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Im Reich der Toten - Niks zweiter Fall

©2015 161 Seiten

Zusammenfassung

Nik Mallory – Superhirn mit Mission: „Im Reich der Toten“ von Thomas Christos jetzt als eBook bei dotbooks.

Kaum hat Nik den international gesuchten Gangsterboss Asmodis unschädlich gemacht, wartet schon der nächste Fall auf ihn. Ob es ihm gelingt, den Angriff auf seinen Freund Jeff Baxter aufzuklären? Und was hat es mit der Leiche auf sich, die in der alten Spedition gefunden wurde? Alles deutet auf eine Sekte hin ...

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Im Reich der Toten“ von Thomas Christos. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Kaum hat Nik den international gesuchten Gangsterboss Asmodis unschädlich gemacht, wartet schon der nächste Fall auf ihn. Ob es ihm gelingt, den Angriff auf seinen Freund Jeff Baxter aufzuklären? Und was hat es mit der Leiche auf sich, die in der alten Spedition gefunden wurde? Alles deutet auf eine Sekte hin ...

Über den Autor:

Thomas Christos ist das Pseudonym des erfolgreichen Autors Christos Yiannopoulos. Geboren 1957 in Patras (Griechenland), hat er nach dem Studium Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben. Heute lebt er in Düsseldorf.


Ebenfalls bei dotbooks erschienen Thomas Christos‘ Kinderbücher Die Rosenkohlbande und Pakt mit dem Bösen. Niks erster Fall

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Neuausgabe November 2015

Copyright © der Originalausgabe © 2009 Fischer Taschenbuch Verlag in der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Foto © THOR / geishaboy500  (www.flickr.com/photos/geishaboy500/2911899970/in/album-72157607724308547/); Bearbeitung © Tanja Winkler

ISBN 978-3-95520-629-1

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Thomas Christos

Im Reich der Toten

Niks zweiter Fall

dotbooks.

Warten auf den Tod

Was Peter Boll vorhatte, war ein Sakrileg. In zehn Minuten würde er seinen Schulfreund Jan Barker treffen, der beim BKA für die Bekämpfung von Terrorismus zuständig war. Der richtige Mann also, dem er sich anvertrauen konnte. Bolls Nervosität stieg.

Noch neun Minuten. Die Söhne ahnten nichts von seinem Entschluss, und das war auch gut so, denn sie würden sein Handeln als Verrat ansehen. Als er zu ihrem Treffpunkt gefahren war, hatte Boll einen Umweg über die halbe Stadt genommen, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Niemand wusste, dass er sich nun im Verwaltungstrakt dieser gottverlassenen Spedition befand, die in Kürze abgerissen werden würde. Boll atmete tief durch. Er war sich sicher, dass er es heute schaffen würde.

Dann hörte er, dass jemand das Treppenhaus hochkam. Hatte jemand von seinem Plan Wind bekommen? Nervös sah er auf seine Uhr und horchte. Das muss Jan sein, der ein paar Minuten zu früh dran war, dachte er. Und wenn nicht? Seine Anspannung stieg. Sein Herz raste. Sein Puls galoppierte. Boll starrte auf die Tür wie das Kaninchen auf die Schlange. Plötzlich waren die Schritte nicht mehr zu hören. Nur die dünne Tür stand zwischen Leben oder Tod. Boll presste sein Ohr gegen das Holz und lauschte. Dann sah er erneut auf seine Uhr.

»Jan, bist du das?«

Noch sieben Minuten. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Als Nächstes blickte er in den Lauf einer schallgedämpften Pistole.

Plop. Plop. Plop.

Es wurde dunkel, und Boll sackte zusammen.

»Luzifer lässt grüßen, Boll! Du hast gegen die Gesetze verstoßen, Verräter!«, presste sein Mörder hervor. Boll spürte noch, wie zwei Hände in seine Taschen griffen und nach etwas suchten. Dann spürte und hörte er nichts mehr.

Verhindertes Wiedersehen

Jan Barker steuerte seinen Wagen über das Gelände einer alten verlassenen Spedition am Rande Frankfurts. Er parkte vor dem Hauptgebäude und stieg aus. Die Uhr zeigte kurz vor zwölf, er war gut in der Zeit. In wenigen Minuten würde er seinen ehemaligen Schulkameraden Peter Boll treffen, den er das letzte Mal bei ihrer Abifeier vor zehn Jahren gesehen hatte. Barker wusste nicht viel über seinen früheren Schulkollegen, nur, dass er als Archivar im Bundesarchiv arbeitete. Das passte zu ihm, er war schon als Schüler immer wegen seiner Ordnungsliebe durch den Kakao gezogen worden. Warum Peter Boll ihn wohl ausgerechnet jetzt und dann auch noch an diesem merkwürdigen Ort treffen wollte? Gestern am Telefon hatte er ziemlich hektisch geklungen. Es sei sehr wichtig, hatte er gesagt, er müsste mit Jan über die »Wewelsburg« und die »Söhne Luzifers« sprechen. Zwar konnte Jan mit diesen Begriffen nicht viel anfangen, aber weil Peter auf das Treffen gedrängt hatte, hatte er schließlich eingewilligt, seine Mittagspause dafür zu opfern.

Also betrat Jan Barker das verwaiste Gebäude und stieg das Treppenhaus hoch.

»Peter? Ich bin's, Jan!«, rief er ungeduldig, während er die Treppe hinaufstieg. In der zweiten Etage stand eine Tür halb offen. »Wo steckst du?« Keine Antwort. Irgendwas stimmt hier nicht, dachte Jan und nahm instinktiv seine SIG SAUER aus dem Holster. Mit dem rechten Fuß kickte er die angelehnte Tür auf. Sofort fiel sein Blick auf den Körper eines Mannes, der reglos auf dem Boden lag. Es war Peter Boll. Er blutete aus einer Schusswunde am Kopf. Jan kniete sich neben seinen Freund und fühlte den Puls. Er war tot, aber sein Körper noch warm. Der Mörder konnte nicht weit sein. Plötzlich hörte er Schritte auf der Treppe. Mit der Pistole im Anschlag stürzte Barker aus dem Raum, hetzte die Stufen runter und jagte nach draußen. Ein Mann rannte über den Innenhof geradewegs auf die Toreinfahrt zu. »Halt, stehen bleiben, Polizei!«, rief Barker und nahm die Verfolgung auf Er vertraute auf seine Ausdauer und war zuversichtlich, den Mann einzuholen. In diesem Moment hörte er ein Auto anspringen. Barker wandte sich im Laufen um und entdeckte einen Range Rover, der um eine Ecke geschossen kam und Kurs auf ihn nahm. Schon war er vom Jäger zum Gejagten geworden. Blöder Anfängerfehler! Wieso habe ich mich nicht umgeschaut, schoss es Barker durch den Kopf, aber das half jetzt nicht, jetzt musste er das Beste aus der Situation machen. Der Wagen hielt mit Vollgas auf ihn zu, er musste sich schnellstens in Sicherheit bringen. Eine Laderampe neben dem Hauptgelände versprach Rettung. Gerade als Barker zum Sprung ansetzte, wurde er von der bulligen Motorhaube erfasst und nach oben katapultiert. Barker flog gut zwei Meter durch die Luft, bis er hart auf dem Boden aufschlug, wo er regungslos liegenblieb.

