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Der Himmel über Schottland - oder: Im Schatten des Pferdemonds

Roman | Eine Liebesgeschichte in den Highlands, für alle Fans von Sarah Lark und Paula Mattis’ »Gestüts-Saga«

©2022 481 Seiten

Zusammenfassung

Schicksalsbegegnungen in den Highlands: Der bewegende Roman »Der Himmel über Schottland« von Bestsellerautorin Evita Wolff als eBook bei dotbooks.

Sanft geschwungene grüne Hügel unter weitem Himmel: Eric Gustavson glaubt zu träumen, als er zum ersten Mal das schottische Gestüt Sunrise sieht. Hier soll er mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten als Pferdeflüsterer eine Stute heilen. Doch während er im nahen Dorf und im kleinen Bed & Breakfast der Hickmans herzlich aufgenommen wird und zum ersten Mal das Gefühl hat, im Leben endlich angekommen zu sein, gibt ihm die Arbeit auf dem Gutshof Rätsel auf. Im Dorf erzählt man von einer erbitterten Fehde zwischen der Fargus-Familie auf Sunrise und dem benachbarten Gestüt, die seit Jahren nur Unglück bringt. Gemeinsam mit der jungen Ärztin Elaine kommt Eric einem Geheimnis auf die Spur, das die Zukunft von Sunrise für immer verändern könnte – und Eric vor die schwerste Entscheidung seines Leben stellt …

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Große Gefühle und traumhafte Landschaften in »Der Himmel über Schottland« von Bestsellerautorin Evita Wolff, auch bekannt unter dem Titel »Im Schatten des Pferdemonds«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Der Renntag in Ascot war vorüber. Lionheart trug an seinem Halfter die Auszeichnung des Siegers. Mr. Williams, sein Besitzer, wollte gerade eine Decke auf den Rücken des Hengstes legen, als Eric auf sie zukam. »Meinen Glückwunsch, Junge. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, bevor Turner mich auf Sie aufmerksam machte. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.«

Eric zeigte kein Lächeln, trat näher zu ihnen und strich über Lionhearts Hals. Mr. Williams beobachtete ihn.

»Na, wollen Sie noch einmal zu den Anfängen zurückkehren, ehe Sie sich von ihm verabschieden?«

Ihre Blicke trafen sich. Eric nickte und nahm Lionheart den Halfter ab. Als Eric sich auf seinen bloßen Rücken gezogen hatte, setzte er sich federnd in Bewegung. Er sog die feuchte Luft ein und warf freudig den Kopf auf. Mr. Williams wich zurück an den Rand der Rennbahn und ließ seinen Blick mit leiser Wehmut auf dem Paar ruhen, das einem Zentaur glich, so sehr schienen Mann und Pferd verschmolzen, als sie sich im leichten Rhythmus des Galopps wiegten.

Noch einmal zu den Anfängen zurückkehren ... Williams' Worte gingen Eric nicht aus dem Sinn. Ganz am Anfang, gleich nach dem Sturz, war Lionheart unfähig gewesen, sich zu bewegen. Obwohl Muskeln, Knochen, Sehnen intakt geblieben waren, blieb er flach in seiner Box liegen. Man hatte ihm gut zugeredet, versucht, ihn mit Leckereien auf die Beine zu locken. Schließlich hatten sie Besenstiele in seine Kruppe gestoßen, Peitschen geschwungen, an seinem Halfter gezerrt und auf ihn eingebrüllt.

Dann aber war da auf einmal einer unter all denen gewesen, der ein kleines Licht in diesem Dunkel entzündet hatte. Von ihm hatte er zum ersten Mal wieder Nahrung angenommen, mit jedem Tag hatte er der Berührung mehr getraut. Diese Hände und diese Stimme – sie wurden der Inbegriff von Verständnis und nie endender Geduld. Sie hatten ihn schließlich auf die Beine gebracht, hatten ihn aus der Box gelockt. Vor dem hellen Tageslicht war er zurückgewichen, nachdem er so lange Zeit im Dunkel gewesen war. Deshalb hatte Eric ihn zunächst nur nachts aus seiner Box gebracht. Er war mit ihm spazierengegangen, hinunter zum Fluß und hinauf zu den Hügeln, wo sich die Büsche und die hohen Halme der Gräser schwarz und seltsam starr vom Glitzern des sternenübersäten Himmels abhoben. Und schließlich war er mit ihm zur Rennbahn gegangen, hin zu dem Zaun, wo Lionheart gestürzt war. Immer häufiger wurde diese Stelle ihr Ziel, bis Lionheart sich nicht mehr schüttelte vor Entsetzen, sondern beinahe gleichmütig den Geruch der Holzbohlen einsog, an die Eric ihn heranführte.

