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Der Bastian

Roman

©2016 288 Seiten

Zusammenfassung

Eine Liebe voll prickelnder Leichtigkeit: „Der Bastian“ von Barbara Noack jetzt als eBook bei dotbooks.

Der charmante und gewitzte Bastian hat sein Examen in der Tasche. Doch gleich eine Stelle als Lehrer antreten? Viel lieber möchte er noch eine Weile seine Freiheit genießen! Da verliebt er sich in die Ärztin Katharina, die genau das Gegenteil von Bastian darstellt: Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, ist vernünftig und vorausschauend. Durch Bastian lernt sie ein Leben kennen, das unbeschwerter und romantischer nicht sein könnte. Doch reicht die Liebe allein aus, um glücklich zu werden?

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Der Bastian“ von Barbara Noack. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Der charmante und gewitzte Bastian hat sein Examen in der Tasche. Doch gleich eine Stelle als Lehrer antreten? Viel lieber möchte er noch eine Weile seine Freiheit genießen! Da verliebt er sich in die Ärztin Katharina, die genau das Gegenteil von Bastian darstellt: Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, ist vernünftig und vorausschauend. Durch Bastian lernt sie ein Leben kennen, das unbeschwerter und romantischer nicht sein könnte. Doch reicht die Liebe allein aus, um glücklich zu werden?

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.
Ihr erster Roman »Die Zürcher Verlobung« wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Zürcher Verlobung«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Drei sind einer zuviel«, »Brombeerzeit«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Die Melodie des Glücks«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Jennys Geschichte«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Zwillingsbruder«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Valentine heißt man nicht«, »Der Traum eines Sommers« und »Eine Handvoll Glück« sowie »Ein Stück vom Leben«, die auch im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Auch bei dotbooks erschienen ihre Erzählbände »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie« und »Ferien sind schöner« sowie der Sammelband »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2015

Copyright © der Originalausgabe 1974 Albert Langen – Georg Müller Verlags GmbH, München – Wien

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Daniela Stärk und Oliver Hoffmann

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-415-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Barbara Noack

Der Bastian

Roman

dotbooks.

Kapitel 1
Bastian macht einen Krankenbesuch

An einem Dienstagmorgen Anfang Juli stand Bastian Guthmann auf dem Viktualienmarkt vor einem Blumenstand und wußte nicht recht, was er kaufen sollte.

Er zog ein Bund Margeriten zu zwei Mark aus einem Eimer, der Strauß tropfte auf seine Schuhe und erschien ihm ein bißchen wenig.

»Dann nehmen S' doch zwei«, sagte die Blumenfrau.

Dies wiederum erschien Bastian ein bißchen teuer. Er hatte etwas zu zwoachtzig im Sinn gehabt.

»Für welchen Zweck soll's denn sein?«

»Meine Großmutter«, sagte er, »sie liegt im Spital.«

Der Satz ging der Blumenfrau zu echtem Herzen. »Ah geh –schlimm?«

»Nichts Gefährliches«, sagte Bastian, aber genau wußte er auch nicht, was ihr fehlte. Seine Schwestern, die ihn abwechselnd anriefen, um ihn daran zu erinnern, daß er Großmutter besuchen müßte, sprachen diskret von Omas Vorfall, worunter sich Bastian wenig vorzustellen vermochte. Auf alle Fälle hatte es etwas mit ihrem Unterleib zu tun.

Bastian wunderte sich, daß so eine alte Frau überhaupt noch einen Unterleib besaß, der Schwierigkeiten machen konnte.

»Ich denke, der zu zwei Mark wird genügen«, sagte er, »sie kriegt ja noch von anderen Blumen.«

Nachfolgend bestieg er seine »Else«, einen Deux Cheveaux, Baujahr 59, aber Luxusausgabe. Der Motor lief noch fabelhaft, nur der Rost machte Else zu schaffen. Er hatte ihren Unterboden so gründlich aufgefressen, daß Bastian während der Fahrt das Straßenpflaster unter seinen Füßen betrachten konnte. Solange er nicht durch eine Pfütze fuhr, störte das nicht. Die Risse und Triangel im Verdeck hatte er mit Isolierband verpappt. Auf den durchhängenden Sitzen glichen Sofakissen das Schlimmste aus. Bastian liebte seine Else wie einen alten Hund.

Bastian, Else und der Strauß Margeriten fuhren zum Krankenhaus, das war so gegen elf Uhr vormittags.

Die Empfangsschwester guckte streng aus ihrem Glaskasten. »Jetzt? Jetzt ist keine Besuchszeit. Kommen Sie morgen nachmittag wieder.«

Bastian, nun einmal da und finster entschlossen, seine Blumen loszuwerden, sagte, er käme von außerhalb, von Oberpfaffenhofen. Er habe sich extra von seinem Chef freigeben lassen, um seine alte Oma zu besuchen, er könne am nächsten Tag nicht wiederkommen. Und er lächelte.

Bastian konnte überwältigend lächeln, wenn er wollte.

Die Schwester sagte: »Dritter Stock, Zimmer 338, Gynäkologische, links durch die Glastür, wo ›Professor Dr. Klein‹ draufsteht. Wenn der Herr Chefarzt Visite macht, müssen Sie verschwinden, hören Sie?«

Bastian nahm den Lift. Der Lift roch nach frisch behandeltem Unglücksfall. Krankenhäuser waren ihm ein Greuel.

Als kerngesunder junger Mann, der sogar noch über seinen Blinddarm (27) verfügte, hatte er eine kerngesunde Scheu vor allem, was mit Leiden, Blut und Bahren zu tun hatte und mit Spritzen. Bastian hatte schon dreimal eine in den Arm gekriegt und eine ins Gesäß. Und niemand hatte ihn bedauert.

Als er den Lift im dritten Stock verließ, wehte eine weiße, gewichtige Wolke an ihm vorüber – der Chefarzt mit eilfertigem Gefolge auf der Rückkehr von der Visite. Ein königlicher Aufmarsch in Weiß, weißer ging's nicht, selbst die Schuhe, alles weiß – bis auf das Gesicht des Oberarztes. Ihm sah man an, daß er schon 14 Tage Costa Brava hinter sich hatte.

Bastian ließ die Prozession an sich vorüberziehen, hörte im Geist Barocktrompeten und zog ergriffen einen Hut, den er nicht besaß.

Dann suchte er sich an den Zimmertüren entlang. Zimmer 314 – 315 – Eintritt verboten – 317 – 318 – Fäkalienspüle (die deutsche Sprache verfügt wirklich über hervorragende Wortkompositionen) – 319 ...

Auf dem Gang bewegten sich Patientinnen mit plattgelegenen Frisuren und geblümten Morgenröcken. Manche trugen Söckchen oder heruntergerollte Strümpfe in Puschelpantoffeln. Alle sahen Bastian nach.

Zu der Unbehaglichkeit, sich in einer Krankenanstalt zu befinden, gesellte sich nun auch noch das peinliche Gefühl, in eine verbotene, weibliche Welt eingedrungen zu sein – ein Gefühl ähnlich dem, das er empfunden hatte, als er einmal aus Versehen in eine Damentoilette geraten war.

Zimmer 338.

Großmutter Guthmann lag mit zwei anderen Frauen in einem länglichen, hellblau gestrichenen Zimmer. Im Bett am Fenster. Sie trug ein langärmeliges Anstaltshemd mit blauen Borten und las Zeitung.

Bastian hatte sie noch nie im Bett gesehen. Auch im Bett strahlte sie die vorsorgliche Sauberkeit einer Frau aus, die jeden Augenblick damit rechnet, daß ihr etwas Unvorhergesehenes zustoßen könnte. Ihr fast faltenloses, ostisches Gesicht glühte vor mühsam gezügelter Streitlust. Wie eine Leidende sah sie nicht aus.

»Grüß dich, Martha«, sagte er ungewiß in den Raum.

Sie nahm die Brille ab und lachte. »Der Bub ist da.«

Bastian ging an ihr Bett und küßte sie auf den Kopf. Sie duftete nach Baldrian und Kölnisch Wasser. Er wickelte seine Margeriten aus und dachte, ich hätte doch zwei Bund zu vier Mark nehmen sollen. Er wollte den Strauß zu den anderen Blumen stecken, die schon auf ihrem Nachttisch standen, aber Großmutter hinderte ihn daran.

»Im Krankenhaus muß jeder Strauß seine eigene Vase haben, egal, wie spillrig er ist.«

Dann stellte sie ihn den anderen Betten vor. »Das ist Bastian Guthmann, mein Enkel. – Frau Schüssle – Frau Kynast. Bastian, sag den Damen guten Tag!«

Bastian begrüßte zuerst Frau Schüssle (etwa 45) und dann Frau Kynast (schon alt). Frau Kynast sagte: »Gestern hatte ich Geburtstag. Ich bin aus Gleiwitz.«

Bastian sagte: »Herzlichen Glückwunsch.«

Großmutter sagte: »Du mußt schreien. Sie ist taub wie eine Nuß.«

Bastian schrie: »Herzlichen Glückwunsch nachträglich!«

Frau Kynast nickte: »Ja, ja, aus Gleiwitz.«

Darauf zog er sich lächelnd zu Großmutters Bett zurück, schon ziemlich erschöpft. »Wie geht's dir denn?«

»Ach, gut soweit. – Hast du deine Klausuren geschrieben?«

»Ja. Hab ich.«

»Na und?«

»In den nächsten Wochen kriege ich Bescheid.«

»Achgottachgott!«

»Es wird schon schiefgehen«, beruhigte er sie. »Aber nun erzähl mal – wie war die Operation?«

»Stell dir vor, Bub, sie geben einem eine Spritze, und eh man denkt, nun geht's los, ist es schon vorbei.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Ich bin nicht einmal sicher, ob sie mich überhaupt operiert haben. Wie soll man das nachprüfen, wenn man schläft? Aber bezahlen muß ich.«

»Ja, bist du denn in keiner Kasse?« fragte er erschrocken.

»Nein. Wozu? Soll ich die Versicherungen reich machen, wo ich bisher mit Baldrian ausgekommen bin!?«

Frau Kynast sagte: »Schwester Theresa ist auch aus Gleiwitz«, und sah Bastian dabei an.

Bastian brüllte: »Aha.«

Frau Kynast sagte: »Die jungen Schwestern taugen nichts. Sie schimpfen, wenn man Soße aufs Bett kleckert. Weil sie zu faul sind, einen neu zu beziehen.«

»Aber der Chefarzt ist nett«, sagte Frau Schüssle. »Er hat das Majestätische.«

»Und das Fräulein Doktor Freude ist nett«, sagte Großmutter.

»Hat sie auch das Majestätische?«

»Sie hat schöne Augen«, sagte Großmutter.

»Das Essen taugt nichts«, sagte Frau Schüssle. »Ganz billige Wurst gibt's, und der Kaffee schmeckt wie fünfundvierzig.«

In diesem Augenblick kam Schwester Theresa aus Gleiwitz herein, und Bastian mußte auf den Flur.

»Typisch Kynast!« schimpfte Großmutter. »Kaum kriegt man Besuch, muß sie auf die Schüssel.«

Bastian stand auf dem Gang herum. Eine Frau wischte den Fußboden immer dort, wo seine Füße gerade waren. Um eine Flurecke sauste ein Bett auf Rädern, begleitet von silberhellem Gesang:

»Zwei Apfelsinen im Haar
und an der Hüfte Banaanen –
Lalalalalala ...«

Eine ganz junge Lernschwester schubste das Bett vor sich her im Takt zu ihrem mexikanischen Geträller. In dem Bett lag eine gelbgesichtige Frau ohne Zahnprothesen, ein bestürzender Anblick für einen wie Bastian, der keinen täglichen Umgang mit Frischoperierten hatte.

