise hast du mal Recht!« entgegnet hatte, hatte Ulrich Leah schon sein noch unbenutztes Glas hingestellt und sie gefragt, ob sie einen Wein mit ihnen trinken wolle oder ob ihr vielleicht ein Kaffee lieber sei. Anna schaute Ulrich verwundert an und fragte sich, was wohl auf einmal in ihn gefahren sei. Ihr fiel auf, dass er sich Leah gegenüber zwar gewohnt steif, aber für seine Verhältnisse auch recht charmant und aufmerksam verhielt. Ihr jedenfalls, da war sie sich sicher, hatte er noch nie auch nur das winzigste Kompliment gemacht. Was hatte er noch gleich zu Leah gesagt? Ein Gewinn sei sie, ja, sogar ein hinreißender Gewinn!

Irritiert verfolgte Anna, wie Ulrich sich um Leahs Wohlergehen bemühte. Nein, einen Wein wollte Leah nicht und auch keinen Kaffee, weil sie nach der langen Fahrt später gern ein bisschen schlafen würde. Voller Diensteifer ging Ulrich ins Haus, um Leah einen Saft zu holen. Kaum war er verschwunden, machte sich Schweigen zwischen den dreien breit. Leah setzte sich auf den Stuhl, den Ulrich ihr zuvor hingeschoben hatte; auch Anna setzte sich und Joel ebenfalls, doch kaum saß er, schaute er plötzlich hektisch auf seine Armbanduhr und sprang wieder auf. »On són els nens? La meva mare odïa que no siguem a la una en punt a casa per menjar!«»Wo bleiben denn die Kinder? Meine Mutter hasst es, wenn wir nicht Punkt ein Uhr zum Essen zu Hause sind!«

Anna sah auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass es noch nicht einmal halb eins war. Was redete Joel denn da? Er hatte es doch nur zehn Meter weit bis nach Hause!

Da kehrte Ulrich mit einem Glas frisch gepresstem Orangensaft zurück, den Leah dankend entgegennahm. Anna traute ihren Augen kaum. »Seit wann weißt du denn, wo in meiner Küche die Saftpresse steht?!«

Ulrich ignorierte ihr Sticheln und fragte Leah stattdessen, ob ihr der Saft auch nicht zu sauer sei. »Sonst hole ich Ihnen gern ein bisschen Zucker!«

Erst als Ulrich daraufhin verkündete, diese frisch gepressten Säfte, die man in Spanien »selbst noch in der verdrecktesten und verräuchertsten Arbeiterkneipe« angeboten bekomme, seien eines der wenigen Dinge, die er an diesem Land – außer dem milden Klima – schätze, erkannte Anna »ihren« Ulrich wieder. Nörgelnd, meckernd, schimpfend, besserwisserisch, so trat er sonst nach außen auf. Und eigentlich nur so. Dass es in ihm drin oft ganz anders aussah, ahnte kaum jemand außer ihr.

Mitten in diesem Saftvortrag flog plötzlich das Gartentor auf und ein Junge und ein Mädchen mit einem Fußball stürmten herein. »He, Mama«, rief das Mädchen lachend, »da sind wir wieder!«

Anna kam die Unterbrechung sehr gelegen. Sie streckte ihrer Tochter die Hand hin. »Sieh mal, Leah ist schon da!«

Nina grinste. »Das habe ich mir vorhin gleich gedacht. Hallo!«

Über Leahs Gesicht huschte ein freudiges Erkennen.

»Wie, gleich gedacht?« Anna schaute zwischen ihr und Leah hin und her. »Seid ihr euch denn schon begegnet?«

Leah nickte, und Nina erklärte: »Leah hat uns nach dem Weg gefragt, und das sogar auf Spanisch. Dafür, dass sie bloß Deutsche ist, klang das richtig gut!«

»Was heißt denn da ›bloß‹? Und wieso hast du sie nicht begleitet, wenn du schon wusstest, dass sie es sein muss?«

Nina verdrehte die Augen. »Mensch, Mama, wo bleibt denn dein Sinn für Dramatik? Wenn ich angefangen hätte, Deutsch mit ihr zu reden und sie herbegleitet hätte – das wäre doch total öde gewesen! So musste sie sich allein durchschlagen …«

»Ja, ja, Dramatik eben!«, unterbrach Anna die Fantasieflüge ihrer Tochter und wandte sich Leah zu. »Ninas derzeitiges Berufsziel heißt Harry-Potter-Bücher schreiben.«

Leah musste lachen. Sie war froh, dass genau dieses Mädchen ihre Nichte war. Nina dagegen gab sich beleidigt. »Mach dich nur lustig über mich!«, schimpfte sie ihre Mutter. »Trotzdem schreibe ich später mal solche Bücher – und noch bessere! Außerdem war ich total überrascht: Deine Schwester ist nämlich wirklich ganz anders als deine bescheuerte Mutter!«

Anna fühlte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. »Wir, also …«, stotterte sie, »also, wir hatten ein paar Auseinandersetzungen wegen deines Kommens, allerdings nicht wirklich deinetwegen. Nina hatte Angst, du könntest wie Mutter sein. Leider hat sie ihre Großmutter von unserem Besuch vor drei Jahren in ziemlich übler Erinnerung.«

»Na, dann habe ich ja noch mal Glück gehabt, dass ich in ihren Augen mehr Gnade finde«, versuchte Leah zu scherzen, musste aber trotzdem erst einmal schlucken. Wer war schon gern Gegenstand solcher Diskussionen?!

Bevor eine von ihnen noch mehr zu diesem Thema sagen konnte, mischte sich Ulrich in die Diskussion ein.

»Sie müssen wissen«, wandte er sich auf seine umständliche Art an Leah, »dass Ihre Schwester nicht nur nichts von zivilisierten Umgangsformen versteht, sondern diese – aus dem gleichen Grunde – auch ihrer Tochter nicht vermittelt. Ihre Nichte wächst wie eine Wilde auf, wie eine Wilde!«

Anna und Nina stöhnten im Duett. »Ja, ja, ja!«

»Da, bitte, da sehen Sie es!«, echauffierte sich Ulrich. »Kein Respekt vor nichts und niemandem!«

Anna benetzte ihren Zeigefinger mit Wasser und schnickte es zu Ulrich. »Jetzt krieg dich endlich ein! Leah kennt dich noch nicht. Die bringt es fertig und glaubt dir jedes Wort.«

»Was heißt da ›sie bringt es fertig‹? Das soll sie auch! Wirklich, Anna, du weißt doch selbst am besten, wie oft ich dir schon gesagt habe …«

»Weiß ich, weiß ich«, schnitt Anna ihm das Wort ab. Langsam ärgerte sie sich wirklich über Ulrich. Wenn er noch lange auf ihr und Nina herumhackte, war ihre Wiedersehensfreude wegen Leah bald dahin!

»Mira, Anna, m’en vaig …«

Anna sah zu Joel auf, der die ganze Zeit über so ungewöhnlich still gewesen war, und fand seine Miene in seltsamem Aufruhr. Warum er es heute so eilig hatte zu gehen, verstand sie noch viel weniger. Was war denn bloß los mit ihren Freunden? In der Hoffnung, dass Ulrich sich ihm anschließen würde, nickte sie Joel zu. »In Ordnung, wir sehen uns dann später!«

Joel rief seinen Sohn, der sich eben anschickte, mit Nina im Haus zu verschwinden. Die beiden machten kehrt. »Eh, espera!«, rief Nina. »Ich komme doch mit!«

In diesem Moment bemerkte Anna eine große Schürfwunde am Knie ihrer Tochter und rief sie zu sich. »Wie ist denn das passiert?« Sie machte sich daran, die Wunde mit einer Serviette und ein wenig Wasser zu säubern.

»Ich habe gedacht, ich könnte den Ball noch kriegen!«, erwiderte Nina und zappelte so mit den Beinen, dass Anna ihre Säuberungsaktion wieder abbrach.

»Willst du jetzt, wo Leah endlich da ist, nicht doch hier essen?«

»Wo Nicos Oma extra wegen mir fideuà macht?!« Nina schüttelte entschieden den Kopf.

Anna erklärte ihrer Schwester, dass fideuà ein valenzianisches Nudelgericht mit Gambas und Tintenfisch sei, und gab Nina einen kleinen Klaps auf den Po. »Dann zisch eben ab!« – und das war eine von Ninas leichtesten Übungen. Johlend stürmte sie mit Nico davon.

Joel aber, der es eben noch so eilig gehabt hatte, stand unschlüssig auf seinem Platz. Anna bemerkte, dass sein Blick auf Leah ruhte, und hängte sich bei ihm ein. »Und du bleibst jetzt doch noch ein bisschen?«, fragte sie augenzwinkernd, worauf Joel beinahe erschrocken den Kopf schüttelte, sich von ihr frei machte und hastig mit »Hasta luego« verabschiedete.

Entgegen Annas Hoffnung bewies Ulrich weiterhin Sitzfleisch. Mit immer größeren und eifrigeren Gesten redete er auf Leah ein, erklärte ihr, dass die einzig wahre mitteleuropäische Küche im Umkreis von 900 Kilometern in seinem Hause zu finden sei, und lud sie ein, diese Behauptung gleich die nächsten Tage einmal auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. »Es liegt mir viel daran, Ihnen zu beweisen, dass ich nicht übertreibe!«

Gereizt fuhr Anna dazwischen. »Für den Anfang wäre Leah sicher mehr mit ihren Koffern gedient! Ich meine, wenn du schon hier bist …«

»Oh, aber gern!« Mit einer Begeisterung, als ginge es um das Tragen einer Ehrenfahne, sprang Ulrich von seinem Stuhl auf. »Dass ich nicht schon selbst auf diese Idee gekommen bin! Bitte, Leah, wenn Sie mir Ihre Schlüssel anvertrauen und mir sagen wollen, wo Sie Ihren Wagen geparkt haben?«

»Etwa in der Mitte der Straße«, entgegnete Leah und kramte die Schlüssel aus ihrer Handtasche hervor. Statt sie Ulrich zu geben, erhob sie sich mit den Worten, dass sie ihre Kameraausrüstung immer selbst zu tragen pflege.

»Aber liebe Leah!« Beinahe beleidigt streckte sich Ulrich zu seiner vollen Größe, womit er Leah fast um einen Kopf überragte. »Keine Mutter kann ihr Kind behutsamer tragen als ich Ihre Kameraausrüstung!«

Leah behielt ihre Schlüssel trotzdem in der Hand. »Das richtet sich nicht gegen Sie. Es ist einfach eine Angewohnheit.«

»Nun, dann gehen wir zusammen …« Ulrich trat zum Gartentor und öffnete es für Leah. »Und natürlich ist mir Ihre Gesellschaft noch viel lieber!«

Anna, die gerade Leahs leeres Saftglas auf das Tablett stellen wollte, spürte, wie es sie bei so viel Süßholzraspeln gewaltig in den Fingern juckte. Sie bekam Lust, Ulrich das verdammte Glas einfach an den Kopf zu werfen. Ihr jedenfalls hatte er seine Hilfe bislang selbst dann nicht angeboten, wenn er sah, dass sie eine dieser schweren Butangasflaschen aus ihrem Wagen ins Haus wuchtete. Und zu mehr als einem seiner schrecklich wässrigen Schweizer Kaffees hatte er sie auch noch nie eingeladen. Doch dann war Ulrich ohnehin außerhalb ihrer Schusslinie, und Anna stellte das Glas aufs Tablett. Als die beiden um die Ecke verschwunden waren, kamen ihr Erinnerungen an früher und damit auch Zweifel an Ulrichs Schuld. Schließlich konnten nur die wenigsten Männer Leah widerstehen …

Wenige Minuten später kehrte Ulrich mit der ersten Ladung Gepäck aus Leahs Wagen zurück. Eine Umhängetasche vor dem Bauch, zwei schwere Lederkoffer in den Händen und ein paar feine Schweißperlen auf der Stirn, hievte er seine Last ins Haus und sprühte doch weiterhin vor guter Laune.

