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Who is Who?

Chaos an der Côte d’Azur

©2016 323 Seiten

Zusammenfassung

Wer braucht schon Liebe? – Champagner prickelt auch! „Who is Who – Chaos an der Côte d’Azur“ von Leni Ohngemach jetzt als eBook bei dotbooks.

Die Côte d’Azur – mondäner Treffpunkt der Reichen und Schönen - und mittendrein zwei, die hier auf den ganz großen Fang aus sind. Die gewitzte Hochstaplerin Corinna und die nicht weniger raffinierte, angeblich so unschuldige Moni haben es auf einen waschechten Milliardär abgesehen. Doch leider haben beide dasselbe Ziel ins Auge gefasst: Börsen-Milliardär Bas Fischer. Da ist es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis die beiden schönen Lügnerinnen aneinander geraten … Und so entbrennt ein rasantes Spiel aus Verwirrung, Verwechslung und Lügen, an dessen Ende Moni und Corinna feststellen, dass Geld doch nicht alles ist.

Leni Ohngemach schildert mit beißendem Humor und ironischer Doppelbödigkeit eine Welt, in der keiner ist, der er vorgibt zu sein. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Who is Who?“ von Leni Ohngemach. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Die Côte d’Azur – mondäner Treffpunkt der Reichen und Schönen -  und mittendrein zwei, die hier auf den ganz großen Fang aus sind. Die gewitzte Hochstaplerin Corinna und die nicht weniger raffinierte, angeblich so unschuldige Moni haben es auf einen waschechten Milliardär abgesehen. Doch leider haben beide dasselbe Ziel ins Auge gefasst: Börsen-Milliardär Bas Fischer. Da ist es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis die beiden schönen Lügnerinnen aneinander geraten … Und so entbrennt ein rasantes Spiel aus Verwirrung, Verwechslung und Lügen, an dessen Ende Moni und Corinna feststellen, dass Geld doch nicht alles ist.

Leni Ohngemach schildert mit beißendem Humor und ironischer Doppelbödigkeit eine Welt, in der keiner ist, der er vorgibt zu sein.


Über die Autorin:

Leni Ohngemach, geboren in Stuttgart, war nach dem Studium in München und Theaterarbeit mit George Tabori als Drehbuchautorin bei Film und Fernsehen tätig. Sie schrieb unter anderem das Drehbuch zum Erfolgsfilm Das Superweib und dem international preisgekrönten Zweiteiler Opernball. Who is Who ist ihr erster Roman und wurde 2004 bereits erfolgreich verfilmt. Heute lebt und schreibt die Autorin in Los Angeles und Berlin.

Die Website der Autorin: http://www.leniohngemach.com/

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Überarbeitete Neuausgabe Januar 2016

Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel Schöne Witwen küssen besser im S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der Originalausgabe 2004 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ashva

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-444-3

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Leni Ohngemach

Who is Who?

Chaos an der Côte d’Azur

Roman

dotbooks.

Prolog

Unter einem Meer von schwarzen Regenschirmen reckte die elegant gekleidete Trauergemeinde neugierig die Hälse nach der Quelle des herzzerreißenden Schluchzers: Ihr Kostüm war maßgefertigt, beinahe nicht zur rechten Zeit aus dem Atelier zurück und saß wie eine zweite Haut. Zusammen mit dem Wagenrad-Hut und dem klitzekleinen Schleier, der ihr Gesicht noch geheimnisvoller erscheinen ließ, ein Meisterwerk der Schneiderkunst. Unwillkürlich wurde der Blick des Betrachters auf das beachtliche Dekolleté gezogen, das sich hinter dem fast berstenden oberen Knopf der taillierten Jacke verbarg. In den schwarz behandschuhten Händen die langstielige rote Rose als letztes Abschiedsgeschenk. Hinter ihr ein Livrierter mit einem weißen Zwergpudel im Arm, der anfing zu winseln, als der Sarg langsam in die glatt ausgehobene Grube hinuntergelassen wurde, den Deckel zierte ein königliches Bouquet weißer Madonnenlilien, jenen betörenden Duft in der feuchten Frühlingsluft hinterlassend, den so manche mit dem Geruch der Fäulnis assoziieren.

***

Am Rand des protzigen Mausoleums derer von Rockwell gab der Bischof höchstpersönlich den letzten Segen. Der Sarg war unten angekommen. Der schmerzliche Höhepunkt der Zeremonie nahte. Die Witwe trat ans Grab, strauchelnd. Der Livrierte hielt helfend die Hand. Der Pudel winselte lauter. Die Witwe trennte sich von der Rose, griff eine Schaufel mit Erde. Nasen wurden geschnäuzt. Der Pudel fing an zu kläffen. Die Witwe warf schwungvoll die Erde auf den Sarg – zu schwungvoll, wie sich herausstellen sollte. Die Ledersohlen ihrer grazilen nigelnagelneuen Manolos rutschten über die nasse Erde. Mit dem Gleichgewicht kämpfend, riss die Witwe zum Ausgleich die Arme mitsamt der Schaufel hoch, wobei im Gegenzug etwas Glänzendes aus ihrer Jackentasche auf den glitschigen Boden fiel – der frisch polierte silberne Flachmann, eines jener sich als fatal herausstellenden Geburtstagsgeschenke ihres verstorbenen Ferdinand. Vor aller Augen bückte sie sich, griff das kostbare Stück und kippte nach einem zeitlupenartigen Taumler, noch bevor die hilfreich hingestreckte Hand sie abermals retten konnte, mitsamt dem Flachmann kopfüber ins Grab, sich im Fallen geistesgegenwärtig von der Schippe trennend, die nach einem kleinen Überschlag in der Luft den betenden Bischof am Kopf traf, der wie in tiefer Andacht getroffen zu Boden sank. Ein Pressefotograf hielt den Moment für die Ewigkeit fest. Nur die spitzen High Heels steckten trotzig wie die einzigen Zeugen in der nassen Erde vor dem Grab.

***

Das Foto schaffte es auf die Titelseite des »LEUTE«-Magazins. Als Überschrift wählte der geschiedene Chefredakteur: »Witwen on the Rocks – Reiche Erbinnen und der Alkohol«, wobei er aus dem Thema eine mehrseitige Sammelstory mit der rhetorischen Frage herausdestillierte, ob denn Alkohol ein Witwentröster sei. Zu dem Foto von Gloria Rockwells Stöckelschuhen, im Hintergrund unscharf sie selbst verschleiert auf Lilien, gesellten sich Fotos von anderen Damen in ähnlich unglücklichen Lebenssituationen. Geballte Ansammlungen von Kummer und Schicksalsschlägen der Society-Ladys und solchen, die es sein wollten, verkauften sich immer besonders gut. Die zumeist schlechter gestellte Leserin konnte so hautnah miterleben, dass auch die reichste Witwe mit ihrem Kummer alleine war, die schönste Frau betrogen werden konnte und selbst Berühmtheit in gewissen Lebenssituationen nur lästig und absolut nicht wünschenswert war. Abgesehen davon waren wir alle doch nur Menschen, und Geld allein machte auch nicht glücklich. So der immer gleich bleibende Erkenntniswert dieser Artikel.

Kapitel 1

Der Learjet schwebte über dichter werdenden weißen Wölkchen in der azurnen Himmelsdecke. Das blutorangerote Licht der Nachmittagssonne brach durch die blank geputzten Scheiben auf ein poliertes Silbertablett mit einer großzügigen Portion Beluga-Kaviar, den der junge Steward angerichtet hatte. Dazu schenkte er ein Glas sprudelndes Mineralwasser ein. Dahingestreckt auf einem weißen Sofa, die perfekten langen Beine mit den hochhackigen Jimmy Choos leger über den Rand der Sofalehne gelegt, in einem eng sitzenden schwarzen Kostüm, das Gesicht von einer Ausgabe des MONEY-Magazins mit einer Titelstory über die 50 vermögendsten Junggesellen der Welt verdeckt, räkelte sich der einzige Passagier. Da der einfühlsame Steward keinen Augenblick daran zweifelte, dass es sich bei dem Fluggast um eine der Porträtierten im LEUTE-Magazin handelte, hatte er vorsorglich bereits vor dem Boarding das Gästeexemplar des Klatschmagazins außer Sicht geschafft und im Pilotenraum versteckt.

***

Die Witwe blickte von ihrer Lektüre hoch und studierte das Fischer Air-Logo auf der Uniform des Stewards. Es glich der Friedenstaube von Picasso, weiß auf blauem Untergrund. Der Steward folgte ihrem Blick und, dabei ertappt, lächelte er wie eine Krankenschwester.

»Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns?«

Sie nickte langsam, ein wenig erstaunt. »Ja, sehr.«

»Warten Sie erst, bis wir in Nizza sind. Herr Fischer hat ein wunderbares Anwesen dort.«

»Château Beaulieu?«

Der Steward nickte. »Ja. Sie werden dort völlig ungestört sein.«

Die Witwe widmete sich wieder ihrer Lektüre. Zwischen den Fotos diverser prominenter Junggesellen aus Showbusiness und Industrie stach das eines braun gebrannten, lebenslustigen Typs im Ferrari mit einem schiefen Grinsen heraus. Die schlechte Auflösung des Fotos ließ ahnen, dass es sich um einen Schnappschuss handelte. Die Bildunterschrift identifizierte ihn als »Balthasar ›Bas‹ Fischer, Börsenmilliardär und Airlinebesitzer, vor Château Beaulieu, seinem Landsitz an der Côte d'Azur.«

Die Wölkchen draußen häuften sich zu Wolken. Aus dem Schweben wurde ein Ruckeln. Die Maschine verlor an Höhe. Gerade als der Pilot über Lautsprecher seine Ansage für die Landung in Nizza und die damit verbundene Sicherheitsprozedur beginnen wollte, fiel die Maschine in ein Luftloch, gefolgt von heftigen Turbulenzen. Gläser klirrten. Der Steward sank nieder auf seinen Sitz, schnallte sich fest und blickte nach draußen. Dichter weißer Nebel überall, oben und unten war nicht mehr zu unterscheiden. Die Maschine wurde hin- und hergeschleudert. Zu dem Ruckeln gesellte sich nun auch noch ein Fallen. Mit immer rascher werdendem Tempo raste die Maschine nach unten. Das Schlimmste stand zu befürchten. Der Steward krallte sich an seiner Lehne fest und blickte angstvoll zu den Sauerstoffmasken, die im Seitenteil verstaut waren, während er ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel schickte. Er hatte doch gerade erst letzte Woche seinen neuen Job angetreten. Und er wollte nicht sterben. Noch nicht. Vielleicht war der Job doch nicht das Richtige für ihn? War es das denn wert, für ein paar lumpige Tausender im Monat täglich sein Leben zu riskieren? Dabei hatte er doch noch gar nicht richtig gelebt! Und er hatte noch so viel vor! Mit dem Optimismus eines zum Tode Verurteilten reckte er seinen mit kaltem Schweiß bedeckten Kopf zur Seite und schielte Hilfe suchend zu seinem Fluggast.

Die Witwe lauschte in aller Seelenruhe dem von Herrn Fischer höchstpersönlich zusammengestellten Musikprogramm. Sie wiegte den Kopf und summte leise mit.

»It's not that I wouldn't – it's not that I shouldn't
and it's not that I couldn't, it's simply because
I am the laziest gal in town ...« –


Sie liebte Nina Simone. Ihre heisere, verlebte Laszivität, ihre tief romantische Sehnsucht nach der großen alles verzehrenden Liebe, wider besseres Wissen. Ihren dunklen Humor. Ihre ironische Distanz zu allem. Besonders zu sich selbst.

Der Anblick ihrer wippenden Schuhspitzen war für den Steward beunruhigender als die Wolkenformationen vor dem Kabinenfenster. Wahrscheinlich hatte sie schon längst mit ihrem Leben abgeschlossen. Was spielten da ein paar kleine Turbulenzen für eine Rolle? Vielleicht freute sie sich sogar, wieder mit ihrem verstorbenen Gatten vereint zu sein? Dem Steward wurde ganz flau im Magen bei diesen Gedanken, sein Puls fing an zu rasen. Er überlegte sich, ob er danach in einer anderen Inkarnation wieder geboren würde. Und wenn ja, in welcher, und wo.

Einige Inkarnationen später, er stellte sich gerade vor, er sei eine kleine Chinesin, brach die Maschine durch die Wolkendecke. Mit einem Schlag hörte das Ruckeln auf. Tiefblaues Meer mit weißen Schaumkronen schimmerte unter ihnen, die berühmte Blaue Küste, in ihrer ganzen verheißungsvollen Pracht. Die Maschine schwebte in Richtung dicht bebaute Küstenlandschaft, genau dorthin, wo auf einer steilen Küstenstraße einst die unsterbliche Grace Kelly in Über den Dächern von Nizza ihre legendär atemberaubende Autofahrt mit Gary Grant hingelegt hatte, im Übrigen unweit von der Stelle, wo sie im richtigen Leben zwanzig Jahre später auf tragische Weise verunglückte. Der Film gehörte in die absolute Top Ten der Lieblingsfilme des Stewards, er hatte ihn schon mindestens ein Dutzend Mal im Original gesehen. Sein Fluggast erinnerte ihn ein wenig an die große Grace. Dieselbe Eleganz, dieselbe abrupte Direktheit und Unverblümtheit. Das, was man damals noch »Nonchalance« nannte und heute neudeutsch »cool«. Während er noch seinen Gedanken nachhing und sein Magen sich allmählich wieder beruhigte, landete die Maschine hart, aber sicher und rollte gemächlich aus. Die Witwe reichte dem Steward das Magazin zurück. Er sah mitgenommen aus. Seine Hände zitterten.

»Ist Ihnen nicht gut?«

»Doch, doch, danke, es geht schon. Ich bin die Strecke einfach noch nicht so gewöhnt.«

***

Aus dem Bauch des Jets wurde eine nicht enden wollende Ansammlung von Louis-Vuitton-Koffern und Taschen auf einen Gepäckwagen geladen. Die Witwe erschien auf der Gangway der Privatmaschine, in voller Trauerkleidung, mit Schleier, ganz wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt.

Durch das Fenster des Cockpits beobachteten der Pilot und sein Kopilot, wie sie gelassen das Treppchen hinunter stakste.