Eines Nachts drängte er den Hengst dann gegen einen schmalen, niedrigen Stein, wie er für die Abgrenzung von Abreiteplätzen manchmal verwendet wird, stieg darauf und legte ihm behutsam die Hände auf den Rücken. Lionheart zitterte, aber er stand, beruhigt durch das warme Murmeln der Stimme. Eric lehnte sich gegen seinen Rumpf und ließ beide Arme leicht über seinen Rücken hängen. Lionhearts Körper spannte sich. Als die Spannung unerträglich wurde, entlud sie sich in einer heftigen Bewegung, die Eric von dem Stein abrutschen ließ. Sein Oberkörper wurde gegen Lionhearts Rumpf gedrückt – Lionheart spürte plötzlich das Gewicht des Mannes! Als Eric die Hand nach ihm ausstreckte, bekamen die mächtigen Kiefer die Hand zu packen, dann war der Geschmack von Metallauf Lionhearts Zunge. Er roch Blut. Kein Schrei, nur die leise Stimme und heftige Atemzüge.

»Ich schätze, es kann nicht mehr viel schlimmer kommen, außer, du willst mir sämtliche Knochen brechen und mich umbringen.«

In dieser Nacht hatte Eric Lionheart zum ersten Mal geritten, und der Hengst erinnerte sich an heiße, helle Tage, als sich seine Hufe in den glänzend-glatten Turf gegraben hatten. Sein Blut brannte, und das wiederentzündete Feuer warf ihn voran, der Weite entgegen, hinein in den geliebten Rausch, für den er geboren war. Sein Galopp wurde wieder geschmeidiger, seine Sprünge weiter. Für diese Nacht, diesen Ritt hätte Eric weit mehr gegeben als ein Stückchen Fleisch. Es machte ihm nichts aus, daß das Blut unaufhörlich aus seiner Fingerkuppe rann. Seine Augen brannten, ob vom Gegenwind oder von Tränen wußte er nicht, und es kümmerte ihn auch nicht: Lionheart rannte – mit einem Gewicht auf dem Rücken.

Es gab danach viele Nächte im Galopp auf der verwaisten Rennbahn, dann auch Runden bei Tag, zuerst allein, dann mit anderen Pferden, und schließlich bekam er einen anderen Reiter. Lionheart mochte diesen Jockey von Anfang an nicht, aber er wehrte sich nicht. Eric wünschte, daß er diesen Reiter trug, und sein Vertrauen in Eric war ohne Grenzen. Heute nun hatte der Hengst den letzten Schritt getan, und Erics Auftrag war erfüllt. Mit seinem überraschenden Sieg hatte Lionheart an seine Erfolge vor dem Unfall angeknüpft. Er hatte sein Löwenherz zurückgewonnen. Und er hatte Eric verloren.

Als Eric ihn durch einen leisen Zuruf und ein Zurücknehmen des Gewichtes verlangsamte und schließlich anhielt, spürte Lionheart auf einmal, daß etwas anders war als sonst. Und als Eric von seinem Rücken glitt und die Hand unter seine Mähne schob, drängte er sich gegen ihn und versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen, indem er den Hals vorstreckte und ihn heftig gegen Erics Brust drückte. Da waren die Hände auf seinem Gesicht, die weiche Stimme, aber sie beruhigten ihn nicht.