Der Wagen machte eine Vollbremsung. Der Fahrer, ein stattlich gebauter Hüne namens Hoffmann, stieg aus und warf einen prüfenden Blick auf Barker.

»Was ist? Lebt er noch?«, hörte er seinen Komplizen fragen, der die Vollbremsung gehört und die Flucht sofort abgebrochen hatte. Hoffmann schüttelte den Kopf »Der ist hinüber. Und was ist mit dir, Nilson? Hast du Boll erledigt?«

Nilson nickte zufrieden und zeigte stolz auf den USB-Stick, den er in der Tasche des Toten gefunden hatte.

»Luzifer wird erfreut sein! Der Auftrag ist erledigt!«, stellte Nilson fest. Die beiden Männer stiegen in den Range Rover und bretterten davon.

In Urlaubsstimmung

Das Thema war Terrorismus. Kriminalkommissar Bukowski, Dozent für Kriminalistik an der Fachhochschule des BKA in Wiesbaden, versuchte seinen Zuhörern die vielen Formen des Terrorismus zu erläutern. Den Studenten flogen die Begriffe und Diagramme der Powerpointpräsentation nur so um die Ohren: politisch motivierter Terrorismus, ethno-nationaler Terrorismus und und und ...

Aber anders als sonst hielt sich das Interesse der angehenden BKA-Beamten heute in Grenzen. Es war die letzte Stunde vor den Ferien, und alle waren mit ihren Gedanken schon im Urlaub. Nik Mallory ging es nicht anders. Ungeduldig verfolgte er den Zeiger seiner Uhr. Um 12 Uhr wollte er sich von seinem Freund Jan Barker verabschieden und zwei Stunden später seine Freundinnen Flora und Tosca am Frankfurter Flughafen treffen. Das Trio wollte gemeinsam nach Miami fliegen, und Nik hatte noch nicht gepackt! Ein schmalerer Timeslot war nicht denkbar. Höchste Zeit also, um sich ein paar Gedanken zu machen, was er noch erledigen musste. Nik begann eine To-do-Liste anzufertigen und machte sich Notizen, was er alles brauchen würde. Sollte er seine Schwimmsachen mitnehmen? Und was war mit Badelatschen? Hatte er überhaupt welche?

»Nik, kannst du mit dem Begriff des eschatologischen Terrorismus etwas anfangen?«, hörte er Bukowskis Stimme.

Nik, wegen seiner Hochbegabung Mindcracker genannt, hatte sich den Unterrichtsstoff des gesamten Semesters in seiner Freizeit angeeignet. Die unterschiedlichen Ausprägungen des Terrorismus hatte er aus persönlichem Interesse intensiv recherchiert.

»Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen, leitet sich vom griechischen Eschaton ab. Der Begriff wurde zum Namensgeber des religiös motivierten Terrorismus, dessen Basis die totale Negation des Bestehenden ist!«, spulte Nik die Antwort gebetsmühlenartig ab, während er innerlich seine Packliste komplettierte.

»Kannst du uns das bitte etwas weniger abstrakt erklären?«

»Es handelt sich um Terroristen, die glauben, dass die bestehende Welt schlecht ist. Deswegen wollen sie alles zerstören, um eine neue Welt entstehen zu lassen!« fügte Nik hinzu, der fieberhaft überlegte, ob seine Schwimmflossen in seinen Koffer passen würden.

»Hast du einige Beispiele?«, fragte Bukowski, dem nicht entgangen war, dass Nik gedanklich auf zwei Hochzeiten tanzte.

»Das schon, Herr Bukowski, aber die Zeit reicht nicht. In fünfzig Sekunden beginnen die Ferien!«, stellte Nik mit Blick auf seine Uhr fest. Die übrigen Studenten, allesamt gut zehn Jahre älter als er, brachen in Gelächter aus. Und auch Herr Bukowski musste über Nik lachen, der mit seinen vierzehn Jahren der mit Abstand jüngste Schüler der Hochschule für Kriminalistik des BKA war. Er war nicht nur hochbegabt, sondern auch ziemlich witzig. Arrogante und altkluge Überflieger sahen anders aus.

»Danke, dass du mich daran erinnerst, Mr. Mindcracker! Also, meine Damen und Herren, dann will ich Sie nicht weiter aufhalten. Eine schöne vorlesungsfreie Zeit, wir sehen uns in vier Wochen wieder!« Kaum hatte er ausgesprochen, sprangen die Studenten auf und verließen den Raum. Auch Nik war auf dem Weg zur Tür, als er von seinem Lehrer angesprochen wurde.

»Nik, verrat mir doch, warum du heute nicht bei der Sache warst. War der Stoff langweilig?! Normalerweise bist du der Letzte, der geht!«

»Das Thema war hochinteressant, Herr Bukowski, keine Frage«, entschuldigte sich Nik, »aber ich fliege heute noch in den Urlaub, und vorher wollte ich noch Jan Barker besuchen!«

»Oh, das ist natürlich was anderes! Dann lass dich nicht aufhalten. Und sei so nett und grüß Jan von mir. Du weißt ja, dass er ein alter Freund von mir ist.«

Das wusste Nik natürlich. Jan hatte ihm schon erzählt, dass er mit Bukowski das Diplom gemacht hatte. Aber während Jan im praktischen Kriminaldienst tätig war, war Bukowski Ausbilder geworden.

»Mach ich gerne, Herr Bukowski! Jan wird sich bestimmt freuen!« Mit diesen Worten verabschiedete sich Nik. Keine zehn Minuten später befand er sich in seinem Zimmer und packte in Windeseile seinen Koffer. Nik wohnte als Stipendiat im Gästehaus der BKA-Hochschule. Er war Vollwaise und durfte sich beim BKA seinen Lebenstraum erfüllen und Kriminalistik studieren. Dafür hatte sein Freund Jan gesorgt, nachdem Nik gemeinsam mit seinen Freundinnen Flora und Tosca den gefährlichen Waffenhändler Asmodis zur Strecke gebracht hatte.