Es reichte ihm. Er wollte raus hier, bloß raus, und das so rasch wie möglich. Die beklemmende Krankenhausatmosphäre. Frau Kynast und noch eine Bahre mit Musik! Er war geschafft.

Wie von Bakterien gejagt, rannte er den Flur hinunter und mußte sehr scharf bremsen, um nicht einen weißen Kittel zu überfahren, der ihm von rechts in den Weg trat – mit einer Spritze in der Hand.

»Na, na!« sagte der Kittel.

Bastian wußte später nicht mehr, was es zuerst gewesen war. Auf keinen Fall die Spritze und auch nicht der Kittel. Er gehörte nicht zu den Leuten, die auf weiße Kittel standen. Im Gegenteil.

Es gelang ihm nachträglich nicht einmal, sich präzis an die Ärztin zu erinnern, die ihn getragen hatte.

Sie war eher klein. Er liebte große Frauen. Kurze, helle Kinderhaare voller Wirbel fielen ihr ins Gesicht. Bastian hatte lieber Dunkelhaarige mit langen, seidigen Mähnen. Blond war er selber.

Nur einen Augenblick lang sah sie ihn verwundert an.

Dieser Augenblick mußte es wohl gewesen sein.

Bei ihm.

Bei ihr nicht.

Ein Augenblick, wo im Film die Geigen einsetzen.

Für ihn.

Nicht für sie, die einen Haken um Bastian schlug wie um ein Hindernis, das ihr im Weg stand, und den Flur hinunterging. Er folgte ihr verzaubert.

Sie war so gar nicht sein Typ und entsprach dennoch der unklaren Vorstellung von jener Frau, auf die er bisher vergebens gewartet hatte. Aber mußte das ausgerechnet eine Ärztin sein!?

Sie öffnete die Tür von Zimmer 338. Das war Großmutters Unterkunft.

Die Tür schloß sich hinter ihr.

Vergessen waren seine Fluchtgedanken, seine Krankenhausallergie.

Er wartete darauf, daß sich die Tür von 338 wieder öffnen und sie herauskommen würde.

Die Tür von 338 öffnete sich, und Schwester Theresa kam mit Frau Kynasts Schüssel heraus.

Schwester Theresa sagte zu ihm: »Sie können noch nicht hinein. Doktor Freude ist drin. Und überhaupt ist jetzt keine Besuchszeit. Wo kämen wir denn hin, wenn wir ständig Ausnahmen machen würden!«

Schwester Theresa ging den Flur hinunter und verschwand in der Fäkalienspüle. Bastian hätte sie am liebsten dort eingeschlossen, damit sie ihn nicht verscheuchen konnte. Er mußte die Ärztin wiedersehen. Doktor Freude hieß sie. Freude schöner Götterfunken. Doktor Freude schöner Götterfunken.

Er fand sich schon sehr albern.

Sie verließ das Zimmer 338. Bastian stellte sich ihr in den Weg.

Verwunderter Blick aus weit auseinanderstehenden, bernsteingoldenen, skeptischen Augen. Die Augen waren eigentlich viel zu groß für ihr Gesicht.

»Ja, bitte?«

»Wie geht es meiner Großmutter?«

»Großmutter? Welcher?«

»Frau Guthmann.«

»Oh, gut. Sehr gut.«

»Und ihr Vorfall?«

»Der wird ihr keine Beschwerden mehr machen.« Sie wollte weitergehen. Dazu mußte sie wieder einen Haken um ihn schlagen.

»Wie passiert denn so was?« fragte Bastian, sich an ihre Fersen heftend.

»Bei fünf Kindern kommt das schon mal vor.«

»... und bei 13 Enkeln«, sagte er verstehend.

»Die haben damit nichts zu tun«, sagte Dr. Freude. »Die gehen höchstens auf die Nerven.« Sie blieb stehen und lachte. »Sie sind Bastian, der dreizehnte, nicht wahr?«

Amüsiert betrachtete sie ihn. »Sie sind ein Siebenmonatskind.«

»Ja, wieso?«

»Mit fünf Jahren fielen Sie vom Kirschbaum. Sie blieben zweimal sitzen. Meisterten Ihr Abitur mit einundzwanzig. Dann studierten Sie Maschinenbau. Liebten eine Fünfunddreißigjährige. Ihre Familie stand Kopf. Sie sattelten um ...«

»Auf eine Neunzehnjährige.«

»Auf Pädagogik.«

Bastian legte die Hände vor sein Gesicht.

»Machen Sie sich nichts draus.«

Bastian nahm die Hände wieder herunter. »Es wird immer schlimmer mit ihr, je älter sie wird. Hat sie Ihnen auch von dem Schäfer erzählt? Von dem, der sie im Jahre 38 gesundgebetet hat, als sie die Gürtelrose hatte?«

Dr. Freude drückte die Klinke von Zimmer 331. »Nein«, sagte sie, »bisher nicht. Aber ich nehme an, das wird sie noch. Ihre Großmutter ist ja noch ein paar Tage hier.«

»Ein Glück«, sagte Bastian, »ein solches Glück. Muß ich noch öfter zu Besuch kommen.«

Die Person, die er so spontan zu lieben begonnen hatte, war schon beinah im Zimmer 331, und ehe sie da wieder herauskam, würde längst Schwester Theresa aus Gleiwitz zurückgekehrt sein und ihn exmittieren.

»Hören Sie –« sagte er dringend hinter ihr her.

»Was denn noch?«

»Ich hasse Krankenhäuser.«

»Dann gehen Sie doch auch zum Schäfer.«

»Aber wenn es die einzige Möglichkeit wäre, Sie wiederzusehen, ließe ich mich hier einweisen. Und wenn ich Terpentin saufen müßte.«

Die Ärztin betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Für Terpentin bin ich nicht zuständig. Da müßten Sie sich schon ein Frauenleiden zulegen. Schaffen Sie das?«

Und damit schloß sich die Tür von Zimmer 331 hinter ihr. Bastian war abgeblitzt. Aber er nahm es Dr. Freude nicht weiter übel, daß sie noch so gar nichts für ihn empfand.

Bei manchen dauert das eben länger.

Kapitel 2
Micky

Seit er an der Münchner PH studierte, bewohnte Bastian eine Mansardenwohnung in einem Altbau nahe den Isarauen. Er war das Lieblingsthema der weiblichen Mieter im Treppenhaus. Sie hatten so ziemlich alles an ihm zu besprechen – sein Privatleben, seine Gewohnheiten, die Fenster putzte er auch nie und verlor ständig etwas, wenn er seine überfüllten Mülltüten auf den Hof hinuntertrug. Außerdem hatte er lange Haare. Insgesamt waren sie der Meinung: »Wenn das mein Sohn wär –! Dem würd ich vielleicht –!!« – und mochten ihn trotzdem ganz gern.

Bastians Wohnung umfaßte zwei Zimmer, eine Rumpelkammer, Bad und Küche. Das große Zimmer nach vorn heraus hatte er an einen Ingenieur aus Erding vermietet, der dort übernachtete, wenn er zu betrunken war, um heimzufahren, oder wenn er eine Freundin hatte.

Im anderen – Bastians Zimmer – waren noch die Vorhänge zugezogen, als er gegen Mittag heimkam. In seinem Bett lag Micky herum.

Das war ein echter Schlag für einen frisch verzauberten Menschen. Er hatte Micky ganz vergessen.

Auf dem Sofa, auf seinem Arbeitstisch, den Stühlen und am Fußboden lagen ihre Ketten, Höschen, Blüschen, Jeans – soviel Plunder auf seinem Besitztum – und der ärgste Plunder war Micky selbst in seinem Bett, aus dem sie sich jetzt stöhnend schälte. »Was 'n los?«

Bastian zerrte so wütend die Gardine auf, daß sie aus ihren Ringen sprang. Micky sah ihm zu und fand das komisch – seine Wut und die kaputte Gardine.

Sie war ganz junger, wuscheliger Sex, mit Schminkresten um die Augen und einem Busen, der selbst beim Aufwachen nicht verschlafen wirkte. Er war ihr Kapital, von dem sie gelegentlich lebte, indem sie ihn für Wäschefotos und Reklame herlieh.

»Da liegst du rum«, schrie er voll sittlicher Empörung. »Da liegt alles von dir rum! Du breitest dich aus wie der Rost auf meiner Else!«

»Welcher Else?«

»Meinem Auto, wem denn sonst! Stehst du nicht auf? Weißt du überhaupt, wie spät es ist? Andere Frauen – zum Beispiel in Krankenhäusern – haben jetzt schon ein Riesenpensum hinter sich. Echte Pflichten!«

»Schön blöde«, sagte Micky.

Bastian stand blutrauschend vor dem Bett. »Micky, ich rate dir, such dir 'ne andere Bleibe. Sonst gibt's ein Unglück!«

»Was für 'n Unglück?«

Bastian fiel so schnell kein passendes ein.

»Hab ich's mir doch gedacht! Du weißt keins.«

Er fiel erschöpft in seinen einzigen Sessel, stand noch mal auf, um Mickys Handtäschchen daraus zu entfernen, und sah sie an. »Wie lange willst du eigentlich noch hierbleiben?«

Micky breitete ungewiß die Arme aus, sie wußte es auch nicht.

Vor drei Wochen hatten Freunde von Bastian sie mit hierhergebracht. Die Freunde – Lisa und Paul – waren nur auf ein Bier gekommen. Waren nach dem Bier wieder gegangen und hatten Micky zurückgelassen, die stark fieberte und in München keine feste Adresse besaß.

Seit zwei Wochen und drei Tagen hatte Micky kein Fieber mehr, war aber immer noch da.

»Warum, Micky?« fragte Bastian gezielt in ihre Richtung.

Sie streckte erst mal ein Bein in die Luft, ein langes, gerades braunes Bein mit einem Kettchen am Fußgelenk. Und ungewaschener Fußsohle. Micky gefiel das Bein sehr gut.

»Weil ich keine Bleibe habe«, sagte sie, »und weil du nicht der Mensch bist, der den Mut hat, einen anderen rauszuschmeißen.«

Womit sie die Sachlage klar erfaßt hatte.

»Wenn du schon hier bist, könntest du wenigstens mal abwaschen. Seit drei Wochen hast du nicht einmal.«

»Du ja auch nicht«, sagte Micky und rollte sich zur Wand.

»Ich hab dich nicht freiwillig aufgenommen. Dafür hab ich Zeugen.«

»Ja«, sagte Micky, »Paul und Lisa. Aber das ist doch bekannt.«

Sie wandte mühsam den Kopf nach ihm um – ein Traum von einem Mädchen. Eine knisternde Katze, bei deren Anblick Männer heiße Ohren kriegen und blumige Vorstellungen. Ein Mädchen, das alle Vorzüge für eine sinnliche Nacht mitbrachte, bloß keine Lust dazu. Ein absoluter Bluff.

Bastian stand wütend aus dem Sessel auf und sagte: »Ach, Mensch! Mensch, Micky –« und ging und wußte noch nicht wohin.

Kapitel 3
Bastian macht schon wieder einen Krankenbesuch

Am nächsten Tag stand Bastian auf dem Viktualienmarkt vor demselben Blumenstand und kaufte sieben langstielige Rosen. Er bekam sie billiger, weil sie nicht mehr ganz frisch waren.

Mit denen besuchte er seine Großmutter am Nachmittag zur offiziellen Besuchszeit.

Martha Guthmann saß aufrecht in ihrem Bett und hielt sich verbittert die Ohren zu, und das mit Grund. Denn um der tauben Frau Kynasts Bett lagerte ihre Familie – Mann, Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind.