»Okay, Junge.« Die Stimme klang gepreßt, wie er sie nie zuvor gehört hatte. »Du weißt es natürlich schon ... irgendwie, nicht wahr? Du bist jetzt stark genug, es ohne Hilfe zu schaffen. Du bist durch das Fegefeuer gegangen und hast es überwunden.«

Lionheart drehte Eric beide Ohren zu, so daß sie ganz schräg geneigt waren, und schnoberte gegen Erics Gesicht. »Also wirklich, Lion, du mußt mir schon zuhören, weißt du ... ach nicht! Nicht am Ohr kitzeln!« Er zerraufte Lionhearts lange Stirnlocke und sagte dunkel, damit der Hengst seine Spielerei ließ: »Du hast es geschafft, und du bist an dieser Herausforderung gewachsen. Nichts, niemand kann dir im Weg stehen.« Eric bemerkte nicht die Gestalt hinter ihnen, er hatte Williams völlig vergessen.

Er brachte Lionheart zu seiner geräumigen Box und führte ihn hinein. Seine Hände strichen über das seidige Fell, das er auf einmal nicht mehr sehen konnte. Es war nur ein kastanienfarbener Schimmer.

»Du bist ganz trocken«, murmelte er rauh, »hast dich nicht mal angestrengt bei unseren Runden.« Er preßte sein Gesicht gegen den Pferdeleib. Der Hengst wandte den Kopf und drückte sein Maul zwischen seine Schulterblätter.

»Ist gut, Junge. Ich werd' dich nicht belügen. Du wirst Rennen laufen und großartige Fohlen zeugen. Du wirst das tun, was dir schon immer bestimmt war, und mit noch größerem Mut. Vergiß nicht, was ich dir über das Fegefeuer gesagt habe. Du gehörst zu denen, die verstehen können. Vergiß nicht, die durch das Fegefeuer gehen, sind unbesiegbar. Nichts kann sie ängstigen, nichts kann sie aufhalten.«

Er nahm den zutraulichen Pferdekopf zwischen seine Handflächen und preßte einen Kuß zwischen die empfindsamen Nüstern. »Leb wohl, mein Freund«, murmelte er und bemühte sich, seine Stimme nicht anders klingen zu lassen als bei jedem Abschied. Er verriegelte die Box und schloß die Stalltür. Mr. Williams war zu ihm getreten, und nach einer Weile, in der sie schweigend durch den Dunst gegangen waren, sagte er leise: »Er wird Sie fürchterlich vermissen.«

»Nein, Sir, sicher nicht. Pferde wissen nichts von Abschied«, erwiderte Eric und starrte in die Nacht.

Ein dunkler Ruf drang zu ihnen. Eric drehte sich zum Stall um. Der bronzene Ruf erklang von neuem.

Kapitel 2

Eric folgte unbeirrbar einer Maxime: »Tu, wovor du dich am meisten fürchtest. Wende die Energie der Angst ins Positive, und du wirst daran wachsen.«

Damit hatte Eric Lionheart wieder zum Champion gemacht und vor ihm viele andere Pferde geheilt.

Er war zuversichtlich, mit dieser Maxime auch Sir Lancelot wieder auf den ihm bestimmten Weg führen zu können: »Ich bin ja da, mein Sohn.« Die Hufe sanken tief in den schweren, feuchten Boden. Gute Arbeit, dachte Eric, Peter bekam das Wässern der Reitbahn immer besser in den Griff. Es war wichtig, daß der Boden gut durchfeuchtet war; das wirkte besänftigend auf das Temperament eines nervösen Pferdes.

Das Pferd zeigte seine Unruhe, als sie sich der gefürchteten Stelle näherten.

»In die Ecke, mein Sohn, ja gut so ...« Ein leichter Schenkeldruck, ein weiches Aufnehmen der Zügel, und der goldbraune Hengst schnaubte und streckte den Hals. Doch er versuchte nicht, aus dem Zügel zu kommen; er blieb konzentriert, war jetzt aber gelöster, nachdem er die gefürchtete Ecke mit Hilfe der sanften Stimme überwunden hatte; und mit dieser sicher durchlaufenen Ecke war seine Angst vor allen anderen Dingen, die ihm bedrohlich erschienen, ein wenig mehr geschwunden. Er fühlte die anerkennende Hand seines Reiters auf dem Nacken, und der Trab wurde leichter, raumgreifender. »Siehst du, jetzt wird's.« Er verstand die Worte nicht, aber er hörte den sanften Klang, die Aufrichtigkeit – das war keiner, der ihn beschwatzte. Der Mann, der auf ihm saß, der ihm Arbeit abverlangte, der Mann, der ihn dazu veranlaßte, Dinge zu tun, vor denen er sich fürchtete – dieser Mann war derselbe, der ihm Hafer und Heu brachte, der seine Box sauberhielt und abends leichtes, frisches Stroh darin aufschüttete. Dieser Mann sprach zu ihm mit einer warmen, freundlichen Stimme und streichelte ihn. Und manchmal lehnte sich der Mann auch gegen ihn, ganz zutraulich, wissend, daß er seine Kraft niemals gegen ihn einsetzen würde.