In null Komma nichts war der Koffer gepackt, und Nik griff zu seinem Handy, um sich bei Jan im Büro anzumelden. Ihn erwartete eine Hiobsbotschaft.

»Herr Barker hatte gestern einen schweren Unfall und liegt im Zentralkrankenhaus«, teilte ihm Frau Andres, Jans Assistentin, mit. Die Nachricht traf Nik wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Da ihm Frau Andres keine Einzelheiten verraten durfte, wurde Nik unruhig. Er konnte doch nicht einfach in den Urlaub fahren, wenn Jan etwas zugestoßen war! Er musste wissen, wie es ihm ging – und wie es zu dem Unfall gekommen war. Er sollte zwar in vier Stunden am Frankfurter Flughafen sein, aber er würde vorher bei Jan im Krankenhaus nach dem Rechten schauen. Also los! Schnell schnappte Nik seinen Koffer und stürmte nach draußen. In zwei Minuten fuhr eine S-Bahn nach Frankfurt, die er auf keinen Fall verpassen durfte. Seinen Ferienbeginn hatte er sich wahrlich anders vorgestellt.

Die verpatzte Prüfung

Flora und Tosca ahnten nichts von Niks Hektik. Aber auch sie konnten den heißersehnten Urlaub mit ihrem Freund nicht locker angehen lassen, denn sie hatten noch etwas Unangenehmes zu erledigen. Tosca musste eine Nachprüfung in Sport absolvieren, und zwar in Judo. Da ihre Lust auf Leibesübungen gen null tendierte, hatte sie sich viel zu oft vor dem Unterricht gedrückt, doch Mr. Tan, der freundliche Judodozent aus Taiwan, kannte kein Erbarmen und bestand auf die Prüfung, sogar am letzten Schultag. Während Tosca im weißen Judoanzug vor Mr. Tan stand, saß Flora etwas abseits mit den fertig gepackten Koffern auf einem Schwebebalken und hoffte, dass ihre Freundin die Prüfung schnell hinter sich bringen würde. Sie selbst hatte ihre Sportprüfung locker bestanden.

»Jetzt zum Kansetzu-Waza!«, sagte Mr. Tan und verbeugte sich vor Tosca.

»Kansetzu-Was?«

»Das sind die Hebelgriffe, Miss Tosca.«

Doch Miss Tosca zeigte wenig Lust auf Hebelwirkung. Hätte sie gewusst, dass Judo so kompliziert werden würde, hätte sie sich doch lieber für die rhythmische Gymnastik entschieden, aber das hätte vier Stunden mehr Unterricht in der Woche bedeutet. Und diese vier Stunden verbrachte Tosca lieber in Klamottenläden.

»Miss Tosca, darf ich bitten!«

»Sorry, Mr. Tan, ich kann dieses Chop Suey einfach nicht!«

»Chop Suey ist ein chinesisches Gericht!«, korrigierte Mr. Tan sie mit sanftem Lächeln. Ihn konnte so leicht nichts aus der Ruhe bringen, nicht mal die nervigen und frechen Bemerkungen seiner faulsten Schülerin.

»Bitte, Mr. Tan, können wir die Prüfung nicht nach den Ferien machen?«, bettelte Tosca mit Blick auf Flora, die ungeduldig auf ihre Uhr zeigte.

»Sie kennen die Prüfungsordnung, Miss Tosca.«

»Aber ich kann kein Chopdunbums, Mr. Tan!«

Mr. Tan verbeugte sich kurz: »Ich bitte um gütige Nachsicht, Miss Tosca, aber dann muss ich Ihnen mit dem allergrößten Bedauern eine Sechs verpassen!«

»Wenn Sie das glücklich macht, dann bitte!«, sagte Tosca entnervt und eilte zu Flora.

»Wollen Sie es nicht noch mal versuchen, Miss Tosca?!«, bat Mr. Tan. »Ich könnte dann beide Augen zudrücken und Ihnen vielleicht noch eine Vierminusminus geben!«

»No time, Mr. Tan! Aber seien Sie beruhigt, wenn es darauf ankommt, werde ich dieses Bami Goreng schon anwenden können!«, beruhigte Tosca ihren Judolehrer und blinzelte Flora zu. Mr. Tan sah ein, dass es sinnlos war, das Mädchen weiter zu hofieren. Höflich verbeugte er sich und schrieb ein Ungenügend in seinen Notizblock.

»Jetzt aber hopp, Tosca, der Flieger nach Frankfurt geht in zwei Stunden!«, drängelte Flora und reichte ihrer Freundin eine Jeans.

»Doch keine Jeans! Wo ist mein blauer Rock?«, fragte Tosca und öffnete ihren Koffer.

»Los, wir müssen zum Flughafen!«, versuchte es Flora noch einmal, aber Tosca winkte ab.

»Sorry, aber ohne meinen neuen Rock fliege ich nicht. So viel Zeit muss sein! Wo ist er bloß?«, fragte Tosca und durchwühlte ihren Koffer, so dass Flora die Klamotten um die Ohren flogen.

»Ich pack's nicht! Kannst du nicht mal ausnahmsweise deinen Modetick ignorieren? Nachher verpassen wir den Flieger, und Nik muss auf uns warten!«

»Genau das ist es ja. Was soll Nik denken, wenn er mich in Jeans sieht? Ich habe den neuen Rock extra für ihn gekauft! Los, wir müssen ins Zimmer zurück, meinen Schrank durchsuchen!« Ohne Floras Antwort abzuwarten, lief Tosca aus der Halle. Flora folgte ihrer Freundin reichlich genervt. Aber richtig wütend war sie nicht. Sie kannte Tosca und ihre Macken, auch wenn sie selbst ganz anders drauf war. Während Tosca immer nach den neuesten Fashiontrends gekleidet war, erfand Flora ihre eigene Mode, einen Mix aus Pippi Langstrumpf, Amy Winehouse und Angela Merkel, wie Tosca stets spottete. Normalerweise hätte sich Flora dieses sündhaft teuere Elite-Internat in der Schweiz gar nicht leisten können, aber Tosca Vanderbild hatte ihren vermögenden Vater bekniet, für Floras Schulgeld aufzukommen. Und Mr. Vanderbild erfüllte alle Wünsche seiner Tochter. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er nie Zeit für seine einzige Tochter aufbrachte.