Die Tochter schrie gerade: »Frau Huber läßt dich grüßen!«

Frau Kynast fragte: »Wie?«

»Frau Huuuber!«

Darauf Frau Kynast ungeduldig: »Ja, Frau Huber. Ich hab verstanden. Was ist mit der?«

»Sie läßt dich grüßen!!«

»Wie?«

»Grüßen!«

»Von wem?«

Großmutter nahm die Finger aus den Ohren und klagte: »Kannst du mir mal sagen, warum die Schwerhörige immer den meisten Besuch hat?«

Bastian wußte es auch nicht.

Erst jetzt begriff sie bewußt seine Anwesenheit, sah die Rosen, die er auf ihre Bettdecke gelegt hatte, und war sehr erschrocken. »Ja, Bub! Was ist los? Du warst doch erst gestern da und heut schon wieder. Steht's denn so schlecht um mich?«

»Um dich? I wo! Ich dachte nur, es würde dich freuen ...«

»Freilich«, sagte sie, »aber wer besucht schon so oft eine alte Frau im Spital? Und ausgerechnet du, der sich vor Krankenhäusern fürchtet!«

»Ach«, sagte Bastian, »das kommt auch aufs Krankenhaus an. Hier gefällt's mir ganz gut.«

Nun freute sie sich über die schönen, schönen Rosen. Dieselbe Sorte gab's auch im Englischen Garten.

»Das sollst du doch nicht, Bub!«

»Ich hab sie gekauft«, beteuerte er.

»Natürlich«, sagte sie, »das mein ich ja.«

»Soll ich dir eine Vase holen, Martha? Ich hol dir eine, Moment –« Er eilte aus dem Zimmer auf der Suche nach einer Vase, vor allem aber nach Dr. Freude.

Großmutter rief vergebens »Bastian! Bastian!« hinter ihm her. »Wo läufst du hin? Hier ist doch eine!«

In der Stationsküche fand er Schwester Theresa. Zur offiziellen Besuchszeit war sie bedeutend gnädiger zu ihm. Sie schloß sogar eine Kammer auf und suchte dort eine große, kristallene Vase für ihn heraus.

Bastian fragte so nebenbei nach Dr. Freude. Ob die vielleicht im Hause wäre?

»Sie hat heut Nachtdienst«, sagte Theresa. »Hat sich aber noch nicht bei mir sehen lassen. Wenn Sie den Doktor Vogel sprechen möchten ...«

Bastian dankte für den Dr. Vogel und zog mit seiner Vase ab. Er durchquerte mehrmals die Flure, auf denen sich Patienten von ihren Besuchern verabschiedeten. Am Krankenbett verschüchterte Kinder drängten erleichtert dem Lift zu.

Die Dr. Freude sah er nirgends. Dafür fiel ihm eine junge Frau auf, weil sie so sehr allein an einem Fenster stand. Ihr Haar war strähnig, das Gesicht, das sie ihm einmal zuwandte, als er vorüberging, wirkte gedunsen. Er kannte es, aber er wußte nicht woher.

Sie stutzte auch und wußte nicht, ob sie ihn grüßen sollte, und als er vorüber war, fragte sie zögernd »Bastian? Bastian Guthmann?« hinter ihm her.

Er blieb stehen.

»Erinnerst du dich nicht mehr? Ich bin Susi Schulz. Wir waren voriges Jahr auf der Party bei Freddy Kuchel zusammen.«

»Ach ja, natürlich, Susi. Hab dich gar nicht erkannt.« Bastian kam zurück, nicht eben überwältigt vor Freude. »Grüß dich, Susi. Was machst du denn hier?«

»Siehst du doch. Ich bekomme ein Baby.«

»Aha.«

Sie standen voreinander und wußten nicht recht ...

»Ja, dann will ich nicht weiter stören. Alles Gute, toi, toi, toi!« Er winkte noch einmal zurück und erschrak.

Susi stand schwerfällig da, ihre Hände verkrampften sich über dem Bauch, sie stöhnte leise.

»Gottes willen, geht's los?«

Susi Schulz versuchte ein quittegelbes wehes Lächeln.

»Soll ich die Ärztin holen?« fragte er eilfertig. »Ich hol die Freude, ja?«

Susi wehrte ab. »Es ist ja erst alle drei Minuten.« Farbe kehrte langsam in ihr Gesicht zurück, das Lächeln wirkte gelöster, wenn auch nicht besonders froh.

Sie erinnerte ihn jetzt entfernt an ein zierliches, hellblaues, wehendes Geschöpf auf einer Vorortstraße. Mitten auf der Straße. Barfuß auf dem Asphalt, in jeder Hand eine Sandalette.

Susi voller Lachen, voller Schwips, voller Sommer im Morgengrauen nach der Party bei Freddy Kuchel. Sie waren ruhestörend albern gewesen, rannten um die Wette und machten Klingelzüge. Vor ihrer Haustür hatte Susi die Arme um seinen Hals gelegt und ihn geküßt. Bastian spürte dabei die Hacken ihrer baumelnden Schuhe in seinem Kreuz. Er mochte Susi. Verliebt war er nicht, aber er hatte versprochen, sie anzurufen.

Das war jetzt ein Jahr her.

»Du hast damals nicht angerufen.«

»Habe ich nicht? Muß mir wohl was dazwischengekommen sein.«

»Ja, schade«, sagte Susi. »Vielleicht wäre sonst alles ganz anders gekommen.«

Sie krümmte sich in einer neuen Wehe und tat Bastian so leid. Daß man dagegen noch nichts erfunden hatte –!

Die Flure waren nun leer. Eine Schwester räumte die Blumenvasen vor die Türen und erinnerte ihn daran, daß die Besuchszeit vorüber war.

»Willst du dich nicht lieber hinlegen?«

»Ich soll ja laufen –«

»Und dein Mann? Gibt's hier kein Vaterzimmer, wo er warten kann?«

»Ich hab keinen Mann«, sagte Susi, als die Wehe abgeklungen war. »Ich hab ihn im Urlaub kennengelernt – vorigen Herbst. In Spanien. Da war's die große Liebe. Er ist Referendar in Köln, weißt du, und als wir uns später wiedertrafen, haben wir nur noch gestritten. Furchtbar war das. Habe ich eben Schluß gemacht. Lieber keinen Vater für das Baby, als einen, mit dem ich mich nicht versteh. Verstehst du?«

Bastian verstand.

»Aber manchmal ist es verflixt schwer so allein. Mit meiner Mutter versteh ich mich auch nicht. Sie weiß noch gar nichts von dem Baby ...« Susi brach ab, weil Bastian nicht mehr zuhörte, sondern einen jähen Ausbruchsversuch Richtung Lift machte. Denn dort stand sie, die Freude, aber nur sekundenlang, dann hatte der Lift sie verschluckt.

»Das war die Ärztin«, sagte Susi.

»Ja, das war sie.«

Die Schwester kam wieder vorbei und schimpfte, weil Bastian noch immer da war.

Er strich Susi über die verschwitzte Wange. »Mach's gut, Mädchen. Halt die Ohren steif.«

»Werd schon.«

»Und wenn's da ist, ruf mich an.« Er gab ihr seine Nummer.

»Du bist sehr lieb, Bastian«, sagte Susi. »Du mit deiner Vase.«

Erst jetzt erinnerte er sich an die Kristallpracht, die noch immer unter seinem Arm klemmte – und an seine Großmutter, die noch immer auf die Vase und seine Rückkehr warten mochte.

Er hatte sich gestern nicht von ihr verabschiedet, er mußte es wenigstens heute tun.

Auf dem Weg zu Zimmer 338 begegnete er Schwester Theresa. »Sie sind ja noch hier!«

Bastian zuckte bedauernd die Achseln. »Ja, ich versteh das auch nicht. Ich – ich such den Lift.«

»Den Lift!« staunte sie. »Den Lift sucht er und steht davor!«

In diesem Augenblick öffneten sich seine Türen. Zwei Ärzte kamen heraus – eine davon war die Freude.

Bastian strahlte. »Hab ich ein Schwein!«

»Ach Sie schon wieder –« Während ihr Kollege weiterging, mußte sie stehenbleiben, das lag an Bastian, der ihr im Wege stand – nun schon zum drittenmal in zwei Tagen.

»Ich hab mir so gewünscht, Sie wiederzusehen«, sagte er und wurde daraufhin prüfend von ihr betrachtet. Wenn ihr schon einer so intensiv in die Quere kam, wollte sie wenigstens wissen, wie er aussah.

Er hatte fröhliche Augen. Das vor allem. Blonde, frischgewaschene Haare, die ihm immerzu in die Stirn fielen. Er war lang und eckig, trug Jeans und ein kariertes Hemd und eine Jeansjacke, deren Kragen beim Anziehen zur Hälfte nach innen geraten war. Ein ebenso sympathischer wie harmlos wirkender junger Mann mit einer Kristallvase unterm Arm, wieso mit einer Vase!?

»Sie sind verrückt«, sagte sie und ging ihrem Kollegen nach, der auf sie wartete.

»Bis morgen, Doktor!« rief Bastian. »Ich komm jetzt täglich.«

»Wer war denn das?« fragte der Kollege, als die Freude ihn eingeholt hatte.

»Der Enkel einer Patientin. Der dreizehnte Enkel von Frau Guthmann.«

»Und kommt täglich zu seiner Großmutter?« staunte der Kollege.

»Ja. Rührend, nicht wahr?«

In diesem Augenblick krachte und klirrte es hinter ihnen.

Das war die Vase.

Bastian zog sich hastig die Jacke aus, fegte die Scherben in sie hinein und floh per Lift.

Kapitel 4
»Katharina ...!«

Es war so schön leer und friedlich, als er nach Hause kam. Micky war nicht da, nur ihr ausgelaufener Nagellack auf seiner Tischplatte. Sah aus wie Blut im Krimi.

Warum gab's nur solche Typen wie Micky in seinem Leben, die ihm wie Kletten anhingen, ohne daß er sie aufgefordert hatte, bei ihm Klette zu sein?

Ich bin zu gutmütig, sagte er sich, nein, gutmütig bin ich nicht. Ich bringe nur nie im entscheidenden Moment genügend Rücksichtslosigkeit auf, um das Übel von mir abzuwenden. Ich habe wohl auch zuviel Mitleid mit den Mädchen und nachher den Ärger, sie wieder loszuwerden.

Bastian ging an den Eisschrank. Im Eisschrank standen Mickys Cremedöschen und ein übriggebliebenes Marmeladenbrot vom Frühstück und ein uraltes Yoghurt und – welch Lichtblick – auch zwei Biere.

Bastian trank die Biere und rauchte dabei aus dem Giebelfenster seines Zimmers auf den grünen, runden Kopf der Hofkastanie. Er war verknallt, jedoch dabei noch immer logisch. Er fragte sich, was soll ich mit einer Ärztin!? So eine Frau hat erstens kaum Zeit, und zweitens stellt sie Ansprüche. Sie würde versuchen, Ordnung in sein Leben zu bringen. Beruflichen Ehrgeiz von ihm erwarten. Bürgerliche Anzüge. Eine saubere »Else« und all so was.

Aber was regte er sich auf? Die Freude erwartete ja gar nichts von ihm. Sie war vernünftig genug, sein Balzen nicht ernst zu nehmen. »Sie sind verrückt«, hatte sie gesagt und ihn einfach stehenlassen.

Bastian suchte im Radio, bis er etwas fand, das einem sehnsüchtigen Sommerabend ungefähr entsprach. Er schaltete das Licht ein, ohne an die Mücken zu denken, und malte Strichmännchen auf einen Zeitungsrand, machte Strichmädchen aus ihnen, nein, Himmel nein, nicht das, sondern Ärztinnen, im weißen, braven Kittel. Freude. Doktor Freude. Ob sie wohl auch einen Vornamen hatte?