»Ecken machen gar nichts. Sie sind eben da. – So – ja, schön. Und ganz hinein. Schön.« Die Stimme beflügelte die Schritte des Hengstes, die goldfarbenen Beine hoben und streckten sich beinah unbeschwert, der Rhythmus des Trabes wurde weicher, aber nicht schneller. Und wieder war da die geliebte Hand, die Liebkosung auf seinem Nacken.

Ein Jahrhundertpferd für den Dressursport – so hatte die Fachpresse Sir Lancelot noch vor wenigen Monaten genannt.

Während eines Turniers, gerade als er aus leicht anmutender Piaffe in das schmale Eck der Dressurbahn einbog, war ein Rottweiler unvermutet auf ihn zugeschnellt und hatte beim Anprall einen Schmerz in seinen Schultermuskel gerissen, so daß Sir Lancelot seine Reiterin aus dem Sattel warf. Fetzen von Erinnerungsbildern waberten noch immer in ihm, Laute und Gerüche: das Schreien, der Geruch von Blut.

Es gab kein Entkommen für ihn aus diesem Viereck, das die Menschen ersonnen hatten, er ertrank in diesem Meer von Gesichtern, wurde überflutet von Rufen und Schreien, von hektischen Bewegungen um ihn. Der Instinkt des Hengstes hatte ihm trotz seiner Angst befohlen, seine Reiterin zu verteidigen. Er hatte sich über ihr aufgebäumt, um den Hund anzugreifen. Doch im Niederkommen vermochten seine Augen Hund und Mensch nicht mehr zu unterscheiden.

Darauf gab es das übliche Geschrei in der Presse – »Pferd tötet Reiterin!« – und Sir Lancelot wurde als bösartig abgestempelt: Zum Teufel mit seinem hervorragenden Stammbaum, zum Teufel mit seinen hervorragenden Leistungen. Vergessen der Glanz, vergessen das Staunen der Fachkundigen über das Vermögen des gerade Neunjährigen. Sir Lancelots Schicksal schien besiegelt – Notschlachtung aus triftigem Grund, nur mehr verwertbar als Hundefutter.

Simon Turner, Sir Simon, Lord of the Mount of Kingsley, zufälliger Zeuge des unheilvollen Auftritts, erwarb das Pferd zum Spottpreis und brachte es zu Eric. Simon Turner hatte eine Nase für schwierige, aber hochgezüchtete und wertvolle Pferde, die er günstig erwerben konnte, und er hatte in Eric den Spezialisten, der seit seiner Kinderzeit seine unvergleichliche Einfühlungsgabe und ebenso seine Reitkunst kultiviert und ausgearbeitet hatte und aus »Ausschuß« wieder Hochleistungspferde machen konnte. Eric beherrschte jede Disziplin. Er hatte den Dressursport in den Fingerspitzen, er warf sein Herz über jedes Hindernis, das ein verängstigtes Pferd nicht springen wollte, er war ein wagemutiger Militaryreiter und ein hervorragender Polospieler. Sein Leben war den Sportpferden gewidmet. Der einstige Waisenjunge, der sich von klein auf unwiderstehlich von Pferden angezogen fühlte und alles, was mit dem Pferdesport zusammenhängt, gelernt hatte, war einen weiten Weg gekommen. Jetzt war er M.R.C.V.S., ein qualifizierter Tierarzt, auf traumatisierte Pferde spezialisiert.

