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Die Safraninsel

Roman | Eine Exotik-Saga voll berauschender Düfte, Abenteuer und verbotener Liebe

©2023 618 Seiten

Zusammenfassung

Eine mutige Frau in den Stürmen ihrer Zeit: Der faszinierende Historienroman »Die Safraninsel« von Ina-Marie Cassens jetzt als eBook bei dotbooks.

Ende des 19. Jahrhunderts: Ebenso mutig wie verzweifelt wagt die venezianische Kaufmannstochter Marciella die Reise nach Ostafrika – sie muss ihren Eltern beweisen, dass sie mehr ist als eine Last, die es gewinnbringend zu verheiraten gilt. Aber kann es Marciella wirklich gelingen, im Gewürzparadies Sansibar ein wichtiges Handelsabkommen für die Familie zu schließen? Dort angekommen ist sie zuerst wie verzaubert von dem Duft nach Zimt, Minzöl und Nelken … doch die Schönheit dieser Insel birgt auch Grausamkeit: Das »Sultansgold« der Nelkenplantagen wird durch grausame Sklaverei gewonnen. Als Marciella dem geheimnisvollen Araber Hafis begegnet, einem Vertrauten des Regenten/Herrschers, fühlt sie sich bald zutiefst zerrissen: Darf sie ihm wirklich glauben, dass er dafür kämpft, auf Sansibar etwas zu verändern … oder will er sie für seinen Herrn in einen goldenen Käfig locken?

Inspiriert durch das Schicksal einer realen sansibarischen Prinzessin: Diese bewegende Afrika-Saga ist ein Fest der Sinne!

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Exotik-Saga »Die Safraninsel« von Ina-Marie Cassens erschien bereits unter den Titeln »Die Safranprinzessin« sowie »Die Marchesa von Sansibar« und wird Fans von Tara Haigh und Patricia Mennen begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Ende des 19. Jahrhunderts: Ebenso mutig wie verzweifelt wagt die venezianische Kaufmannstochter Marciella die Reise nach Ostafrika – sie muss ihren Eltern beweisen, dass sie mehr ist als eine Last, die es gewinnbringend zu verheiraten gilt. Aber kann es Marciella wirklich gelingen, im Gewürzparadies Sansibar ein wichtiges Handelsabkommen für die Familie zu schließen? Dort angekommen ist sie zuerst wie verzaubert von dem Duft nach Zimt, Minzöl und Nelken … doch die Schönheit dieser Insel birgt auch Grausamkeit: Das »Sultansgold« der Nelkenplantagen wird durch grausame Sklaverei gewonnen. Als Marciella dem geheimnisvollen Araber Hafis begegnet, einem Vertrauten des Regenten/Herrschers, fühlt sie sich bald zutiefst zerrissen: Darf sie ihm wirklich glauben, dass er dafür kämpft, auf Sansibar etwas zu verändern … oder will er sie für seinen Herrn in einen goldenen Käfig locken?

Inspiriert durch das Schicksal einer realen sansibarischen Prinzessin: Diese bewegende Afrika-Saga ist ein Fest der Sinne!

Über die Autorin:

Ina-Marie Cassens, Jahrgang 1958, ist eine Romanautorin, die in der Lüneburger Heide lebt und arbeitet. Mit ihren historischen »Heilerinnen«-Romanen knüpft sie an ihr Studium der Mediävistik an; voller Begeisterung schreibt sie über die ersten Medizinerinnen des Abendlandes.

Bei dotbooks veröffentliche Ina-Marie Cassens auch ihre historischen Romane »Die Heilerin von Montpellier« und »Die Heilerin von Salerno«.

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eBook-Neuausgabe Juli 2023

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter Andreas Liebert und dem Titel »Die Marchesa von Sansibar« bei Droemer und 2005 unter dem Pseudonym Andrea Olsen und dem Titel »Die Safranprinzessin« im Knaur Taschenbuch.

Copyright © der Originalausgabe 2003 by Droemer Knaur, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-791-4

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Ina-Marie Cassens

Die Safraninsel

Roman

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Kapitel 1

Die Luft über Venedigs Stadtteil Cannaregio begann zu flimmern, als an diesem Vormittag im Juli die Marchesina Merelli ihre Hände im Licht badete. Wie immer bei solchen Temperaturen waren die grünen, kürzlich wieder frisch gestrichenen Fensterläden des väterlichen Palazzos geschlossen – auch wenn seine dicken Mauern im Innern für dämmerige Kühle sorgten.