Es war schon ziemlich schlimm. Seit Juscha damals hatte es ihn nicht mehr so erwischt. (Juscha war Wienerin und seine große Leidenschaft gewesen. Die Leidenschaft mußte sterben, weil es ihm am nötigen Fahrgeld von München nach Wien und zurück fehlte.)

Als das Bier zu Ende war, ging er auf seinem Sofa zu Bett, überzeugt, nie mehr schlafen zu können, schon wegen der vielen Mückenstiche.

***

Irgendwann bellte eine Klingel in seinen tiefen Schlaf. Bastian schreckte hoch, wußte erst nicht, wo er war, was los war, auf welcher Seite er aussteigen mußte und tappte im Dunkeln, mehrere scharfe Kanten rammend, zur Wohnungstür. Verfluchte Micky, vergaß immer den Wohnungsschlüssel.

Aber es war nicht die Türklingel, die ihn geweckt hatte, sondern das Telefon.

Bastian stieg mit dem Apparat in sein Sofabett und schimpfte »Guthmann« in den Hörer. »Was – wer? Was für 'n Krankenhaus?«

Eine dunkle, müde klingende Frauenstimme sagte, unterbrochen von einem tiefen Lungenzug: »Ich ruf Sie im Auftrag von Susi Schulz an. Ihr Baby ist da.«

»Mitten in der Nacht?«

»Es ist ein Mädchen.« Tiefer Zug. »Fast sieben Pfund. Eine ganz normale Geburt.«

»Na fein«, sagte Bastian. »Gratulieren Sie von mir, und vielen Dank für 'n Anruf.« Plötzlich war er hellwach. »Hallo«, schrie er in den Hörer, »sind Sie noch da?«

»Ja.«

»Mit wem spreche ich? Sind Sie es?«

»Wer – ich?«

»Na eben Sie –«

Kurzes Zögern, dann: »Ja. Wieso?«

»Schön«, sagte Bastian. »Waren Sie dabei, als die Susi gemuttert hat?«

»Ja.«

»Ich bin nicht der Vater.«

»Ich weiß. Frau Schulz hat es mir gesagt.«

»Was hat sie gesagt?« fragte er.

»Daß Sie nicht der Vater sind, wohl aber der einzige Mensch, der sich ein bißchen freut, wenn ihr Baby da ist.«

So eine gute Meinung hatte dieses Mädchen, das ihm fast fremd war, von ihm. Eine Meinung allerdings, die beinah die Verpflichtung einschloß, sich um sie zu kümmern.

»Grüßen Sie Mutter und Kind.«

»Fräulein Schulz hat übrigens eine Bitte an Sie, Herr Guthmann. Sie hat fest mit einem Jungen gerechnet und keinen Namen für ein Mädchen und ob Sie nicht vielleicht ...«

»Ob ich was?«

»... einen Namen wüßten.«

»So auf Anhieb?« fielen ihm Micky ein, Juscha, seine Schwestern Leni und Rosi – aber dann kam ihm eine Idee. »Ich weiß einen: Wie heißen Sie?«

»Ich?« Kurzes Zögern, dann ungern: »Katharina. Aber ...«

»Schönen Gruß an Susi Schulz, und ich fände den Namen Katharina schön.«

»Aber das ist doch –«

»Bitte!« sagte er unendlich sanft.

»Ich werd's ausrichten. Gute Nacht, Herr Guthmann.«

»Gute Nacht, Katharina ...«

Er legte den Hörer auf, umarmte seine angezogenen Knie und grinste blödsinnig froh auf seine Zehen hinab.

»Katharina Freude. Katharina – Katharina ...«

Und jetzt erst sah er Micky neben seinem Sofa stehen. Er hatte sie nicht kommen hören.

Sie imitierte ihn seelenvoll: »Katharina – Katharina – Katharina ...« Dabei nahm sie ihre Tasche von der Schulter und warf sie hinter sich, ihren Landungsort dem Zufall überlassend. »Ist Katharina deine neue Mieze, ja? Erzähl mal!«

Bastian brach beinah zusammen. »Mieze! Bist du wahnsinnig? Sie ist eine Ärztin!«

»Ach du mein Herr Gesangverein«, seufzte Micky. »Wieder keine, die hier abwäscht.«

Bastian schaute sie nur an. Ohne einen Funken von Sympathie. Wortlos stand er auf und stieg in seine Hosen. Micky sah ihm zu. Micky sah, wie er seinen Pullover überstülpte und den total verstaubten Koffer vom Schrank riß.

Er stopfte wahllos alles hinein, was ihm unter die Finger kam –Hemden, Bücher, selbst den Aschenbecher.

»Du reist aber plötzlich.«

»Ich reise nicht. Ich ziehe aus!«

»Warum?« fragte Micky. »Etwa meinetwegen?«

»Weshalb wohl sonst!?«

Das begriff Micky nicht, denn bei allem, was man ihr nachsagen konnte – unlogisch war sie nicht. »Warum? Warum ziehst du aus und nicht ich? Das ist doch deine Bude hier, oder?«

»Aber du ziehst ja nicht!!«

»Wer sagt denn das?« Sie klang beinah gekränkt. »Wer sagt denn, daß ich nicht ziehe, wo ich doch bloß gekommen bin, um meine Koffer zu holen.«

»Deine – Koffer?«

»Na ja, mein Täschchen.«

Sie begann ihr herumliegendes Hab und Flitter einzusammeln und in eine Plastiktüte zu stopfen.

Bastian sah ihr zu, erst skeptisch – »Ziehst du wirklich?« – und dann immer mehr von Hoffnung verklärt. Sollte etwa eine Glückssträhne bei ihm ausgebrochen sein?

Micky nahm ein Hemd und wollte es in die Tüte stopfen, Bastian stellte das Hemd rechtzeitig sicher, denn es war sein Hemd. Micky sagte: »Na schön, was wollen wir streiten.« Und sah ihn fröhlich an. »Ich hab mir gedacht, rausschmeißen tut er dich eh eines Tages. Also vermasselst du ihm den Rausschmiß und gehst von selbst. Hab ich mir gedacht.«

»Wo ziehst du denn hin?«

»Zu einer Freundin.« Sie sah sich im Zimmer um, ob sie auch nichts vergessen hatte. Bastian sah sich im Zimmer um, ob sie auch nichts hatte mitgehen lassen, was ihm gehörte.

»Die wohnt vielleicht –! Toll! Einfach groupie! Mit Farbfernseher. Nicht so wie hier.«

»Und du bist sicher, daß sie dich aufnimmt? Kann ich mich drauf verlassen?«

Micky lachte. »Mannomann, bist du aber in Druck. Also ja, sie nimmt mich. Sie ist ganz wild drauf, daß ich zu ihr zieh. Sonst würd ich doch nicht mitten in der Nacht – oder?«

Kapitel 5
Katharina II. von links

Gegen sechs Uhr pflegte Schwester Theresa geradezu widerlich frisch die Krankenzimmertür aufzureißen und ihr »Guten Morgen! Guten Morgen!« den schlafenden Patientinnen um die Ohren zu klatschen.

Frau Schüssle antwortete mit einem Stöhnen und Frau Kynast, von Theresa durch ein zusätzliches Rütteln geweckt, nahm ihre Zähne aus dem Wasserglas und fummelte sie sich in den Mund.

»Können Sie einen anständigen Kranken nicht ausschlafen lassen? Nee? Geht das nicht? Die Privatpatienten wecken Sie ja ooch nich mitten in der Nacht. Sind die vielleicht was Besseres?«

Schwester Theresa verteilte die Thermometer und schüttelte herzhaft Martha Guthmanns Hand, als sie an ihr Bett trat. »Na, das war vielleicht eine Überraschung. Herzlichen Glückwunsch!«

Großmutter sah sie nichtsbegreifend an. »Wozu denn?«

Theresa drohte mit dem Finger. »Tun Sie doch nicht so scheinheilig. Sie wissen ganz genau, was ich meine.«

»Was denn? Sagen Sie doch mal!«

»Sie sind Urgroßmutter geworden, Frau Guthmann.«

»Ich? Schon wieder? Wann denn?«

Theresa konnte nicht antworten, weil Frau Kynast, bei der sie den Puls maß, mit Stentorstimme jede weitere Unterhaltung niederdröhnte: »Mit uns könnses ja machen. Wir sind ja bloß Kassenpatienten.«

»Ruhe!« flehte Frau Schüssle. »Die Person macht einen ganz schwach.«

»Wenn du arm bist, mußt du früher aufstehen. Um sechs!« schimpfte die Kynast.

Schwester Theresa kam an Großmutters Bett und ließ sich das Thermometer geben.

»Erzählen Sie doch mal, Schwester. Ich wußt ja gar nicht, daß schon wieder was fällig war. Diese Familie vermehrt sich wie die Karnickel. 13 Enkel hab ich, davon acht verheiratet und von denen schon wieder neun Urenkel in drei Jahren. Einer hat immer Geburtstag. Das geht ins Geld. Das frißt die Pension. Wer ist es denn diesmal?«

»Na, Ihr Enkel, der Sie immer besuchen kommt!«

Großmutter richtete sich erschüttert auf. »Der Bastian? Der Bastian ist Vater geworden? Das gibt's doch nicht!«

»Ja, ist der junge Mann denn überhaupt verheiratet?« erkundigte sich Frau Schüssle, nun auch hellwach.

»Nein«, sagte Großmutter giftig, »ist er nicht. Kann er auch so. Aber daß er mir nichts erzählt hat!« Sie stieß Schwester Theresa, die Puls bei ihr messen wollte, beiseite. »Jetzt Pulsmessen? Was glauben Sie, wie der rast. Kriegt ein Kind und sagt mir nichts. Woher wissen Sie's denn? Hat er angerufen?«

»Von der Nachtschwester weiß ich's. Mutter und Kind liegen auf demselben Stock. Es ist ein Mädchen.«

»Im selben Haus? Hier?« Frau Schüssle war hingerissen. »Auf unserm Stock! Und Sie wissen nichts davon, Frau Guthmann, ja, was sagt man denn dazu!?«

Großmutter sagte gar nichts. Sie kochte.

***

Zur gleichen Zeit stand Dr. Freude an Susi Schulz' Bett. Das Mädchen hatte zwar eine leichte Geburt hinter sich, aber es war jetzt niemand da, der sich mit ihr über das Neugeborene freute. Susi lag zudem zwischen zwei Wöchnerinnen, die mit Blumen und Telegrammen von strahlenden Anverwandten gefeiert wurden und sich wie preisgekrönt fühlen durften. Sie behandelten Susi Schulz eine Spur zu mitleidig, und Susi war nicht der emanzipierte Typ, der damit leicht fertig wurde.

Ein Glück, daß es diesen netten Spinner, den 13. Enkel, gab. Wenigstens einer außer der Freude und den Schwestern, der sich ein bißchen um sie kümmern würde.

»Haben Sie Bastian Guthmann angerufen?«

»Hab ich.«

»Danke. Was hat er gesagt?«

»Schöne Grüße, und er freut sich sehr.«

Susi lächelte getröstet. »Haben Sie ihn nach einem Namen gefragt?«

»Er meinte – vielleicht Katharina?«

»Katharina«, sagte Susi erschrocken. »Ist das nicht ein bißchen lang und ernst für so ein kleines Baby? Wie ist er denn darauf gekommen?«

»Ganz blöd«, lachte die Freude. »Er hat mich gefragt, wie ich heiße. Er wollte sich wohl das Nachdenken ersparen.«

»Ach so.« Susi war zu höflich, um ihr Mißfallen kundzutun.