»Sie hat jedenfalls gute Nerven.«

»Vielleicht wollte sie ja sterben. Manche Menschen verwinden den Tod eines geliebten Menschen nie.«

Der Steward hatte sich eingemischt. In seiner Stimme lag etwas zutiefst Melodramatisches. Der Pilot grinste breit.

»Na, mit ein paar hundert Milliönchen Euro Erbe kann man einiges verschmerzen.« Er hatte den Artikel im LEUTE-Magazin sorgfältig vor dem Abflug studiert. »Aber Geld allein ist doch kein Trost.« Der Pilot und sein Kopilot tauschten einen wissenden Blick. Der Neue war offensichtlich noch reichlich naiv. Und so eifrig. Beinahe rührend.

Dem Steward fiel ein, dass die Dame ihr Carry-On-Köfferchen vergessen hatte, und beeilte sich, es ihr hinterherzutragen.

Die Witwe nahm ihren Koffer in Empfang und strahlte ihn an.

»Danke, sehr lieb von Ihnen. Und sagen Sie bitte, welcher davon ist jetzt meiner?«

Sie zeigte auf die Fahrbahn. Für einen Moment stutzte der Steward, musste dann aber verblüfft lachen.

»Entschuldigung, aber ich bin froh, dass Sie das so witzig ausdrücken. Sie haben natürlich Recht. Ich werd gleich noch einen zweiten Wagen rufen, damit wir das Gepäck extra transportieren.« Die Witwe lächelte verschmitzt unter ihrem Schleier, bedankte sich und stieg auf den Tarmac.

***

In einem Hangar in unmittelbarer Nähe, unter einem alten, liebevoll gepflegten Doppeldecker namens »Bertha«, lag ein Mann im verschmierten Fliegeroverall, der bis dahin an einem Ölschlauch herumgefummelt hatte. Bis sein Blick aufs Flugfeld fiel. Ein bewunderndes Pfeifen kam ihm spontan über die Lippen. Auf dem im Gegenlicht der Abendsonne flirrenden Tarmac näherte sich eine schwarz gekleidete Gestalt im engen Kostüm und mit Schleier, ganz wie eine Männerphantasie aus einem Helmut-Newton-Foto.

Er hielt inne.

Die Witwe, wie magisch angezogen von dem gut trainierten schweißbedeckten Männeroberkörper unter der Maschine, der schräg vom nachmittäglichen mediterranen Sonnenstrahl beleuchtet wurde, verlangsamte ihren Schritt, um im Vorbeigehen einen kurzen, aber intensiven Blick auf das Gesicht des Besitzers dieses bemerkenswerten Oberkörpers zu werfen. Sie schob ihren Schleier zurück und beugte sich leicht vor, damit sie diesen Mechaniker in seiner ganzen Pracht besser sehen konnte.

Der wiederum, vom Anblick der außergewöhnlichen Physiognomie der Witwe gefesselt, vergaß seinen Ölschlauch. Das unter Druck angestaute Öl spritzte wie eine Fontäne direkt in ihre Richtung.

»Huuuuuuuh.«

Die Witwe schreckte wie von der Tarantel gestochen zurück. Betastete ihr Gesicht, ihren Ausschnitt. Betrachtete angewidert die klebrige schwarz-grüne Brühe an ihren Fingern. Eine unscharfe Silhouette sprang unter dem Doppeldecker hervor und wedelte mit einem Lappen.

»Pardon, Madame, ein kleines Missgeschick.«

»Ich hoffe, das ist nicht Ihr bester Trick, um Witwen zu trösten.«

Er grinste. Humor hatte sie jedenfalls. Das stachelte ihn an. Mal sehn, wie weit der ging.

»Mein Beileid, Madame. Moment, das haben wir gleich.«

Er bearbeitete ihr Dekolleté in sanft kreisenden Bewegungen mit seinem Lappen. Gesicht und Hals nahmen langsam eine gleichmäßige tief oliv-grüne Grundierung an.

Die Witwe wehrte ab. »Nein, lassen Sie das mal lieber, Sie machen ja alles nur noch schlimmer, und dann auch noch mit diesem widerlichen unhygienischen Lappen!«

Der Typ ließ immer noch nicht von ihr ab. Jetzt hatte sie aber die Faxen dicke. Sie riss dem Kerl den Lappen aus der Hand, donnerte ihn angeekelt auf den Boden. Besah sich ihre Bluse. Völlig ruiniert. Na prima. Das fing ja gut an.

Er genoss jede Sekunde. Wann würde sich ihm jemals wieder so ein Schauspiel bieten? Vor ihm riss sich die Erscheinung, ihn völlig ignorierend, geistesgegenwärtig die Bluse auf, zog ein Ersatzoberteil aus ihrer Birkin-Bag und wechselte in wenigen Sekunden das Outfit.

»Ich werde die Bluse natürlich reinigen lassen oder ersetzen.« Sein Blick schweifte kennerisch über ihren schwarzen Spitzenbüstenhalter. »Wenn Sie mir nur sagen, wo ich das gute Stück hinschicken darf?«

Sie hielt einen Moment inne. Der Blick dieses Mechanikers hatte etwas Anzügliches. Er war frech. Sehr frech. Zu frech. Er machte sich tatsächlich lustig über sie.

»Schmieren Sie sich die Bluse irgendwohin.« Sie hatte genug von dem Zwischenspiel, Oberkörper hin, Oberkörper her, und drehte sich weg in Richtung Terminal, wo in diesem Moment eine schwarze Limousine vorfuhr.

Er sah ihr nach, wie sie verschwand, langsam, eine Phantasie auf dem Rückzug. Wie immer, wenn er zu sich kommen musste, griff er sich an den Nacken und massierte seine Wirbel. Eine Stimme holte ihn zurück aus seinem verwirrenden Traum, dessen genaue Interpretation noch Zeit in Anspruch nehmen würde.

»Sach mal, Kollege, wolltest du nicht längst in Irland sein?«

Neben ihm stand der Pilot von Fischer Air in seiner schnieken dunkelblauen Uniform, der Kontrast zu seinem eingedreckten Mechanikeroverall hätte nicht größer sein können. Langsam kam er wieder zu sich.

»Ja, eigentlich schon, aber aber ich bin aufgehalten worden, meine meine Ölpumpe, die die wollte einfach noch nicht weg von hier.« Er stotterte leicht und gestikulierte unkoordiniert in Richtung zu dem schlapp hängenden Ölschlauch, innerlich noch mit etwas anderem beschäftigt.

»Sach mal Kollege«, er imitierte den Tonfall des Piloten und zeigte zu der davon eilenden Witwe »... das da – ist wer noch mal?«

Der Pilot stutzte. »Gloria Rockwell. Wir haben sie eben abgeholt.«

Er kramte das LEUTE-Magazin heraus, das er sich aus der Maschine mitgenommen hatte, und zeigte auf das Titelbild. Außer den High Heels, die in der aufgehäuften Erde vor einem Grab steckten, und einer unscharfen verschleierten Gestalt im Hintergrund war allerdings wenig von der Witwe Rockwell zu erkennen. Der Mechaniker grinste gedankenverloren, nickte ein paar Mal abwesend, sagte aber nichts weiter. Der Pilot klopfte dreimal »Good Luck« auf die Schnauze des Doppeldeckers und ging davon.

Sobald er weg war, hob der Mechaniker die Bluse auf und schnupperte an ihr. »Myake. Herb, aber sexy. Das passt.« Er lachte in sich hinein. Es war lange her, dass er zum letzten Mal dieses Kribbeln verspürt hatte.

»Gloria Rockwell«

Er genoss es, ihren Namen auszusprechen. Vielleicht war es ja ein Wink des Schicksals, dass sein Ölschlauch gerade heute versagt hatte. Er beschloss, seinen Abflug nach Irland zu verschieben und sich diese Witwe erst nochmal genauer anzusehen.

Kapitel 2

Vom Steuer eines Ferrari Testarossa aus ist die Küstenstraße zwischen Cannes und Antibes eines der sexysten und überheblich machenden Erlebnisse, die ein Junggeselle an der sich nicht gerade bescheiden gebenden Côte d'Azur haben kann. Der Fahrer dieses Ferraris war derselbe braun gebrannte, gut aussehende Typ mit Sonnenbrille in Polokleidung, der im MONEY-Magazin als Balthasar »Bas« Fischer abgebildet war. Er sang gut gelaunt zur Musik aus dem CD-Spieler mit.

»Blinded by the Light,
revved up like a deuce,
another runner in the night,
Dadadadadadadadaaaa ...
Blinded by the
Light ...«

Nach einem morgendlichen Bad im Pool hatte er eine kleine Runde Golf gespielt, danach ein leichtes Mittagessen im Club eingenommen, um anschließend kurz am Yachthafen vorbeizuschauen, ob noch alles stand. Ja, das Leben war hart an der Côte. Er setzte sein schiefes Grinsen auf. In Deutschland war sicher wieder Hundewetter. Entweder zu kalt oder zu heiß. Nie ideal. Es war die beste Entscheidung seines Lebens gewesen, in den Süden zu ziehen. Die Polokleidung war nur ein Tick, er spielte nicht selbst, aber er mochte die Schnitte und die Qualitäten und fand sie schick wie nichts.

Sein Telefon lag auf dem Beifahrersitz und war auf Vibration eingestellt. Nicht dass er es gehört hätte, wenn es auf Klingeln geschaltet gewesen wäre. Nicht bei der Lautstärke. Aber wer sollte ihn auch schon anrufen, heute, wo doch mehrere Wochen genussvoller und stressfreier Privilegien vor ihm lagen. Während er noch seine Lebensfreude aus sich hinaussang, wurde er aus seinem göttlichen Geschwindigkeitsrausch durch einen höchst seltsamen Anblick gerissen. Etwas Weißes stand am Straßenrand. Er nahm den Fuß vom Gas, drehte ungläubig den Kopf, um sich zu vergewissern, dass der Campari, den er im Clubhaus genossen hatte, nicht doch halluzinogene Wirkungen gehabt hatte. Nein. Hatte er nicht. Neben der Fahrbahn stand tatsächlich eine Braut in einem weißen Tüllkleid!

Seinem kennerischen Blick entging kein Detail. Die Braut war jung, Mitte zwanzig vielleicht, hübsch, mit einem trotzigen Ausdruck im Gesicht. Sie hatte einen kleinen Lederkoffer bei sich. Und sie weinte. Der Ferrari-Fahrer konnte keine Frau weinen sehen. Er bremste scharf und legte noch im Ausrollen den Rückwärtsgang ein, so dass er neben der Braut zum Stehen kam.

»Entschuldigung, aber kann ich Ihnen vielleicht helfen, Madame?«

Ihr unschuldiges Gesicht verzog sich. Zu spät war ihm klar geworden, was man mit so einem scheinbar harmlosen Wort wie »Madame« alles anrichten konnte. Sie verbesserte ihn trotzig.

»Mademoiselle.« Weiter kam sie nicht. Wieder kullerte eine dicke Träne die rosige Wange hinunter. Gefolgt von einer weiteren Träne. Und weiteren, unzählbaren Folgetränen.

Der Ferrari-Fahrer war mit einem unkontrollierbaren Strom von Tränen konfrontiert, der ihn bis in die letzte durchtrainierte Muskelfaser erschütterte. Er machte sich Vorwürfe. Wie hatte er nur so unsensibel sein können. Er stieg aus und ging um den Wagen herum zu dem seltsamen Geschöpf in Weiß.

»Bitte, beruhigen Sie sich doch. Sie sind ja völlig außer sich. Ich kann das gar nicht sehen, wenn eine Frau weint, noch dazu eine ... Braut. Kann ich Sie vielleicht irgendwohin mitnehmen? Sie zittern ja ... Jetzt steigen Sie erst mal ein.«

Er öffnete den Wagenschlag der Beifahrertür und verfrachtete die Braut samt ihrem leicht zerrissenen Kleid sorgsam in den Ferrari. Ganz leise und gefühlvoll schloss er die Tür und setzte sich wieder ans Steuer. Für einen kurzen Moment sah die Braut hinaus aufs Meer, als wolle sie sich damit beruhigen. Die Sonne hatte noch Kraft, warf ihren goldenen Schein in die Segel der langsam dahingleitenden Boote. Etwas Magisches lag in diesem Anblick. Ihre Augen trafen sich. Er lächelte verlegen.

»Ich bin übrigens der Basti.« Der Ferrari-Fahrer wagte nicht, ihr die Hand zu geben.

Das unglückliche Geschöpf putzte sich die Nase. Blickte scheu zu ihm auf. Es war zum Herzerweichen.

»Ich die Moni.« Sie lächelte. Streckte ihm ihre Hand entgegen.

Er nahm sie vorsichtig. Sie trug keinen Ring.

Der Ferrari-Fahrer setzte ein charmantes, schiefes Grinsen auf, schob seine Brille zurück.

»Wie wär’s mit einem Kaffee? Danach sieht die Welt gleich viel besser aus.«

Da es noch zu früh zum Abendessen war, musste sich Moni mit Fraises de Bois, Walderdbeeren auf gut Deutsch, unter einem Berg Schlagsahne, zufrieden geben, die sie genüsslich, schnell und systematisch in sich hineinschaufelte. Es schien, als habe sie tagelang nichts gegessen. Basti bestellte noch einen Campari, da es für den ersten Martini noch zu früh war. Das melodramatische Talent der Braut amüsierte ihn. Vielleicht übertrieb sie ein wenig, aber im Großen und Ganzen war sie rührend. Ganz zu schweigen von ihrem reizenden Anblick. Das Brautkleid war bereits ein wenig derrangiert im Büstenbereich. Außerdem stand er auf Frauen mit gesundem Appetit. Das war immer ein gutes Zeichen und ließ auf Sinnlichkeit schließen, wenn eine Frau keine Kalorien zählte. Nebenher brachte sie ihn auf den neuesten Stand ihrer vorausgegangenen Schicksalsschläge.

»Es sollte die Traumhochzeit werden, nur wir beide auf einem Boot, eine wunderschöne alte Yacht, aus den zwanziger Jahren, und der Kapitän, der uns traut.«

Sie machte eine kurze Pause. Blickte aufs Meer. Basti versuchte, sich interessiert zu zeigen. Moni besah sich die Eclairs, quetschte sie leicht zusammen und begann, genüsslich die Sahne mit ihrer kleinen rosa Zunge abzulecken.