»Wohin damit?«, fragte er Anna, die ihm die Haustür aufhielt.

»Das kommt darauf an, ob das alles ist oder ob Leah noch mehr hat.«

»Noch mal das Doppelte!« Ulrich stellte die Koffer im Flur ab. »Ich hätte nie gedacht, dass man in einem einzigen Jaguar so viel Gepäck unterbringen kann!«

»Was heißt da so viel?« Leah trat an Anna vorbei ins Haus und setzte die beiden Alu-Fotokoffer ab. »Das ist wirklich nur das absolut Notwendige! Für ein Jahr braucht man nun einmal mehr als für einen kleinen Sommerurlaub, und ein paar Arbeitsunterlagen musste ich natürlich auch noch mitnehmen.«

Anna schaute grübelnd zu der Tür des Gästezimmers, das rechts vom Eingang lag. »Hier drin jedenfalls wirst du das alles niemals unterbringen.« Sie öffnete die Tür bis zum Anschlag. Leah trat an ihr vorbei in das Zimmer.

Die Einrichtung war spärlich, nicht zuletzt deshalb, weil das Zimmer tatsächlich recht klein war. Links von Leah, gegenüber der Wand mit dem Fenster, stand ein einfaches Bett mit einem pastellfarbenen Quiltüberwurf; ein alter Hocker aus Weichholz mit einem kleinen Spitzendeckchen und einer antiken Messinglampe diente als Nachttisch. An der Wand vor sich blickte Leah auf eine alte, cremefarben lackierte Kommode, über der ein impressionistisch angehauchtes Ölgemälde mit blauen und lilafarbenen Hortensien hing. Leah mochte das Bild; es schien ihr Licht und Fröhlichkeit in das Zimmer zu bringen. Rechts in der Ecke entdeckte sie einen quadratischen Holztisch, einen passenden Stuhl und hinter der Tür einen schmalen, im gleichen Farbton wie die Kommode lackierten Einbauschrank.

Anna zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Ich hatte dich gewarnt: Das Hilton ist es nicht!«

Leah kratzte sich am Kopf, meinte: »Ach, wieso denn …« und vermied es tunlichst, auf ihren Kofferstapel zu blicken. Mein Gott, wo sollte sie bloß hin mit all ihren Sachen?

»Das Haus ist nun einmal nicht groß«, fuhr Anna fort. »Gegenüber ist Ninas Zimmer, in der Mitte das Wohnzimmer, rechts von der Tür zum Patio mein Zimmer und eine Toilette und links die Küche und das Bad …«

»Es wird schon gehen, Anna, wirklich!« Betont unverzagt schnappte sich Leah den ersten Koffer, warf ihn auf das Bett und machte sich daran auszupacken, damit Anna sah, dass sie wirklich alles bestens fand und schon irgendwie zurechtkommen würde.

Anna dagegen war weiterhin verunsichert und lehnte sich sinnierend gegen den Türrahmen. »Und wenn wir unsere Sommerkleider in Kisten packen und irgendwo unterstellen?«, meinte sie schließlich.

Ulrich, der eben mit der dritten Ladung Koffer hereinkam, nickte. »Bei mir im Gästezimmer! Das steht sowieso leer.«

Leah drehte sich zu ihm um; sie konnte ihre Erleichterung nicht verhehlen. »Ja, wenn das ginge!«

Wieder nickte Ulrich und hielt Leah ihre Schlüssel hin. »Ich habe den Wagen abgeschlossen.«

Anna bemerkte, dass Ulrich beim Übergeben der Schlüssel Leahs Finger länger als nötig berührte, und auch das Funkeln in seinen Augen entging ihr nicht. Obwohl sie sich dagegen wehrte, spürte sie erneut Gereiztheit in sich aufsteigen. Ruckartig richtete sie sich auf.

»Ich bringe die Sachen dann nachher rüber!«, erklärte sie Ulrich und öffnete die Haustür bis zum Anschlag.

Ulrich bleckte seine gepflegten Zähne und zupfte Anna an der Nase. »Was sind wir heute wieder charmant, Madame!« Zugleich warf er Leah einen spaßhaft um Mitleid heischenden Blick zu. Leah fühlte, wie sie errötete, denn irgendwie war ihr Annas ruppige Art tatsächlich ein wenig unangenehm. »Ihre Hilfe – also, das war wirklich sehr nett von Ihnen. Wir sehen uns später sicher noch!« Leah hoffte, dass er ihre Worte als Entschuldigung auffasste, und tatsächlich flackerte in Ulrichs grauen Augen eine Art verschwörerisches Feuer auf. Leah war beruhigt und musste beinahe grinsen. Ach, Männer! Wie leicht sie letzten Endes doch um den Finger zu wickeln waren! Sie nickte ihm zum Abschied zu.

»Ja, servus dann, tschüs und bis später!«, erwiderte Ulrich ihr Nicken heiter, warf ihr eine Kusshand und Anna ein Siegerlächeln zu. Anna schloss die Tür und drückte sie dabei um einiges heftiger als nötig ins Schloss.

So froh Anna im ersten Augenblick auch war, Ulrich endlich losgeworden zu sein, so sehr wünschte sie sich ihn ein paar Minuten später zurück, denn kaum waren seine letzten Worte verhallt, fiel die Stille wie ein trennender Vorhang zwischen Leah und sie. Die erste, so herrlich gewichtslose Wiedersehensfreude wollte einfach nicht zurückkehren. Es war, als steckten sie fest in der Stille, die von Sekunde zu Sekunde beklemmender wurde. Mein Gott, dachte Anna, wir sind doch Schwestern, wir haben uns so lange nicht gesehen, wir müssen uns doch etwas zu sagen haben!

Leah räusperte sich verlegen. »Mama lässt euch grüßen«, sagte sie und blickte verstohlen zu Anna.

Gern hätte Anna ihr eine nette Antwort gegeben, aber sie konnte es nicht. Nicht bei diesem Thema. »So weiß sie tatsächlich noch, dass es uns gibt.«

Als sie sah, wie hastig Leah daraufhin einen Stapel Unterwäsche aus ihrem Koffer nahm und ihn mit übergroßer Geschäftigkeit in die oberste Schublade der Kommode packte, tat ihr ihre Reaktion doppelt Leid. Schließlich wollte sie nicht, dass es noch schwieriger zwischen ihnen wurde. Aber was musste Leah auch von Mutter anfangen? Sie wusste doch, wie sie zueinander standen! Oder glaubte sie etwa, sie, Anna, könne je vergessen, wie ihre Mutter damals herumgetobt hatte, als sie ihr die Schwangerschaft gestanden und auf ihre Hilfe gehofft hatte?

Wie eine Furie hatte ihre Mutter sich gebärdet, sie mit ihrer schrillen Stimme attackiert. Ob sie noch nie etwas von der Pille gehört und dass sie sich ja schon als Kind immer bei allem so »bemerkenswert dumm« angestellt hätte – und dass sie ihr bloß nicht mit ihrem »plärrenden Balg« unter die Augen kommen solle. Seither hatte Anna ihre Mutter nur noch zweimal gesehen: einmal bei Tante Julias Beerdigung, wo sie kein Wort miteinander gewechselt hatten, und einmal vor drei Jahren, als sie und Nina sie – aus einem dummen Impuls und viel Trotz heraus – einfach besucht hatten. Es war nichts als ein Wortgefecht dabei herausgekommen. Immerhin war sie ihr keine Antwort schuldig geblieben. Seither war ihre Mutter für sie gestorben.

»Auch Florence lässt dich grüßen«, wagte Leah einen neuen Versuch. Florence war die einzige Freundin ihrer Mutter, vielleicht überhaupt der einzige Mensch, der ihr nahe stand. Sie hatten sich vor 40 Jahren in New York kennen gelernt, wo die kanadische Florence und die deutsche Merlina für ein Jahr Kunst studiert hatten. Später war Florence nach Florida gezogen, wo ihre Mutter sie oft besucht hatte, um gemeinsam mit ihr zu malen. Jetzt hielt sich Florence zum ersten Mal in Deutschland auf. Solange Leah bei ihrer Schwester war, würde sie in ihrer Wohnung leben und arbeiten. Schon lange hatte sie davon geträumt, einmal für einen längeren Zeitraum »im Land der Impressionisten« zu leben, und dass Deutschland nicht Frankreich war, störte sie dabei wenig. »Schließlich ist es Europa, oder etwa nicht?«

»Florence …« Die Angespanntheit in Annas Gesicht ließ nach, ein versonnenes Lächeln zauberte Licht in ihre Augen. Zweimal war sie als Teenager mit Leah und ihrer Mutter in Florida bei Florence gewesen, die einzig schönen Ferien, die sie je mit ihrer Mutter erlebt hatte. Florence hatte einen sehr ausgleichenden Charakter, und in ihrer Umgebung fühlte sich jeder einfach wohl. »Wie geht es ihr?«

Erleichtert begann Leah zu erzählen. »Gut geht es ihr! Und ihre 65 Jahre sieht man ihr auch nicht an. Als ich sie gestern vom Flughafen abholte, war sie so aufgeregt wie ein Mädchen bei seinem ersten Rendezvous. Deutschland sei ja ganz magnifique, meinte sie, und als sie den Ausblick von meiner Wohnung über die Altstadt von Wiesbaden sah, geriet sie ganz und gar aus dem Häuschen.«

»Du hast sicher viel mehr Platz als wir hier …«

»Anna, bitte!« Leah schloss die oberste Schublade der Kommode und drehte sich zu ihrer Schwester um. »Ich komme mit dem Platz hier schon zurecht! Außerdem wollten wir doch endlich einmal Zeit miteinander verbringen, und das können wir jetzt. Wenn ich zu fotografieren beginne, bin ich ohnehin viel außer Haus! Ich habe ein Bett zum Schlafen, einen Tisch zum Arbeiten, und Platz für meine Kleider finden wir auch noch irgendwo. Es ist alles bestens, Anna, wirklich. Du musst dich nicht dauernd entschuldigen!«

Anna zuckte mit den Schultern und schwieg. Dann fragte sie plötzlich: »Hat Mutter mich wirklich grüßen lassen?«

Leah sah sie erstaunt an. »Sicher hat sie das! Mein Gott, was habt ihr zwei bloß für ein kompliziertes Verhältnis.«

»An mir liegt es nicht! Ich habe sie einmal sehr geliebt.«

»Du hast

»Soll ich einfach vergessen, wie sie Nina und mich behandelt hat?« Anna merkte zu ihrem Verdruss, dass es wie eine Entschuldigung klang. Trotzig setzte sie nach: »Für Nina war die erste und einzige Begegnung mit ihrer Großmutter ein Albtraum!«

Für Mutter allerdings auch, dachte Leah, hütete sich aber, es auszusprechen. »Schade, dass ich damals gerade diesen Auftrag in Paris hatte.«

»Du hättest auch nicht vermitteln können. Mutter und ich, das sind einfach zwei Welten!« Anna ging einen Schritt auf Leah zu. »Sag mal, soll ich dir nicht beim Auspacken helfen?«

Leah schüttelte den Kopf. »Nein, danke, lass nur. Das geht am schnellsten, wenn ich es allein mache. Ich sortiere dann auch gleich ein paar Sachen aus, die ich im Augenblick nicht brauche.«

»Außerdem würde ich dir das wahrscheinlich ohnehin nicht ordentlich genug machen.« Anna grinste. »Hast du noch immer einen solchen Ordnungstick?«

Leah grinste zurück. »Na ja, es geht so …«

Froh rieb Anna die Hände. »Was hältst du davon, wenn ich mich an das Mittagessen mache? Nach der langen Fahrt musst du doch einen Bärenhunger haben!«

»Und ob!« Leah strich Anna über den Arm. »Und … und ich freue mich wirklich, dass ich hier bin! Du weißt ja, wie ich bin. Ich kann Gefühle nicht so gut zeigen.«

Anna spürte, wie sie vor Freude einen Kloß im Hals bekam, und sah zu, dass sie das Zimmer verließ. Sie wusste nur zu gut, dass Leah Rührseligkeit hasste, und wollte dieses zarte Band von Nähe und Freundschaft, das sich eben neu zwischen ihnen zu knüpfen schien, nicht gleich wieder belasten.