»Ich finde den Namen auch nicht doll«, sagte die Freude, »aber es hätte noch schlimmer kommen können. Stellen Sie sich vor, ich hieße Isolde oder Ottilie.«

»Ein Glück, daß Sie nicht Isolde heißen«, sagte Susi. »Ich kannte mal eine, die hat geklaut.«

Die Freude sagte ihr nicht, daß eine historische Katharina wegen angeblicher Untreue enthauptet worden war, eine das Blutbad der Bartholomäusnacht anzettelte und eine ihren Mann, den Zaren, umbringen ließ. Es hatte auch drei Heilige gleichen Namens gegeben.

Katharina Freude drückte kurz Susis auf der Bettdecke ruhende Hand. »Freuen Sie sich über Ihr Baby. Es ist ein ganz besonders hübsches Mädchen.«

»Finden Sie?« fragte Susi ein bißchen stolz. »Ich werd's Kathrinchen rufen, das klingt nicht so ernst.«

Die Freude gähnte beim Hinausgehen, daß ihr die Augen tränten.

Sie war auch nach einer halben Stunde Schlaf nicht wacher. Im Gegenteil. Sie fühlte sich wie verkatert.

Als sie ins Ärztezimmer ging, holte ein Mann in Zivil sie ein. Es war der Chefarzt, der gerade gekommen war.

»Nun, Katharina?«

»Langsam glaub ich, alle warten bloß auf meinen Nachtdienst. Eine Aufnahme, zwei Geburten, eine Hüftluxation – die Frau Kühn von 314. Sie hat geträumt, in ihrem Hotel brennt es, und ist aus dem Bett gefallen. Warum fallen immer alle bei mir und nie, wenn die anderen Nachtdienst haben?«

Der Chefarzt kam mit ins Ärztezimmer, als er sah, daß es leer war. Sein Ton wurde vertraut. »Wann sehen wir uns? Was ist mit heut abend? Unsere Kammersängerin hat mir Karten für ›Tristan und Isolde‹ angeboten. Letzte Vorstellung vor den Sommerferien. Hast du Lust?«

Katharina gähnte. »Isolde klaut.«

»Bitte?«

»Fräulein Schulz von 311 kannte mal eine Isolde, die hat geklaut.«

»Katharina!«

»Herr Professor?«

»Du bist sehr albern.«

Sie nickte ernst. »Ja, sehr.«

Der Oberarzt trat ein, und sie sprachen über die wichtigsten Vorkommnisse der letzten Nacht. Professor Klein kam nicht noch einmal auf ›Tristan und Isolde‹ zurück. Katharina war sehr froh darüber, sie schlief lieber im Bett als in der Oper.

***

Am selben Morgen stand Bastian Guthmann auf dem Viktualienmarkt vor seinem Blumenstand, nun schon beinah befreundet mit der Standfrau.

»Ja, Sie –« begrüßte sie ihn staunend.

»Ja, ich schon wieder. Inzwischen habe ich noch einen Fall im Spital –seit heute nacht sind's sogar drei. Drei Weiber.«

»Herrgottzeiten – schon drei! Ja wie denn des?«

Bastian roch in einen Strauß knackfrischer Rosen hinein und dachte an Katharina Freude. »Im Grund sind's sogar vier.«

Das konnte die Standfrau einfach nicht begreifen. Vier Weiber in drei Tagen im Spital! »Sie, des muaß a Virus sein.«

Anschließend ging Bastian in ein Spielwarengeschäft. Es war noch eine unentschlossene Kundin vor ihm dran, die nicht wußte, ob sie lieber eine Lockenpuppe, die »Mama« und »Gute Nacht, Liebling« sagte, nehmen sollte oder eine weniger kostspielige, zu der aber ein ganzer Koffer voll mondäner Garderobe gehörte. Was war nun günstiger?

Bastian – kleiner Bruder von zwei Schwestern mit frühzeitig entwickeltem Muttertrieb, die den ganzen Tag ein Gewese um ihre Püppchen veranstaltet hatten, bis es ihm eines Pfingstsamstags gelang und er allen Püppchen die Haare abgeschnitten hatte – Bastian verzog sich eilends in die männliche Abteilung des Ladens.

Da fand er batteriebetriebene Autos, die man um die Ladentische flitzen lassen und zu grandiosen Unfällen steuern konnte. Panzer über Mercedes und mittenhinein einen Kipplader. Die Püppchenkundin war längst gegangen. Die Verkäuferin stand neben Bastian und sah seinem Verkehrschaos zu.

Schließlich fragte sie, ob er sich schon entschlossen habe. Bastian mußte bedauern.

»Wie alt ist denn der Junge?«

Der ferngesteuerte Mercedes jagte auf ein Tischbein zu, bog im letzten Augenblick dem Unglück aus, schoß rückwärts davon. Sagenhaft.

»Es ist kein Junge.«

»Also ein Mädchen. Und wie alt, wenn ich fragen darf?«

»Na, seit heute nacht«, sagte er und trennte sich ungern von den Autos.

»Aber dann ist es ja noch ein Säugling!«

»Möchte ich sagen. Was nimmt man denn da?«

Die Verkäuferin ging mit ihm in die Babyabteilung.

»Vielleicht ein Schlaftier oder eine Spieluhr?«

Spieluhren interessierten ihn.

Die Verkäuferin brachte ihm gleich drei Modelle und zog sie hintereinander auf. Das eine war ein hölzerner Mond mit aufgemaltem Gesicht, das zweite eine Kasperlepuppe, die man schütteln mußte, damit sie »Weißt du, wieviel Sternlein stehen?« klimperte.

»Und dann haben wir noch ein Modell für Anspruchsvolle.«

Dasselbe spielte »Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein«.

Die Verkäuferin sang mit, ihre Stimme erinnerte an das nicht ganz tonreine Gezitter einer alten Soubrette.

»Sehr hübsch«, lobte Bastian irritiert.

»Aber leider etwas teurer.«

»Wegen dem Prinzen?«

»Wegen der eleganten Ausführung.«

Alle drei Spieluhren bimmelten durcheinander und gegeneinander an. Da sollte nun ein Kind bei einschlafen!

Bastian entschloß sich zum Mond. Der bimmelte am billigsten. Er ließ ihn nicht einpacken, sondern hängte ihn in seine Else und zog ihn immer wieder auf.

»Guter Mond, du gehst so stille« an einem strahlend schönen Sommermorgen.

»Katharina, ach du gehst so stihille
in dem weißen Kittel vor dich hin ...
Katharina, du mein letzter Wihille ...«

An der Rezeption des Krankenhauses hatte er Schwierigkeiten mit der Schwester. Sie wollte ihn nicht schon wieder am Vormittag hineinlassen. Kam ja gar nicht in Frage.

Bastian zog den guten Mond auf und ließ ihn in den Glaskasten hineinbimmeln.

»Sagen Sie bloß, der ist für Ihre Oma!«

»Der ist für meine Nichte. Ich bin heut nacht in diesem Hause Onkel geworden, Schwester, seien Sie nett ... bitte ...«

»Nur in Notfällen ...«

»Dies ist ein Glücksfall!«

»Also wissen S'!« Sie begriff sich selbst nicht. Sonst ließ sie niemand außerhalb der Besuchszeit zu den Dritte-Klasse-Patienten. Diesen Burschen nun schon zum zweitenmal.

Bastian fuhr in den dritten Stock, guckte beim Aussteigen nach rechts und links, ob er auch nicht Schwester Theresa begegnete – die hielt so gar nichts von seinem Charme. Zimmer 311 lag links vom Lift.

Er ging den Gang hinunter. Hinter einer durch Blattpflanzen abgedeckten Sitzecke lauerte seine Großmutter und fiel mit strengem Vorwurf über ihn her: »Endlich kommst du! Seit einer Stunde warte ich auf dich!«

»Woher wußtest du denn, daß ich heut herkomme? Ist was passiert?«

Seine Großmutter sah ihn an, als ob sie ihn nicht mehr leiden konnte. »Das fragst du mich?« und schmetterte ihm »Sieben Pfund« ins Gesicht.

Bastian guckte dumm.

»Mit schwarzen Haaren! Auf dem gleichen Stock!! Und ich muß es von Schwester Theresa erfahren.«

Manchmal war er ein bißchen begriffsstutzig.

»Du mußt sie natürlich heiraten!«

»Wen?«

»Die Mutter, wen sonst? Schwester Theresa sagt auch, daß du sie heiraten mußt.«

Endlich fiel bei ihm der Groschen, und er fing an zu lachen.

»Lach nicht«, schrie sie, »es ist eine Schande. Setzt Kinder in die Welt und drückt sich vor der Verantwortung.«

Bastian fiel die Spieluhr ein. Er zog sie auf und hielt sie seiner Großmutter ans Ohr. Dadurch beruhigten sich beide. Martha Guthmanns Zorn und Bastian Guthmanns Lachreiz. •

»Frau Guthmann, ich will dir mal was sagen. Ich kenne das Mädchen kaum, das heute nacht ein Kind gekriegt hat.«

»Das besagt heut gar nichts.«

»Ich bin wirklich nicht der Vater. Das ist ein Referendar aus Köln.«

»Ehrlich?«

»Ehrlich.«

»Schade«, sagte sie, »ich hatt mich schon an den Gedanken gewöhnt.«

Schwester Theresa kam mit dem Säuglingswagen um die Ecke und war so verlegen, als sie Guthmanns sah, daß sie vergaß, Bastian von der Station zu fegen.

»Da habe ich vielleicht einen Irrtum angestellt. So was Peinliches.«

»Ich weiß schon«, sagte Großmutter und erhob sich, um in den Wagen zu schauen. »Ist es dabei?«

»Katharina? Ja – die zweite von links.«

»Wie das klingt!«

»Wie denn?«

»Wie Katharina II. von Rußland.«

Und damit hatte das Baby seinen Spitznamen weg: Katharina II. von links.

Martha Guthmann brach in helles Entzücken aus. So ein goldiges Ding! Nein, so was Herziges! Sie nahm ihrem Enkel beinah übel, daß ihm da ein Referendar zuvorgekommen war.

***

Bastian interessierte weniger das Baby als der Wagen mit seiner gläsernen, aufklappbaren Kuppel, in dem fünf lebendige Päckchen nebeneinander lagen.

»Sagen Sie, Schwester, gibt's hier Wespen?«

»Bei uns? Bei uns gibt's überhaupt kein Ungeziefer, was glauben Sie?«

»Ich frage ja nur. Wegen dem Wagen. Der Konditor in unserer Straße hat auch einen solchen. Da sind seine Obsttorten drin während der Wespensaison.«

Beide Frauen sahen ihn finster an.

»Stimmt aber«, verteidigte er sich. Und dann begehrte er die Mutter zu sehen, aber Schwester Theresa sagte, er müsse warten bis nach dem Stillen.

»Dauert das lange?«

»Das kommt drauf an.«

»Ist Dr. Freude im Haus?«

Theresa sagte mürrisch, sie wüßte es nicht, vielleicht sei sie fort und verschwand im Zimmer.

»Ich geh dann wieder, Oma – servus.«

Aber er durfte nicht.

»Sag mal, warum kommst du eigentlich her? Etwa meinetwegen? Daß ich nicht lache! Gestern bist du zu mir hinein und wieder hinaus, um eine Vase zu suchen, und bist danach nicht wiedergekommen. Heute kommst du, um eine junge Mutter zu besuchen, und willst wieder gehen, ohne sie gesehen zu haben. Ihr Baby vergleichst du mit Zwetschgendatschi zur Wespenzeit – wen besuchst du hier eigentlich?«

»Servus, Omi.« Weg war er wie ein geölter Blitz. Er hatte Katharina Freude am Ende des Flurs gesehen. Kurz hinter ihr zog er die Bremse. Sie wandte sich erschrocken um.