»Ich musste Peter dazu überreden, leider, er musste sich schwer dazu überwinden ... er hatte mal als Kind so ein Erlebnis gehabt und wäre fast mal ertrunken, ich dachte, vielleicht ist es ganz gut, wenn er sich dem stellt und das dann vielleicht überwindet, aber das Gegenteil war leider der Fall ...« Sie musste abbrechen, überwältigt von der Erinnerung.

Bastis Anteilnahme für Peter war zwar nicht besonders groß, dennoch wurde er schlagartig ernst. »Ist ihr Bräutigam etwa ... ertrunken?«

Moni lächelte. »O nein, nein ... Es kam ja gar nicht dazu, dass wir aufs Boot gingen.«

Basti versuchte, einen möglichst interessiert fragenden Blick zu produzieren. Aha. Sie war zumindest nicht verheiratet. Das könnte die Sache leichter machen.

Sie fing wieder an zu essen. Offensichtlich war der Appetit der Kleinen unendlich.

»Es hatte was damit zu tun, dass mein VW-Bus gestohlen wurde und ich Anzeige gegen den Aufseher am Campingplatz erstatten musste ...«

»Campingplatz?«

»Für die ersten paar Tage hab ich auf einem Campingplatz gewohnt, außerhalb von Cannes, nur als Übergang, bis Peter kommen würde. Ich musste doch alles vorbereiten, ja, mit ein paar Überstunden ging das ja auch ...« Nach einem fragenden Blick von Basti fügte sie schnell hinzu. »Ich arbeite in einem Reisebüro. Das heißt, ich hab da gearbeitet.« Sie schniefte, fasste sich aber rasch wieder. »Für Peter hab ich einen sehr guten Tarif bekommen, wenn man bedenkt, dass er nur Erste Klasse fliegen kann, wegen seiner Klaustrophobie ...«

»Oh.« Basti bekam langsam ein Bild von diesem Peter. Bestürzung und Wut bauten sich in ihm auf.

»Wir wären dann gleich ins Carlton-Hotel umgezogen, Peter kann ja nicht im Freien übernachten ...«

»... wegen seiner Allergien, nehme ich an?« Basti platzte langsam der Kragen.

Moni hörte auf zu essen. »Woher wissen Sie das jetzt?«

»Ich glaub, ich kann mich inzwischen ganz gut in diesen Peter hineinversetzen. Ich bin nämlich selbst allergisch gegen gewisse Typen ...« Er legte eine kleine Pause ein, um dann seinen Satz zu Ende zu bringen, »... von Staubmilben und so anderen Parasiten. Aber ich hab Sie unterbrochen.«

»Lange Rede kurzer Sinn, Peter ist dann gar nicht gekommen.«

»Was?« Nackte Empörung keimte in Basti auf.

Moni versuchte abzuschwächen. »Peter hat natürlich sofort angeboten, mir einen Scheck zu schicken, für meine Unkosten. Aber das wollt ich dann doch nicht annehmen, wo er doch bald für drei sorgen muss.«

Sie war erschöpft. Musste erst mal einen Bissen zu sich nehmen. Basti fiel vor Enttäuschung die Kinnlade herunter. Natürlich, es musste ja ein Haken dran sein. Es hatte von Anfang an zu gut ausgesehen, um wahr zu sein. Er versuchte, möglichst mitfühlend zu klingen. »Ach so, Sie sind schwanger?«

Jetzt machte alles plötzlich Sinn. Auch ihr gigantischer Appetit. Die Kleine schaufelte weiter Sahne in sich hinein.

»Nein, nicht ich. Er hat vor der Abfahrt seine alte Freundin wieder getroffen. Die bekommt jetzt ein Kind von ihm.«

Basti atmete auf. Na, das schien ja ein schöner Saftsack zu sein, dieser Peter.

»Ah.« Mehr fiel ihm dazu nicht ein.

»Aber ich will Sie wirklich nicht weiter mit meiner traurigen Geschichte belasten ...«

»Im Gegenteil. Ich meine, natürlich, klar, es ist schon sehr traurig. Aber vielleicht ist es besser, dass es so gekommen ist. Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten erst später herausgefunden, dass dieser Peter Sie belügt und betrügt. Dieser Mann hat Sie jedenfalls nicht verdient.«

Das war Balsam für ihre Wunden. Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen. Dieses Mal vor Rührung.

Basti ging jetzt zum Angriff über. »Wissen Sie denn wenigstens, wo Sie jetzt hingehen wollen?«

Moni schüttelte den Kopf wie ein heimatloses Kind. Instinktiv legte ihr Basti beschützerhaft seinen Arm um die Schultern.

»Ich könnte Sie ein paar Tage bei mir unterbringen, falls Ihnen das nicht unangenehm ist?«

Moni schüttelte langsam den Kopf. Es schien ihr alles andere als unangenehm zu sein. Sie sah ihn schmachtend an. »Wenn es Ihnen keine Umstände macht?«

Es gab absolut nichts, was Basti weniger Umstände gemacht hätte. Ganz im Gegenteil.

Kapitel 3

Winston, in nagelneuer Freizeitkleidung, belud seinen alten Mercedes aus den 60er Jahren mit Koffern und Angelruten. Alles war gut gepflegt und seine Schuhe auf Hochglanz gewienert. An seinem wasserdichten Blouson klebte noch das Preisschild von Harrods. Er hatte sich das gute Stück vor mehr als zwanzig Jahren beim Sommerschlussverkauf in London gegönnt, mangels Gelegenheit aber nie getragen. Jetzt war endlich die Zeit gekommen, seine sorgfältig überdachte Investition von damals standesgemäß einzuweihen. Es spannte inzwischen leicht um den Bauch herum, aber Winston hoffte, durch den Verzicht auf Alkohol in den nächsten Wochen wieder seine alte Form zurückzugewinnen. Schon übermorgen könnte er, wenn er nicht zu müde wäre, um die Nacht durchzufahren, wieder in der Heimat sein. Er hoffte auf Regen, denn es gab nichts Schöneres, als bei einem leichten Sommerregen über die saftig grünen Wiesen Schottlands zu wandern.

***

Ein Taxi fuhr heran und wartete bei laufendem Motor geduldig einige Minuten lang. Der Taxifahrer steckte den Kopf aus dem Fenster, doch der ältere Herr mit seinen Angelruten und in dem zu engen Blouson machte keine Anstalten, sich um ihn zu kümmern. Er wurde langsam unruhig und drückte zweimal leicht auf die Hupe, was dem Fahrzeug ein höfliches Hüsteln entlockte. Gerade noch dezent genug, um auf sich aufmerksam zu machen, aber nicht so aufdringlich, dass es als störend empfunden werden konnte. Winston hielt kurz inne, streifte mit einem unverbindlichen Blick das Taxi, blickte hinüber zum großen Eingangsportal. Die Tür stand offen, aber nichts regte sich. Typisch. Winston machte sich wieder ans Verstauen seiner Utensilien. Das zweite Hüsteln fiel penetranter aus. Winston sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, sich als nicht zuständig auszugeben. Er nickte dem Taxifahrer ein paar Mal kurz zu, wobei er leise vor sich hin brummte, während er die ausgetretenen Marmorstufen hinaufstieg, die zum Eingang führten. »Recht so, recht so.«

Die Sitzgruppen in der Eingangshalle waren bereits für die Sommerferien mit weißen Tüchern abgedeckt. Winston verlagerte das Gewicht auf die Fersen, öffnete den Brustkorb wie ein Tenor, um sein ganzes Stimmvolumen auszuschöpfen.

»Nicooooole! Taaaaxiiii!«

Winstons Gesicht war krebsrot angelaufen. Er drehte sich nach Beendigung seiner kurzen Arie, ohne eine Antwort abzuwarten, auf dem Absatz um und hastete zurück nach draußen.

***

Auf der großen Anrichte neben der Spüle in der Küche, was eine leicht untertriebene Bezeichnung für die Gourmet-Kathedrale mit alten Kacheln und neuestem Edelstahl war, hockte Nicole und wachste sich die Beine. Sie hatte ihren gepackten Koffer im allerletzten Moment noch einmal wild entschlossen aufgerissen, als ihr eingefallen war, sie könne als Erstes ins Meer springen, wenn sie in Phuket ankäme, allerdings unmöglich mit den Stoppeln an den Beinen. Leider nahm die Tätigkeit mehr Zeit in Anspruch als sie dachte. Sie wusste natürlich, dass das Taxi wartete, und Winstons leicht vorwurfsvoller Ton machte sie nur noch nervöser. Wie eine Operettensoubrette hatte Nicole die Angewohnheit, sich leicht aufzurichten, wenn sie mit ihrer schrillen Stimme durchs Haus trillerte. Winston und sie hatten es in diesen häuslichen Duetten bereits zu meisterlicher Präzision gebracht.

»Ja, ja, isch kooooomm gleisch.«

Sie hatte diesen süßen französischen Akzent, wenn sie Deutsch sprach. Obwohl sie mit Winston auch hätte Englisch sprechen können. Aber weil Winston die Preußen so übermäßig bewunderte, zumindest im Gegensatz zu den Franzosen, wurde im Haus nur teutonisch gesprochen. Hektisch riss sich Nicole ein extra großes Stück Wachs nahe der Bikini-Zone aus.

»Aaaahhhhhh! «

Ein schönes Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt. Sie hielt einen Moment inne, betrachtete ihr Werk. Auf der einen Seite zierten kleine rote Pusteln die Haut, während die andere Beinhälfte noch in ihrem behaarten Urzustand war. Eins war schlimmer als das andere. Zudem klingelte nun auch noch das Telefon. Nicole beschloss, es erst einmal zu ignorieren und sich schnell die zweite Seite vorzunehmen. Der Anrufer war stur. Es klingelte und klingelte. Sie richtete sich wieder auf.

»Wiiiiiinstooooon! Telefoooooooooon!«

Keine Reaktion. Wahrscheinlich war Winston schon ins Land seiner Vorfahren entschwunden. Das Telefon klingelte immer noch. Es hatte einen ätzend penetranten Unterton, wie in einem Hitchcock-Thriller, kurz bevor ein Mord geschieht. Sie ließ es noch ein paar Mal klingeln und hob schließlich genervt den Hörer ab.

»Oui? Non. Wir erwarten niemanden.«

Sie wollte bereits den Hörer wieder auf die Gabel donnern, als die Erwähnung des »F«-Wortes sie davon abhielt. Herrn Fischers Wünsche waren selbstverständlich heilig.

Am anderen Ende der Leitung hing der nette Steward von Fischer Air und redete mit Engelszungen auf die widerspenstige Hausangestellte ein. Er stand am Zollausgang des Privatfliegerbereichs neben zwei Limousinen. Die eine wurde eben mit Gepäck beladen, in der anderen saß die Witwe und rauchte ungeduldig eine Zigarette. Der Steward lächelte ihr beruhigend zu, während er weiter mit dieser unwilligen Person am anderen Ende telefonierte. »Ich weiß, Mademoiselle, es hat ein Hin und Her gegeben, weil die Baronin die Einladung von Herrn Fischer zuerst angenommen und dann wieder abgesagt hat, im letzten Moment aber doch noch zugesagt hat. Jetzt ist sie jedenfalls hier und wird in spätestens einer Stunde bei Ihnen eintreffen. Das wollte ich Ihnen nur mitteilen.«

Nicole verdrehte die Augen. Und was hatte das alles mit ihr zu tun? Ihr Flieger nach Thailand wartete. Und es war höchste Zeit.

»Außerdem müssten Sie eigentlich alle Infos nochmal extra per Fax direkt ins Haus bekommen haben?«

Das Allerletzte, um das Nicole sich jetzt kümmern wollte, war das Faxgerät. Sie hasste es wie die Pest und hatte an einem Punkt in der Vergangenheit beschlossen, seine gesamte Existenz einfach zu ignorieren. Wenn etwas wirklich wichtig war, wurde das sowieso telefonisch erledigt. Und den Briefverkehr erledigte entweder Herr Fischer selbst oder sein Anwalt. Außerdem funktionierten diese Maschinen nie, wenn man sie brauchte. Technik machte Nicole nervös.

»Je ne sais pas. Il n'y a pas de Fax ici ... non, je ne sais pas ›undertprozent‹ ...«

Diese Deutschen wollten immer alles »hundertprozentig« wissen. Das machte sie auf die Dauer auch so anstrengend. Mit wenigen Ausnahmen. Ihr Boss zum Beispiel. Der war das Gegenteil von anstrengend. Aber er war auch nur selten da, und wenn, machte er sowieso alles selbst. Dieser Steward, der musste neu sein, fing an, ihr langsam auf den Keks zu gehen mit seiner Pedanterie. Sie legte den Telefonhörer auf den Tisch und humpelte genervt zur »Kommunikationsecke«, wo ein inzwischen antiquiertes Faxgerät neben einem veralteten Drucker stand. Natürlich lag kein Fax dort. Sie humpelte zurück zum Telefon, triumphierend.

»Pas de fax. Je vous ai dit ...«

Der Steward hatte trotz seiner jungen Jahre einen besonderen Instinkt für menschliche Schwächen und eine Begabung für Problemlösungen entwickelt, die er sich seit frühester Jugend im Umgang mit seinen drei älteren Schwestern zugelegt hatte, alle drei schwierig, launisch und kompliziert. So etwas prägte fürs Leben.

»Haben Sie schon mal nachgeschaut, ob noch Papier in Ihrem Faxgerät ist?«

Nicole humpelte zurück und überflog die Anzeigen am Gerät. Tatsächlich, eine davon blinkte mit regelmäßiger Gleichmäßigkeit: »Feed Paper ... Feed Paper.« Nicole kriegte die Krise und schrie aus Leibeskräften:

»Wiiinston? – Wiiiiinnstoooooooooon!?«

Nach diesem markerschütternden Schrei, der auch dem Hartgesottensten die Haare zu Berge hätte stehen lassen, war Winston ins Haus gestürzt und hatte eine neue Rolle Papier eingelegt, woraufhin das Gerät wie wild sämtliche Faxe der letzten drei Wochen auszuspucken begann. Nicole schwante nichts Gutes, als sie sah, wie Winston durch die Faxe ging und nickte. »Recht so, recht so.«

»Was eißt das jetzt, Winston?« Sie wusste durchaus, dass Winstons Ausspruch mehrere sehr differenzierte Bedeutungsebenen besaß, angefangen bei der ursprünglichen bis hin zum genauen Gegenteil: Was dieses Mal der Fall war.