Leah schätzte, dass sie nur gut ein Drittel der Kleider, Bücher und Unterlagen, die sie mitgebracht hatte, in ihrem Zimmer unterbringen konnte, ein weiteres Drittel meinte sie zumindest zeitweise entbehren und bei Ulrich einlagern zu können; den Rest deponierte sie, wie Anna es ihr vorgeschlagen hatte, zwischenzeitlich im Wohnzimmer. Sie war noch lange nicht fertig, als Anna sie zum Mittagessen rief. Sie aßen draußen, im Patio, in dem heiteren Licht einer trotz der winterlichen Jahreszeit herrlich wärmenden Sonne, während sich die Pinien in Nachbars Garten lautlos wiegten und ihre Erinnerungen an früher ruhig dahinflossen. Sie wählten nur gute Erinnerungen und selbst die mit Bedacht.

Als Leah den letzten Bissen Paella gegessen und zum Nachtisch noch von dem Flan probiert hatte, spürte sie, wie sich erneut bleierne Müdigkeit in ihr breit machte.

»Nimmst du es mir übel, wenn ich dich mit dem Abwasch sitzen lasse? Ehrlich gesagt kann ich kaum noch die Augen offen halten.«

»Bevor du mir mein edles Porzellan zerdepperst, sehe ich dich allerdings lieber im Bett«, spaßte Anna und stellte die beiden schlichten, weißen Teller übereinander. »Ich nutze deine Siesta dann, um kurz in die Werkstatt zu gehen. Dort warten ein paar Muster für einen neuen Kunden auf mich. Eigentlich hätte ich sie schon gestern Mittag zum Brennen in den Ofen stellen müssen, und lasiert sind sie auch noch nicht. Wenn du wach wirst, bevor ich zurück bin, hab bitte keine Scheu, dich hier ganz frei zu bewegen. Fühl dich wie zu Hause! Wenn du duschen willst – ich lasse den Gasdurchlauferhitzer an; Handtücher findest du in dem Einbauschrank im Bad. Ach, und träum was Schönes! Der erste Traum in einem neuen Bett geht nämlich immer in Erfüllung!«

Leah nickte und ging in ihr Zimmer. Mit einem Griff hob sie den zuletzt ausgeräumten Koffer vom Bett, schlug den Quilt zurück, schloss die beiden Klapplädchen am Fenster und sank in ihr Bett. Sehr weich fand sie es, zu weich für ihren Geschmack, und ihr letzter Gedanke, bevor ihr die Augen zufielen, war, dass es ihr gewiss schwer fallen würde, auf so einer elend weichen Matratze etwas Angenehmes zu träumen.

Kapitel 3

Als Leah aufwachte, brauchte sie wie meist eine Weile, um sich zu orientieren, wo sie war. Auch wenn sie diese Verlorenheit meist binnen Sekunden überwand, empfand sie sie doch jedes Mal als höchst unangenehm. Es war einfach ein scheußliches Gefühl, so völlig losgelöst im leeren Raum zu schweben. In der letzten Zeit befiel sie oft auch eine seltsame hohle Angst, jetzt wirklich und für immer ins Nichts verbannt zu sein. Leah nahm an, dass diese Angstzustände mit ihren ständigen Ortswechseln zusammenhingen; ja, fast hoffte sie es – denn dann hätte sie die Chance, dass sie sich hier im Lauf der Wochen legen würden.

Mühsam und wie verkatert setzte sich Leah auf, worauf ihre Matratze mit heftigem Geschaukel reagierte und ihr übel wurde. Sogleich hielt sie in ihrer Bewegung inne und hoffte, dass ihr Magen sich beruhigte. Als sie schließlich den Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel ihr erneut auf, wie schrecklich eng dieses Zimmer war. Und fad fand sie es, blass und ohne jede besondere Eigenheit. Daran änderten auch die lilafarbenen Hortensien nur wenig. Schließlich waren sie in diesem Raum der einzige Farbklecks überhaupt. Leah liebte kräftige Farben. Zu Hause hatte sie ein schrill himbeerfarbenes, fast zwei Quadratmeter messendes abstraktes Ölgemälde über das größere ihrer beiden blauen Ledersofas gehängt, und wann immer ihr Blick darauf fiel, freute sie sich. Das andere, was Leah an ihrer Wohnung liebte, waren die großen Fenster und der reichliche freie Raum. Wenn sie nachdenken wollte, musste sie hin und her laufen. Auf diesen zehn Quadratmetern würde das kaum möglich sein.

Seufzend richtete sich Leah auf und spürte einen solchen Schwindel, dass sie ihren Blick schnell auf die Läden des Fensters heftete. Durch die Kanten fiel Licht ins Zimmer. Demnach war es noch – oder schon wieder? – Tag. Leah sah auf ihre Armbanduhr. Halb sechs, also noch heute, doch selbst der Gedanke, dass es in Wiesbaden jetzt schon stockdunkel war, munterte sie nicht auf.

Langsam stand Leah auf. In der Hoffnung, dass eine Dusche ihren Lebensgeistern zu mehr Schwung verhelfen könnte, ging sie zum Badezimmer. Ein ebenso monströses wie altertümlich wirkendes Ding von Toilette prangte da mitten im Raum. Leah schätzte, dass der bombastische Spülkasten dahinter sicher seine 15 Liter fasste. Links von ihr befand sich das nicht sehr saubere Waschbecken; weiter hinten in der Ecke war ein eintüriger Wandschrank und direkt daneben eine Art Kindersitzbadewanne, die irgendwie sehr eingeklemmt wirkte. Nun ja, seufzte Leah nach einem abschließenden Rundumblick, was man eben so alles Badezimmer nennt!

Immerhin fand sie in dem Schrank ein großes Badetuch, und auch wenn es nicht so schön flauschig war wie die zu Hause, war es doch sauber und wirkte einigermaßen saugfähig. Leah merkte, wie sie fröstelte, und zog den kleinen Heizlüfter unter dem Waschbecken hervor. Sehr sicher kam es ihr zwar nicht vor, mit solch einem elektrischen Gerät im Raum zu Wasserspielen aufzubrechen, aber Lust zu erfrieren hatte sie auch nicht. Also schaltete sie ihn an. Außerdem, tröstete sie sich, war ja kaum damit zu rechnen, dass jemand vorbeikäme und ihr das Ding in die Wanne würfe.

Brummend setzte sich der Ventilator des Heizlüfters in Bewegung, und kaum hatte sich der Raum ein wenig erwärmt, stieg Leah in die winzige Wanne. Herrlich warm umspülte das Wasser ihre Füße und tröstete sie darüber hinweg, dass der Duschvorhang an seinem unteren Ende angeschimmelt war und sich wohl nur mit einem besonderen Trick zuziehen ließ.

Bemüht, nicht den ganzen Raum unter Wasser zu setzen, duschte sich Leah von oben bis unten ab, seifte sich dann mit ihrem herrlich duftenden Duschgel ein und spürte plötzlich, wie das Wasser an ihren Füßen kälter und kälter wurde. Irritiert drehte sie den Kaltwasserhahn zu, den Heißwasserhahn weiter auf – doch das Wasser wurde trotzdem immer kälter, und dann stellte auch noch der Heizlüfter mit einem sehr abschließend klingenden Klackern seine Umdrehungen ein. Leah angelte nach ihrem Handtuch und lief in die Küche, um nach dem Gasdurchlauferhitzer zu sehen. Die Pilotflamme war erloschen, die Gasflasche also leer. Fröstelnd öffnete Leah eine Küchenschranktür nach der anderen, fand dann die Flasche, schließlich auch eine zweite, doch als sie sie anhob, stellte sie fest, dass diese ebenfalls leer war. Verdrossen warf sie die Schranktür wieder zu und fühlte sich auf einmal mehr an frühere Zeiten erinnert, als ihr lieb sein konnte. Anna und Vorausplanung – es hatte sich nichts geändert!

Fluchend stieg sie wieder in die Wanne, drehte den Warmwasserhahn auf und fing – nach Luft schnappend – an, sich von oben bis unten von dem Duschgel zu befreien. Es brauchte schon ihre ganze Willenskraft, dem eisigen Strahl standzuhalten, und als sie an ihr herrlich geräumiges, zentral beheiztes und endlos mit warmem Wasser versorgtes Badezimmer zu Hause dachte, fragte sie sich, ob sie an dem Tag, an dem sie zugestimmt hatte, für ein Jahr zu Anna zu ziehen, voll zurechnungsfähig gewesen war. »Das Hilton ist es nicht …«, hatte ihre Schwester sie gewarnt. Wie aber hätte sie auch ahnen sollen, dass in Annas Haus noch nicht einmal Spuren von Zivilisation anzutreffen sein würden?!

Auch als Leah eine Viertelstunde später eingecremt und angezogen war, rumorte ihr die eisige Ernüchterung weiter im Magen. Suchend strich sie durch die Räume und hoffte auf ein Heizöfchen, an dem sie sich wärmen konnte, doch schien es außer dem großen Kamin im Wohnzimmer keine weitere Heizmöglichkeit zu geben. Fröstelnd zog sie sich die Strickjacke fester um den Leib.

Ein Klopfen an der Haustür, gefolgt von einem fragenden »Anna, estás a casa?« schreckte Leah auf. Sie ging zur Haustür und öffnete. Es war die Frau, die sie am Vormittag gelotst hatte.

»Hola, nena, com vas?« Die Frau sah sie prüfend an. Obwohl Leah sich plötzlich um einiges besser fühlte, wusste sie doch, dass sie nicht mit einem »Danke, gut geht es mir« antworten konnte. Dieser Frau machte man nichts vor.

»Anna no está«, antwortete Leah daher nur, und dass sie nicht wisse, wann ihre Schwester wiederkäme.

Die alte Frau musterte sie weiter, schüttelte schließlich bekümmert den Kopf und drückte Leah eine Tüte mit einer bis zum Rand gefüllten Tupperdose in die Hand. »Això és la fideuà«, sagte sie und dass Nina sich die Reste zum Abendessen gewünscht habe. Und dann sagte sie noch etwas, und obwohl sie sehr schnell und zudem Katalanisch sprach, verstand Leah sie doch.

»An einem Tag wie heute solltest du nicht traurig sein. Du hast deine Schwester wieder gefunden und deine Schwester dich, und das allein sollte euch schon glücklich machen, denn ihr braucht einander, und das viel mehr, als ihr es ahnt.«

Betroffen sah Leah sie an und fühlte, dass die alte Frau Recht hatte.

Kapitel 4

Schon seit den frühen Morgenstunden saß Leah mit angezogenen Beinen auf dem harten Stuhl vor ihrem Fenster, die Strickjacke stramm um den dünnen Körper gezurrt, als könnte sie so die feuchte Morgenkälte abhalten, und blickte hinaus auf das noch immer schlafende Gässchen. Nein, es war nicht die Matratze gewesen, die sie so früh aus dem Bett getrieben hatte, sondern die Worte der alten Frau von gestern Abend, ihre Feststellung, dass Anna und sie einander brauchten, »und das viel mehr, als ihr es ahnt« – und die Flut von Gedanken, die dies in ihr ausgelöst hatte.

Auf einmal kam es ihr so vor, als wäre der Schwindel vom Vortag eine Warnung gewesen und die kalte Dusche ihr von einem höheren Wesen angediehen worden … gerade so, als wäre alles hier irgendwie darauf ausgerichtet, sie zu einem Umdenken, einem Umschwenken in ihrem Leben zu bringen. Doch genau das wollte sie nicht.