»Schwester Theresa sagte, Sie wären schon fort.«

»Wenn Schwester Theresa das sagt, wird's wohl stimmen.« Sie wandte sich der Lifttür zu, ohne ihn zu beachten.

»Ich gehe Ihnen auf den Wecker«, sagte Bastian einsichtsvoll.

»Das sagen Sie

»Und Sie denken es.«

Der Lift kam.

»Wiedersehen, Herr Guthmann.«

Bastian zog rasch die Spieluhr auf und sang dazu:

»Katharina, ach du gehst so stille
durch das ernste, alte Krankenhaus.
Katharina, du mein letzter Wille ...«

»Pschscht! Sind Sie verrückt?«

»Warum?«

»Die Schwestern!«

Bastian sah sich um, sah keine Schwestern, sah auch keine Katharina mehr. Der Lift hatte sie verschluckt. Dafür sah er seine Großmutter wie ein Mahnmal neben sich stehen. Sie war ihm gefolgt, ohne daß er es gemerkt hatte.

»Wolltest du nicht die junge Mutter besuchen?«

***

Bastian erschien es ziemlich lange, bis die Damen fertiggestillt hatten und er ins Zimmer durfte.

Susi hatte den Kopf zum Fenster geneigt und döste vor sich hin. Die beiden anderen jungen Mütter betrachteten den Ankömmling sehr interessiert. War das der Vater? Er blieb am Fußende des Bettes stehen. »Na, Mütterchen?«

Susis Gesicht entspannte sich in einem Lächeln. »Na, du?«

»Katharina hab ich schon gesehen.«

»Die Ärztin sagt, es wäre ein besonders hübsches Baby. Findest du das auch?«

»Goldig«, sagte Bastian. Das war zwar eine ungebräuchliche Vokabel in seinem Wortschatz, aber Großmutter hatte »goldig« gesagt, und so würde es wohl stimmen.

Er legte Blumen und Spieluhr auf ihren Nachttisch und setzte sich auf Susis Bettrand. »Erzähl mal. Hat's sehr weh getan?«

»Na eben wie Kinderkriegen.«

Bastian nickte verständnisvoll. »Ich hatte mal 'ne Darmkolik. Jungejunge. Das war auch 'n irrer Schmerz. Wahrscheinlich so ähnlich.«

»Wahrscheinlich.«

»Aber wenn's vorüber ist, dann ...« Er brach ab und fragte besorgt: »Du freust dich doch hoffentlich?«

»O ja.« Sie winkte ihn zu sich herab und flüsterte: »Ich wäre bloß lieber meine Nachbarin.«

Bastian sah hinüber. »Wegen der vielen Blumen?«

»Wegen der vielen Familie, die sich mit ihr freut.«

»Familie ist schön, bloß bös muß man mit ihr sein. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung. Ich habe mindestens sechzig Verwandte, davon sind höchstens fünf brauchbar. Nicht mal mit meiner Mutter versteh ich mich mehr, seit sie noch mal geheiratet hat. Aber bitte, es ist ihr Leben.«

»Alleinsein ist schlimmer«, seufzte Susi.

Er spürte, er kam mit seinen burschikosen Trostversuchen nicht an, und wurde deshalb sachlich. »Was ist mit deinen Eltern? Wissen sie es schon?«

»Nein. Niemand.« Bittender, hilfloser Blick. »Kannst du es ihnen nicht beibringen?«

»Ich? Wieso ich?« Er ahnte zum erstenmal entfernt, was er sich mit seinem Kümmerposten um Susi und ihr Baby eingehandelt hatte, denn Susi ließ sich ihre Handtasche geben und zog daraus zwei vorbereitete Zettel hervor.

»Hier. Die Telefonnummer meiner Mutter in Stuttgart. Und das ist Vaters Nummer. Ruf ihn abends an, da ist es billiger. Er wohnt mit seiner zweiten Frau in Basel. Die wird vielleicht ein Theater machen, weil Kathrinchen keinen Vater hat. Aber meine Schwester wenigstens wird sich freuen.«

»Und wo wohnt die?«

»In Chicago.«

»Soll ich da etwa auch anrufen?« fragte er erschrocken.

Susi meinte, ein Telegramm würde genügen. Und dann gab sie ihm alle Unterlagen, damit er Kathrinchen als neuen Staatsbürger anmelden konnte.

Bastian wurde leicht nervös. Schließlich war er nur ein zufälliger Bekannter von Susi Schulz, der kurze, harmlose Flirt einer verjährten Sommernacht.

»Was ist mit dem Referendar aus Köln?«

Susi zog sich abwehrend in ihr Gehäuse zurück. »Den geht das gar nichts an.«

»Nein? Aber schließlich ist er der Vater! Er muß zahlen!«

»Niemals! Bastian! Glaubst du etwa, von dem würde ich was annehmen? Nicht einen Floh. Schließlich habe ich meinen Stolz.«

»Hast du auch Geld?«

Nein. Geld hatte Susi nicht, aber sie würde sich schon was pumpen.

»Etwa von mir?« fragte er besorgt.

»Gern, Bastian. Aber du hast ja sicher auch nichts.«

»Hör zu«, sagte er, »du wirst dir einen Anwalt nehmen, der soll den Kindesvater von Kathrinchens Geburt in Kenntnis setzen und die weiteren Schritte einleiten. Zahlen muß er, ob du Stolz hast oder nicht.«

Susi sah Probleme auf sich zurollen, denen sie im augenblicklichen Zustand der Erschöpfung nicht gewachsen war. »Auch das noch! Mach du das. Ich kenn doch keinen Anwalt hier. – Bitte, Bastian!«

Wenn er noch länger blieb, bekam er bestimmt noch mehr Pflichten aufgehalst. Deshalb überreichte er Susi Blumen und Spieluhr, küßte sie auf die Stirn und türmte.

Kapitel 6
Elses Liebestod

Bastian schaukelte den Telefonapparat auf den Knien und hatte eine schrille Stimme im Ohr, die ihm weh tat. Darum hielt er den Hörer ein Stück ab.

Die Stimme redete in großer Erregung und ohne Komma. Sie gehörte Susi Schulzens Mutter, die sich mit der Nachricht, Großmutter geworden zu sein, und dazu noch von einem unehelichen Kind, nicht abzufinden vermochte. Sie fragte nicht einmal nach Susi und der Geburt, sie war viel zu sehr erfüllt von dem schweren Schlag, der sie getroffen hatte.

Schließlich wurde es Bastian zu dumm. Er brüllte in ihre langatmigen, selbstmitleidigen Klagen hinein: »Hören Sie! Lassen Sie mich doch auch mal was sagen. Wieso beschimpfen Sie mich? Ich bin nicht der Vater – nein! Wieso denn Schande? Was ist denn Schande an so einem kleinen Wurm? Seien Sie lieber froh, daß alles dran ist – wie? – Nein, kein Junge. Ein Mädchen. – Kann die Susi zu Ihnen kommen? Wenigstens für die erste Zeit? – Ja, verstehe – die Nachbarn – natürlich. Die Nachbarn sind wichtiger. – In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich???«

Er knallte wütend den Hörer auf.

Nun der Vater.

Bastian suchte den Zettel mit seiner Rufnummer und bereitete sich seelisch auf neue Hiebe gegen sein Trommelfell vor, da läutete das Telefon.

»Guthmann«, sagte er ergeben in den Hörer.

»Hier auch Guthmann. Mit wem führst du denn Dauergespräche? Ich steh in der Zelle – seit einer halben Stunde besetzt bei dir, und da heißt es immer, wir Weiber tratschen viel. Ach, jetzt ist mir's Portemonnaie runtergefallen, warte, Bub –«

Seine Großmutter!

»... da bin ich wieder. Also, Bub, ich brauch dich. Kannst du herkommen? Komm, sobald du kannst. Wann kannst du hiersein?«

Einen Augenblick lang wünschte er sich, ein wohlhabender Kommilitone zu sein, der nach den Abschlußklausuren in Psychologie, allgemeiner Schuldidaktik und Pädagogik verreiste, segeln ging, Mädchen pflückte und sich nicht mit lustlosen Nachhilfeschülern und den Babies anderer Leute herumärgern mußte. Ab Montag fuhr er auch noch dreimal wöchentlich Taxi ...

Segeln, dachte er voll Sehnsucht. Mit Katharina Freude einen blauen Tag auf dem Starnberger See verbringen oder irgendwohin mit ihr fahren – vielleicht ins Salzburgische ...

Aber vorher mußte er seine Else ausmisten.

Ohne Else auszumisten, fuhr er zum Befehlsempfang ins Krankenhaus. Er suchte sich auf dem Parkplatz eine Lücke, von der aus er möglichst wenig bis zum Haupteingang laufen mußte, und dabei sah er Katharina Freude.

Das war so gegen Mittag um zwei. Sie hatte ihren anderthalbtägigen Dienst beendet.

Zum erstenmal sah er sie ohne Kittel in einem wildledernen Anzug, der ihr bezaubernd stand. Er öffnete das Klappfenster und winkte hinaus – sie sah ihn nicht. Da stieg er aus und wollte auf sie zugehen. Sie schaute nur kurz in seine Richtung und wandte sich dann einem Mann zu, der ihr gefolgt war. Das war der Chefarzt.

Sie stiegen in einen Mercedes und fuhren ab.

Bastian stand da wie ein Mensch im Sonntagsanzug, an dem ein Sprengwagen vorbeigefahren ist.

Er hatte ein Gespräch voll Sympathie mit ihr geführt. Er wäre bereit gewesen, ihretwegen Terpentin zu saufen. Er hatte ein Kind nach ihr benannt – Katharina II. von links. Er war verliebt in sie.

Und sie? Ging an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Hatte nur Augen für diesen, diesen Mercedesfahrer! Mit Hut –!

Bastian packte eine maßlose Wut, die Auslauf brauchte, Ausbrüche, Kampfziele. Gab's denn nirgends eine Demonstration, egal gegen was? Hauptsache, er konnte mitmischen und sich frei brüllen. Er war so böse, so gekränkt, so eifersüchtig – und so enttäuscht.

Am liebsten wäre er nach Hause gefahren, aber da stand seine Großmutter im wattierten Morgenrock hinter der Glasscheibe der Eingangstür und hatte alles mit angesehen. Er entkam ihr nicht.

»Das hätte ich dir gleich sagen können«, empfing sie ihn.

»Was?«

»Davon spricht das ganze Krankenhaus. Der Chefarzt ist hinter der Freude her.« Sie strahlte. »Was glaubst du, was sich Schwester Theresa darüber giftet. Sie hat was gegen Ärztinnen, und wenn die auch noch mit dem Chef–! Dann ist Polen offen.«

Bastian fuhr seine Großmutter vor Zorn beinah um. »Na und, na und? Was geht mich das an?«

»Du magst sie doch.«

»Wer sagt denn das? He?«

»Brüll nicht so, es hilft sowieso nichts. Der Herr Professor ist Witwer!« – Sie nahm ihn bei der Hand, ohne Furcht, zurückgestoßen zu werden, sie war schon immer eine beherzte Frau gewesen. »Jetzt komm. Wir setzen uns da rüber. Ich muß mit dir reden. Es geht um das Kathrinchen.«

Bastian dachte, ich tauf das Baby wieder um. Susi gefällt der Name auch nicht sehr. Wieso soll das Kind mit dem Namen dieser Person herumlaufen!?