»Dass wir uns beeilen müssen. Das Zimmer vorbereiten, einkaufen ...«

»Und unser Urlaub?«

Die Frage hatte sich erübrigt, Winston war bereits aus der Tür. Nicole warf die in der Zwischenzeit hart gewordenen Enthaarungsutensilien frustriert in den Müll. »Merde.«

***

Obwohl das Château viele Zimmer und ein neu gebautes Gästehaus hatte, wurde der Master-Bedroom im ersten Stock manchmal als Gästezimmer für besondere Fälle benutzt. Er hatte den schönsten Ausblick und das größte und luxuriöseste Badezimmer. Herr Fischer war viel in der Welt herumgekommen und hatte die besten Ideen aus Hotels zusammengetragen. Im Gegensatz zu den antik eingerichteten Zimmern waren die Badezimmer auf dem neuesten technischen Stand. Natürlich wurde bei dieser Gelegenheit immer die Fischer-Matratze gegen eine Gästematratze ausgewechselt, eine Prozedur, die Nicole ganz besonders verabscheute und um die sie sich normalerweise drückte. Da aber keiner der anderen Hausdiener mehr anwesend war, musste sie wohl oder übel mit Winston gemeinsam das Gäste-King-Size-Monstrum von einem Lagerraum herschleppen und das Fischer-Monstrum in Folie packen und in den Lagerraum bugsieren.

Nicole wechselte danach blitzschnell wieder in ihr Dienstmädchenkleid mit gestärkter Schürze und Häubchen und Winston in seine traditionelle englische Butleruniform. Beide waren völlig außer Atem und leicht angeschwitzt, ihr Gast würde jede Minute eintreffen. Schließlich fehlte nur noch ein letzter Pfiff: Blumen wurden in Vasen arrangiert, Spiegel geputzt und das Bett mit feinstem gestärkten Leinen bezogen. Nicole war in diesen Dingen blitzschnell und geschickt wie keine Zweite.

Winston räumte derweil die gut bestückte Bar aus und legte die Flaschen in eine Mülltüte. Nebenbei versuchte Nicole, ihm ein paar Details über den kommenden Gast zu entlocken.

»Isch versteh nischt, warum diese Frau Gloria ...«

Winston unterbrach sie sofort. »Baronin Rockwell, Nicole.«

Nicole hatte ganz klar Autoritätsprobleme. Sie stellte sich gern sofort auf Du und Du mit den Gästen. Eine Fraternisierung musste so früh wie möglich vermieden werden.

»Warum diese Baronin irerkommt in das Land des Weines und dann keinen Alkool trinken will ... oder darf? Ist sie vielleischt eine ...«

»Nicole, merken Sie sich, die Neugierde und die Eitelkeit sind Schwestern.«

Winston liebte es, wenn er seine alten Wahrheiten aus der »guten alten Zeit« loswerden konnte, als er noch in London bei einem bekannten Theaterautor und dessen Frau, im Übrigen eine Verwandte der Queen, arbeitete. Nicole genoss diese Dialoge wie ein beliebtes und immer wiederkehrendes Ritual, wobei sie es verstand, sich besonders naiv und unerfahren anzustellen, um so viel wie möglich aus ihm herauszuquetschen.

»Ah? Isch versteh nischt.«

Winston dozierte gerne und verriet dabei meistens mehr, als ihm hinterher lieb war. »Wissen bringt eine Überlegenheit, die eitle Charaktere bei jeder Gelegenheit auszukosten belieben.«

Er nahm ein Foto von der Konsole und betrachtete es melancholisch. Zwei braun gebrannte Typen in engen Jeans und Indienhemdchen mit langen Mähnen und einem breiten Grinsen auf den Gesichtern. Der ältere der beiden war Ferdinand Rockwell, der jüngere, damals fast noch ein Teenager, Bas Fischer. Das Foto war in den siebziger Jahren aufgenommen, irgendwo bei St. Tropez.

»Ist er das, dieser Baron? Der sieht aber noch ganz jung aus!«

Nicoles Indiskretionen waren eine tägliche Geduldsprüfung. Winston nickte und seufzte »recht so« und steckte das Foto ein. Er wollte der Witwe den schmerzhaften Anblick ihres verstorbenen Gatten ersparen.

»Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Merken Sie sich das, Nicole. Wir müssen noch schnell einkaufen. Beeilen Sie sich.« Und schon war Winston wieder aus dem Raum.

Nicole schnitt ihm eine Grimasse hinterher. »Beeilen Sie sisch. Merken Sie sisch.«

Für einen kurzen Moment sank sie aufs Bett und stellte sich vor, sie selbst wäre der Gast. »Rescht so.« Dann raffte sie ihre Putzutensilien hastig zusammen und eilte nach unten.

Kapitel 4

Der Ferrari bog von der Küstenstraße ab und folgte einem schmalen privaten Weg, vorbei an sorgfältig gestutzten Hecken und gepflegten Anwesen mit manikürten Rasen bis hinauf zu einem großen handgeschmiedeten Eisentor, das sich wie magisch von selbst öffnete. Es führte zum größten und exklusivsten Anwesen an diesem Küstenstrich, Château Beaulieu. Sie rollten auf einem mäandernden Kiesweg durch eine gepflegte Parklandschaft. Akkurat gestutzte kanarische Palmen, die von exotischen Farngruppen umrandet wurden, säumten den Weg. Eine hochherrschaftliche Villa in Ockergelb tauchte hinter einer Kurve auf.

Moni, immer noch im Brautkleid, öffnete den Mund. Es war wie im Märchen. Ein Prinz hatte sie, das Aschenbrödel, gerettet. Als sie die Villa sah, stieß sie einen lauten Begeisterungsschrei aus.

»Wow – das ist ja noch toller, als ich es mir vorgestellt hab, ich meine, als alles, was man sich jemals vorstellen könnte.«

Basti überhörte Monis kleinen Versprecher. Sie waren inzwischen zum Du übergegangen. »Ich hoffe, die Ruhe hier wirkt sich beruhigend auf deine Seele aus.«

Und ob. Alles hier wirkte sich beruhigend auf Monis Seele aus. Sie spürte schon, wie sie von Minute zu Minute entspannter wurde.

»Ich fürchte nur, es wird nicht sehr luxuriös werden. Das gesamte Personal hat leider Urlaub. Wir werden also ganz alleine sein. Ich hoffe, das macht dir nichts aus?«

Moni machte das gar nichts aus. Im Gegenteil. »Aber das ist doch wunderbar!« Sie errötete und fügte schnell noch hinzu: »Ich kann auch kochen und so.«

Auf Bastis Gesicht spiegelte sich bereits die Vorfreude auf das »und so«, als er im nächsten Moment irritiert abbremsen musste. Vom Haus her preschte ein Taxi mit einem schimpfenden Fahrer knapp an ihnen vorbei und hüllte sie für ein paar Sekunden in eine Staubwolke, die sich erst langsam wieder klärte. Basti wunderte sich. Moni sah ihn fragend an.

»Vielleicht hat sich jemand verfahren?«

Er fuhr langsam und schweigend vor den Haupteingang. Kein Mensch war in Sicht. Alles verlassen. Moni konnte sich gar nicht beruhigen vor Begeisterung. Basti öffnete ihr galant den Wagenschlag. Als Moni keinerlei Anstalten machte auszusteigen, hob Basti sie vorsichtig aus dem Wagen und trug sie über die Schwelle, ganz so, als ob er eben seine eigene Braut heimgebracht hätte. Gut, dass ihm niemand dabei zusah, dachte er sich.

***

Am Hintereingang stand Nicole bei den Mülltonnen. Sie hatte größte Schwierigkeiten, diese wunderbaren Flaschen, die zum Teil noch ungeöffnet waren, einfach wegzuwerfen. Hätte man sie nicht irgendwo verstecken können? Nein, Winston war da knallhart. Alles musste weg. Sofort. Sonst wäre die Versuchung zu groß. Alkoholiker finden immer einen Zugang zur Flasche, ganz gleich, wo sie versteckt ist. Er hatte Erfahrung damit, aus seinen Tagen in London. Winston saß bereits im Auto und winkte ungeduldig. »Beeilen Sie sich, Nicole!«

»Ja, ja.«

Nicole entdeckte einen besonders guten Cognac und konnte nicht widerstehen. Sie drehte sich weg und genehmigte sich einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Diese Engländer waren noch schlimmer als die Boches. Das waren echte Kameltreiber. So wie die früher ihre Kolonien organisiert hatten, so führten die sich jetzt im Ausland auf. Aber nicht in Frankreich. Und nicht mit ihr. Das alte Vorurteil gegenüber dem Erbfeind kam langsam bei Nicole wieder ans Tageslicht. Sie nahm noch einen Schluck und steigerte sich zielgerichtet in einen Wutanfall hinein. O ja, sie hatte ein anarchisches Temperament. Und tatsächlich noch viel größere Autoritätsprobleme, als Winston je ahnen würde.

Winston verzog unwillig das Gesicht. Dieses undisziplinierte Ding. Warum hatte er überhaupt so viel Geduld mit ihr? Sie arbeitete gut, aber auch nur, wenn sie Lust dazu hatte. Wenn. Das war eben der Punkt. Das durfte man ihr nicht durchgehen lassen. Er würde persönlich mit Herrn Fischer darüber sprechen nach der Sommerpause. Er würde ihm vorschlagen, jemand anderen zu suchen. Es müsste sich doch jemand finden lassen, der auch in seiner Einstellung zu ihnen passte. Vielleicht jemand, der reifer war, nicht so verwöhnt und ungezogen und frech wie diese Nicole. Winston drückte ungeduldig auf die Hupe.

***

»Hat's da eben gehupt?«

Basti horchte auf. Er stand mitten im Salon. Moni hatte bereits alle Räume im Erdgeschoss inspiziert. Die Eingangshalle glich einer Hotellobby, und durch die Glastüren hindurch konnte man den Park sehen mit den Palmen, die wie Säulen auf dem leuchtend grünen Rasen standen, der in Richtung Meer abfiel. Alles sah genauso aus wie in den Lifestyle-Magazinen über die Reichen und Berühmten. Die hohen langen lichtdurchfluteten Räume, die polierten Böden, die Mischung aus Alt und Neu. Moni reagierte nicht auf Bastis Bemerkung, sie war mit Wichtigerem beschäftigt. Sie malte sich bereits aus, wie sie als zukünftige Dame des Hauses Partys und Empfänge in den eleganten Räumen geben würde.

»Oh, Basti. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist einfach nur schön. Am liebsten würde ich dir um den Hals fallen.«

»Und – was hält dich zurück?«

Moni näherte sich. Legte vorsichtig den Arm um ihn. Er zog sie heran, näher und näher. »Dieses Kleid, das macht mich ganz ...«

Der Rest des Satzes ging in dem Tüll unter, in den er seinen Kopf vergraben hatte.

***

Mittlerweile waren vor dem Haus die beiden Limousinen vorgefahren. Die Witwe machte keine Anstalten auszusteigen, sondern lugte aus dem Rückfenster nach draußen. Sie sah den Testarossa vor der Tür und überlegte sich, ob sein Besitzer vielleicht doch nicht im Ausland weilte, wie angekündigt. Beide Limo-Fahrer waren ausgestiegen und sahen sich um. Nichts rührte sich. Einer der Fahrer drückte vorsichtig auf seine Hupe.

Keine zwei Minuten später kam ein Herr in Butleruniform um eine Hausecke gehetzt. Er näherte sich der Limousine und verneigte sich formvollendet vor der schwarz gekleideten Dame im Fond.

»Willkommen in Beaulieu, Madame. Pardon, ich hoffe, Sie mussten nicht lange warten. Wir hatten einige ... technische Probleme. Herr Fischer lässt Sie herzlichst grüßen und Ihnen ausrichten, sein Haus ist Ihr Haus in seiner Abwesenheit ...«

»Wieso Abwesenheit? Da ist er doch, oder?«

Die Witwe hatte sofort den braun gebrannten, gut aussehenden Ferrarifahrer von dem Foto im MONEY-Magazin erkannt, der eben an der Eingangstür aufgekreuzt war und sich die Haare sortierte. Basti war kurz zuvor aus der wilden Knutscherei mit Moni durch ein weiteres Hupen aufgeschreckt worden. Sie hatten es sich gerade auf dem Sofa gemütlich gemacht, und Basti hatte bereits damit begonnen, genussvoll das Mieder ihres Brautkleids aufzuhakeln, eine Aktion, auf die er sich schon seit dem frühen Nachmittag gefreut hatte. Es war der denkbar schlechteste Augenblick für eine Unterbrechung gewesen.

Noch bevor Winston reagieren konnte, war die Witwe auch schon mit offenen Armen auf Basti zugegangen. »Balthasar, wie schön, dass wir uns doch noch persönlich kennen lernen.«

Basti blickte Winston leicht irritiert an, pflanzte der Witwe einen perfekten Handkuss auf und versuchte, die Situation so entspannt wie möglich zu nehmen. »Es freut mich sehr, Madame ...«

»Was soll denn die Förmlichkeit, Balthasar. Ich weiß, du und mein Mann wart gut befreundet, leider vor meiner Zeit, sonst hättest du mir doch nicht diesen wunderbaren, rührenden Brief geschrieben.«

Sie zog einen Brief aus ihrer Kostümtasche mit dem smaragdgrünen Briefkopf Balthasar Fischer. »Ich hätte sonst nie den Mut gehabt, einfach hierher zu kommen. Und was soll das alberne Sie. Für dich bin ich Gloria.«

Sie nahm seine Hände und drückte sie so herzlich, dass Basti rot wurde. Das war ihm seit dem Abschlussball nicht mehr passiert. Er war sofort eingenommen von dem umwerfenden Charme dieser Dame. Alles an ihr war geschliffen und hatte Stil. Eine absolute Klassefrau. Jetzt nur nicht unsicher werden. Er stotterte leicht, als er leise hervorstieß: »Ich bin der Basti. Herzlich willkommen in Beaulieu.«

***

Als sie die ganze Gruppe aufs Haus zukommen sah, rannte Nicole zurück von ihrer Lauschposition am Fenster und platzierte sich in der Halle an der großen Freitreppe, an deren Geländer sie sich mit einem Staubwedel zu schaffen machte. Hinter der schwarz gekleideten Baronin und Basti folgten Winston und die beiden Fahrer mit den Koffern. Das Ganze sah aus wie eine seltsame Prozession. Gerade als die ganze Mannschaft in der Halle angekommen war, trat Moni aus dem Salon.