Sicher war in ihrem Leben nicht immer alles wünschenswert verlaufen. Ihre Kindheit zwischen Nannys und ihrem dickfelligen Vater, ihre Jugend zwischen Internaten und Ferienaufenthalten bei ihren Eltern, ihr erster Freund, ihr zweiter, ihr dritter, ihr x-ter, die einzig längere Beziehung, die sie mit einem Theaterschauspieler gehabt und die mit einer Abtreibung geendet hatte; ihre Entscheidung, sich nie mehr auf jemanden mit all ihren Sinnen einzulassen – und der damit zusammenhängende Wunsch, sich als Fotografin auf eigene Füße zu stellen. Dazwischen die heftigen Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter, der sie nie gut genug war, egal, wie sehr sie sich anstrengte, und die fehlenden Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, für den sie immer gut genug war, egal, wie wenig sie sich anstrengte – und die ungeschickte, schrecklich ungraziöse Schwester, die sie mit ihrer Bewunderung manchmal geradezu erdrückt hatte … Nein, da war sicher nicht alles wie im Märchenbuch gewesen, aber so war es nun einmal – und letztlich hatte es sie nicht daran gehindert, ihren Weg zu gehen. Sie war unabhängig, sie war frei, sie lebte, wie es ihr passte, und gut dazu. Die Worte dieser alten Frau hatten ihr aber trotzdem das Gefühl vermittelt, als würde in ihrem Leben etwas nicht stimmen, als würde etwas darin fehlen – nur konnte sie nicht sagen, was dieses Etwas sein sollte.

… ihr braucht einander, und das viel mehr, als ihr es ahnt. Fast zwei Jahrzehnte waren Anna und sie ohne einander ausgekommen. Warum sollte das plötzlich anders sein?! Und doch spürte Leah, dass hinter diesem Satz eine Wahrheit steckte – und wollte es auf der anderen Seite nicht wahrhaben. Ja, und überhaupt passte dieses verdammte Wiederkäuerprinzip ohnehin nicht zu ihr! Sie war Fotografin. Sie war es gewohnt, sich ständig neuen Themen und Aufgaben zuzuwenden. Eine schnelle Positionierung, ein Druck auf den Auslöser – und ab zum nächsten Shooting. Da war kein Raum für Orakelsprüche und Kaffeesatzlesen! Verdammt, wenn sie diesen Satz nur wieder aus ihrem Kopf herausbrächte!

Auch eine halbe Stunde später haderte und grübelte Leah noch herum und empfand große Erleichterung, als sie aus der Küche Geräusche hörte. Eilig streckte sie ihre langen, vom Sitzen schon ganz steifen Beine von sich, reckte ihre Arme und rutschte auf ihren dicken Wollsocken zur Küche.

»Guten Morgen, Anna!« Leah war selbst erstaunt, wie rau und seltsam belegt ihre Stimme klang; Anna aber, die noch im seligen Halbschlaf war, schrak so zusammen, dass ihr die Espressokanne aus den Händen rutschte und scheppernd über die Fliesen sprang.

»Mensch, Leah, musst du dich so anschleichen?«, schimpfte sie, musste dann aber doch lachen und sprang der Espressokanne hinterher. »Und was ist überhaupt mit deiner Stimme los? Sind das die Nachwirkungen von deiner kalten Dusche?«

Leah sank auf einen der blauen Küchenstühle, die um den wuchtigen Holztisch herumstanden. »Keine Ahnung«, krächzte sie und räusperte sich ein paar Mal vernehmlich, bis sie ihre normale, klare Stimme wieder hatte. »Nein, scheinbar nur eingerostet«, sagte sie dann und versuchte zu scherzen: »Das kommt davon, wenn man stundenlang vor sich hinbrütet.«

»Um die Uhrzeit?« Mit einem kräftigen Dreh schraubte Anna die Espressokanne auseinander und füllte sie mit Wasser und reichlich Kaffee. »Und worüber hast du gebrütet? Auf welche Art du mich zerhackstückeln wirst, wenn ich dir das nächste Mal nicht gleich sage, dass meine vollen Gasflaschen im Patio stehen?« Anna grinste, und Leah ließ sich anstecken. »Zum Beispiel, ja!«

»Und worüber noch?«

Leah zuckte mit den Achseln. »Ach, nichts Bestimmtes.« Sie hatte keine Lust, zu ihren Grübeleien zurückzukehren. »Ziemlich blau hier«, sagte sie stattdessen und vollführte mit ihrer Rechten eine weite Geste durch den Raum. Außer den Stühlen waren auch die Regale und die Türen der gemauerten Schränke satt meerblau gestrichen, ja, selbst vor dem rundbäuchigen Riesenkühlschrank hatte Annas Pinsel nicht Halt gemacht. Plötzlich wurde Leah bewusst, dass Anna also sehr wohl in der Lage war, Farbe zu bekennen.

»Als Ulrich sah, in welch üppige Blauheit ich meine Küche getaucht hatte, bekam er fast einen Herzanfall. Nie mehr würde er meine Küche betreten, wenn ich sie nicht sofort wieder zivilisiert anstreichen würde …!«

»Und? Wie lange hat er es .durchgehalten?«

»Immerhin drei Tage!« Lachend stellte Anna die Espressokanne auf den Herd. »Weißt du, der brummt und meckert viel, aber er meint es nicht so. In Wahrheit ist er schwer in Ordnung.«

»Du magst ihn sehr, hm?«

»Mögen …« Anna wog den Kopf hin und her. »Nein, mögen ist das falsche Wort. Weißt du, wir haben uns zu einem Zeitpunkt kennen gelernt, der für Ulrich … nun sagen wir: sehr schwierig gewesen war. Auch ich war damals nicht ganz auf der Höhe, weil ich mal wieder Liebeskummer hatte. Mein Juan hatte sich als mieser kleiner Don Juan entpuppt. Ulrich und ich haben damals sehr viel Zeit zusammen verbracht und sind uns auf eine ganz besondere Art nahe gekommen. Später hat sich Ulrich jedoch mehr und mehr zurückgezogen … Aber lassen wir diese alten Geschichten! Erzähl lieber von dir: Gibt es denn da niemanden, der dich in diesem Jahr hier vermissen wird?«

»Nein, nicht wirklich.« Leah musste grinsen, als sie an ihren letzten One-Night-Stand mit einem Kollegen dachte. »Und ich ihn schon gleich zweimal nicht!«

»Naaa?«

»Nein, wirklich nicht.« Leahs Grinsen wurden noch breiter, und plötzlich musste sie lachen. Mein Gott, dachte sie, welch blöder Backstein hat sich heute früh bloß auf mein Gemüt gelegt? Es ist doch schön hier bei Anna – und mit ihr, ja, einfach nett ist es! Es macht Spaß, jemanden zum Reden zu haben, sich zu necken, miteinander zu lachen! Wahrscheinlich war das heute früh einfach nur eine Nachwehe von der langen Fahrt … Und bevor sie erneut auf dumme Gedanken kommen konnte, beschloss sie, schon gleich heute früh nach lohnenden Fotomotiven Ausschau zu halten. Ja, arbeiten war die beste Therapie gegen Grübeleien.

Im nächsten Augenblick kam Nina in die Küche und verkündete, dass sie gleich vor Hunger sterben werde. Anna war abgelenkt. Und Leah auch.

Kaum hatte sich Nina den ersten Löffel Cornflakes in den Mund geschoben, wurde sie auch schon munter und bedrängte Leah, ihr ihre Kameraausrüstung zu zeigen. Leah lachte und gab nach. Gleich nach dem Frühstück trug sie ihre beiden Fotokoffer hinaus in den Patio, wo die Sonne eben den Weg um die beiden Pinien auf dem Nachbargrundstück herum geschafft hatte und für hellstes Licht und eine prickelnde Wärme sorgte. Leah stellte die Koffer ab und streckte sich genüsslich.

»Und du willst schon heute mit dem Fotografieren anfangen?«, fragte Nina und versuchte, den oberen Koffer zu öffnen.

Leah drehte sich zu ihr um und gab ihr einen Klaps auf die Finger. »Das Berühren der Figuren mit den Pfoten ist …«

»Na, dann mach du doch endlich, statt dich hier so zu verbiegen!«, drängte Nina. Seufzend zog Leah ihren Schlüsselbund aus der Hosentasche, schloss die Schlösser auf und ließ sie aufspringen.

Sogleich brach Nina in Jubel aus. »Wow! Drei Kameras! Und was für geniale Teile! Und die Dinger hier erst!«

Ehe Leah reagieren konnte, hatte Nina sich eines der Objektive geschnappt und wog es in ihren Händen. »Puh, ist das schwer!«

»Und teuer!« Hastig nahm Leah ihr das Objektiv wieder ab und legte es zurück in die Aussparung. »Ansehen war ausgemacht, nicht anfassen!«

Beleidigt blickte Nina zu ihr auf. »Ich lasse es schon nicht hinfallen!«

»Das würde ich an deiner Stelle auch behaupten.« Leah hob die rechte Augenbraue. Schmollend hockte sich Nina auf den Tisch und baumelte mit den Beinen.

Leah überlegte einen Moment, entschloss sich dann, ihre kleine Canon mitzunehmen, und suchte sich ein passendes Weitwinkel- und ein Normalobjektiv heraus. Kaum hatte sie den anderen Koffer geöffnet, war Nina schon wieder neben ihr, nahm zwei Glasfilter heraus und hielt sie sich wie Brillengläser vor die Augen.

»Was machst du denn damit?«

»Jetzt erst einmal gar nichts mehr!« Ärgerlich nahm Leah ihr die Filter wieder ab. »Da, sieh nur«, sie hielt ihr die Filter hin, »alles voller Fingerabdrücke! Was denkst du, wie meine nächsten Fotos aussehen, wenn ich damit fotografiere?«

»Sag nur, da wären meine Fingerabdrücke dann auch drauf?!« Nina zeigte sich begeistert, Leah dagegen seufzte.

Sie suchte in ihrem Koffer nach dem weichen Tuch, um die Filter zu reinigen, und behielt gleichzeitig Nina im Auge. Mit einem Mal musste sie an ihre Mutter denken und wie nervös sie immer auf sie und Anna reagiert hatte, wenn sie es gewagt hatten, sich in ihr Atelier zu stehlen. »Kann dieses verdammte Kindermädchen denn nicht besser auf euch aufpassen?«, hatte sie gezetert und im nächsten Augenblick auch schon durchs Haus geschrien: »Marie, die Kinder! Schaffen Sie diese vielarmigen Kreaturen aus meinem Umfeld! Und wehe, ich erwische sie noch einmal hier!«

Nie würde Leah vergessen, wie traurig sie und Anna dann davongeschlichen waren. Sie hatten doch nur in ihrer Nähe sein wollen, sehen, wie sie an ihren herrlich bunten Ölgemälden arbeitete und wie schön sie dabei war …

Mit einem wehmütigen Lächeln nahm Leah den jetzt wieder spiegelblanken Polarisationsfilter, drehte ihn auf das Objektiv ihrer Kamera, ging in die Hocke und führte Nina vor, wie er funktionierte. Einen Moment lang hörte Nina aufmerksam zu, dann aber interessierte sie sich doch wieder mehr für den Inhalt des Koffers, woraufhin Leah seufzend auf ihre Armbanduhr schaute. Wollte Ninas Freund nicht um zehn Uhr kommen und sie abholen? Da ertönte auch schon das Quietschen des Gartentors.

»Hola, Nina!«, rief Nico gut gelaunt und nickte Leah zu, als wäre sie nicht bloß Ausländerin, sondern auch taubstumm. Als er sah, über welch interessanten Dingen Nina da hing, konnte auch er sich nicht bremsen und nahm mit einem anerkennenden »Caramba!« Leahs teuerstes Teleobjektiv in die Hand. Schnell nahm Leah es ihm wieder ab. »Wirklich, jetzt langt es! Lasst die Sachen, wo sie hingehören! Außerdem wolltet ihr doch weggehen … La pelota jugar al fútbol!« Leah machte eine wedelnde Handbewegung in Richtung Gartentor. Die beiden waren ja penetranter als ein Schwarm indischer Fliegen!