Es hatte eine Weile gedauert, bis die beiden Mädchen gut miteinander ausgekommen waren, denn sie waren einfach zu unterschiedlich. Sie waren wie zwei Seiten einer Medaille. Auf der einen Seite das verwöhnte Modepüppchen Tosca, auf der anderen Flora, die gelernt hatte, für sich selbst zu sorgen, und mit wenig auszukommen. Trotzdem passte kein Blatt zwischen die Freundinnen. Beide standen insgeheim auf ihren gemeinsamen Freund Nik, und jede von ihnen dachte bei sich, die besseren Karten zu haben, aber das ließen sie sich nicht anmerken. Viel wichtiger war es, dass sie ein unzertrennliches Trio darstellten. Dass die beiden Mädchen in Zürich lebten, beeinträchtigte ihre Freundschaft zu Nik nicht. Wozu gab es Internet? Fast täglich chattete Nik mit den beiden Mädchen per Webcam über Gott und die Welt. Während einer dieser Sessions war auch die Idee geboren worden, gemeinsam die Ferien zu verbringen. Vier Wochen Florida. Im teuersten Hotel und auf einer fetten Motoryacht. Mr. Vanderbild kam nur zu gerne für sämtliche Kosten auf, war er doch froh, seinen Terminkalender nicht für seine Tochter umorganisieren zu müssen.

»Wo ist nur dieser verflixte Rock abgeblieben?«

»Hier ist der Fummel, du blinde Eule!«, rief Flora und fischte das gesuchte Stück aus einer Einkaufstasche heraus, die Tosca offenbar noch gar nicht ausgepackt hatte.

»Dieser Fummel ist ein Einzelstück von Dior und kostet glatte tausend Dollar, Herzchen!«, empörte sich Tosca über Floras Ignoranz und zog sich in Windeseile den sündhaft teuren Stofffetzen an. »Nur noch ein wenig Make-up, dann kann's losgehen!«, meinte Tosca, aber diesmal zog Flora die Notbremse. »Schminken kannst du sich auch im Flugzeug!«, rief sie, packte ihre Freundin an der Hand und zog sie zur Tür.

Ein gefährlicher Auftrag

Der Teppich hatte braune Flecken, das Bettlaken gelbe. An den Wänden schimmelte die Tapete vor sich hin, und im Badezimmer vermehrten sich die Silberfische um die Wette. Es gab in Frankfurt kein schäbigeres Hotelzimmer. Doch wer im Hotel Sirtaki einkehrte, suchte auch keinen Luxus, sondern Anonymität. Um Anmeldeformulare oder Ähnliches brauchte man sich hier nicht zu scheren, man schob dem kahlköpfigen Mann an der Rezeption einfach einen Fünfziger über den Tresen und bekam dafür den Zimmerschlüssel. Diese unbürokratische Vorgehensweise lockte natürlich ein entsprechendes Publikum an. Solches wie Hoffmann und Nilson. Die beiden Männer waren nach Erledigung ihres Auftrages hierhergekommen, um Bolls USB -Stick ungestört zu checken. Auf dem TFT-Bildschirm des Notebooks erschien die Grundrisskarte eines Gebäudes. Darüber war das Wort Wewelsburg zu lesen.

»Der Eingang zum Archiv ist genau beschrieben«, kommentierte Hoffmann mit Blick auf den Bildschirm. »Wir haben es geschafft! Die Mühe hat sich gelohnt!«, sagte Nilson zufrieden, jedoch ohne eine Miene zu verziehen. Die Männer hatten gelernt, ihre Emotionen für sich zu behalten. Spontane Gefühlsregungen waren bei den Söhnen verpönt. Nur wer sich unter Kontrolle hatte, konnte klare Entscheidungen treffen, so hatten sie es von Luzifer, ihrem Anführer, eingetrichtert bekommen. Nur er wusste, dass Hoffmann und Nilson ein Doppelleben führten. Nilson war Kriminalbeamter beim BKA, und Hoffmann arbeitete in einer Computerfirma. Doch hinter ihrer bürgerlichen Fassade waren sie Mitglieder einer brandgefährlichen Bruderschaft mit dem Namen die Söhne Luzifers. Und in einer nicht allzu fernen Zukunft würden die Söhne ihr großes Ziel erreicht haben.

Hoffmanns Handy klingelte. Er nahm das Gespräch an. Die Stimme aus dem Lautsprecher klang metallisch verzerrt, da ihr Auftraggeber aus Sicherheitsgründen stets einen Stimmwandler zwischenschaltete.

»Was habt ihr gefunden?«

»Den Eingang zum Archivraum, Luzifer«, gab Nilson gutgelaunt bekannt. »Wir sind dem Geheimnis ein ganzes Stück näher gekommen.«

Knapp und präzise folgten die Befehle: »Fahrt so schnell wie möglich in die Wewelsburg und besorgt die Dokumente. Aber ich warne euch, begeht keine weiteren Fehler!«

»Wieso Fehler? Wir haben den Verräter liquidiert«, protestierte Nilson.

»Und was ist mit Barker? Er lebt noch. Wie wollt ihr die Welt beherrschen, wenn ihr jetzt so jämmerlich versagt?«

»Das kann nicht sein, Luzifer! Ich habe ihn selbst überfahren!«, verteidigte sich Hoffmann. »Das kann er nicht überlebt haben!«

»Und warum liegt er jetzt im Krankenhaus – lebendig?«

»Wir fahren sofort dorthin und beenden den Auftrag!«, kündigte Nilson an.

»Nein. Ihr sucht den Archivraum und besorgt die Karte. Wir dürfen keine Zeit verlieren!«

»Können wir unseren Fehler wiedergutmachen?«, fragte Hoffmann.

»Ein zweites Mal dürft ihr nicht versagen. Ihr kennt die Regeln. Versager werden genauso behandelt wie Verräter!«

Die Sätze knallten ihnen wie Peitschenhiebe um die Ohren. Luzifer hatte aufgelegt. Die beiden Männer, die vor wenigen Stunden einen Menschen liquidiert hatten, kamen sich vor wie zwei Schulkinder, die von ihrem Lehrer zurechtgewiesen worden waren. Aber niemals wäre ihnen in den Sinn gekommen, Luzifers Sätze zu hinterfragen oder ihn gar zu kritisieren. Er war der Boss, und er hatte recht. Immer.