»Und noch einmal die Ecke, ja, so, schön unverkrampft, streck nur deinen schönen Hals, hier hast du den Zügel – schön machst du das, schön.« – Er sprach leise. Der Hengst blies in den Sand der Reitbahn, seine Tritte blieben weich, sein Hals streckte sich in der Entspannung – schwarze Schatten flüchteten in diesen Augenblicken aus seiner Erinnerung.

»Wunderbar, so ist es gut, nicht wahr, gut? Gut, auch für dich?«

Der goldfarbene Hengst zog das Kinn näher an die Brust, sein Nacken wölbte sich, seine Beine traten sicher und geschmeidig unter seinen gesammelten Leib, ganz wie einst, als ein anderes warmes, verstehendes Wesen auf ihm gesessen und zu ihm gesprochen hatte. Er wußte, alles war wieder richtig. Alles war richtig, denn er war im Einklang mit seinem Reiter.

Und dann kam da etwas Schattenhaftes heran – er war nicht ängstlich, aber aufmerksam, etwas in ihm lauschte dem Geräusch entgegen. Doch dann – ein plötzliches Kreischen über dem Kies der Auffahrt, ein quakendes Geräusch. »Nur die Hupe, mein Freund«, murmelte die sanfte Stimme über ihm, und die ruhige Hand suchte seine plötzliche Furcht wegzustreicheln, und beinah schon war er wieder beruhigt, doch da schallte eine laute Stimme aus dem heruntergelassenen Fenster des Wagens zu ihm herüber, er legte die Ohren an, sein Körper wurde flach, und er schoß voran in Panik.

Da war kein Ruck am Kopf, kein Reißen im Maul, um ihn aufzuhalten, wie er es kürzlich kennengelernt hatte, als schlechtriechende Männer ihn endlos auf Viehtransporter hinauf- und wieder hinabgezwungen hatten. Da war nur die sanfte Stimme, die zu ihm sprach. Er begann, wieder auf sie zu hören. Und als er auf sie hörte, fühlte er leise Gewichtsverlagerungen, die ihn zu einer bestimmten Richtung überredeten, fühlte Hände auf seinem gewölbten Hals, die die Zügel nicht führten, nur über sein Fell fuhren und ihn zur Ruhe brachten.

Schweißnaß kam er in der Mitte der Reitbahn zum Stehen und kaute heftig auf dem Gebiß der Trense. Schaum zeigte sich unterhalb der Zügel, am Sattelgurt. Sir Lancelot zitterte.

Erics Gesicht war hochrot, seine kurzen schwarzen Haare sträubten sich angriffslustig, er ballte die in Handschuhen aus weichem Leder steckenden Hände und drückte die Zügel zusammen: Was zum Teufel war denn in Turner gefahren, daß er in einem solchen Tempo auf einen Pferdehof donnerte und brüllte – und noch dazu Unverständliches –, wenn einer mit einem Pferd draußen arbeitete.

Eric nahm die Zügel auf, nur für alle Fälle, stützte nachlässig die Faust auf den Sattel und neigte sein Gewicht leicht nach vorn, sah den Ankömmlingen entgegen, die jetzt aus dem Wagen stiegen und auf ihn zukamen: Turners hohe, magere, aufrechte Gestalt – typischer Militär – und ein schlankes Bürschchen in Reithosen, glänzend gewienerten, hohen Reitstiefeln und einem dicken blauen Pullover, unter dessen V-Ausschnitt ein hellblaues Hemd hervorsah. Die Stiefel sahen nicht aus, als hätten sie schon viel Kontakt mit dem beißenden Schweiß eines hart arbeitenden Pferdes gehabt.

Er machte sich nicht die Mühe, ihnen entgegenzureiten. Bißchen Schmutz würde diesen schicken Stiefeln nicht schaden. Flüchtig glitt sein Blick über seine eigenen Stiefel, mit den hell gescheuerten Innenflächen, dem müden Schimmer, den altes und vielgebrauchtes Leder hat. Diese Stiefel waren zehn Jahre alt. Er trug sie, seit seine Füße nicht mehr gewachsen waren, und das bedeutete seit seinem 16. Lebensjahr.