In den Patio trat nun auch Joel. Sein scharf ermahnendes »Nico!« ließ die Kinder herumfahren. Ärgerlich brummte er seinen Sohn an, dass er gefälligst die Finger von dem Koffer lassen sollte, und schickte ihn und Nina mit einem »Vinga, al carrer!« fort. Augenblicklich machten sich die beiden auf den Weg.

Leah lächelte ihn dankbar an. »Son muy movidos«, meinte sie und hätte ihm überdies gern erklärt, dass sie an ebensolche Wirbelwinde nicht gewöhnt war, wozu ihr allerdings das Vokabular. fehlte. Außerdem entging ihr keineswegs, dass Joel an diesem Morgen nicht so aussah, als ob ihm nach Smalltalk zumute wäre. Es lag etwas Grimmig-Verstimmtes in seinem Blick. Schließlich kam Anna. Sie hatte noch das Geschirrtuch in der Hand.

»Hola, Joel!«, rief sie, und dann, an Leah gewandt: »Hat Nina dich sehr genervt?«

Leah lächelte gequält. »Als Assistentin würde ich sie derzeit wohl nicht einstellen.«

Anna grinste, sah zu Joel und wunderte sich über seine düstere Miene. In einer solchen Verfassung hatte sie ihn bisher erst einmal gesehen – am Morgen, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte. Auch da war er mit dicken Bartstoppeln im Gesicht bei ihr aufgetaucht, hatte vor Übernächtigung gerötete Augen gehabt und sie überdies so stark zusammengekniffen, dass man auch ohne große Intuition hatte erahnen können, wie stark es in seinem Kopf gehämmert hatte.

»He, Joel, was ist denn mit dir los?«

Joel setzte zu einer abwehrenden Kopfbewegung an, die er aber sofort abbrach und mit einem schmerzhaften Zusammenziehen seiner dichten, dunklen Augenbrauen kommentierte. »Només era una d’aquestes nits …« – »Es war nur eine von diesen Nächten …«, und dann brummte er noch, dass er eben zwei Aspirin genommen habe, die ihm hoffentlich bald helfen würden.

Anna sah ihn weiterhin an, wartete, ob er noch etwas über die Gründe seines nächtlichen Absturzes sagen würde, doch Joel rieb sich nur stumm die Schläfen. Schließlich dachte Anna sich, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, wenn ihn jemand auf andere Gedanken brächte.

»Du, sag mal«, wandte sie sich zunächst auf Katalanisch an ihn. »Du hast doch bis zu den Heiligen Drei Königen dein Geschäft geschlossen, oder?«

Joel schloss die Augen und öffnete sie wieder, um ein Ja anzudeuten. »Per què?«

»Weißt du, Leah sucht lohnende Fotomotive, und du wärst doch der ideale Führer für sie!« Anna bemerkte, wie sich ein gewisser Unwille in Joels Miene breit machte.

»Na ja, ich dachte bloß …«

Joel nahm die Hände von den Schläfen und wandte sich an Leah. »Du musst schon entschuldigen. Unter normalen Umständen würde ich dich gern zu einem Rundgang begleiten, aber ich … ich bin heute nicht so recht in Form.«

Leah sah ihn erstaunt an. »Sie sprechen ja Deutsch! Und wie gut!«

Joel verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Man bemüht sich … Und ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dich duze – hier bei uns siezt man nur sehr alte oder sehr hochgestellte Persönlichkeiten.«

»Nein, nein, ach woher.« Leah lächelte ihm zu. »Und von wegen ›man bemüht sich‹ – Sie, ich meine, du hast kaum einen Akzent!«

»Wie viele Katalanen habe auch ich eines meiner Studienjahre im Ausland verbracht. Ich war in Berlin – und später habe ich Anna kennen gelernt und Ulrich und dazu die Touristen hier … das hat mir viel Möglichkeit zum Üben gegeben.«

»Und wenn du Leah die Umgebung zeigst, kannst du noch mehr üben«, mischte sich Anna mit einem aufmunternden Lächeln in ihre Unterhaltung ein. »Schließlich hast du ein fotografisch geschultes Auge und bist hier aufgewachsen. Wer sollte ihr die Gegend besser zeigen können als du?!«

»Na, ich natürlich. Ich habe nicht nur momentan Zeit – ich habe immer Zeit! Und eine ganz besondere Ehre wäre es mir außerdem!«, ertönte es da höchst selbstbewusst und mit ausgeprägtem Schweizer »ch« dicht hinter ihnen. Mit einem munteren, von einem kräftigen Schlag auf die Schulter begleiteten »Hola, amigo, qué tal?« drängte sich Ulrich an Joel vorbei, drückte Anna zur Begrüßung kurz die Rechte und baute sich schließlich vor Leah auf. Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie. »Jetzt erst einmal hallo, meine Weiteste! Einen guten Morgen wünsche ich. Ich hoffe, Sie haben angenehm geruht!«

Leah nickte ihm freundlich zu, Anna dagegen hob unwillig die Augenbrauen. »Was treibt denn dich so früh hierher?« Ihre Verärgerung vom Vortag stieg augenblicklich wieder in ihr hoch. Und was roch er heute früh überhaupt so penetrant nach Rasierwasser? Sonst benutzte er das doch nur an Weihnachten und an seinem Geburtstag!

Statt Anna zu antworten, hing Ulrich mit seinen Augen an Leah.

»Wenn Sie wollen«, meinte Ulrich frohgemut, »könnten wir gleich heute früh losziehen, dann zeige ich Ihnen die Gegend. Wie ich sehe, haben Sie Ihre Ausrüstung ja schon zusammengestellt!«

Anna sah Joel an und erkannte an seinem Blick, dass sie nicht die Einzige war, die das, was hier vorging, mit Missfallen erfüllte. Aber er hatte schließlich seine Chance gehabt!

»Was halten Sie davon, wenn wir zuerst zum Port gehen?«, schweizerte Ulrich weiter. »Der Port, also, der Hafen, der ist wirklich schön anzusehen!«

Leah schaute von Joel zu Anna, dann, mangels einer Reaktion von ihnen, wieder zu Ulrich. »Ja, gern, warum nicht«, stimmte sie zu und warf Anna noch einmal einen fragenden Blick zu. »Oder durchkreuze ich damit deine Pläne?«

Anna schüttelte den Kopf. Und so packte Leah ihre kleine Fototasche fertig und trug noch schnell die beiden großen Fotokoffer zurück in ihr Zimmer.

Als Leah aus ihrem Zimmer trat, sah sie, dass Anna in der Küche stand und Kartoffeln schälte, während die beiden Männer sich draußen im Patio unterhielten. Unschlüssig blieb Leah an der Türschwelle stehen.

»Mensch, Anna, dass du das Essen vorbereitest, während ich da draußen mehr oder minder spazieren gehe, finde ich nicht richtig«, meinte sie. »Warum hast du mir denn nicht gesagt, was zu tun ist? Diese Hafenbesichtigung kann ich doch genauso gut noch heute Mittag machen.«

»Lass nur. Ist schon in Ordnung so«, erwiderte Anna, wobei sie ihr allerdings beharrlich weiter den Rücken zuwandte. »So ein bisschen Kartoffelschälen hat noch keinen umgebracht.«

»Demnach würde es auch mich nicht umbringen«, konterte Leah sanft, ging ein paar Schritte auf ihre Schwester zu, wurde dann aber unsicher und blieb auf halbem Wege stehen. »Anna, wirklich, ich verschiebe den Rundgang gern! Ich merke doch, dass dich etwas daran stört.«

Anna schüttelte stumm den Kopf. Leah griff nach der Rückenlehne des blauen Stuhls an ihrer Seite und umfasste sie so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Was ist los, Anna? Irgendetwas stimmt doch nicht!«

»Rede dir nichts ein.« Mangels einer freien Hand – in der einen hielt sie den Kartoffelschäler, in der anderen eine Kartoffel – rieb sich Anna ihre Nase an der Schulter. Leah war sich nicht sicher, ob das Geräusch, das dabei entstand, ein Schniefen war.

»Anna, was ist?«

»Nichts ist, wirklich!«

Leah zuckte mit den Schultern. Allmählich wurde es ihr zu dumm, wie ein Pennäler dazustehen, dem etwas vorgeworfen wurde, das nicht in Worte gefasst wurde. »Vielleicht schaffen wir es ja nachher, in Ruhe zu reden«, meinte sie und ging. Dass Anna ihr noch ein trotziges »Wir essen um eins!« nachrief, hörte sie nicht.

Kaum sah Anna, dass sich das Gartentor hinter Leah und Ulrich schloss, warf sie die Kartoffel, die sie zuletzt geschält hatte, so heftig zu den anderen in den Topf, dass ihr das Wasser bis hoch ins Gesicht spritzte. Widerwillig fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Wangen, und was ihren Ärger noch schürte, war die Tatsache, dass es dort noch mehr zu trocknen gab als nur ein paar harmlose Wasserspritzer.

»Warum sagst du es ihr nicht?«, erklang Joels Stimme hinter ihr. Sanft legte er ihr die Hand auf die Schulter.

»Was denn?« Dunkel bohrte sich Annas Blick in die weißen Wandfliesen. »Dass ich es hasse, Kartoffeln zu schälen?«

Joel gab ihr eine Kopfnuss. »Dass du Ulrich liebst, natürlich!«

Anna drehte sich zu ihm um. »Wie kommst du denn darauf?«

»Stimmt es etwa nicht?«

»Und selbst wenn!« Energisch strich sich Anna das Haar aus dem Gesicht. »Was würde es für einen Unterschied machen?! Ulrich und ich sind seit sechs Jahren Nachbarn. Da sollte man eigentlich annehmen, dass ich genug Zeit gehabt hätte, ihn zu erobern, oder?«

Joel schmunzelte und nahm Anna das Küchenmesser ab. »Jetzt schneide mir nicht den Kopf ab, nur weil ich mir Gedanken um dich mache.«

Anna seufzte. »Wie … wie kommst du überhaupt darauf, dass ich mich in ihn verliebt habe?«

»Ich weiß nicht. Es war einfach so ein Gefühl, als ich dich gestern beobachtet habe, während Ulrich so verzückt auf deine Schwester reagiert hat.«

»Du hast ja auch nicht eben wenig reagiert!«

»Was hast du denn erwartet?« Joel zog die Stirn kraus und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche des Küchenschranks. »Sie ist halt eine Frau, an der man als Mann nicht vorbeischauen kann. Wirklich betroffen war ich allerdings, als sie mich gestern begrüßte. Mit demselben Wort und diesem viel sagenden Lächeln hat damals auch meine Frau auf meine ersten Worte reagiert. Na ja, und heute Nacht kam dann irgendwie der ganze Schlamassel mit meiner Exfrau wieder in mir hoch.«

»Deswegen also die Aspirin.«

Joel nickte. »Aber jetzt bin ich wieder in Ordnung!«

Anna rieb ihm über den Arm. »Wir zwei allein erziehende Elternreste sind aber auch schon verdammte Pechvögel!«

»Unsinn, Pech!« Joel strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir haben einen Fehler gemacht. Man muss nur etwas daraus lernen.«

»Hörst du eigentlich gar nichts mehr von Nicos Mutter?«

»Neulich hat sie mal wieder eine Postkarte geschrieben. Diesmal aus Buenos Aires. Der Typ, den sie sich an Land gezogen hat, scheint rund um den Erdball Firmen zu haben.«

»Immerhin denkt sie noch an Nico. Ninas Vater dagegen verschwand in dem Moment, in dem ich ihm gestand, dass ich schwanger war!«

»Ich weiß nicht, ob ein klarer Schlussstrich für Nico nicht leichter zu akzeptieren wäre als diese dreimonatigen Postkarten- oder Anrufaktionen. Ich bin nur froh, dass er und Nina sich so nahe stehen. Die beiden geben einander jede Menge Halt, findest du nicht auch?«

»Ja, das tun sie.«

Joel zog Anna mit einer kameradschaftlichen Umarmung an sich. »Und jetzt will ich wissen, was zwischen dir und Ulrich ist.«

»Zwischen uns ist erst mal gar nichts. Ich befürchte, ich stehe mit meinen Gefühlen recht allein da. Und ich kann noch nicht einmal sagen, wann sie sich in diese Richtung entwickelt haben. Die erste Zeit, als Ulrich noch mit seiner Frau hier wohnte und ich mit Juan zusammen war, waren wir vier einfach gute Freunde. Dann kam Ulrichs Frau ums Leben, ich schwelte wegen Juan in Liebeskummer … Wir haben einander damals gebraucht – als Zuhörer, als Freund, als jemand, der einem das Gefühl gibt, nicht allein zu sein. Nach einer Weile lief irgendwie alles wieder auseinander.«

Joel nickte.