Alle blieben erstaunt stehen und musterten sich gegenseitig. Selbst Winston war für einen Moment sprachlos. Was hatte diese Braut hier zu suchen? Hatte Herr Basti etwa heimlich geheiratet? Am meisten erstaunt aber war Moni selbst. Hatte sie sich eben noch ganz allein mit ihrem Traummann geglaubt, so stand jetzt eine ganze Reisegruppe vor ihr. Wollten die etwa alle hier bleiben und ihr den intimen Aufenthalt mit Basti Fischer versauen?

Basti fand als Erster seine Sprache wieder. »Darf ich vorstellen Baronin, das ist die Moni... ahm...«

Moni musterte die attraktive Dame in Schwarz. Eine Verwandte vielleicht? Die Schwester? Oder eine Kusine? Nach den Kleidern zu schließen war sie Witwe. Und dazu noch gut aussehend für ihr Alter, sie war höchstens Ende dreißig, vielleicht Anfang vierzig, und dem Gepäck nach zu schließen war sie auch noch reich. Und wenn sie gar keine Verwandte war? Moni wurde unsicher, witterte sofort Konkurrenz. Wo doch alles so gut angefangen hatte.

Die Witwe war ebenfalls erstaunt über die Anwesenheit einer anderen weiblichen Person und analysierte die Situation in Sekundenschnelle. Das Mädel vor ihr in ihrem zerfledderten Brautkleid sah jedenfalls nicht so aus, als ob sie eben geheiratet hätte. Dieser Basti musste es ja faustdick hinter den Ohren haben. Obwohl er eigentlich relativ harmlos aussah. Er schien noch jünger zu sein als auf dem Foto. Noch lausbübischer. Vielleicht hatte er sich eine Professionelle ins Haus geholt? Offensichtlich hatte er nach der ersten Absage ihre Ankunft nicht mehr erwartet und war überrascht worden, das zeigten schon die Spuren von ihrem Lippenstift, die er noch an seiner Backe hatte. Während ihr innerer Computer noch alle Möglichkeiten der gegenseitigen Beziehungen abcheckte, stellte sich die Witwe nach außen hin dumm. »Darf ich gratulieren?«

»O nein, nein. Moni ist eine ... Bekannte. Wir kennen uns erst seit kurzem. Das ist aber eine ziemlich lange Geschichte, nicht wahr, Moni?« Moni lächelte etwas verklemmt.

Nein, eine Professionelle hätte anders reagiert.

»Eine Braut und eine Witwe an einem Tag? Was fürr ein Sufall?«

Für ihre vorlaute Bemerkung erntete Nicole von Winston ein konsterniertes Kopfschütteln und von Basti einen giftigen Blick.

»Moni, du wohnst im Gästehaus. Bitte, Nicole, zeig ihr doch schon mal das Zimmer.«

Nicole warf Basti einen giftigen Blick zurück, schwenkte ihren Staubwedel und zeigte damit in Richtung Garten wie ein Verkehrspolizist.

»A gauche, hier lang, bitte ...«

Moni blieb nichts anderes übrig, als Nicole zu folgen, während sich Basti um die Witwe kümmerte. Ihre Stimmung war dahin. Diese Witwe passte ihr gar nicht in den Kram. Und dann noch dieses patzige Stubenmädchen. Was die sich rausnahm. Das würde sie ihr alles ganz schnell austreiben.

Die Witwe sah den beiden nach. Diese Nicole war eigentlich zu hübsch für eine Putzfrau. Und offensichtlich raffiniert, schlau und dazu noch unverhältnismäßig frech für eine Angestellte. Vielleicht hatte sie was mit ihrem Chef, dass er ihr dieses Benehmen durchgehen ließ? Wahrscheinlich stand er auf Dominierung. Manche der mächtigsten Männer liebten es bekanntermaßen, wenn sie drangsaliert wurden. Vorsichtig ausgedrückt. Wer weiß, was da noch zwischen den beiden ablief. Wer weiß, was sich überhaupt in diesem scheinbar so gepflegt konservativen Haus mit diesem flotten, legeren Besitzer alles so abspielte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, als ob direkt vor ihren Augen ein absurdes Theaterstück aufgeführt wurde. Und sie selbst spielte darin eine tragende Rolle. Winston unterbrach ihre Gedanken. »Baronin, wenn Sie mir bitte folgen möchten.«

Leicht versonnen erklomm die Witwe die Treppe. Nur ihre Ballen berührten die Stufen, ihre schmalen Absätze schwebten grazil in der Luft. Ja, sie würde schon noch dahinter kommen, welches Stück hier gegeben wurde.

Kapitel 5

Das Gästehaus lag ein wenig abseits vom Haupthaus, am Hang, näher am Meer, und war eine Welt für sich. Alles war weiß getüncht im maurischen Stil, bis auf die leuchtend blaue Eingangstür, neben der eine alte Bougainvillea rankte, die ihre pinkfarbenen papiernen Blüten über die Hausfront verteilte und ein dicht gestutztes Dach über dem Eingang bildete. Um das Haus herum wickelte sich ein Bogengang mit Nischen, in denen Sitzkissen aus reichen Brokatstoffen und niedrige Möbel aus exotischen Hölzern standen. Das Innere des Hauses war mit marokkanischen Möbeln ausgestattet, die Mitte des Hauptraums zierte ein kleiner Teich mit Seerosen. Die Decke darüber war ausgeschnitten und ließ ein Stück Himmel frei, der in demselben knalligen tiefen Blau wie die Türen und Fensterläden leuchtete. Moni hielt den Atem an. Wie ein Traum aus Tausendundeiner Nacht.

Nicole beobachtete den Neuzugang mit kaum zu verbergender Verachtung. Natürlich war Nicole ähnlich staunende Reaktionen von Gästen des Hauses gewohnt, aber diese Kreatur in ihrem lächerlichen Brautkleid gaffte. Sie war mit offenem Mund hinter ihr ins Gästehaus getrapst und hatte nebenbei auch noch erwartet, dass Nicole ihr mit dem Gepäck behilflich war, einem zerschlissenen Koffer, der so schwer war, als befänden sich Steine darin. Nicole stellte das Unikum direkt neben der Tür ab und verdrückte sich grußlos so schnell sie konnte. Von diesem Gast würde sie nie jemals auch nur einen Cent Trinkgeld sehen, warum sich dann überhaupt bemühen?

Moni war viel zu beschäftigt mit sich und ihrer neuen Umgebung, um auf die Launen des Zimmermädchens einzugehen, das in Monis Phantasie bereits entlassen und durch einen kleinen attraktiven Diener in Seidenkaftans ersetzt worden war. Auf der Terrasse mit Meerblick konnte man sich nackt sonnen, was Moni sogleich ausprobierte. Sie fühlte sich bereits jetzt wie die Made im Speck. Alles war so organisiert wie in einem besonders luxuriösen Hotel. Die Badetücher, der Bademantel und sogar die Frotteeschlappen waren mit einem weiß auf weißen »BF« monographiert. Es gab einen kleinen Kühlschrank mit allem, was das Herz begehrte. Moni genehmigte sich erst mal zur Feier ihrer Ankunft ein Glas Schampus und wartete auf Basti, der sich allerdings Zeit ließ. Hier würde sie es aushalten in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten, oder wer weiß, vielleicht auch noch länger. Sie phantasierte mit geschlossenen Augen von einer neuen, besseren Zukunft und einer neuen, besseren Identität.

Die Witwe tat dasselbe auf ihre Art. Kaum waren Winston, Basti und die Kofferträger wieder aus dem Zimmer, schleuderte sie die eng sitzenden Pumps von ihren Füßen und öffnete die Balkontür. Der Blick raubte ihr für einen Moment den Atem. Hinter abfallenden Palmenhainen glitzerte das azurblaue Meer. Ein paar Segelboote schaukelten träge im Wasser. Einer jener Königstage an der Côte d'Azur ging zu Ende. Noch wollte niemand zurückfahren in den schützenden Hafen. Das Meer und die untergehende Sonne waren in diesem Augenblick einfach zu mächtig. Man wollte diesen Tag genießen, bis der Himmel sich verabschiedete und die salzige Abendluft bis in die letzten Poren der sonnengetankten Körper gedrungen war. Sie erinnerte sich an dieses Gefühl. Hatte auch schon solche Tage verbracht. Damals, naiv und jung – und rettungslos verliebt. Leider in den falschen, wie sich später herausstellen sollte.

Es schien Lichtjahre her, ja, mindestens zehn, nein mehr, vielleicht fünfzehn Jahre. Sie hatte bei ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag mit dem Zählen aufgehört. Es wurde nicht einfacher, nein. Sie musste seufzen bei der Erinnerung, fing sich aber wieder im nächsten Augenblick. Riss sich den Schleierhut vom Kopf und jauchzte. Konnte ihr Glück kaum fassen. Heute Morgen noch hatte sie geglaubt, in einer aussichtslosen Situation festzustecken. Und jetzt war sie im Paradies. Alles würde gut werden. Sie war wieder in ihrem Element. Das Schicksal hatte sich gewendet und ihr noch eine Chance gegeben.

Sie öffnete einen der Koffer. Kleider quollen heraus. Alle schwarz. Sie hielt sich eins der Kleider vor, es war zwar etwas kurz geraten, passte aber in der Weite. Nahm ein anderes. Machte den nächsten Koffer auf. Unterwäsche, ebenfalls in Schwarz. Sie besah sich einen der Büstenhalter, der unangemessen groß schien für ihre Brüste. Sie stöberte alle Koffer durch. Fand Schuhe, Strümpfe, alles in Schwarz. Und alles neu, wie gerade frisch aus dem Laden geordert. Eine ganze Witwenkollektion. An den meisten Sachen klebten noch die Preisschilder. Das meiste passte perfekt. Nur die Büstenhalter waren zu groß.

Ein kleinerer Koffer enthielt einige Flaschen Wein, in Styropor verpackt, auf dem Etikett war das Landgut derer von »Rockwell« in Liechtenstein abgebildet. Sie setzte sich aufs Bett und öffnete den Carry-On-Koffer. Er war mit schwarzem Samt ausgelegt und hatte mehrere herausnehmbare Schmuckfächer. Sie starrte die Diamanten an und konnte sich daran nicht satt sehen. Zum ersten Mal seit dem Morgen hatte sie Zeit, den Inhalt des Koffers genauer zu studieren. Sie wusste, sie musste schnell handeln.

Nicole lugte von draußen durchs Schlüsselloch. Das Verhalten dieser Witwe war merkwürdig. Sie schien nicht zu trauern. Im Gegenteil. Sie war jung, verdächtig jung, und sie hatte nichts Gebrochenes oder Verletztes in ihrem Gebaren. Jedenfalls sah sie nicht aus wie eine Frau, die gerade die größte Tragödie hinter sich hat und unter dem Verlust eines geliebten Menschen leidet. Vielleicht war der verstorbene Baron ja ein Ekel gewesen oder hatte sie schlecht behandelt, womöglich betrogen, und jetzt war sie froh, ihn endlich los zu sein? Oder sie war zu jung gewesen, als sie ihn heiratete, und jetzt endlich frei, selbst zu entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Vielleicht aber war sie einfach nur eine kalte, berechnende Goldgräberin, die ihren Mann nie geliebt, sondern nur des Geldes wegen geheiratet hatte? Diese Adligen waren ja bekanntermaßen eine Spezies für sich, die meisten wurden schon von frühauf zur Gefühlskälte erzogen.

Auch die Art und Weise, wie sie ihre Koffer durchsuchte, war seltsam. Sie schien verwundert zu sein, fast als ob sie gar nicht wisse, was sich in ihren eigenen Koffern befand. Vielleicht hatte sie Gedächtnisschwund? Oder jemand anderer hatte für sie gepackt, vielleicht eine Angestellte, der man aufgetragen hatte, eine ganze Witwenausstattung zu kaufen. Aber wie merkwürdig oder seltsam auch immer diese Baronin war, wenigstens strahlte sie eine gewisse Klasse aus. Was man von dem Weibsbild, das Basti sich ins Haus geholt hatte, nicht behaupten konnte.

»Ich hätte eigentlich erst noch einen Bikini kaufen wollen, aber es ist so schön warm gerade ...«

Monis schrille Stimme drang bis hinauf zum großen Balkon des Master-Bedrooms, auf dem es sich die Witwe in einem Liegestuhl bequem machte. Sie trug einen schwarzen Badeanzug und studierte ein Fachmagazin für Juweliere, das sie nur kurz weglegte, um über die Balustrade nach unten zu spähen.

Unten am Pool näherte sich Moni in einem Gästebademantel dem arglosen Winston, der sein verlegtes Brillenteil durch einen altmodischen Zwicker ersetzt hatte. Er hatte das ganze Haus nach seiner Brille abgesucht, was denkbar schwierig war, ohne Brille. Und Nicole, die ihm hätte behilflich sein können, war wie vom Erdboden verschluckt. Er half Moni aus dem Bademantel. Erst als es zu spät war, erkannte er, dass sie darunter nichts trug. Der köstliche Anblick ihres Evaskostüms währte allerdings nur kurz für Winston. Ihm flog vor Überraschung der Kneifer von der Nase, und der Rest von Monis Pracht verlor sich in Unschärfe.

»Wenn Mademoiselle möchten, kann ich es ihr besorgen, ähm, ich meine, Ihnen einen besorgen ...« Er kam ins Stottern.

»Morgen vielleicht?« Splitterfasernackt machte Moni einen gekonnten Köpfer ins Schwimmbecken.