»Bastian, ich sag dir, da muß man was tun. Ich habe die junge Mutter inzwischen besucht, und sie gefällt mir nicht. Sie heult zuviel. Man muß den beiden helfen. Hörst du mir überhaupt zu?«

»Nein.«

»Also dann setz dich. Hier ist was zum Schreiben. Schreibe: 300 Gramm Babywolle – rosa. Ein schönes Rosa. Und Stricknadeln Nr. 2 –Warum schreibst du nicht?«

Er saß da, unfähig, etwas anderes zu tun, als in Gedanken Chefärzte mit ihren eigenen Mitteln abzumurksen.

Großmutter nahm ihm Bleistift und Papier wieder fort und schrieb selbst ihre Bestellung auf: 3 Lätzchen mit lustigen Figuren, 3 Strampelhosen, 3 Babyhemden ... außerdem Baldriantropfen. Für die Susi. Baldrian beruhigt.

Bastian schmiß in diesem Augenblick seinen Schlüsselbund in die Gegend. Es rutschte auf dem frisch Gebohnerten bis gegen die Wand.

»Für Bastian auch Baldrian«, notierte Großmutter. »Dann fährst du in meine Wohnung. Den Schlüssel hat die Nachbarin. Aus der Wohnung holst du den neuen Wäschekorb, den von der Blindenanstalt. Mit dem Korb fährst du zu Fräulein Dussler in der Schleißheimer Straße. Fräulein Dussler ist Schneiderin. Sie soll den Korb auspolstern, damit das Kathrinchen ein Bett hat, wenn es aus dem Krankenhaus kommt. Rosa-weiß karierten Stoff dafür kriegst du beim Oberpollinger.« Sie holte Luft und fuhrt fort: »Wenn du das alles gemacht hast, fährst du zu deiner Kusine Annelie und holst die Babywanne und die Waage. Sie braucht sie ja zur Zeit nicht. Wenn sie sie dir nicht geben will, sag, sie ist für mich. So. Das wär's. Nun fahr!«

Sie standen beide auf. Großmutter sagte: »Schau mich nicht an, als ob du mich haßt. Nicht ich hab die Susi Schulz aufgegabelt, sondern du.«

»Nein!«

»Wer dann?«

»Sie mich.«

***

Bastian schimpfte über seinen ehrenamtlichen Job und rollte dennoch befehlsgemäß zu Ämtern, Kurzwarenläden, Kaufhäusern, Kusine Annelie und Fräulein Dussler. Elses Kofferraum und ihre hinteren Sitze füllten sich. Sein Zorn hingegen nahm mehr und mehr ab. Erschöpfte sich.

Als Bastian am wenigsten an Katharina Freude dachte, sah er sie im Rückspiegel. Sie saß neben dem Chefarzt im weißen Mercedes.

Das war an einer Kreuzung. Bastian hatte zwar »Grün«, sah jedoch rot und trat die Bremse durch.

Das konnte selbst ein Chefarzt nicht ahnen. Er schoß in Elses Hinterteil hinein und mit ihr vor sich her bis zur Mitte der Kreuzung.

Dort kam der Unfall zum Stehen.

Bastian saß stark verdutzt am Steuer. Was war ihm denn da passiert? Er mußte irgendwie gebremst haben. Was war ihm denn bloß ins Bein gefahren!? Stimmt. Die Katharina Freude. So sah man sich wieder. Guten Tag.

Er saß noch immer benommen in seiner Else, als eine Faust gegen ihr linkes Klappfenster bummerte. Eine Männerstimme überschlug sich vor Zorn.

»Sie Nachtwächter Sie! Sie Hornochse! Sind Sie farbenblind? Wissen Sie nicht, was Grün ist?«

Bastian blickte den Professor sanft verwundert an. Das Majestätische, das Frau Schüssle und Oma so an ihm liebten – wo war es geblieben. Der Professor riß Elses verbogene Tür auf, als wolle er Bastian herauszerren und zusammenschlagen.

»Na, na«, jetzt wachte dieser langsam aus seiner Benommenheit auf. »Anfassen ist nicht.« Wenn schon, dann stieg er freiwillig aus. Er hielt sich den schmerzenden Nacken.

»Sind Sie verletzt?« erkundigte sich der Arzt.

Bastian schaute ihn als Antwort wütend an. »Wer auffährt, hat schuld.«

Komisch, wo plötzlich all die vielen Leute herkamen und Zeit zum Gaffen hatten. Bastian stand nun zwischen ihnen und sah zum erstenmal seine Else an. Was er noch von ihr sah, machte ihn sehr, sehr traurig.

Und dann bemerkte er Katharina Freude, die ebenfalls ausgestiegen war. Er sah sie an. Sie sah ihn an. Beide sahen Trümmerelse an. Und dann den Polizisten, der plötzlich neben ihnen stand.

»Jemand verletzt?«

»Ja, meine Else«, sagte Bastian. »Sehn Sie doch.«

»Machen Sie keine dummen Witze«, fuhrt der Chefarzt dazwischen. »Herr Wachtmeister – dieser Mensch hat bei Grün vor der Kreuzung gebremst, was sage ich, einfach angehalten, wer soll das ahnen? Ich konnte nichts mehr machen!«

»Was haben Sie dazu zu sagen?« fragte der Wachtmeister.

Bastian wiederholte achselzuckend: »Wer auffährt, hat schuld.«

»Geben Sie zu, daß Sie aufgefahren sind?« wandte sich der Polizist an den Professor, welcher – außer sich vor Ärger – bestätigen mußte: »Natürlich bin ich aufgefahren. Aber Schuld hat der. Einwandfrei!«

Der Wachtmeister benutzte den Mercedes als Pult für sein Notizbuch. »Zuerst mal die Personalien.«

»Hören Sie zu, Herr Wachtmeister – ich bin Professor Klein, ich bin Chefarzt. Ich kann meine Zeit nicht mit Lappalien vertrödeln. Fräulein Dr. Freude ist meine Zeugin.«

Inzwischen hatten sich in der Zuschauermenge zwei Parteien gebildet, eine konservative, meist aus älteren Leuten bestehende, die zum Professor und seinem Mercedes, und die andere, die ebenso unbesehen zum jungen Mann mit seiner demolierten Else hielt. Zwei Weltanschauungen prallten aufeinander, kampffreudig und ohne jegliche Objektivität.

»Fräulein Freude – sind Sie verwandt, verlobt – stehen Sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu diesem Herrn?«

»Ja, Herr Wachtmeister.«

»In welchem?« blökte Bastian dazwischen.

»Professor Klein ist mein Chef.«

»Sonst nichts?« fragte Bastian.

Klein beschwor Katharina: »Sag doch – sagen Sie doch was, Kollegin! Sie saßen neben mir. Sie haben gesehen, wie der Mensch bei Grün gebremst hat. – Katharina!!«

Katharina Freude sagte endlich, wie aus einem Traum erwachend: »Tut mir leid, ich habe nichts gesehen. Ich schaute aus dem Fenster. Plötzlich krachte es ...« Sie hob bedauernd die Schulter und sah Bastian an. Der Arzt sah Bastian an. Alle Umstehenden sahen ihn an.

Bastian sah Katharina an. Katharina lächelte.

»Geben Sie zu, daß Sie scharf gebremst haben, ohne behindert worden zu sein?« fragte ihn der Polizist.

»Ja.«

»Na bitte – bitte – er gibt zu, daß er grundlos gebremst hat!« rief Klein erleichtert.

»Was heißt ›grundlos‹!« sagte Bastian und sah Katharina an.

Der ganze Vorfall dauerte etwa eine Stunde inklusive Zusammenstoß, Austausch gegenseitiger Beleidigungen und Versicherungsnummern, langwieriger Personalaufnahmen und Unfallschilderungen. Nachdem man die beiden ineinander verkeilten Autos getrennt hatte, fuhren Professor Klein und Katharina leicht verbeult und gehaltvoll schweigend vom Schauplatz.

Bastian schob und zog seine Else mit Hilfe eines Bierausfahrers an den Straßenrand. Sie tat ihm so leid. Hatte er schon drei Mädchen im Krankenhaus, hätte er sie gern auch noch dazugelegt. Aber Else war nicht mehr zu helfen. Fräulein Else war reif für den Abdecker.

Er lud seine Einkäufe in die durch den Unfall verbeulte Babywanne, setzte die Waage obendrauf und stieg damit in ein Taxi. Er fuhr ab, ohne sich noch einmal nach Else umzuschauen. Es wäre ihm zu schwergefallen.

***

Abgesehen von seiner tiefen Trauer um ein altes Auto und dem Ärger, von jetzt ab wieder mit der Straßenbahn fahren zu müssen, abgesehen von dem Theater mit den Versicherungen und der noch ungeklärten Rechtslage, war Bastian nicht so verbittert, wie er es eigentlich hätte sein müssen. Das lag an Katharina Freude. Sie hatte nicht gegen ihn ausgesagt. Sie hatte sich dumm gestellt auf die Gefahr hin, alle Sympathien ihres Chefarztes zu verlieren.

Sie wußte, daß er ihretwegen gebremst, ihretwegen sein Auto riskiert hatte.

Und das Schönste von allem – sie hatte ihn angeschaut wie eine Frau, die sich langsam und staunend verliebt.

Martha Guthmann empfing Bastian bereits in der Eingangshalle. »Wo warst du denn so lang? Ich dachte, du kommst nicht mehr, bei dir weiß man ja nie – schickt man dich um eine Vase, kommst du erst am nächsten Tag wieder. Hast du alles besorgt?«

»Zähl nach.« Er wuchtete die überquellende schwere Babywanne auf einen Tisch. Sie überflog kurz ihren Inhalt, vermißte nichts. Sah ihn dennoch vorwurfsvoll an. »Und warum kommst du so spät?«

»Ich hatte eine Karambolage.«

»Stell dir vor, der Chefarzt auch, sagt Schwester Theresa.«

»Das ist Zufall«, lachte Bastian.

»War's schlimm?« fragte sie besorgt.

»Meine Else ist hin. Total hin.«

»Ah geh –« sagte Großmutter und empfand einen dunkellila Triumph: »Aber ich hab's dir ja immer gesagt, Bub ... du wolltest ja nicht hören: Das hast du nun von deiner Raserei!«

Kapitel 7
Ohrenwackeln

Zwei Tage später ging Bastian Guthmann zum erstenmal mit Katharina Freude aus. Aber das war erst am Abend.

Am Vormittag desselben Tages wurde seine Großmutter aus dem Krankenhaus entlassen.

Sie schied wie eine Landesmutter.

In den zwei Wochen ihres Spitalaufenthalts hatte sie sich mit der gesamten gynäkologischen Station angefreundet – mit den Schwestern, den Schwesternschülerinnen, den Putzfrauen, Patientinnen und auch mit den Besuchern der Patienten, ob diese wollten oder nicht.

Martha Guthmann überfuhr jeden mit ihrer despotischen Herzlichkeit. Sie mochte nun mal ihre Mitmenschen, und dieselben hatten, verdammt noch mal, Martha Guthmann zu mögen. So einfach war das bei ihr.

Großmutter mochte ihre Mitmenschen, was nicht ausschloß, daß sie ständig mit zwei bis drei von ihnen – vor allem Verwandten – zerstritten war.

Als Bastian gegen elf Uhr ins Spital kam, um sie abzuholen, war nur Frau Kynast im Zimmer. Flach hingestreckt und frischbezogen, mit gefalteten Händen lag sie da wie aufgebahrt. Man konnte bei ihrem Anblick richtig erschrecken, vor allem wenn man ihrem Blick begegnete. Er lauerte in den Augenwinkeln auf ein Opfer. Das Opfer war Bastian, dem es nicht mehr gelang zu türmen. »Junger Mann!« Ihre Stimme nagelte ihn fest. »He Sie – warten Sie!«

Er seufzte.