»Na ja, und jetzt, die letzten Monate … Auf einmal klopft mein Herz wie wild, wenn ich ihn sehe.« Sie lachte. »Blöd, was, nach all der Zeit?«

»Liebe ist nicht blöd.«

»Wenn sie einseitig ist, schon!«

»Noch weißt du doch gar nicht, ob sie das wirklich ist.«

Anna sah zu Joel auf und dachte einen Moment lang nach. »Nein, wissen tue ich es nicht. Aber wenn ich sehe, wie heftig Ulrich auf Leah reagiert …« Anna merkte, dass ihr Tränen in die Augen traten; sie versuchte, sie durch ein trotziges Lachen wegzudrücken. »Eigentlich sollte ich ja dran gewöhnt sein! Schon als unser Vater noch lebte und Leah und ich abends manchmal zusammen loszogen, hatten die Männer immer nur Blicke für sie. Es ist, als würden ihre smaragdgrünen Augen sie behexen!«

Joel zog sie noch fester an sich und rieb ihr über den Rücken. »Nun mal immer mit der Ruhe! Noch ist nichts verloren.«

Anna drückte ihre Stirn an Joels Schulter, schüttelte leicht den Kopf und fragte sich einmal mehr, warum sie sich nicht einfach in ihn hatte verlieben können.

Kapitel 5

Als Leah mit Ulrich die ersten Häuserecken hinter sich gelassen hatte, wurde sie wieder unsicher. Sollte sie nicht doch lieber zurück zu Anna gehen und gleich jetzt das Gespräch mit ihr suchen? Sie blickte zu Ulrich und überlegte, ob sie ihn um Rat fragen sollte, zumal er Anna sicher besser kannte als sie, doch der gab ihr gar keine Chance, zu Wort zu kommen. Ohne Punkt und Komma redete er erst vom Wetter, welches für die Jahreszeit viel zu warm sei, erzählte dann, dass er im Herbst eine Heizung in sein Haus eingebaut hätte, und beschwerte sich, dass er bislang noch gar keine Gelegenheit gehabt habe, das edle Ding auszuprobieren. »Aber hier bei den Spaniern funktioniert ja sowieso nie etwas, wie es soll«, erklärte er ihr weiter. »Wie sollte das ausgerechnet beim Wetter anders sein?!«

Leah musste grinsen, verwarf damit zugleich den Gedanken, ihn in ihre Probleme mit Anna hineinzuziehen, und sah sich ihre Umgebung genauer an. Die schönen, alten, weiß oder pastellfarben gestrichenen Häuser mit ihren hohen Sprossenfenstern und Stehbalkonen kamen ihr vertraut vor, und doch hätte sie, wenn Ulrich sie allein gelassen hätte, schon jetzt nicht mehr den Weg zu Annas Haus gefunden. Leahs Blick fiel auf ein Haus mit einem hübschen Erkervorbau. Sie blieb stehen, warf einen Blick zur Ladentür, sah, wie eine Frau diese öffnete, und hörte das leise Bimmeln kleiner Glöckchen. Ja!, dachte sie da, dieser Tante-Emma-Laden war schon früher hier gewesen, und die Glöckchen waren auch noch dieselben. Leah erinnerte sich an die damals schon sehr alte Ladeninhaberin, die ganz fürchterlich geschielt hatte, und überlegte, ob sie wohl noch lebte. Die Geschäfte in den anderen Häusern waren Leah dagegen völlig fremd. In einem Schaufenster wurden sündhaft teure Handtaschen von Tous angeboten, in anderen waren edle Markenkleider zu sehen oder unbezahlbarer Schmuck … Ja, dachte Leah, Sitges war exklusiver geworden, noch exklusiver, und sie war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel. Aber etwas anderes hatte sie wohl nicht erwarten dürfen.

Plötzlich wurde Leah auf ein Caféhaus aufmerksam, das ebenfalls alte Erinnerungen in ihr wachrief. Ohne Ulrich etwas zu erklären, drückte sie ihm ihre Kameratasche in die Hand, rannte zu dem Gebäude und presste ihre Nase an eines der hohen alten Sprossenfenster. Ganz wie früher saßen auch heute unzählige Jugendliche in den tiefen, eigentlich fürchterlich unbequemen Bambussesseln und rauchten und schwatzten, gestikulierten und lachten. Auch sonst hatte sich in dem Café nichts verändert, sogar die andalusisch anmutenden weiß-blauen Kacheln, mit denen die Wände bis zur Schulterhöhe gefliest waren, waren noch dieselben. Als Ulrich neben sie trat, strahlte Leah ihn an. »In diesem Café habe ich meinen ersten Kuss bekommen!«

Ulrich unterbrach seinen Vortrag und warf selbst einen Blick durch das Fenster. Als Leah sah, wie hoch konzentriert er das tat – gerade so, als erwartete er, sie persönlich darin beim Knutschen zu erwischen –, lachte sie auf und spürte, wie eine Woge guter Laune in ihr hochsprudelte. Erfüllt von einer plötzlichen Leichtigkeit, hakte sie Ulrich unter und zog ihn mit sich. »Kommen Sie«, rief sie, »kommen Sie! Da vorn muss doch irgendwo das Meer sein. Ich will es sehen! Na los, jetzt kommen Sie schon!«

Ulrich blickte sie irritiert an und geriet infolge ihrer übermütigen Geste gar ins Stolpern, was Leah noch mehr zum Lachen brachte. »Jetzt seien Sie doch nicht so steif!«, rief sie ihm zu, worauf Ulrich wirklich zügiger mitlief und bald selbst ein kleines Lächeln um die Lippen zeigte.

Schon eine Häuserecke weiter näherten sie sich der Strandpromenade. Ohne lange nach links oder rechts zu schauen, zog Leah Ulrich weg von den Cafés und Restaurants über die Straße, um zu der erhöht gebauten Uferpromenade zu gelangen. Als Ulrich sie am Überqueren der Straße hindern wollte, riss sie sich los. Bremsen quietschten, der Fahrer des Wagens fuchtelte ärgerlich herum, doch Leah lachte nur, und auch Ulrichs erschrockenes Schimpfen nahm sie nicht ernst. Übermütig lief sie weiter, und bis Ulrich ihr nachgekommen war, stand sie schon mit ausgebreiteten Armen unter einem riesigen Gummibaum. »Mein Gott, was der für gigantische Ausmaße angenommen hat!«

»Wenn Sie auch nur halb so alt werden wollen wie der, sollten Sie sich angewöhnen, erst einmal nach rechts und links zu schauen, bevor Sie über die Straße rennen!«

»Warum? Die Bremsen des Wagens haben doch prima funktioniert!« Lachend lief Leah weiter zu den Dattelpalmen. »Und die reichen inzwischen ja auch bis zum Himmel!«

Schließlich zog es sie zu der weißen Betonbrüstung, zu deren Füßen sich der Strand ausbreitete – der makellose, zuckerfeine, endlos lange Sandstrand von Sitges – und das Meer, das sich heute so sanft wie eine Katze an das Ufer schmiegte. Leah ließ ihren Blick zum Horizont wandern, atmete tief ein und hatte mit einem Mal das Gefühl, schon seit Jahren nicht mehr richtig Luft bekommen zu haben. »Mein Gott«, entrang sich ihr ein Seufzer. »Wie verdammt schön es hier doch ist!«

Je länger Leah so dastand und den Ausblick genoss, desto heftiger stieg ein Gefühl von Glück in ihr hoch. Sie legte die Arme um sich, als brauchte sie Halt, um dieses unerwartete, schier unbändige Glück ertragen zu können. Dann aber spürte sie, dass es zu viel für sie allein war, und wirbelte mit glitzernden Augen und ausgebreiteten Armen zu Ulrich herum. »Ach, wie schön, wie schön, wie wunderschön hier alles ist!«, rief sie dabei. »Und dann das Licht, all das viele Licht und der Raum und diese endlose Weite!« Leah drehte und drehte sich, wie es die Kinder tun – bis sie ins Trudeln geriet. Ulrich fing sie auf. Leah empfand die Berührung durch Ulrichs Hände als angenehm warm und zupackend; sie fühlte sich gehalten, hatte aber doch nicht das Gefühl, festgehalten zu werden. Herausfordernd sah sie ihm in die Augen und ließ ein freches Lachen erklingen. Als er sie nur weiter ansah, riss sie sich los und lief zurück zur Brüstung. Sie musste das Meer noch einmal sehen, das Meer und den Horizont. Und die Luft einatmen. Diese wunderbare Luft! Mein Gott, seufzte Leah, warum bin ich bloß in all den Jahren nicht mehr hier gewesen?!

Leah hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als sie Ulrichs Hand auf der Schulter spürte und er sie fragte, ob sie nicht weitergehen wollten. »Was halten Sie davon, wenn wir zum Port Aiguadolç gehen? Falls Ihnen die Trennung vom Meer zu schwer fällt, können wir ja am Strand entlang laufen …«

Als Leah ihren Blick aus der Ferne zurückholte, überfiel sie eine feine Wehmut, die ihr allerdings nicht unangenehm war. Sie war ruhig geworden, ganz friedlich war ihr jetzt zumute, beinahe feierlich. Sie nickte. »Ja, gehen wir.«

Sie liefen ein Stück an der Uferpromenade entlang, stiegen dann die Stufen zu der majestätisch über den Felsen thronenden Pfarrkirche hinauf, einem der Wahrzeichen von Sitges, und kamen bald zum Strand Sant Sebastià, wo Leah die Bananenstauden bewunderte und sich an einem der in kräftigen Rottönen aufblühenden Hibiskusbüsche eine Blüte abbrach. Wenig später erreichten sie den Sporthafen. Leah ließ sich ihre Kameratasche von Ulrich wiedergeben und nahm ihre kleine Canon heraus. »Darf ich das erste Foto von Ihnen machen?«

Ulrich lachte. »Aber warum das denn?«

»Nur so.« Leah spürte, dass sie rot wurde. Privat machte sie normalerweise nie Fotos. »Es würde mir einfach Spaß machen …«

Ulrich zuckte mit den Schultern und stellte sich vor einem der Segelboote in Position. Leah drückte auf den Auslöser und lief anschließend mit ihm über die wankenden Stege zwischen den Booten. Plötzlich wurde sich Leah bewusst, dass Ulrich weniger die Boote als vielmehr sie betrachtete.