Basti, der in demselben Moment auf die Veranda trat, verschluckte sich an seinem Milchshake. Moni tauchte quietschlebendig aus dem Wasser auf, winkte Basti fröhlich zu, wobei ihre Brustwarzen kurz über der Wasseroberfläche sichtbar wurden. »Das Wasser ist herrlich! Gar nicht kalt! Komm doch rein!«

Basti lächelte wie im siebenten Himmel, genoss aber den Anblick dieser sorgsam ausgedachten Show lieber vom Trockenen aus. Außerdem hätte er sich in diesem Zustand nicht ins Wasser gewagt. Die Vorfreude auf die kommenden Tage und Wochen steigerten noch seine Erregung. Er war der einzige Hahn im Korb. Der Gedanke, dass neben der kleinen Braut noch eine attraktive Witwe unter demselben Dach logierte, die vielleicht auch einmal Trost brauchen würde, regte seine Phantasie zusätzlich an. Diese Gloria Rockwell schien zwar relativ gefasst und ein Eisberg, aber wer brauchte ab und an nicht eine starke männliche Schulter zum Ausheulen?

Im selben Moment fiel sein Blick auf den Balkon des Master-Bedrooms, hinter dem die Witwe hervorlugte. Sie studierte über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg Monis Geplansche im Pool mit einem stechenden Blick, so wie ein Ornithologe eine seltene Vogelart. Für einen kurzen Moment sah sie zu Basti hinüber und rettete sich, wie bei einer frivolen Tat ertappt, mit einem verlegenen Lächeln. Basti erkannte in dem Moment, dass selbst die unnahbarste Frau ihre schwachen Momente hatte und unter der reservierten Oberfläche dieses Gletschers wahrscheinlich ein Vulkan schlummerte, der nur darauf wartete, zum Ausbruch zu kommen. Basti verband diese Erkenntnis sogleich mit seinem optimistischen Lebensmotto: »A bissel was geht immer«

Die Einzige, die Bastis innerste Gedanken direkt von seinem Gesicht ablesen konnte, war Nicole. Sie war gekränkt über Bastis neueste Eroberung, stand aber vor der Wahl, entweder sofort zu kündigen oder dem Theater noch eine Weile zuzusehen. Ihr Instinkt sagte ihr abzuwarten. Wer weiß, vielleicht ergab sich ja irgendwann eine günstige Gelegenheit zum Absprung. Ja, Nicole war auf dem Sprung, aber sie würde das Terrain nicht ohne eine angemessene Abfindung freigeben.

Kapitel 6

Nach Sonnenuntergang war die Zeit für den ersten Martini unwiderruflich gekommen. Leider musste Basti sich von Winston über die Vorkehrungen aufklären lassen, die er zum Schutz der Baronin getroffen hatte. Demzufolge hatte sich Basti den Platz bei den Mülltonnen als seine neue private Stehbar auserkoren. Erst nachdem Baronin Rockwell ausrichten ließ, dass sie nicht beabsichtige, zum Dinner zu erscheinen, beschloss Basti, erleichtert, sich den ersten Drink des Tages doch gepflegt auf der Veranda bei offenem Kamin zu genehmigen. Er hatte sich für diese Gelegenheit ein weißes Dinnerjacket angezogen und schmückte eben sein Meisterwerk mit einer Olive. Winston stand daneben wie ein alter Zaubermeister, in der einen Hand die Vermouth –, in der anderen die Wodkaflasche.

»Winston, es geht halt nichts über einen perfekten Martini. Dry. Sehr Dry.«

Was bedeutete, dass Winston die Flasche Vermouth einmal um das Glas kreisen ließ, um es dann vollständig mit Wodka aufzufüllen. Je nach Tagesform mochte Basti lieber die Variante mit der Olive, manchmal lieber die mit der Zwiebel. Heute war definitiv ein Oliventag. Kein Zwiebelgeruch heute. Die Nacht war noch jung. Das Glas war natürlich von Tiffany, dünn und mit präzise dem Durchmesser, den man braucht, um das Getränk wie eine Auster langsam in sich hineinzuschlürfen. Das Urbild der Perfektion. Noch bevor aber Basti das gemeinsam zubereitete Gesamtkunstwerk genüsslich konsumieren konnte, grabschte Moni, die sich von hinten angeschlichen hatte, nach dem Glas und kippte es in einem einzigen durstigen Schluck hinunter. Was dazu führte, dass ihr zunächst der Atem wegblieb, und sie anschließend einen Hustenanfall bekam.

»Huh, das schmeckt aber gar nicht nach Martini.«

Basti tauschte einen Blick mit Winston. Sollte man über die Unwissenheit der Kleinen entsetzt oder entzückt sein? Er entschied sich fürs Letztere, woher sollte die Süße auch die Feinheiten der Trinkkultur kennen. Sicher nicht von diesem Schlappschwanz Peter, ihrem Ex Verlobten. Basti konnte ihr das nur als Unschuld beziehungsweise Informationslücke auslegen. Außerdem schien Moni äußerst lernfähig zu sein und trug zu seinem großen Entzücken das weiße Spaghettiträgerkleid mit dem extrem freizügigen Dekolleté, das er ihr am Nachmittag auf dem Rückweg in einer Boutique in Cap du Soleil gekauft hatte.

»Das Kleid passt ja wirklich wie angegossen. Du siehst aus wie ... (er suchte nach einem passenden Ausdruck, der nicht missverstanden werden konnte) ... wie eine griechische Göttin.«

»Ja, meinst du wirklich? Ich find mich ja eigentlich irgendwie oben zu breit für Spaghettiträger ...«

Sie zupfte unsicher an der Büste herum, wobei sie die zu knappe Stoffmenge über die zu große Oberfläche dehnte. Basti zupfte jetzt auch, aber mit dem gegenteiligen Ziel.

»O nein nein, überhaupt nicht, das muss doch so sein.«

Das war ja gerade der springende Punkt gewesen, warum er das Stück ausgesucht hatte. Es spannte an den richtigen Stellen.

»Vielleicht wär eine Nummer größer doch besser gewesen, achtunddreißig vielleicht ...«

»Um Gottes willen, nein, das kleinere ist doch viel mehr ... viel sexyer ...«

Während Basti noch nach dem korrekten Komparativ von »sexy« in seinem eingeschränkten Wortschatz suchte, blieb ihm der Rest des Satzes im Hals stecken. Aus der Tiefe des Hauses näherte sich die Witwe. Winston versteckte geistesgegenwärtig beide Flaschen hinter seinem Rücken und drehte sich mit einer galanten Verbeugung um die eigene Achse, während Basti nichts anderes übrig blieb, als sein Glas dezent im Gardenienbusch verschwinden zu lassen.

»Wow.«

Das war das Einzige, was ihm beim Anblick der Witwe einfiel, und es klang mehr wie das Bellen eines Hundes. Nie hatte ein kleines Schwarzes verführerischer gewirkt. War es der Ausschnitt? Die Zigarettenspitze? Der gigantische Diamant an ihrem Finger? Die Nonchalance der Trägerin?

»Ich hoffe, ich störe nicht ...« Banal, aber wirkungsvoll, der Satz.

»O nein nein, über... überhaupt ni...icht ...« Basti kam ins Stottern. »Moni und Gloria, ihr kennt euch ja schon.«

Man nickte sich zu. Falsche Freundlichkeit auf beiden Seiten. Moni war nicht entgangen, welch magische Wirkung das Auftauchen der Witwe auf Basti hatte. Und das gefiel Moni überhaupt nicht. Es war ihr inzwischen glasklar geworden, dass diese Frau absolut keine Verwandte von Basti war und somit ihre direkte Konkurrenz darstellte, ja mehr noch, sie war eine beachtliche Bedrohung.

Aber die Witwe hatte ganz andere Sorgen. Nachdem sie mit ein paar der besten Juweliere der Gegend telefoniert hatte, um die Situation abzuchecken, hatten sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Jeder fing an, mehr Fragen zu stellen als ihr lieb war. Vielleicht war Balthasar Fischers Anwesenheit, der sich merkwürdigerweise Basti und nicht Bas nannte und irgendetwas Verdruckstes an sich hatte, doch noch zu etwas nutze. Sie beschloss daher, den Angriff nach vorne anzutreten und sich zum Dinner zu zeigen, wobei sie den größten Diamantring aus dem Koffer wählte und sich ein kurzes Organzakleidchen von Valentino dazu aussuchte. Den zu großen Büstenhalter stopfte sie kurzerhand mit zwei Spitzenhöschen aus, was genau die wünschenswerte Push-up-Wirkung hatte. Sie lächelte dem Mädel in ihrem ordinären Kleidchen mit den berstenden Nähten so neutral-desinteressiert wie möglich zu.

»Ich bin schon jetzt ganz gespannt auf die lange Geschichte.«

»Welche lange Geschichte denn?«

Basti war der feindselig zuckersüße Blickwechsel seiner beiden Gäste entgangen, als er unschuldig ins Fettnäpfchen tapste.

»Na, die Geschichte von Fräulein Moni und ihrem Brautkleid.«

Moni war noch nie um eine Antwort verlegen gewesen. Ganz besonders nicht gegenüber einer arroganten Schnepfe mit Alkoholproblemen, die nun wirklich keinen Grund dazu hatte, sich etwas einzubilden, wie ja seit dem peinlichen Artikel im LEUTE-Magazin die ganze Welt wusste.

»Erst nachdem Sie uns alles über die Beerdigung erzählt haben, Gräfin.«

»Baronesse.«

Die Witwe sah an Moni hinunter wie eine Schulmeisterin an ihrem Zögling. Das Kleid spannte unsäglich. Die Beine waren nicht schlecht, gar nicht schlecht, nein. Und ihre Sandaletten waren bemerkenswert. Nur passten sie nicht zum Kleid. Diese schön gearbeiteten Kristalle, sicher Swarowski, waren etwas für richtig große Anlässe. Ganz zu schweigen davon, dass die Fußnägel in einem bedauernswerten Zustand waren. Nicht nur blätterte der aufdringliche pinkfarbene Lack an den kleineren Zehen bereits ab, nein, von der Seite war auch ganz klar die Hornhautschicht erkennbar, die sich mangels Pediküre und Feilen an den Fersen aufgebaut hatte. Unverzeihlich widerlich. Der Witwe drehte es bei dem Anblick beinahe den Magen um. Würde jemand mit solchen Zehen vor den Traualtar treten?

Moni schien etwas von den Gedanken der Witwe zu ahnen. Sie schaute nach unten, doch ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass sie kurz davor war, der Witwe an die Gurgel zu springen.

Basti war klar, dass eine gewisse Anspannung zwischen den beiden Damen herrschte, und er musste eingreifen, um eine Eskalation zu verhindern. »Vielleicht sollten wir erst eine Kleinigkeit essen? So ein leerer Magen schlägt ja aufs Gemüt.«

Er stellte sich zwischen die beiden Primadonnen und geleitete sie an einen provenzalisch gedeckten Tisch mit gelbem Steingutgeschirr, auf dem Windlichter flackerten. Nicole hatte schnell noch einen dritten Teller und Gläser aufgelegt und schenkte etwas Hellgelbes, Sprudelndes aus einem Glaskrug ein. Moni beschloss, sich nicht weiter ärgern zu lassen. Sie konnte kaum erwarten, bis ihr Glas voll war. Sie hatte heute einen unstillbaren Durst.

»Ah, Spumante. Ich liebe Spumante. Das erinnert mich immer so an Italien.«

Die Witwe hob dezent ihre Augenbrauen, tauschte einen belustigten Blick mit Basti, der den beiden Kampfhennen zutoastete. »Ja, was Leichtes zum Anfang.«

Er blickte von einer zur andern. Schwarz und Weiß. Die ganze Palette. In jeder Beziehung. »Auf die zwei schönsten Hausgäste, die Beaulieu jemals begrüßen durfte.«

Man stieß an, die Gläser gaben einen leisen hohen Klang von sich. Moni trank ihr Glas in einem Zug aus, verzog aber sofort säuerlich das Gesicht.

»Iiiih, das ist ja Zitronensaft!?«

»Erinnert Sie das auch so an Italien?«

Die Witwe tauschte ein sarkastisches Schmunzeln mit Basti, ein erstes Zeichen einer Verbrüderung gegen Moni, während Nicoles Gesichtszüge vor Lachen fast entgleisten und sie sich wegdrehen musste.

Winston rettete die Szene. »Das ist unsere Hausmischung, Mademoiselle, ein Lemon-Aperitiv ...«, und mit einem Seitenblick zur Witwe fügte er leise hinzu »Virgin.«

Die verstand sofort, bedankte sich mit einem Nicken. Moni hatte das Wort auch aufgeschnappt und rätselte vor sich hin. »Vörtsch'n? Wer war das nochmal?«

Mit Nicoles Haltung war es danach vorbei, sie wurde von einem starken Hustenanfall geschüttelt, während sie ins Haus eilte, um das Essen zu holen. Zum Kochen war keine Zeit geblieben, und so hatten sie mal wieder Essen aus dem D'Artagnan kommen lassen. Der Inhaber, ein pensionierter Drei-Sterne-Koch mit allen Launen des wahren Liebhabers, kochte nur das, was er am selben Tag auf den diversen Märkten und bei seinen Jägern oder Fischern vorfand. An diesem Abend waren es gegrillte Wachteln, begleitet von geschmorten Fenchelhälften in der Kupferpfanne, die so zart waren, dass sie zusammen mit den ganz gerösteten Knoblauchzehen wie Brei im Munde zerschmolzen. Die Menge hätte für eine halbe Fußballmannschaft gereicht, denn in diesem Punkt waren sich alle im Hause einig: Es gab nichts Besseres, als die kalten Überreste vom D'Artagnan am nächsten Morgen in der Küche direkt aus dem Kühlschrank zu verzehren.

Die zweite Verbrüderung zwischen Basti und der Witwe hatte stattgefunden. ,Die wählte nun sichereres Terrain für die Konversation, das heißt, ignorierte Moni völlig und übernahm das Gespräch. »Du hast dir hier wirklich ein Paradies geschaffen, Basti. Eine wunderbare Anlage ist das.«

»Es war ein Glücksfall, dass das Haus zum Verkauf stand. Genauer genommen, Glück für Bas Fischer, Pech für den vorigen Besitzer, der verkaufen musste, weil er pleite war.«

Die Witwe stutzte. Basti Fischer schien eine gespaltene Persönlichkeit zu sein. Das Äußere, dieses Sportlich-braungebrannte, Lebenslustige, deckte sich nicht mit seiner gesellschaftlichen Rolle, die er sich bemühte zu spielen. Vielleicht war er doch nicht so selbstbewusst, wie man dachte.