Kurz ... kurz ... lang

Jan Barker hatte den schweren Sturz tatsächlich überlebt und war von einem Obdachlosen, der auf dem Gelände der Spedition übernachten wollte, gefunden worden. Eine Stunde später wurde Barker in das Zentralkrankenhaus eingeliefert. Da man in der alten Spedition auch Bolls Leiche gefunden hatte, ging die Polizei davon aus, dass Barkers Verletzungen nicht durch einen Unfall verursacht worden waren. Was wusste Barker? Hatte er vorher Kontakt mit dem Toten gehabt? War er womöglich der Täter? Immerhin hatte die Spurensicherung jede Menge Fingerabdrücke von Barker am Tatort sichergestellt. In seinen Unterlagen fand sich keine Notiz über das Treffen, was darauf schließen ließ, dass es sich um ein privates Meeting gehandelt haben muss. Der Mordanschlag auf einen BKA-Agenten rief den Chefermittler der Behörde, Friedrich Schlüter, auf den Plan. Als Erstes fuhr Schlüter ins Krankenhaus, um mit seinem verletzten Kollegen zu sprechen. Der lag auf der Intensivstation und war an diverse Schläuche und medizinische Apparaturen angeschlossen. Eine Halsmanschette machte Barker jede Bewegung des Kopfes unmöglich.

»Barker, können Sie mich verstehen?«, fragte Schlüter, musste aber feststellen, dass der zwar die Augen geöffnet hatte, aber aufgrund seiner Sauerstoffmaske nicht sprechen konnte. Trotzdem hakte Schlüter nach: »Was ist gestern passiert? Können Sie uns Einzelheiten geben? Im Gebäude ist ein gewisser Peter Boll erschossen worden, Barker, was wissen Sie darüber?«

Schlüter wurde ungeduldig und rief den zuständigen Oberarzt, Dr. Simon.

»Können Sie ihm nicht das verdammte Ding abnehmen? Wie soll er damit sprechen?«, drängte Schlüter, aber damit biss er bei Dr. Simon auf Granit. Ihm war das Wohl seines Patienten wichtiger als das Ermittlungsinteresse eines übereifrigen Beamten.

»Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen? Ich soll dem Patienten das Sauerstoffkabel abnehmen?«, rief der Arzt empört. »Auf keinen Fall! Sie müssen sich mit der Vernehmung noch gedulden!«

»Hören, Sie, Doktor, ich garantiere Ihnen eine ganze Menge Ärger, wenn Sie nicht kooperativ sind! Sie wissen wohl nicht, mit wem sie es zu tun haben!«, betonte Schlüter, der Widerspruch nicht gewohnt war.

»Und wenn Sie der Kaiser von China wären, Herr Schlüter, ich sage nein!«, stellte Dr. Simon klar und wies zur Tür. »Und jetzt möchte ich, dass Sie meine Station verlassen.«

Schlüter gab sich so schnell nicht geschlagen: »Sie mögen ja der behandelnde Arzt sein, Doktor, aber wir haben es hier mit einem Mord zu tun, und es ist mein Job, diesen Mann hier zu vernehmen!«

Nun wurde es dem Mediziner zu bunt: »Also gut, Sie wollen es nicht anders. Wenn Sie nicht sofort die Intensivstation verlassen, werde ich von meinem Hausrecht Gebrauch machen und Sie nach draußen befördern lassen!«

Schlüter merkte, dass mit dem engagierten Arzt nicht zu spaßen war. »Okay, aber sobald er ansprechbar ist, geben Sie mir Bescheid.« Ärgerlich verließ Schlüter die Intensivstation.

Auf dem Flur stieß er fast mit Nik zusammen, der eiligen Schrittes die Treppe hochgeeilt kam. »Kannst du nicht aufpassen?!«

Nik hatte eine Odyssee durch halb Frankfurt hinter sich.

»Sorry, Herr Schlüter!«, sagte Nik und blieb mit seinem Koffer in der Hand vor dem Chefermittler stehen.

»Woher kennst du meinen Namen?«, fragte Schlüter, der ihn nicht sofort erkannte. »Ach ja, du bist doch Nik Mallory, der junge Überflieger, der bei uns studiert. Was willst du denn hier?«

»Ich habe gehört, dass Jan einen Unfall hatte, und wollte ihn besuchen.«

»Das geht nicht, er ist nicht ansprechbar. Außerdem dürfen sowieso nur Angehörige zu ihm«, sagte Schlüter.

»So ist es, Herr Schlüter, und deshalb würde ich Sie gerne zum Ausgang begleiten!«, ließ sich die Stimme von Dr. Simon hinter ihm vernehmen.

Schlüter baute sich drohend vor Dr. Simon auf »Ein Mann ist ermordet worden! Und auf einen meiner Mitarbeiter ist wahrscheinlich ein Anschlag verübt worden. Glauben Sie wirklich, ich warte mit den Ermittlungen, bis Sie mir grünes Licht geben? Sie kriegen mächtigen Ärger, Mann!«

Ungerührt wies Dr. Simon auf den Ausgang am Ende des Flurs. »Solange Herr Barker nicht ansprechbar ist, müssen Sie sich gedulden! Und jetzt darf ich bitten!«

Wutschnaubend setzte sich Schlüter, eskortiert von Dr. Simon, in Bewegung, während Nik, auf den keiner achtete, einfach stehen blieb. Dem Jungen klangen die Worte Schlüters noch im Ohr. Auf Jan war ein Anschlag verübt worden? Und einen Toten hatte es gegeben. Nik überlegte. Dann schob er entschlossen seinen Koffer unter einen Tisch und öffnete die Tür zur Intensivstation. Schnell hatte er das Zimmer gefunden, in dem Jan lag. Nik ging langsam auf seinen Freund zu und blieb vor dem Bett stehen. Er war nicht bei Bewusstsein, und so konnte Nik nichts für ihn tun. Aber dann fiel ihm auf, dass Jan die Augen geöffnet hatte und ihn anschaute.

»Hi, Jan! Ich wollte sehen, wie es dir geht ...«, flüsterte Nik und nahm die Hand seines Freundes. »Kannst du mich hören? Wenn ja, dann versuch zu blinzeln!« Erfreut sah Nik, dass Jan ihn offenbar verstehen konnte und ihm zublinzelte. Vielleicht kennt Jan das Morsealphabet, schoss es Nik durch den Kopf, dann wäre eine Kommunikation möglich!

»Hey, Jan, kannst du morsen?«

Jan antwortete blinzelnd, und Nik nahm den Ball auf. »Super, lass es uns versuchen. Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?«

Jan zwinkerte: Kurz-Kurz ...