»Was ist?«, kokettierte sie. »Habe ich einen schwarzen Punkt auf der Nase?«

»Nein, ein lila Dreieck!«, gab Ulrich kameradschaftlich zurück und ging etwas schneller. Leah behielt ihr Tempo bei und fiel allmählich zurück. Es ärgerte sie, dass Ulrich sich von ihr so wenig aus der Reserve locken ließ. Wenngleich ihr gestern aufgefallen war, dass Anna wohl ein bisschen ein Auge auf Ulrich geworfen hatte, so hatte sie doch nicht das Gefühl gehabt, dass auch er sich romantischer Gefühle für ihre Schwester hingab, sondern unterstellte ihm eigentlich, dass er für sie nichts als Freundschaft empfand. Umso mehr reizte es sie zu sehen, wie weit sie bei ihm käme – und umso mehr wurmte es sie, dass er nicht mal den kleinsten Flirt zuließ. Schließlich war ihr nur zu bewusst, wie Männer normalerweise auf sie reagierten. Sie sah ihm nach, und erst jetzt, wo sie ihn von hinten sah, fiel ihr auf, wie gut er gebaut war: der kräftige Nacken, die breiten Schultern, die schmalen Hüften, der für sein Alter noch beachtlich knackige Hintern, die muskulösen Schenkel …

»Was hat Sie eigentlich nach Spanien getrieben?«, rief sie ihm hinterher. Als Ulrich ihr nicht antwortete, legte Leah ein wenig an Tempo zu, um wieder auf eine Höhe mit ihm zu kommen, und wiederholte ihre Frage. Doch Ulrich antwortete auch jetzt nicht.

»Ui«, rief Leah, bewusst um Übertreibung bemüht, »da scheine ich ja an ein Staatsgeheimnis zu rühren.«

Nicht mal ein Zucken um die Mundwinkel verriet, was Ulrich dachte. Leah überlegte, ob er sie vielleicht nicht gehört hatte. Sie überholte ihn, drehte sich zu ihm um und lief nun rückwärts vor ihm her. Eine heftige Bö blies ihr das Haar ins Gesicht. Mit beiden Händen strich sie es zurück und sah Ulrich mit kessem Lächeln an. »Das spanische Essen mögen Sie nicht, die medizinische Versorgung finden Sie katastrophal, die Hitze im Sommer erdrückt Sie … Da muss man sich doch fragen, was Sie hergetrieben hat!«

»So, muss man das?« Ulrich sah sie an, grinste. »Na, wenn man das muss!«

Verdrossen lief Leah weiter und dachte schon, dass er nichts mehr sagen würde, als er plötzlich mit dem Kinn auf einen besonders schönen Zweimaster wies, der zwischen kleineren Segelbooten am Kai vertäut lag. »Vielleicht bin ich in Sitges, weil es hier so herrliche Boote gibt.« Er sah Leah mit einem Lächeln an, das sie nicht zu deuten wusste. »Allein die Planken auf diesem Boot … Sehen Sie, wie glatt die sind? Wie die glänzen? Da möchte man doch am liebsten hingehen und darüber streichen, nicht wahr?«

»Und das soll eine Antwort auf meine Frage sein?« Leah schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf. »Sorry, nehme ich Ihnen nicht ab!«

Ulrich grinste noch breiter. »Sie sind hartnäckig, was?«

»Wenn Sie es partout für sich behalten wollen …« Leah zuckte mit den Achseln, obwohl seine ausweichenden Antworten sie nur noch neugieriger gemacht hatten. Verdammt, was zierte er sich denn so? »Gut, aber dann verraten Sie mir wenigstens, was Sie gemacht haben, bevor Sie hierher gekommen sind!«

Ulrich vollführte eine vage Handbewegung durch die Luft und wandte sich wieder dem Boot zu. »So dies und das …«, und dann, wie zu sich selbst: »Möchte wirklich wissen, was so ein Ding kostet! Wahrscheinlich auch nicht weniger als ein Häuschen hier.«

»Sie wirken nicht unsicher, aber das sind jene Männer, die partout den großen Unbekannten spielen müssen, für gewöhnlich doch.«

Ulrich ging neben dem Boot auf und ab; Leah hatte das Gefühl, dass sie zu weit gegangen war. Bevor sie sich entschuldigen konnte, fing Ulrich an zu reden. »Warum müssen die Leute einen immer damit löchern, was und wo man arbeitet oder gearbeitet hat? Sind sie denn so blind, dass sie sich nur dann ein Bild von einem machen können, wenn sie wissen, welchen Beruf man hat?! Aber bitte, damit Sie nicht denken, ich will mich wichtig machen: Ich war beim Internationalen Roten Kreuz. Fünfzehn Jahre lang.«

»In Krisengebieten?«

»Wo sonst?!« Ulrich ging in die Hocke und blickte in die Kajüte des Segelbootes.

»Aber das ist doch eine sehr einnehmende Arbeit, oder?«

Ulrich verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein, um noch besser in die Kajüte sehen zu können. »Richtig nobel da drin, schauen Sie mal!«

»Ich meine«, fuhr Leah unsicher fort, »das ist doch eine Arbeit, bei der man sich innerlich sehr engagiert und die einen entsprechend belastet. Haben Sie deswegen aufgehört?«

Ulrich richtete sich auf und schüttelte ärgerlich den Kopf. »Sie sind doch Fotografin, nicht wahr?«, erwiderte er. »Wozu also die vielen Fragen? Sie müssen sich doch auch sonst auf das Bild verlassen, das Sie sehen!«

»Vielleicht kommt meine Neugier daher, dass ich so viel mit Journalisten zusammenarbeite. Ich habe mich wohl infiziert.« Wieder blies eine heftige Bö Leah die Haare ins Gesicht. »Außerdem waren die Fragen doch ganz harmlos. Wieso fühlen Sie sich trotzdem gestört?«

Ulrich sah sich um. Sein Blick blieb an der Uferpromenade hängen, wo sich ein Restaurant ans andere reihte. »Vielleicht, weil ich Hunger habe.«

»Oder ist die Antwort eben der Kontrast? Dort der Krieg, die Armut, die Not – hier die Fülle, der Überfluss? Wie dieses Segelboot – eine wunderschöne Spielerei. Wie viele Menschen man davon wohl ernähren könnte?«

»Geben Sie es auf!« Ulrich lachte. »Ich gehe auf die fünfzig zu. Da will man nicht mehr die Welt verbessern, sondern bequem dasitzen und sich den Magen mit guten Sachen voll schlagen! Also, meine Liebe, wie steht’s? Wenn Sie nur halb so viel Hunger wie Fragen haben, würde ich Sie gern zu einem Mittagessen in einem der Hafenrestaurants einladen.«

Leah musterte ihn. Es irritierte sie, dass er weit mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hatte. Auch dies war sie von einem Mann nicht gewohnt. »Ich dachte, Sie hassen die spanische Küche?!«, wagte sie einen letzten Vorstoß.

»Tue ich auch«, lachte Ulrich. »Aber sie soll sehr gesund sein, und gegen das Altwerden habe ich nichts einzuwenden. Muscheln, Gambas, Langusten – ein Mineralstoffcocktail erster Güte.« Er hob das Kinn. »Also, wie steht es mit Ihnen?«

Leah nickte. »Gut, aber ich bezahle – als Entschädigung dafür, dass ich Ihr Gästezimmer demnächst mit meinen Koffern zustelle.«

»Nein, die Einladung habe ich ausgesprochen, also zahle ich auch!«, beharrte Ulrich. »Und wenn schon Entschädigung, dann soll mir dies Ihre Gesellschaft sein. Übrigens hätte ich es sowieso viel netter gefunden, wenn nicht nur Ihre Koffer, sondern gleich Sie selbst bei mir einzögen«, fügte er augenzwinkernd hinzu.

Leah überlegte, ob er dies nun im Ernst oder im Spaß gesagt hatte. Hunger indes hatte sie auf jeden Fall, und an Annas Kartoffeln dachte sie schon lange nicht mehr.

Kapitel 6

Noch bevor Leah und Ulrich das Gartentor geöffnet hatten, hörte Anna schon Leahs helles Lachen. Sie hatte gerade den Abwasch beendet und cremte sich die Hände ein, die von ihrer Arbeit an der Tonscheibe immer sehr trocken und rissig waren.

»Anna?« Fröhlich schallte Leahs Stimme in das Haus hinein. »Bist du da?«

Zögernd trat Anna hinaus in den Patio und nickte den beiden wortlos zu.

»Mensch, Anna«, strahlte Leah. »Wenn du wüsstest, wie gut wir gegessen haben! Zur Vorspeise Muscheln à la marinera und als Hauptspeise sepia mit Kartoffeln. Es war ein Gedicht!«

Anna senkte den Blick auf ihre Hände. »Wir hatten nur Seehecht …«

»Jetzt sag bloß nicht, dass du mit dem Essen auf mich gewartet hast …« Leah biss sich auf die Lippen. »Sicher hast du das! Ach, Anna, wie Leid mir das tut …«

Anna sah kurz zu ihr auf. »Macht nichts. Und, wie gesagt, es war ohnehin nur Seehecht.«

»Aber so, wie du ihn zubereitest, ist er ebenfalls eine Delikatesse!« Ulrich zwinkerte ihr versöhnlich zu und legte ihr kurz den Arm um die Schulter. »Komm, Anna, nun schau nicht so! Es war meine Schuld. Ich war einfach kurz vorm Verhungern und habe deine Schwester eingeladen.«

Anna ging an Ulrich vorbei zum Tisch, wo sie einen der Stühle erst gerade an den Tisch heranrückte und ihn dann zurückzog. »Bitte, setzt euch doch …«

Ulrich rückte einen Stuhl für Leah zurecht, setzte sich selbst auf den von Anna bereitgestellten und plauderte munter weiter. Eine Weile hörte Anna ihm im Stehen zu, dann wurde sie auf ein paar verwelkte Blütenköpfe an der Kletterrose aufmerksam, die an der Mauer zum Nachbargrundstück hochrankte. Geistesabwesend drehte sie die verwelkten Blütenköpfe ab. Als sie Leah lachen hörte, kam ihr der Gedanke, neben ihr nicht viel attraktiver als diese vertrockneten Blüten zu sein. Von einem plötzlichen Widerwillen gepackt, warf sie sie unter den Rosenstock.

»He, Anna!« Ulrich beugte sich zurück und zupfte an Annas Strickjacke. »Nun setz dich doch zu uns, ist ja ganz ungemütlich so.«

»Ja, sicher, gleich«, erwiderte Anna, blieb aber mit dem Gesicht zur Mauer gewandt. Krampfhaft versuchte sie, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken, doch er hielt sich hartnäckig, und schließlich spürte sie auch noch Tränen aufsteigen. Hastig wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen und fragte sich, warum sie Leah unbedingt hatte einladen müssen. Hätte sie sich nicht denken können, dass sie mit ihr die gleichen Probleme wie früher haben würde?

Wieder zog Ulrich an ihrer Strickjacke. »Na, Mädchen, was ist denn nun? Träumst du?«

Anna schüttelte den Kopf und bekam sich wieder in die Gewalt. »Nein, nein.« Sie drehte sich um. »Was wollt ihr trinken?«

»Ein Bier, wenn du eines hast, aber nur, wenn es schön kalt ist.« Ulrich lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück. Leah zuckte mit den Achseln. »Was dir gerade in die Hände fällt. Oder, warte mal, hast du vielleicht einen Wein offen?«

Anna nickte. Sie war froh, in der Küche verschwinden zu können.