»Redest du immer von dir in der dritten Person? So wie Cäsar oder Napoleon ...?«

»Ich liebe Napoleon. Er soll sehr sexy gewesen sein. Klein, aber hallo.« Moni, die nicht richtig zugehört hatte, wollte auch etwas zum Gespräch beitragen, zumal sie von ihrer anderen Tätigkeit ablenken musste, die sich unter dem Tisch abspielte. Sie hatte sich inzwischen geschickt des Handtäschchens der Witwe bemächtigt und war dabei, es zu durchsuchen.

Basti fand es am besten, die Bemerkung einfach so stehen zu lassen, ohne weiteren Kommentar, während die Witwe all ihre Kenntnisse aus dem Artikel im MONEY-Magazin zusammenkramte und sie mit dem Andenken an Ferdinand Rockwell verbrämte. »Ferdinand hat oft von deiner Bescheidenheit berichtet. Du hattest immer Glück. Selbst als du rechtzeitig aus dem Aktienmarkt ausgestiegen bist, nicht wahr? Aber zum Glück gehört eben auch Talent.«

Das Gespräch hatte für Basti eine Wendung in Richtung Verhör durch die Polizei genommen. Null Spaß. Hoffentlich wollte sie nicht mit ihm noch über den Aktienkurs des Fischer-Konglomerats und dessen plötzlichem Verfall reden. Basti kam allmählich ins Schwitzen. Und Moni war völlig schweigsam geworden.

»Timing ist alles, stimmts, Moni?«

Aber Moni war in ihrer eigenen Zone. Sie hielt die schwarze American Express der Witwe in der Hand und studierte fasziniert das Unikat. »Gloria Rockwell –Member since 1982«. Sie hatte natürlich über die legendäre Centurion gelesen, aber noch nie selbst eine in der Hand gehabt. Konnte man sie doch nicht erwerben, sondern wurde dazu eingeladen, falls man einen Umsatz von über einer Million machte oder sonst irgendwelche Talente oder Beziehungen hatte. Sie steckte die Karte schnell zurück. Die Gegenwart der Witwe schüchterte sie ein. Die hatte alles, was sich ein normal Sterblicher niemals leisten könnte, und war dennoch todunglücklich. Gerne hätte Moni auf der Stelle mit ihr getauscht. Was war so schlimm daran, seinen stinkreichen Mann zu beerben? Moni hatte immer nur Pech gehabt mit ihren Typen, das waren meist Schnorrer gewesen, die auf ihre Kosten lebten. Zerstreut lieferte sie die Antwort auf Bastis rhetorische Frage nach.

»Timing? Ja, absolut wichtig.«

Die Witwe wechselte das Thema und sprach von einem weiteren Gebiet, auf dem Moni sich überhaupt nicht auskannte, dem Weinbau. »Du hast bereits im vierten Jahr Preise für deinen Family wine bekommen, das ist sensationell. Du bist wirklich ein Renaissancemann.«

Basti winkte wieder ab. »Ach, das wird doch alles überbewertet.« Er wollte eigentlich jede Erwähnung von Alkohol vermeiden, aber es war bereits zu spät. Er hatte die Witwe auf eine Idee gebracht.

»Apropos Family wine, jetzt hätte ich doch fast vergessen, dass ich eine Flasche von unserm Home growth aus Liechtenstein dabei habe ... ich möchte unbedingt deine fachmännische Expertise dazu.«

»Aber nein, das ist doch wirklich nicht nötig ...« Basti schickte einen alarmierenden Blick zu Winston.

Aber die Witwe stand bereits. Sie wollte ihre Handtasche schnappen, stutzte. Sie war sich sicher, dass sie die Handtasche rechts von sich abgestellt hatte. Nun stand sie links. Sie sah zu Moni, die sich plötzlich unerwartet interessiert an der Landschaft zeigte und beschloss, die Angelegenheit erst einmal zu ignorieren.

»Ich bestehe darauf. Ferdinand hätte das so gewollt.«

Rasch ging sie in Richtung Haus. Basti und Winston tauschten einen ratlosen Blick. »Was machen wir denn jetzt?«

Winston seufzte. »Ich fürchte, wir können sie unmöglich davon abhalten, ihren eigenen Wein zu trinken.«

Moni konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten, musste einen Kommentar abgeben. »Ach, sie trinkt? Schau an. Wenigstens ein menschlicher Zug an ihr.«

Basti musste ihr insgeheim Recht geben. Als Hausgast war die Witwe wirklich anstrengend. Konnte man sich nicht über etwas Leichteres unterhalten, etwas, das Allgemeingut war, wie die neuesten Ergebnisse der Bundesliga oder die Formel Eins? Oder sich überhaupt einfach nur gepflegt zusammen betrinken? Er seufzte. Es schien, als ob die einzige positive Gemeinsamkeit, die ihn mit der Witwe verband, tragischerweise tabu war. Da sagte ihm Moni dann doch viel eher zu. Sie war vielleicht ein wenig tollpatschig und unerfahren, aber sie war wenigstens unkompliziert und einfach zufrieden zu stellen. Außerdem schien sie ihr Herz am rechten Fleck zu haben. Was man groß und deutlich sehen konnte.

Die Witwe drehte sich am Treppenabsatz um und schlich durchs dunkle Haus zum Westflügel, zu Monis neuer Unterkunft. Die Tür stand halb offen, der Mond schien durch die Öffnung im Dach direkt auf Monis Brautkleid, das achtlos dahingeworfen auf dem Boden lag. Die Witwe bückte sich, um es näher zu inspizieren. Das eingenähte Wäscheschild sagte: Städtisches Theater Castrop-Rauxel. Eine aufgerissene Schuhschachtel von Christian Louboutin, Preis 1200 Euro, und ein Kleidersack von Versace mit der Lieferadresse M. B. Fischer, Château Beaulieu bewiesen, dass sich dieses Luder bereits auf Fischers Kosten hatte einkleiden lassen. Ihr offener Koffer lag auf dem Bett. Schmutzige Unterhosen quollen heraus, darunter eine Männerunterhose mit Nikolausaufdruck. Die Witwe ließ sie angewidert zurück in den Koffer fallen.

Weit interessanter waren die Stapel von Klatschmagazinen, die Moni unten im Koffer aufbewahrte, teilweise waren es nur ausgerissene Seiten, wie die Sammelstory über »Die Côte d'Azurdas Spielfeld der reichen Junggesellen«. Darin wurde ausführlich über Balthasar Fischer berichtet, über seinen Ferrari, mit dem er täglich zwischen zwölf und zwei zum Golfspielen fuhr, seine Yacht, seine Villa, seine sensationellen Börsengeschäfte und seine Flugzeugflotte. Das Foto dazu fehlte allerdings. Auf dem Tisch lag ein Jungmädchen-Tagebuch. Darin, sorgfältig eingeklebt, waren ausgeschnittene Fotos und weitere Artikel, wobei es sich offensichtlich immer um dasselbe Foto von Basti mit einem jeweils anderen Bildausschnitt handelte. Einmal war nur sein Gesicht zu sehen, dann wieder der ganze Mann mit Ferrari und zwei Damen in hauchdünnen Kleidchen daneben, die fröhlich Champagnergläser schwenkten. Eine handschriftliche Eintragung von Moni daneben mit dem heutigen Datum sagte: »Ich bin da!! Nur noch eine Frage der Zeit, bis sich mein Traum erfüllt.« Nachdem sie kurz die letzten Einträge im LEUTE-Magazin überflogen hatte, war ihr kristallklar, welches Ziel Moni verfolgte. Es hatte nichts mit Zufall zu tun, der sie hierher geführt hatte, alles war genaue Recherche und präzises Kalkül. Nur aus Spaß an der Freude nahm sie sich vor, dem kleinen Luder ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen. So einfach sollte sie es nicht haben mit ihrem Milliardär, der zwar charmant, aber im Grunde ein wenig einfältig zu sein schien.

Kapitel 7

Andächtig beobachteten alle, wie Winston umständlich die Flasche Baron von Rockwell öffnete. Winston schnupperte am Korken, zögerte, schwenkte das rote Nass unendlich lange im Glas, roch daran, probierte ein Schlückchen, zögerte, sendete einen undefinierbaren Blick zur Witwe, die Basti die Ehre zuwies, den Tropfen zu kosten, woraufhin Winston ihm einschenkte. Basti roch, schwenkte, genau wie Winston, nahm einen Schluck, saugte das Nass langsam ein, beließ es eine Schrecksekunde länger im Gaumen, bevor er es langsam schluckte, sogar sein Kehlkopf schien sich wie in Zeitlupe zu bewegen. Offensichtlich war er noch zu keinem Urteil gekommen, denn er nahm noch einen Schluck. Und noch einen, bis das Glas leer war. Wiegte unentschlossen den Kopf, blickte zu Winston.

»Was meinst du, Winston?«

Die Prozedur wiederholte sich. Moni wurde unruhig. Sie verstand dieses ganze Theater um ein Glas Wein nicht, obgleich das Ritual selbst sie einschüchterte. Plötzlich, mittendrin, von Emotionen überwältigt, holte die Witwe ein Taschentuch heraus und fing an zu weinen. Alle sahen sich ratlos-betreten an. Winston fragte sich, ob das bereits die ersten Entziehungserscheinungen waren, und Basti, ob sie es zu weit getrieben hatten. Selbst wenn der Wein gekorkt hätte, hätte man das dezenter handhaben müssen. Wahrscheinlich fühlte sie sich persönlich gekränkt, zu Recht.

»Entschuldigt, aber manchmal überwältigt mich einfach der Schmerz.« Die Witwe sah jetzt sehr verletzlich aus. »Alles erinnert mich an meinen Ferdinand.«

Basti wurde beim bloßen Anblick ihrer Tränen sofort wieder weich und legte ihr hilflos-mitfühlend den Arm um die Schulter. Außerdem war er erleichtert. Es war also einfach nur ganz normale Trauer.

»Aber Gloria, deswegen bist du ja hier. Zeit heilt Wunden. Und es ist bestimmt besser, wenn du erst mal weit weg bist von allem, was dich an ihn erinnert.« Er gab Winston ein Zeichen, den Wein wegzustellen.

Moni kam das, was sich hier vor ihr abspielte, plötzlich wahnsinnig bekannt vor. Die schluchzende Frau, der Tröster – nur: war das nicht eigentlich immer ihre Nummer gewesen? Bevor Winston die Flasche entsorgen konnte, griff Moni danach und schenkte sich ein. Sie schwenkte das Glas kurz, wie sie es bei Basti und Winston gesehen hatte, und trank einen großen Schluck, wobei sie unschlüssig den Kopf wiegte. Dann trank sie noch einen. Und noch einen. Schließlich fällte sie ihr Urteil.

»Lecker.«

Die Witwe wollte sich die Szene nicht von Moni versauen lassen und strahlte auf einmal wie von einer plötzlichen Eingebung getroffen auf. »Du hast Recht, Basti. Ich muss mich von allem trennen, was mich an ihn erinnert.«

Als ob sie zum Äußersten entschlossen wäre, ergriff sie den großen dicken Diamantring an ihrem Finger und zog ihn ab. Sie betrachtete den Elfkaräter und legte eine gehörige Portion Entsagung in ihren Blick.

»Ich werde alles verkaufen, den ganzen Schmuck. Auch den Verlobungsring. Ich muss mich von diesen Erinnerungen trennen, bevor sie mich umbringen. Gleich morgen früh, je früher, desto besser. Basti, du kennst doch sicher einen guten Juwelier hier in der Umgebung?«

Basti musste erst mal Luft holen. Der Umschwung kam schnell. Diese Frau war eine Bombe, die jeden Moment explodieren konnte. Er dachte nach. Juwelier, Juwelier. »Na ja, es gibt mehrere hier in der Gegend, obwohl, für so was gibt's eigentlich nur einen – Giorgio Balducci.«

Im selben Moment ging Basti durch den Kopf, dass es vielleicht doch nicht so eine gute Idee gewesen war, Giorgio zu empfehlen. Was tat er, wenn sie ihn bat, mitzukommen? Daher fügte er hinzu: »Allerdings holt der unter einer Million erst gar nicht seine Lupe raus.«

»Und was holt er bei fünfzig Millionen raus?«

Bei der Erwähnung dieser Summe zuckte Moni zusammen und fiel passenderweise vom Stuhl.

»Hoppla, alles in Ordnung?« Basti und Winston halfen Moni, sich wieder aufzurichten.

»Der Alkohol, ich vertrag das nicht, ich muss ins Bett, es war einfach zu viel heute, die ganze Aufregung und so ...«

Sie gähnte auffällig, gab Basti aber hinter dem Rücken der Witwe zu verstehen, dass sie ihn in einer halben Stunde auf ihrem Zimmer erwartete. Basti signalisierte freudig zurück, dass er da sein würde, übersah in dem Moment aber Nicole, die gerade aus dem Haus trat und die Zeichensprache der beiden nur zu genau verstand.

Moni knickste vor der Witwe wie ein zwölfjähriges Mädchen vor einer älteren Tante und gab sich scheinheilig bescheiden. »Ich fand's richtig toll heute Abend, ich hab schon wieder so viel gelernt, über Kultur und so, das find ich immer so gut an reiferen Frauen.«

Die Witwe musste grinsen. Nicht schlecht, das kleine Biest. Bevor sie zu einer entsprechenden Antwort über die Alterslosigkeit der Intelligenz ausholen konnte, intervenierte Basti mit Balsam in der Stimme. »Winston, wenn Sie vielleicht Fräulein Moni zurückbegleiten könnten?«

Moni wehrte ab. »Nein, wirklich nicht nötig, ich find schon alleine zurück.« Sie ging schnell in Richtung Gästehaus über den Rasen davon. Für das, was sie vorhatte, brauchte sie keinen Zeugen.

Basti sah ihr gerührt nach. Die Witwe bemerkte seinen Blick. »Ist sie vielleicht Schauspielerin?«

»Nicht, dass ich wüsste. Sie arbeitet in einem Reisebüro. Ein ganz normales Mädchen.«

»Ach ja?«

Der ungläubige Gesichtsausdruck der Witwe machte ihn unsicher. Sie hatte schon wieder dieses Fragezeichen über der Stirn. Basti fühlte sich zu einer Erklärung gezwungen.