»Ihre Oma ist nicht da. Die wird heute entlassen.«

»Deshalb komme ich ja«, sagte er. »Wo ist sie denn hin?«

»Ich werd nächste Woche entlassen.«

»Aha.«

»Wie bitte?« fragte Frau Kynast.

»Ich habe ›aha‹ gesagt!«

Eine Schwester kam herein, um Großmutters Bett abzuziehen. »Sie haben eine schöne, laute Stimme«, sagte sie anerkennend zu Bastian. »Man hört sie schon am Ende des Flurs.«

»Warum trägt sie keinen Hörapparat?« fragte er erschöpft.

»Sie sagt, er juckt sie im Ohr. – Übrigens, wenn Sie Ihre Großmutter suchen, die ist auf Verabschiedungstournee. Schade, daß sie geht, sie war eine angenehme Patientin. Sie hat uns alle eingeladen. Wir sollen sie mal besuchen. Nett, nicht?«

»Wissen Sie zufällig, wo sie jetzt ist?«

»Keine Ahnung. Vielleicht bei Fräulein Schulz.?«

Als er das Zimmer verlassen wollte, sagte Frau Kynast: »Es hat Ihrer Oma hier gut gefallen. Sie geht richtig schwer weg.«

Erstaunlich, woran sich der Mensch alles gewöhnen kann, dachte Bastian. Selbst an ein Krankenhaus.

»Wo sie doch so viel hier zu tun hatte«, sagte Frau Kynast, »um alles mußte sie sich kümmern, was sie nichts anging. Uns hat sie ganz schön in Trab gehalten. Sie ja auch, junger Mann.«

»Hat sie«, bestätigte er brüllend und winkte verabschiedend auf Frau Kynast nieder. »Servus, Süße.«

Und genau das verstand sie ohne Mühe.

Bastian schritt wie ein Sieger durch die Flure. Denn von jetzt ab brauchte er nicht mehr hinter jedem weiblichen Kittel her durch die Gänge zu flitzen in der Hoffnung, einen erstaunten Blick von Katharina Freude zu erwischen.

Von jetzt ab wählte er ganz einfach ihre Telefonnummer. Er hatte deren zwei erhalten, die private und die vom Spital, und er hatte in 24 Stunden schon fünfmal bei ihr angerufen. Er hatte sie aus dem Schlaf geholt und aus der Badewanne und aus einer Chefbesprechung, und wenn er ihre Stimme hörte, dann wußte er nicht mehr, was er sagen wollte, weil seine Gefühle und seine Phantasie schon viel zu intim mit ihr umgingen. Sie waren bereits viel weiter fortgeschritten mit Katharina Freude als er selbst.

Vor allem aber war sie selbst noch nicht soweit. Sie gestattete ihm zwar, sie anzurufen, aber nach der vierten Störung antwortete ihm nicht mehr die amüsiert-abwartende Stimme einer Frau, die sich den Hof machen läßt, sondern die kühle Ungeduld einer Ärztin, die Lebenswichtigeres zu tun hat, als sich halbe Sätze und verliebte Pausen am Telefon anzuhören.

***

Bastian grüßte nach rechts und links, als er über den Flur zu Susis Zimmer ging. Er hatte schon viele Bekannte hier.

Susi Schulz stand im rosa Morgenrock vor ihrem Bett und wischte Krümel vom Laken.

»Wer nie sein Brot im Bette aß, weiß nicht, wie Krümel pieken.«

»Ach du, Bastian.«

Sie stand gleich darauf liebebedürftig in seiner Umarmung herum und gab ihr damit eine Bedeutung, die über eine herzlich gemeinte Begrüßung weit hinausging und Bastian verlegen machte.

Das war schon ein Kreuz mit der Susi.

Er tat, als ob er niesen müßte – so kam er am leichtesten von ihr frei.

»Geht's denn, Mütterchen?«

»So na ja –« auf einen Seufzer gesprochen.

»Das klingt nicht doll.«

»Ich bin ein bißchen fertig, weißt du.« Susi setzte sich auf den Bettrand. »Bei jeder Kleinigkeit könnte ich heulen. Alle Probleme erscheinen mir übergroß. Ich denk immer, sie erdrücken mein Kathrinchen und mich.«

»Aber ich nehme sie dir doch schon alle ab«, gab Bastian zu bedenken.

»Das weiß ich. Trotzdem. Die Freude sagt, das ist typisch nach einer Geburt.«

Bastian blühte auf, weil sie Katharina Freude erwähnt hatte. »Das machen eben die Nerven«, sagte er heiter.

»Ja – wahrscheinlich.« Susi drehte an einem Fussel, der aus ihrem Morgenrock herausragte.

Er empfand ihre schmalschultrige Gestalt, diese herzförmige Traurigkeit unter mittelgescheitelten schwarzen Madonnenhaaren wie einen Vorwurf gegen seine eigene Fröhlichkeit. Dabei – war es seine Schuld, daß sie den Falschen geliebt hatte? Und vor lauter Verknalltheit vergessen hatte, die Pille zu nehmen!?

»Haben sich deine Eltern inzwischen gemeldet?« fragte er.

»Meine Mutter hat geschrieben, daß sie uns nicht brauchen kann. Ihre Wohnung ist zu klein. Mein Vater hat 300 Mark geschickt. Aber davon darf seine zweite Frau nichts wissen. Sie machen es sich alle so leicht.« Susi sah zu ihm auf. »Wenn ich dich nicht hätte, Bastian!«

Wieso hat Susi mich? dachte er besorgt. Wieso macht sie es sich so leicht, indem sie ihre Probleme auf mich abschiebt? Was geht da Bedenkliches in ihrem Kopf vor? In ihrer Verlassenheit war sie auf dem besten Weg, ihn als Vater für Kathrinchen zu adoptieren.

»Hast du meine Großmutter gesehen?« lenkte er ab.

»Schon mehrmals heute. Sie hat uns eingeladen, Kathrinchen und mich. Wir sollen sie oft besuchen. Deine Großmutter ist wunderbar, Bastian.«

»Aber anstrengend.«

»Ich wünschte, du wärst Kathrinchens Vater«, sagte Susi.

»Nein«, sagte Bastian erschrocken, »hör zu, ich mag dich, ich mag dich ehrlich, Susi, und wenn ich was für dich tun kann, jederzeit, aber –«

»Ich mein ja bloß, wenn du Kathrinchens Vater wärst, dann wäre deine Großmutter Kathrinchens Urgroßmutter.«

»Ja und?«

Susi seufzte. »Dann hätte Kathrinchen es schön.«

Zum erstenmal tat Susi ihm mehr leid als er sich selbst in der Angelegenheit Katharina II. von links.

»Wird schon werden, Susi«, tröstete er schulterklopfend töricht.

»Wird schon. Wir haben ja dich, Bastian.«

Martha Guthmanns geräuschvoller Einbruch ins Krankenzimmer beendete das seelenvolle Gespräch. Sie schien sehr in Fahrt – offensichtlich in keiner guten.

»Hier steckst du, ich such dich!«

»Ist was passiert?«

»Das sag ich dir. Komm mal mit.« Sie ließ ihm keine Zeit, sich von Susi zu verabschieden, winkte selbst nur ein flüchtiges »Bis bald, Kindchen« in ihre Richtung und schoß aus dem Zimmer, Bastian hinterher. Hielt auch auf dem Flur nicht an. In ihr war Sturm, ein echter Hacker.

»Nun sag schon!«

Martha Guthmann zog aus ihrer großen kunstledernen Hebammentasche eine Rechnung hervor. »Da, lies mal! Eine Unverschämtheit!«

»Deine Spitalrechnung. Na und? Glaubst du, hier gibt's was umsonst?«

»Lies mal die Preise«, tobte Großmutter. »Allein für die Narkose! Ja, bin ich ein Elefant, daß sie so viel gebraucht haben, um mich umzulegen? Und alles aus meiner Tasche!«

»Schadet dir gar nichts. Was bist du in keiner Kasse.«

»Warum sollte ich in eine Kasse, wenn ich immer gesund war? Überleg mal, was ich gespart hab in all den Jahren ohne Versicherung. Ein Vermögen!«

»Und warum beschwerst du dich dann?«

»Weil die Schäfer früher billiger waren. Und haben auch kuriert. Und was haben sie dafür genommen? Eine Flasche Selbstgebrannten und einen Beutel Tabak.«

»Nun spiel nicht die Naive vom Lande, Frau Guthmann.« Er legte den Arm um ihre Schulter, sie schüttelte ihn ab. »Willst du den Chefarzt mit 'ner Flasche Obstler abfinden?«

»Ich spiel nicht die Naive. Ich mein bloß, Bub, wo soll das mit den Preisen hin? Allein fürs Liegen dritter Klasse kann ich ins Luxushotel ziehen. Mit Bad und Frühstück!«

Im selben Augenblick sah sie zwei Patientinnen, von denen sie sich bisher noch nicht verabschiedet hatte. Ihr Zorn schlug in Herzlichkeit um.

Sie nannte die beiden beim Namen, ließ einen Verlobten grüßen, versandte herzliche Glückwünsche an einen Herrn Herzberg, und sie lud natürlich beide Frauen ein, sie möglichst bald zu besuchen.

Bastian dachte, wenn alle kommen, die Großmutter bei ihrem Auszug aus dem Krankenhaus eingeladen hat, dann muß sie für dieses Meeting den Kongreßsaal mieten.

Vor dem Ärztezimmer blieb sie stehen, klopfte an und eilte auf den Schreibtisch zu, an dem Katharina Freude saß und telefonierte.

»Ich will nicht weiter stören, Fräulein Doktor, ich möchte mich nur verabschieden, und nochmals alles Gute.«

Katharina mußte Telefonhörer und Zigarette niederlegen, weil Großmutter beabsichtigte, ihre beiden Hände zu schütteln.

»Fräulein Doktor! Es war soweit ganz schön bei Ihnen – Betreuung, Liegen, auch die Verpflegung ging, es hat mir gut gefallen, wirklich, nur die Preise –! Die sind ja, na wissen Sie, aber dafür können Sie natürlich nicht.«

»Nein«, sagte Katharina und lachte über die verliebten Faxen, die Bastian hinter Großmutters Rücken vollführte, »für die nicht, Frau Guthmann.«

Nun sprach Großmutter ihre Einladung aus: »Wenn Sie mal einen freien Nachmittag haben, dann besuchen Sie mich, ja?«

Katharina bedankte sich und verabschiedete sich von Bastian.

»Komm endlich, Bub!«

An der Tür kehrte er noch einmal um, nahm einen Bonbon aus seiner Tasche und legte ihn vor Katharina hin. »Bis heut abend.«

Sie lachte.

»Was hast du ihr gegeben?« fragte Großmutter, als sie den Gang hinunter zu ihrem Zimmer gingen, um den Koffer zu holen.

»Einen Bonbon«, sagte Bastian.

»Bonbon? Einer Ärztin??? Ja, Bub, das kannst du doch nicht machen!« Für Martha Guthmann war eine Ärztin ein höheres Wesen, dem sie bedingungslos pariert hatte, solange sie Patientin war. »Den anderen bietest du keinen an, verstanden?«

»Nein«, sagte Bastian, »den anderen Ärzten nicht.«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783958244153
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Februar)
Schlagworte
Frauenunterhaltung Feelgood-Roman Frauenroman Liebesroman Liebesdrama Sommerroman Bestseller-Autorin Romanze München ebooks
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Titel: Der Bastian
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