Als sie mit ihrem Tablett wieder in den Patio trat, lachten die beiden gerade lauthals miteinander. Leah strahlte Anna an. »Es wundert mich nicht, dass du es hier so gut aushältst – bei der amüsanten Gesellschaft!«

Anna zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht und stellte die Getränke hin. Leah nahm einen Schluck von dem Wein und lobte ihn über alle Maßen. Dann erzählte sie Anna, dass Ulrich ihr angeboten hatte, sie morgen nach Terramar zu begleiten. »Weißt du noch, wie wir dort als Jugendliche herumgestrolcht sind und heimliche Blicke in die Gärten der Reichen geworfen haben?« Sie lachte. »Einige der Häuser sind uns wie Paläste vorgekommen!«

»Und das werden sie auch heute noch!« Ulrich nickte ihr mit gewichtiger Miene zu. »Reinster Noucentista-Stil! Man kann gegen die Spanier sagen, was man will: Häuser bauen können sie – wenn sie wollen!«

Anna setzte sich zu ihnen, obwohl ihr bewusst war, dass sie auch damit nicht dazugehören würde. Tatsächlich waren die beiden so sehr miteinander beschäftigt, dass sie nicht einmal mehr das Wort an sie richteten. Schließlich erhob Anna sich wieder. »Es macht euch doch sicher nichts aus, wenn ich euch jetzt allein lasse …« Sie bemühte sich um eine gleichmütige Miene. Leah sah zu ihr herüber. »Ausmachen, nein, aber warum? Wir sitzen hier doch so nett … Hast du etwas vor?«

»Ich muss noch einmal in die Werkstatt. Ich habe da ein paar Vasen einzupacken. Sie gehen nach Mallorca, morgen, per Schiff. Joel will sie mir später zur Spedition bringen.«

»Aber da könnte ich doch mitkommen!« Leah richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Ich bin schon ganz neugierig auf deine Werkstatt und die Sachen, die du dort herstellst.«

»Die kann ich dir auch noch ein andermal zeigen.« Anna machte eine vage Handbewegung. Alles, bloß das nicht, dass Leah jetzt auch noch mit ihr käme – und womöglich noch mit Ulrich im Schlepptau!

Anna spürte, wie Leah sie musterte und ihr Blick dabei etwas Fragendes bekam. Sie errötete, doch selbst das war ihr jetzt egal. Eingehüllt in eine plötzliche Geschäftigkeit, lief sie zum Haus. »Die Werkstatt läuft dir ja nicht weg!«, rief sie noch, wobei ihre letzten Silben schon vom Haus verschluckt wurden. Hastig ging sie in ihr Zimmer und schnappte sich einen alten Pullover. Wenn sie den Brennofen nicht anhatte, war es um diese Jahreszeit lausig kalt in der Werkstatt. Bevor Anna ihr Zimmer wieder verließ, wurde ihr bewusst, dass das Gespräch der beiden verstummt war. Sie hörte, dass Leah ihren Stuhl rückte. Es musste Leah gewesen sein, denn der Kies knirschte, und Ulrich hob Stühle immer hoch. Er vermied es, Geräusche hervorzurufen.

»Ich würde ihr jetzt nicht nachgehen.« Das war Ulrichs Stimme.

Anna hörte, dass Leah sitzen blieb.

»Warum?«, fragte sie.

Ulrich lachte. »Warum was?«

»Warum ist sie so? Warum konnte sie nicht bei uns sitzen bleiben? Nicht mit uns lachen? Als ich heute Morgen ging, war sie auch schon so komisch. Dabei war beim Frühstück noch alles in Ordnung! Was habe ich ihr bloß getan?«

»Nichts, nehme ich an. Sie hatten ja auch noch kaum große Gelegenheit dazu.«

Anna zog sich den Pullover über. Sie wollte gehen. Und sie wollte nicht mehr zuhören müssen.

»Aber irgendetwas muss ich doch getan haben!« Dies war wieder Leahs Stimme.

»Ach woher! Anna ist manchmal einfach ein wenig anstrengend. Am besten, Sie gewöhnen sich daran!«

Anna biss die Zähne zusammen und verließ das Haus durch die Vordertür.

Kaum eine halbe Stunde brauchte sie, um die Vasen in luftgepolsterte Folie einzuwickeln und in die Kisten zu packen. Anschließend stand sie unschlüssig in der Werkstatt herum und spürte, wie ihr die Kälte des Raumes die Beine hoch kroch. Sie erwog, sich mit einem dicken Klumpen Ton an die Drehscheibe zu setzen, da es ihr beim Arbeiten immer schnell warm wurde, entschied sich dann aber doch dafür, die Werkstatt zu verlassen. Da sie befürchtete, dass Ulrich und Leah noch immer in ihrem Patio beieinander saßen, streifte sie durch die Altstadt, die an diesem Nachmittag auf angenehme Weise verlassen wirkte. Nur vereinzelt traf sie auf Spaziergänger, noch seltener auf Bekannte. Sie lief zur Plaza Miguel Utrillo, einem hoch über dem Meer liegenden Platz, auf dem das barocke Stadthaus, das Museum Marcicel de Mar und die alte Pfarrkirche lagen. Anna ging bis zu dem Punkt, wo zwischen zwei alten Häusern ein schmaler Weg, der von den Einheimischen die »5th Avenue« genannt wurde, den Durchgang zur Seeseite erlaubte. Wie immer bereitete ihr das Durchqueren des tunnelartigen Ganges ein besonderes Vergnügen. Sie empfand ihn wie das Öhr zu einer anderen Welt, und dies heute noch stärker als sonst: Am Ende des dunklen Ganges erwarteten sie eine sonnenbestrahlte Sandsteinmauer, ein hellblauer Himmel und ein heiter glitzerndes Meer …

In der völligen Stille des Ganges wurde Anna sich bewusst, wie angespannt sie seit Leahs und Ulrichs Rückkehr war. Doch kaum hatte sie den ersten Schritt auf den sonnigen kleinen Platz getan und die herrliche, unbelastete Luft dort eingeatmet, da spürte sie auch schon, wie all ihre schweren Gedanken von ihr abfielen. Mit einem erleichterten Aufseufzen setzte sie sich auf das Mäuerchen, zu dessen Füßen das Meer gegen die Felsen klatschte, und genoss die Abgeschiedenheit dieses Winkels mit beinahe katzenhafter Zufriedenheit.

Eine gute Viertelstunde mochte sie dort gesessen haben, als sich eine ruhige Hand auf ihre Schulter legte. »Aquí estàs bé, filla meva, oi que si?«»Hier geht es dir gut, mein Kind, nicht wahr?«, sagte eine dunkle Frauenstimme auf Katalanisch zu ihr.

Anna legte den Kopf zurück und lächelte Joels Mutter an. »Hola, Mama García«, begrüßte sie die alte Frau, die sich zu ihr setzte und ihr über die Wange strich.

»Schade, dass deine Schwester und du so einen schwierigen Start habt!«, fuhr sie auf Katalanisch fort.

Anna wunderte sich nicht, dass Mutter García von ihren Problemen mit Leah wusste. Schließlich kannte sie Mutter García schon seit vielen Jahren und hatte in dieser Zeit immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sie einfach über alles Bescheid wusste, obgleich man nur selten erahnen konnte, warum. »Haben Sie Leah schon gesehen?«

»Sicher habe ich das.« Mutter García blickte hinaus aufs Meer. »Als sie ankam, habe ich ihr den Weg gezeigt.« Mutter García machte eine Kunstpause und meinte dann: »Leah ist kein schlechter Mensch, Anna, sie ist nur einsam; sehr sogar. Einsamer, mein liebes Kind, als du es je gewesen bist!«

Anna sah zu ihr hinüber. »Aber ich habe doch gar nicht behauptet, dass sie schlecht sei.«

Die alte Frau stand mühsam auf. »Aber vielleicht denkst du es eines Tages …«

Irritiert sah Anna, wie sie in dem dunklen Tunnelgang verschwand, und spürte die geradezu mystische Stimmung dieses Platzes stärker denn je.

Als Anna eine Stunde später nach Hause kam, begegnete sie Leah so freundlich und herzlich, als hätte sie ihr ein Unrecht getan. Leah merkte wohl den Wandel in Annas Stimmung und Verhalten, fand aber keine Erklärung dafür, und da sie so wenig vertraut miteinander waren, hatte sie auch nicht das Zutrauen, sie darauf anzusprechen. Also begegnete sie ihrer Schwester einfach ebenso freundlich und offen und hoffte, dass die Zeit sie einander näher bringen würde.

Viel Gelegenheit, über ihr Verhältnis zueinander nachzudenken, hatten Leah und Anna in den nächsten Tagen ohnehin nicht, da Nina beinahe ständig um sie herum war und umso aufgeregter herumzappelte, je näher der Vorabend der Heiligen Drei Könige rückte. Pausenlos redete sie von den Königen, dem Umzug durch den Ort und den Geschenken, die sie sich erhoffte. Nina war gerade in dem Alter, in dem sie zwar nicht mehr an solch geheimnisvolle Männer wie den Weihnachtsmann oder eben die Heiligen Drei Könige glaubte, andererseits aber auch nicht auf die damit verbundenen Geschenke verzichten wollte. Lautstark erklärte sie Leah, dass sie ja »sowieso« und »schon ewig« wisse, dass der König Kaspar auf dem Umzug der Vater ihrer Mitschülerin Marina sei. »Und von dem fallen für mich bestimmt keine Geschenke ab. Schließlich sind Marina und ich Todfeinde!«

In einem unbeobachteten Moment stellte sie dann aber doch altbackenes Brot und einen Teller mit Milch vor ihr Fenster, damit die Könige und ihre Pferde nicht ohne Wegzehrung weiterziehen mussten. Wirklich sicher war sie sich ansonsten nämlich nur in einem Punkt: in den Schränken und unter dem Bett ihrer Mutter waren keine Geschenke für sie versteckt …

Am Vorabend des Feiertags klopften Joel und Nico wie verabredet an Annas Haustür, um Anna, Nina und Leah für den Umzug der Heiligen Drei Könige abzuholen. Nina öffnete ihnen und schwenkte aufgeregt ihre Laterne herum. Leah hatte ihre mit Fell gefütterte Lederjacke schon übergezogen und musste sich nur noch die Fototasche über die Schulter hängen; Anna lief bei ihrem Eintreffen in ihr Schlafzimmer und schnappte sich ihren alten Parka. Da die Blicke der Männer um sie herum sowieso nur Leah galten, war es ihr derzeit egal, wie sie herumlief …

Kurz darauf gingen die fünf unter Ninas aufgeregtem Geplapper in Richtung des Tourismusbüros, wo schon viele auf die Ankunft der Könige warteten. Als die Kinder unruhig wurden, fingen die maskierten Lakaien der Könige an, Bonbons in die Menge zu werfen. Die Kinder johlten und sammelten sie mit einem Eifer ein, als wären es die einzigen Süßigkeiten, die sie in diesem Jahr zu erwarten hätten. Leah schoss ein paar Fotos, obwohl sie nicht annahm, dass sie sie für ihr Fotobuch würde brauchen können. Aber vielleicht konnte sie damit ja Anna eine Freude machen. Während die Lakaien weiterhin Bonbons in die Menge warfen, füllte sich der Platz mit Menschen. Leah staunte. »Welch ein Auflauf!«

»Was hast denn du gedacht?«, erwiderte Anna. »Für die spanischen Kinder ist das doch der große Geschenketag!«

Schließlich kam unter dem Applaus der Menge der erste der Könige auf seinem festlich geschmückten Pferd herangeritten. Vor ihm reihten sich seine Lakaien auf, und hinter ihm setzte sich die erste der über und über mit Geschenken beladenen Kutschen in Bewegung. Nina und Nico sprangen in die Höhe, um in der Menschenmenge etwas von den Königen sehen zu können. Anna und Joel hoben sie schließlich hoch. Plötzlich stieß Joel Anna an. »Sieh mal, da drüben!« Er wies mit dem Kinn auf einen kleinen dicken Mann.

Anna stöhnte. »Den hätte ich heute wahrhaftig nicht vermisst!« Im nächsten Augenblick drehte sich der Mann zu ihnen um. Es war Señor Fargas, der Kulturabgeordnete der Stadt. Mit aufgeregter Miene und hochroten Backen kam er auf sie zu. »Die Presse«, japste er. »Haben Sie gesehen? Die Presse ist auch da!«

Anna nickte. Joel lächelte verbindlich. »Wie wunderbar Sie das wieder alles vorbereitet haben!«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2018
ISBN (eBook)
9783958243859
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (August)
Schlagworte
Feelgood-Roman Wohlfühlroman Liebesroman Roman Meer Sommerroman Urlaubsroman Anja Saskia Beyer Lotte Römer Franziska Jebens eBooks
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Titel: Sommerblumenträume
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