»Wir haben uns durch Zufall getroffen, ich fuhr zurück vom Club ...«

Die Witwe unterbrach mit einer Zwischenfrage. »... zufällig zwischen zwölf und zwei, wie jeden Tag?«

»Ja, aber woher weißt du?«

»Ich hab das, glaube ich, irgendwo gelesen, in einem dieser Klatschmagazine, da war auch ein Foto von dir drin, mit deinem Ferrari.«

Basti war sichtlich genervt beim Gedanken an dieses Foto. »Überall dieses Foto. Schlimm, die Klatschpresse verbreitet nichts als Halbwahrheiten.«

Die Witwe schien zu verstehen, seufzte. »Wem sagst du das. Wenn du wüsstest, wie sie meine Trauer ausgebeutet haben.«

***

Moni war gerade dabei, die Koffer der Witwe genauer unter die Lupe zu nehmen, als sie vom Treppenhaus her Stimmen hörte. Sie suchte panisch nach einem Versteck.

Basti hatte die Witwe zu ihrem Zimmer begleitet und öffnete galant die Tür. Das Mondlicht schien durch die geöffneten Verandatüren. Die Vorhänge bauschten sich in der kühlen Nachtluft. Die Witwe wollte sich eben von Basti verabschieden, als sie eine Spiegelung im Glas der Balkontür entdeckte: die Umrisse einer Frau, deren weißes Kleid in der Nacht schimmerte! Sie erkannte Moni sofort und schloss daraus folgerichtig, dass sich die Kleine wohl dasselbe erlaubt hatte wie sie selbst. Natürlich amateurhafter. Und nun stand sie auf dem Balkon wie ein vom Scheinwerferlicht geblendetes Reh am Straßenrand, das nicht vor und nicht zurück konnte, ängstlich gegen die Mauer gedrückt. Basti wollte sich eben zurückziehen, als Schalk in den eben noch müden Augen der Witwe aufblitzte.

»Moment, ich möchte dir gern noch was zeigen, Basti.«

Das reservierte Verhalten der Witwe war urplötzlich umgeschlagen, ihre Stimme hatte einen verführerischen Unterton bekommen. Basti wunderte sich. Der schlummernde Vulkan schien wieder zum Leben zu erwachen. Die Witwe zog ihre Pumps aus und näherte sich dem Balkon.

»Ich bin dir wirklich sehr dankbar.«

Wofür, war Basti unklar. Was spielte es für eine Rolle? »Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann, Gloria ...«

»Dieser Ort hat wirklich eine besonders gute Ausstrahlung.«

»Wart erst ab, wenn du länger hier bist ...«

Er überlegte einen kurzen Moment, ob er sie nicht einfach aufs Bett schmeißen sollte. Manche Frauen mochten es, überwältigt zu werden. Aber die Witwe war viel zu sehr daran interessiert, ihn nach draußen zu ziehen.

Moni war sich nicht ganz sicher, ob man sie gesehen hatte, aber ganz offensichtlich kamen beide in ihre Richtung und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie draußen auf dem Balkon stünden und sie entdecken würden. Was könnte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen? Sie habe nur mal die Matratze testen wollen, ob die besser sei als ihre im Gästehaus? Die Wahrheit war, dass sie sich beim Anblick der vielen Klunker im Koffer für einen Sekundenbruchteil überlegt hatte, ob es wohl auffallen würde, wenn eins der Stücke fehlte. Im nächsten Sekundenbruchteil hatte sie sich aber dagegen entschieden. Bei allem was recht war. Eine Diebin war sie nicht. Nein. Sie war zwar jemand, der versuchte, die Chancen, die sich ihr boten, optimal zu nutzen, beziehungsweise auch mal dabei etwas nachzuhelfen, dass sie sich überhaupt ergaben, aber sie hatte noch niemanden direkt bestohlen. Abgesehen vielleicht vom Brautkleid aus dem Fundus, ein Präzedenzfall, und bei genauerer Betrachtung war es auch nur vorübergehend ausgeliehen. Natürlich würde sie das gute Stück aus Brechts »Kleinbürgerhochzeit« bei nächster Gelegenheit sofort zurückgeben, falls sie jemals wieder durch Castrop-Rauxel käme.

Etwas anderes beunruhigte Moni. Alles deutete darauf hin, dass die Witwe auf dem besten Weg war, Basti bereits in der ersten Nacht flachzulegen, und er schien nicht abgeneigt. Ein schamloses Weibsbild. Wahrscheinlich war diese Witwe völlig ausgehungert nach Sex, und Basti, der Hammel, sülzte sie voll und triefte vor Geilheit. Mehr Zeit blieb Moni aber nicht für ihre moralische Empörung. Sie hatte ganz praktische Sorgen. Suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ihr Blick streifte an der Hausfassade entlang. Keine Chance zum Klettern. Die Mauer war zu glatt, ohne Vorsprünge. Das nächste Fensterpaar zu weit weg. Sie würde sich das Genick brechen. Die einzige Möglichkeit war, sich irgendwie über die Balkonbrüstung abzuseilen. Nur: wie? In Windeseile zog Moni ihr Kleid aus, verknotete es wie ein Seil an einer Balkonsprosse und kraxelte todesmutig über die Brüstung, genau einen Moment, bevor die Witwe und Basti den Balkon betraten.

»Siehst du sie?«

»Nein, wen denn?«

Basti sah nichts, außer einer Gelegenheit, bei der Witwe zum Zuge zu kommen. Er überlegte, wie man die Aktion wieder nach drinnen verlagern könnte, in Richtung des frisch bezogenen Bettes. Er hatte sich bereits überlegt, wie er vielleicht beide Angebote des Abends miteinander verknüpfen könnte, was machbar war, wenn man jeweils nicht zu viel Zeit investierte.

Die Witwe allerdings ließ sich Zeit. Sie genoss jede Sekunde, in der sie Moni quälen konnte. Sie hatte natürlich mitbekommen, wie Moni über die Balustrade geklettert war.

»Na, die Frau im Stuhl!«

»Ich seh aber gar keine Frau.« Basti hatte sich verplappert und verbesserte sich rasch. »Außer natürlich, eine ... eine sehr schöne.« Er versuchte, die Situation zu retten und lächelte sülzig.

Weiß der Herrgott, was die Witwe von ihm wollte. Er wäre lieber drinnen geblieben, man hätte sichs auf der Matratze gemütlich machen können. Er stand nämlich nicht so sehr auf Freiluftaktionen. Ein Erlebnis aus seiner Teenagerzeit mit einer Libelle in der Hose hatte in dieser Hinsicht für bleibende traumatische Schäden gesorgt. Die Witwe nahm seinen Kopf, als ob sie ihn küssen wollte, drehte ihn dann aber, nachdem er bereits die Lippen gespitzt hatte, nach oben, in Richtung Nachthimmel.

»Da, zwischen Cepheus und Perseus, direkt unter Andromeda und Pegasus!«

Alles, was sie sagte, klang wie Latein oder Türkisch. Konnte sich diese Frau nicht einmal normal ausdrücken?

Die Witwe wunderte sich. Keine Ahnung von Wein, keine Ahnung von Astronomie, dieser Balthasar Fischer war ein einziger Bluff. Wahrscheinlich hatte er für alles und jedes den passenden Angestellten, der seine fehlenden Kenntnisse korrigierte und ihn in der Öffentlichkeit gut aussehen ließ. Sie seufzte. Das kam öfter vor, und das war es auch, was sie immer so enttäuschte bei den Neureichen. Sobald man ein wenig unter der glatten Oberfläche kratzte, stellten sie sich als billige Fakes heraus. Sie ließ ab von Bastis Kopf, zog die Umrisse einiger Sternbilder nach.

»Die Kassiopeia. Man nennt sie auch die Frau im Stuhl, mein Lieblingsbild. Ich dachte, du als alter Segler müsstest doch die Kassiopeia kennen?«

Da war er wieder, dieser prüfende Blick. Die Frau hatte ihn durchschaut. Das war klar. Und das törnte ihn ab. Er wollte bewundert werden. Nun gut. Sie war nicht die einzige Option heute Nacht. Er würde sich aber nichts anmerken lassen. Konnte es sein, dass sie gegen seinen Charme immun war? Er produzierte wieder sein schiefes Grinsen.

»Ich hab mich immer nur für die Venus interessiert.«

Die Witwe schien sich damit zufrieden zu geben und lächelte zurück.

Moni zitterte und baumelte im Dunkeln. Das Kleid war nicht lang genug, um sich damit bis ganz nach unten abzuseilen, und erschwerend kam hinzu, dass sich direkt unter dem Balkon Rosenhecken befanden. Was sie zu spät bemerkt hatte. Mit Springen war also auch nichts. Jetzt steckte sie fest. Sie konnte nicht vor und nicht zurück, und von oben war jedes Wort der beiden zu verstehen, jeden Atemzug konnte sie mitverfolgen. Bevor sie jedoch noch über weitere Optionen einer Flucht nachdenken konnte, löste sich das Problem von selbst. Ihr Körpergewicht war zu viel für den feinen Stoff. Das Kleid gab nach, selbst Größe achtunddreißig hätte in dem Fall nicht weiter geholfen. Es war ein merkwürdiges, ruckelndes Geräusch, das in der Stille der Nacht enorm laut klang.

RAAAAAAATSCH – RAAAAAAAAATSCH.

»Hast du das gehört?«

Basti sah sich um. Es klang wie ein unbekannter Vogel. Die Witwe wusste nur zu genau, was passierte. Ein dumpfer Aufschlag folgte, darauf ein unterdrückter Schmerzensschrei. Die Witwe lächelte befriedigt. Das hatte sicher wehgetan. So laut, dass es auch Moni hören konnte, rätselte sie:

»Vielleicht war das eine streunende Katze?«

Moni war direkt im Rosenbusch gelandet. Gesicht und Arme, Bauch und Schenkel waren verkratzt. Sie hätte heulen können. Wenn die Wut auf die Witwe sie nicht davon abgehalten hätte. Ein Teil ihres Kleides baumelte noch an der Brüstung. Sie fluchte stumm vor sich hin, musste aber zugeben, dass sie sich die Suppe selbst eingebrockt hatte.

***

Nicole sprang schnell zur Seite, als sich die Tür zum Master-Bedroom unerwartet schnell öffnete. Die Witwe fertigte Basti in Windeseile ab. Augenblicklich wurde sie von einem Müdigkeitsanfall übermannt und musste sofort ins Bett. Basti stand nicht der Sinn nach Weiterbaggern. Ihm war erst mal die Lust vergangen nach diesem seltsamen Spektakel auf dem Balkon, das wie das Hornberger Schießen ausgegangen war.

Er stolzierte den Flur entlang, blieb vor einem Wandspiegel stehen. Betrachtete sich. Seine braun gebrannte Haut, seine weißen Zähne. Seine strahlend blauen Augen. Wer konnte eigentlich so einem vor Lebenslust strotzenden Prachtexemplar wie ihm widerstehen? Er kam zu dem Schluss, dass es ganz klar nur eine Frage der Zeit war, bis er die Auswahl zwischen Schwarz und Weiß haben würde. Nun, die Nacht war noch jung. Er stellte seinen Blick auf cool und dachte an die süße Moni, die jetzt im Gästehaus sicher bibbernd auf ihn wartete. Keine inquisitorischen Fragen, keine intellektuellen Unterhaltungen. Er würde sie bitten, noch einmal das Brautkleid anzuziehen, und sie würden ein bisschen Hochzeitsnacht spielen. Köstlich. Oder einfach nur Natur. Oder beides? Was auch immer. Eine halbe Stunde war längst vorbei. Er musste sich beeilen, wollte er doch nicht, dass sie bereits schlief. Obwohl ihm die plötzliche Vorstellung einer schlafenden Braut, die es galt, sanft zu wecken, noch mehr Vergnügen bereitete. Er schmunzelte kennerisch. Oder doch nicht wecken? Bei dem Gedanken ging er sofort einen Schritt schneller, ahnungslos, dass Nicole ihm folgte. Man würde sehen. Insofern war es ganz gut, dass ihn die Witwe hatte abblitzen lassen. Für heute.

***

Moni schlich über den Rasen, nur mit ihrem klitzekleinen hautfarbenen Tanga-String bekleidet, der Rissspuren zeigte, die Reste des Kleides hatte sie in der Hand, zusammen mit den teuren Sandaletten, bei denen die Hälfte der Kristalle fehlte.

Basti hatte gerade die Veranda betreten und glaubte sofort, dass das, was sich da vor ihm abspielte, eigens für ihn inszeniert worden sei. Die Idee von Moni, sich nackt in der Dunkelheit zu zeigen, wo man nur Schemen erahnen konnte, gab ihm einen zusätzlichen Thrill, und er rieb sich bereits die Hände in voller Vorfreude. Getreu seinem Motto »A bissel wos geht immer«, wollte er Moni eben über den Rasen folgen, als ihn etwas Dumpfes am Hinterkopf traf und für den Rest der Nacht ausknockte.

***

Moni wählte einen pinkfarbenen Babydoll mit schwarzen Punkten. Sie hatte Trost nötig und fühlte sich vernachlässigt. Sie wartete und wartete. Die halbe Stunde war längst vorbei. Sie genehmigte sich noch einen Schampus, legte sich derweil hin. Die Vorfreude auf Basti verwandelte sich in Ungeduld, Enttäuschung, dann in blinde Wut. Konnte es tatsächlich möglich sein, dass er bei dieser Witwe hängen geblieben war? Mit diesem beunruhigenden Gedanken im Kopf döste sie ein, nichts ahnend, dass das Einzige, was bei der Witwe hängen geblieben war, an der Balkonbrüstung des Master-Bedrooms in der Nachtluft flatterte. Und dort hatte es die Witwe bereits losgeknotet, um mit einem gewissen Vergnügen festzustellen, dass Versace auch nicht mehr das war, was es mal gewesen war.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783958244443
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Januar)
Schlagworte
Kevin Kwan Luxus Roman eBooks Romantische Komödie Frankreich High Society Neuerscheinung Lauren Weisberger Liebesroman
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Titel: Who is Who?
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