»Verstanden, Jan, dir geht es halbwegs gut«, wiederholte Nik zur Sicherheit. »Ich denke, es ist besser, wenn ich dich jetzt erst mal alleine lasse, damit du schlafen kannst. Ich melde mich dann bei dir, okay?«

Doch offenbar hatte Jan nicht vor zu schlafen; er setzte das Morsegespräch fort. Konzentriert dekodierte Nik die Blinzelzeichen.

»Der ... Tote ... hieß ... Boll ... wichtige ... Stichworte ... Wewelsburg ... Söhne Luzifers ...!«, morste Jan, ehe er erschöpft eine Pause einlegen musste. Obgleich Nik damit nicht viel anfangen konnte und überlegte, ob er Jan richtig verstanden hatte, wollte er seinem Freund nicht zu viel zumuten.

»Okay, Jan, das reicht für heute. Du brauchst jetzt Ruhe!«, sagte er. Im gleichen Moment ging die Tür auf, und eine Stationsschwester betrat den Raum. Als sie Nik vor dem Krankenbett sah, wurde sie richtig wütend. »Was suchst du denn hier? Das hier ist die Intensivstation, mein Junge! Und jetzt raus, hörst du?« Die resolute Schwester wartete erst gar nicht auf eine Antwort, sondern packte ihn am Ärmel und zerrte ihn aus dem Raum. Auf dem Flur musste Nik eine Standpauke über sich ergehen lassen. »Wehe, ich erwisch dich noch mal hier, dann gibt's Ärger! Du kannst doch nicht einfach hier rumlaufen! Wer bist du überhaupt?!«

Nik murmelte ein »Sorry!«, zog seinen Koffer unter dem Tisch hervor und machte, dass er Land gewann.

Ein hektisches Wiedersehen

»Halb drei! Nik ist seit einer Viertelstunde überfällig!« Tosca glättete ungeduldig den Saum ihres neuen Minis, obwohl es da nicht viel zu glätten gab. Der Rock saß wie angegossen und passte perfekt zu den sündhaft teuren Pumps von Prada, die sie sich extra für ihr Wiedersehen angeschafft hatte, obwohl sie wusste, dass Nik sich nichts aus Mode machte. Auch Flora, die sich nicht in Schale geworfen hatte, war mit ihrer verwegenen Klamottenkombination ein echter Hingucker: Palituch, feuerrote Haare, blaue Jeans und giftgrüne Doc Martens.

Die Freundinnen standen am Meeting Point des Frankfurter Flughafens und hielten ungeduldig Umschau nach Nik.

»Vielleicht sollten wir ihn anrufen«, schlug Flora vor.

»Gute Idee, ich mach das!«, sagte Tosca.

»Aber sag ihm nicht, dass wir auf ihn warten, nachher bildet er sich noch was ein!«, meinte Flora, während Tosca Niks Nummer in ihrem iPhone suchte.

»Klar, ich bin doch nicht doof. Ich weiß doch, wie Jungs reagieren, wenn sie glauben, begehrt zu sein. Nein, nein, ich werd ganz cool bleiben«, versicherte Tosca. »Hallo, Nik, bist du das? Wo bleibst du denn? Wir können es kaum noch abwarten, dich zu sehen ...! Bist du schon hier? Kannst du uns sehen? Ich trage einen ganz süßen Mini, der dir gefallen wird ...!«, zwitscherte sie in den Hörer.

Von wegen cool, dachte Flora. Tosca war auf der Schleimüberholspur.

»Ihr seid ja nicht zu übersehen!«, hörten sie plötzlich eine vertraute Stimme. Überrascht drehten sie sich um und entdeckten Nik, der ihnen von der anderen Seite des Meeting Points aus zuwinkte. Tosca stürmte auf Nik zu. »Nik, endlich! Lass dich drücken!«

»Sorry für die Verspätung, aber ich bin im totalen Stress!«, begann Nik und nahm Toscas Küsschen in Empfang. Floras Begrüßung fiel cooler aus, sie klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter.

»Was ist denn los, Nik?«, wollte Tosca besorgt wissen, aber Nik war kurz angebunden: »Später, Tosca, wir müssen zum Flieger!«

»Aber wir haben noch über zwei Stunden Zeit bis zum Check-in nach Miami, Nik. Genug Zeit für einen Cappuccino, oder?«

»Leider nicht, Tosca. Der Flieger nach Paderborn geht in einer halben Stunde!«, erklärte Nik.

»Paderborn?« Tosca verstand nicht.

»Wir müssen uns beeilen, der Schalter ist am anderen Ende des Terminals! Los!«, drängelte Nik und setzte sich in Bewegung. Seine Freundinnen verstanden nur Bahnhof, nahmen aber ihre Kofferkulis und folgten ihm.

»Hey, Nik! Nun warte mal ...!«

»Nach Miami geht's hier aber nicht!«

»Sorry, ich erklär euch das alles im Flieger, okay?«, rief Nik über die Schulter und legte noch einen Zahn zu. Flora blieb ihm dicht auf den Fersen. Tosca bildete das Schlusslicht. Unbeholfen stelzte sie ihren Freunden auf High Heels hinterher.

»Wo liegt denn dieses ... Paderborn?«, fragte Tosca keuchend.

»In Westfalen. Ich war mal vor Jahren mit der Schule dort. Total langweiliges Kaff!«, antwortete Flora, die nicht verstand, warum Nik ausgerechnet dorthin wollte. Endlich erreichten die drei den Check-in-Schalter. Nik wandte sich sofort an die Mitarbeiterin am Schalter. »Hallo, bitte drei Plätze für uns!«

»Tut mir leid, aber die letzten drei Sitze sind für drei Herren reserviert, die auf der Warteliste stehen!«, sagte die Frau ungerührt und zeigte auf drei Männer in Businessanzügen, die auf den Schalter zukamen. Nik nahm Tosca etwas beiseite: »Tosca, kannst du vielleicht ein wenig nachhelfen? Du hast doch bestimmt eine SÖD-Karte!«

»Eine was?«

»Du verstehst schon!« Nik blinzelte ihr zu. »Eine Sesam-öffne-dich-Karte!«

Tosca kapierte, reagierte aber kiebig: »Ich könnte da sicher etwas tun, lieber Nik, aber ich will gar nicht nach Paderborn, ich will nach Miami!«

»Bitte, Tosca. Es ist total wichtig, dass wir dahin fliegen!«, sagte Nik. Obwohl Tosca absolut keine Lust auf das neue Reiseziel hatte, wurde sie schwach. Sie konnte Nik einfach nichts abschlagen. Also zog sie seufzend ein schmales Kreditkartenetui aus ihrem Louis-Vuitton-Täschchen und wählte aus einem halben Dutzend Karten eine heraus, die sie der Dame am Schalter reichte. »Dreimal Paderborn, bitte!« Als die Frau am Schalter die Karte sah, nickte sie kurz und winkte die drei Freunde an dem überraschten Geschäftsmännertrio vorbei, das sogleich zu protestieren begann.