Das Pferd unter ihm rührte sich, und er ließ den Blick über dessen erhobenen Kopf schweifen, zwischen den aufmerksam gespitzten Ohren hindurch – zum ersten Mal an diesem Tag hatte er Muße, seine Umgebung zu betrachten, ohne daß seine Gedanken um etwas anderes kreisten als um das, was er tat. Allein heute hatte er sechs von Turners Pferden durchgearbeitet, die Schwierigkeiten psychischer Art hatten; es war ein zufriedenstellender Tag gewesen, und ein anstrengender; denn auf jedes Pferd galt es sich neu einzustellen und es entsprechend zu behandeln. Lance hatte er sich als letzten gelassen. Lance war der Schwierigste von allen; aber er war auch ein Künstler, ein geborener Tänzer; es war die reine Freude, ihn zu reiten.

Er sah, daß die Sonne sich neigte und ein leichter Dunst aus dem Boden zu steigen begann. Malvenfarben hing die kaum merkbare Feuchtigkeit da in der Ferne, zu den Hügeln hin, über niederen Büschen und hohem satten Gras, und ein leichter Windhauch spielte mit den höchsten Spitzen der Gräser und zupfte an den kleinsten Blättern der Büsche. Eric fühlte den Wind und merkte in diesem Augenblick, wie verschwitzt und heiß sein Körper war. Die Dusche heute abend würde eine Wohltat sein.

Die Ankömmlinge waren herangekommen, ein bißchen außer Atem vom Stapfen über den schweren Boden.

»Macht sich gut, hab ich von weitem schon gesehen«, sagte Turner, nahm seine flache Kappe mit dem langen Schirm ab und wischte sich diskret die Stirn am Ärmel seiner leichten Tweedjacke. »Irgendwelche Schwierigkeiten gehabt mit ihm heut'?«

Eric blies die Luft aus, es klang wie das leise Schnaufen eines Pferdes, das sich langweilt.

»Nicht, bis Sie angedonnert sind«, sagte er grimmig. Turner war ein ehemaliger Militaryreiter. Mindestens zwei Dutzend Sportpokale hatte er gewonnen, die er bescheiden hinter der Bar in seinem Herrenzimmer versteckte, so daß man sie erst zu sehen kriegte, wenn einem ein Gläschen angeboten wurde. Turner hatte einen Adelstitel und ein gewaltiges Vermögen geerbt und sein Herz und seine schier unbeschränkten Mittel dem Pferdesport verschrieben. Und dieser Turner brauste nun auf seinen Hof und benahm sich wie einer, der von Pferden nicht die leiseste Ahnung hat.

Turner räusperte sich. Offenbar war er hin und her gerissen zwischen dem Ärger über die unverhohlene Kritik seines Angestellten und tiefer Zerknirschtheit. Erics Blick verharrte auf den fliederfarbenen Feuchtigkeitsschatten hinter den nahen Hügeln, und seine Hand strich leicht über den Nacken des Pferdes.

Turner und Eric kannten einander seit Erics frühen Schultagen; damals hatte er angefangen, mit Turners Pferden zu arbeiten. Diese Arbeit hatte ihm sein Studium finanziert, und etliche von Turners hochgespannten Vollblütern hatte er zu sanfteren Zeitgenossen gemacht. Sie schuldeten einander nichts.

»Verdammt!« stieß Turner plötzlich hervor, »tut mir leid, ich war so ... na ja, sozusagen, ich war ein bißchen aufgeregt.«

Sein Begleiter sagte: »Vielleicht sollten Sie uns vorstellen, Sir Simon. Dann würden wir vielleicht eher zu der Angelegenheit kommen, um die es geht.«

Eric war erstaunt. Das war die weiche, warme und doch bestimmte Stimme einer Frau! Was er für einen jungen Mann gehalten hatte, entpuppte sich als eine Frau mittleren Alters, die ihr Haar unter ihrer Sportkappe verbarg und die Linien auf der Stirn, um Mund und Augen hatte. Das Knabenhafte ihrer Figur hatte ihn getäuscht.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2022
ISBN (eBook)
9783966554558
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (August)
Schlagworte
Schottland-Roman Liebesroman Pferde-Roman Schottland-Romantik Lucinda Riley Der Pferdeflüsterer Isabel Morland Sarah Lark Neuerscheinungs eBooks
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