»Hey, wir haben reserviert!«

Aber da waren Nik, Flora und Tosca schon durch die Abfertigung.

Im Bus, der sie zum Flugzeug brachte, wandte sich Flora an Tosca. »Was war das für eine Karte?«

»Nichts Besonderes. Mein Daddy besitzt zehn Prozent der Airline, und da kriegt man so ein nützliches Plastikding«, antwortete Tosca. »So, Nik, und du lässt jetzt mal die Katze aus dem Sack. Was soll das alles?«

»Wenn wir im Flieger sind!«, vertröstete sie Nik, schenkte ihr aber ein nettes Lächeln: »Aber danke, Tosca. Das war super. Wie du der Frau die Karte gezeigt hast ... großes Kino!«

»Ich hoffe für dich, dass wir in Paderborn auch großes Kino erleben werden, Nik!«, sagte Tosca.

In gefährlicher Mission

Kaum hatte die Turbopropmaschine abgehoben, musste Nik, der eingequetscht zwischen Flora und Tosca saß, Farbe bekennen.

Nik berichtete seinen Freundinnen, dass auf Jan Barker ein Mordversuch verübt worden war und er nun schwer verletzt auf der Intensivstation lag. Und was er ihm per Morsezeichen gesagt hatte:

»Erstens: den Namen des Opfers, ein gewisser Boll.«

»Und weiter?«, wollte Flora wissen.

»Zwei Begriffe: Luzifers Söhne und Wewelsburg.«

»Luzifers Söhne? Hört sich an wie eine Musikgruppe.«

»Kann sein, ich bin mir da aber nicht sicher. Luzifer, der Lichtbringer, ist ein anderer Name für den Teufel. Vielleicht handelt es sich auch um eine Sekte. Dafür kann ich mit der Wewelsburg mehr anfangen!«, sagte Nik und erklärte, dass es sich dabei um eine Burg bei Paderborn handelte.

»Nie was von gehört. Klingt für mich wie eines der berühmten böhmischen Dörfer«, kommentierte Tosca, die sich ärgerte, Nik nachgegeben zu haben. Was ging sie diese dämliche Burg an? Sie wollte nach Miami!

»Ich habe mich auf dem Weg zum Flughafen ein wenig schlaugemacht. Ihr wisst ja, dass ich mit meinem Handy auf Wikipedia zugreifen kann, oder?«

»Ehrlich gesagt, Nik, ist uns das egal«, antwortete Flora, die langsam ungeduldig wurde. »Was ist nun mit dieser Schwachsinnsburg?!«

»Also, die Wewelsburg ist eine Burg, die im Jahre 1123 erstmals urkundlich erwähnt wurde. In den Jahren 1603 bis 1609 wurde sie dann zu einem Schloss umgebaut. Im Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs wurde sie schwer beschädigt ...«

»Bitte keinen Vortrag, Herr Professor! Komm zum Punkt«, unterbrach ihn Flora. »Wir wollen wissen, warum wir dahin fliegen müssen!«

»Kapiert ihr nicht? Dort könnte der Schlüssel für diesen Mordfall liegen.«

»Weißt du, Nik, ist ja supi, dass du von Jan diese Tipps bekommen hast, aber warum hast du das nicht der Polizei erzählt?«, warf Tosca ein, die keine Lust hatte, in einen Kriminalfall reingezogen zu werden. Das letzte lebensgefährliche Abenteuer mit Asmodis hatte ihr vollkommen gereicht.

»Echt wahr«, pflichtete Tosca ihr bei. »Gebucht war Businessclass nach Miami, und jetzt sitzen wir in einer Sardinenbüchse nach Paderborn!«

»Unser Mindcracker hat Blut geleckt! Sein Jagdinstinkt ist erwacht! Und es besteht die Möglichkeit, einen brandheißen Fall zu lösen«, spottete Flora und gab Nik einen Knuff. »Stimmt's oder habe ich recht?«

»Na und? Wäre es nicht obercool, wenn wir einen Mord aufklären würden?!« Niks Augen leuchteten erwartungsvoll, er war in seinem Element.

»Du meinst wohl, wenn du den Mord aufklären würdest! Du bist ganz schön egoistisch, Nik. Dass du gerne Krimifälle löst, ist okay, aber Mord ist nicht mein Hobby!«, stellte Flora ärgerlich fest.

»Genau. Du hättest uns ruhig mal fragen können, bevor du uns in diese fliegende Besenkammer gelotst hast«, versetzte Tosca.

Nik fühlte sich in die Enge getrieben. »Wie hätte ich euch das vorher erklären sollen?! Dann hätten wir den Flieger verpasst. Und bei der Aufklärung eines Mordes sind, statistisch gesehen, die ersten 24 Stunden die wichtigsten!«

»Hey, bitte keine Statistik!«, fiel ihm eine genervte Flora ins Wort. Tosca sagte nichts mehr, sie schmollte, was Nik natürlich nicht entging.

»Ich habe mich doch auch auf unseren Urlaub gefreut, Tosca!«, versuchte Nik sie zu trösten.

»Also ich nehme in Paderborn den ersten Flieger nach Frankfurt zurück! Kommst du mit, Flora?«, fragte Tosca.

»Ich bin dabei!«

Nik war platt. Mit dieser Reaktion hatte er wirklich nicht gerechnet. Er war sich sicher gewesen, dass Flora und Tosca alles daransetzen würden, um den Fall mit ihm gemeinsam zu lösen.

»Okay, ich war egoistisch«, begann er selbstkritisch, »aber es sollte kein Alleingang werden. Wirklich nicht. Ihr seid doch meine besten Freundinnen!«

Flora und Tosca tauschten einen skeptischen Blick. »Wenn du es wirklich ernst meinst mit unserer Freundschaft, dann musst du uns das schon beweisen!«, sagte Flora.

»Und wie?«

»Ganz einfach. Wir steigen in Paderborn um und düsen sofort nach Frankfurt!«, antwortete Tosca. »Und von dort weiter nach Miami!«

»Das ... das könnt ihr nicht von mir verlangen! Nein, das geht wirklich nicht!«, protestierte Nik.

»Er denkt wirklich nur an sich. Und so was nennt sich unser Freund!«, kommentierte Tosca. Auch Flora schüttelte enttäuscht den Kopf. Nik merkte, dass er zu weit gegangen war. Die beiden schienen wirklich gekränkt zu sein. Und weil er ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen wollte, sagte er: »Okay, ihr habt ja recht. In Paderborn geht es wieder retour nach Frankfurt. Sorry für diesen Egotrip.«

Darauf hatten Tosca und Flora nur gewartet. Wenn das mal kein Freundschaftsbeweis war! Sie blinzelten sich zu, und dann bekam Nik von rechts und links je einen Kuss.

»Hey, was soll das?«

»Nik, du bist ein richtiger Freund. Und deshalb ...«, setzte Tosca an und ließ Flora den Satz beenden: »... werden wir die Kuh zu dritt vom Eis holen, sprich: den Mordfall lösen!«

»Ich dachte, ihr wolltet in den Urlaub ...«, stammelte Nik gerührt.

»Das wollen wir immer noch, Nik!«, lachte Tosca. »Und je schneller wir diesen Fall lösen, desto eher geht es endlich nach Miami, ist doch logisch, oder?!«

Die Wewelsburg

Die Wewelsburg sah eigentlich mehr wie ein mächtiges, imposantes Schloss aus. Die weitläufige Anlage erhob sich auf einem Bergsporn und war schon von weitem zu sehen. Die dicken Mauern hatten eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Das dunkelste Kapitel hatten die Nazis geschrieben, die aus der Wewelsburg eine Schulungsstätte für die SS gemacht hatten. Aber das war Vergangenheit. Heute befanden sich in dem Gebäudekomplex ein Museum und eine von Wanderern und Naturliebhabern gern besuchte Herberge. Unter den Gästen befanden sich seit kurzem auch Hoffmann und Nilson. Das Interesse der beiden galt weniger den umliegenden Wanderwegen, als vielmehr dem geheimen Archivraum, der sich laut ihrer Unterlagen im Keller des Wirtschaftsgebäudes unterhalb des Nordturms befand. Um nicht von den vielen Burgbesuchern gestört zu werden, hatten die beiden beschlossen, den Turm zunächst von außen unter die Lupe zu nehmen. Sie gingen die weite Ringmauer entlang, bis sie sich unterhalb des Nordturms befanden. Schnell fanden die beiden Männer einen Seiteneingang. Das Schloss war schnell geknackt. Erleichtert stellten sie fest, dass der Turm offensichtlich nur noch als Abstellkammer genutzt wurde. Mit Blick auf den mitgebrachten Grundriss fand Hoffman die Tür, die ins Kellergewölbe führte. Gemeinsam stiegen sie die alte Steintreppe nach unten, studierten dann erneut ihre Unterlagen und gingen weiter, bis sie vor einer weiteren Tür standen, die nicht abgeschlossen war. Sie betraten den Raum und waren sich sicher, dass sie ganz nah am Ziel waren. In diesem Keller musste sich der zugemauerte Zugang zu dem geheimen Archivraum befinden!

Jetzt trat Nilson in Aktion. Systematisch suchte er mit einem Spezialgerät zur Hohlraumortung die Wände ab, bis er auf eine Anomalie im Mauerwerk stieß. Ein Hohlraum! Sie bräuchten nur an der besagten Stelle das Mauerwerk zu entfernen, um an den verdeckten Raum zu gelangen. Das passende Werkzeug, um die Wand aufzustemmen, hatten sie im Auto. Am nächsten Morgen wollten sie zur Tat schreiten.

Nach der Landung in Paderborn hatten Nik, Flora und Tosca ein Taxi genommen, das sie zur Burganlage bringen sollte, die keine vier Kilometer weit entfernt war.

Schon nach fünfhundert Metern waren sich Flora und Tosca einig: Hier war tiefste Provinz.

»Am besten wäre es, wenn wir schnellstens den Mord aufklären und dann up and away nach Miami fliegen!« meinte Tosca. »Aber das ist leichter gesagt als getan, solange wir überhaupt keinen Anhaltspunkt haben, außer dass während des fünfzigjährigen Kriegs irgendwelche Schweden hier rumgeturnt sind!«

»Erstens dauerte dieser Krieg dreißig Jahre und keine fünfzig, und zweitens gibt es über diese Burganlage noch viel mehr zu sagen!«, dozierte Nik, der noch immer nicht dazu gekommen war, seine umfangreiche Recherche zum Besten zu geben.

»Wir sind ganz Ohr, Professor!«, sagte Flora, die neugierig war, was Nik noch auf der Pfanne hatte. Und so erfuhren die beiden Freundinnen, dass während der Nazizeit die Burg als Schulungsstätte für die SS gedient hatte. »Sie wurde sogar als ›Gralsburg‹ bezeichnet!«

Da Flora und Tosca sich darunter nichts vorstellen konnten, holte Nik zu einer längeren Erklärung aus. »Die Nationalsozialisten, also die Nazis, hielten sich ja für Herrenmenschen. Deutschland sollte die Welt beherrschen, deswegen haben sie auch die Nachbarländer angegriffen und damit den Zweiten Weltkrieg ausgelöst! Und die SS war eine besonders brutale Truppe der Nazis. Diese Typen waren total fanatisch. In der Wewelsburg wurden sie nach dem Motto geschult: Ihr seid auserwählt, ihr seid wie schwarze Ritter!«

»Und deswegen haben sie die Wewelsburg eine Gralsburg genannt! Die haben König Artus und die Ritter der Tafelrunde kopiert!« Bei Tosca war der Groschen gefallen. »Nur mit dem Unterschied, dass Artus und seine Tafelrunde den Heiligen Gral gesucht haben, während die Nazis Millionen von Menschen umgebracht haben«, kommentierte Flora, die nicht gut auf Nazis zu sprechen war. Sie hatte während ihrer Zeit als Straßenkid schlechte Erfahrungen mit Skins gemacht, die ziemlich brutal gegen Punks vorgegangen waren.

»Aber es gab Nazis, die allen Ernstes auch nach dem Gral gesucht haben, und zwar in Südfrankreich!«, ergänzte Nik.

»Jetzt wird's aber völlig meschugge. Sie haben nach dem Gral gesucht? Wer glaubt denn an solchen Schwachsinn?«, fragte Flora und tippte sich an die Stirn.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2015
ISBN (eBook)
9783955206291
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
eBooks Jugendbuch ab 12 Jahre Spannung Thriller Agenten James Bond Anthony Horovitz Alex Rider 1965 1966
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Titel: Im Reich der Toten - Niks zweiter Fall
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