Wer seine Blicke jedoch über die Fassade gleiten ließ, konnte im zweiten Stockwerk ein dunkles Rechteck erkennen, das sich ungeschützt der Welt zuwandte. Weit geöffnet schmiegten sich hier die Fensterläden an die heiße Mauerwand, was unwillkürlich den Eindruck des Trotzes hervorrief. Und so flutete der Strom glühender Sonnenstrahlen ungehindert in das Zimmer, über die schlanken Zypressen hinweg, deren Spitzen sich sacht im Sommerwind bewegten. Bis an die Hauswand heran hatten sie sich im Laufe der Jahrzehnte ausgedehnt, jetzt standen sie schwarz im Sonnenlicht und hatten Ähnlichkeit mit abgebrannten Fackeln.

Marciella Merelli, die auf einer Polsterbank vor dem offenen Fenster kniete und ins Licht blinzelte, überlegte, ob sie sich wieder ärgern sollte – darüber, dass sie von ihrem Zimmer aus die Flut der ziegelroten Dächer und die Spitze des Campanile von San Marco nicht sehen konnte. Sie wusste, wie kleinlich sie in der Hinsicht war, denn dieser Luxus war ihrer Stiefmutter Angelica im dritten Stockwerk Vorbehalten – aber bislang konnte sie sich einfach nicht damit abfinden, dass ihre Stiefmutter jetzt in den Räumen residierte, in denen ihre Mama vor vier Jahren ihr Leben ausgehustet hatte.

»Ach was! Seele gib Ruh!«, sagte Marciella leise, aber energisch. »Ab heute ist das alles ganz und gar unwichtig geworden.«

Denn so schön der Campanile von dort oben auch aussah, Marciella war sich ziemlich sicher, dass die meisten Äußerlichkeiten für sie an Bedeutung verloren hatten. Nur das, was sie selbst betraf, wurde jetzt wichtig. Lag es an ihrem Alter? Bestimmt. Denn vor kurzem war sie sechzehn geworden. Was allerdings auch nichts besagte, da sie schon lange kein Kind mehr war.

Marciella drehte ihre Hände im Licht, als könne es ihr den Schmutz abwaschen, den sie glaubte, auf der Haut zu fühlen. Das Licht war rein, unschuldig und wärmte liebevoll. Und doch spürte Marciella voller Scham ihre Sünde. Natürlich waren ihre Hände blitzsauber und dufteten sogar nach dem exquisiten Rosenparfüm, das der Marchese, ihr Vater, so gerne an ihr roch. Aber Marciella fühlte sich immer noch schmutzig, und sie war sich in diesem Moment so sicher wie nie zuvor: Sie war schuldig.

Moralisch schuldig.

Seit über drei Jahren hatte sie sich sündhaft benommen. Was ihr natürlich niemand glauben würde. Selbst ihr Vater nicht, obwohl er es gewesen war, der sich an ihr ergötzt hatte ... Nur Gott allein, glaubte Marciella verzweifelt, würde ihren tiefen Kummer wirklich verstehen können. Nur er, Marciellas Augen quollen vor Tränen über, würde ihr verzeihen, sie freisprechen können von der Sünde. Ganz einfach deshalb, weil sie bislang ja ein Kind gewesen war.

Vor vier Jahren, da war sie zwölf gewesen, hatte es begonnen. Jetzt bist du die Marchesa, hatte Papa nach dem Tod ihrer Mutter gesagt. Jetzt, Marciella, bist du die Marchesa Merelli. Benimm dich entsprechend, sei gut und tue, was ich dir sage.

Und weil sie ein gutes Kind war, hatte sie ihm, dem Vater und Marchese, gehorcht. Über drei Jahre lang.

Jedes Mal danach gingen ihr diese Worte durch den Kopf: Sei ein gutes Kind und gehorche mir.

Sie hatte wirklich geglaubt, ihn trösten zu müssen. Wie eine kleine Elfe schmiegte sie sich an ihn, streichelte ihn, küsste sein Gesicht, seine Hände, sein Haar, ja selbst die von der schwarzen Seidenweste umspannte Brust. Sie küsste drauflos, zart und ohne Gedanken, als wäre ihr Vater bloß ein bärtiges Wesen, das aus einem ihrer Märchenbücher gestiegen war. Wie gern mochte er es, wenn sie ihm den Bart kraulte. Oder an seinen Ohrläppchen knabberte.

Warum sollte sie ihm diese Liebesbeweise verweigern, hatte Marciella sich anfangs gefragt. Wo Mama so schrecklich gestorben war! Dass ihr Vater aber kein Märchenwesen sein konnte, hatte sie im Laufe der Zeit dann doch immer deutlicher beobachten können: Sein Geruch, sein Brummen und Stöhnen – dieses Ganze an ihm, dass sich jedes Mal in einer unverkennbar sich steigernden Erregung zeigte, bis hin zum letzten unterdrückten Aufschrei der Erlösung ... All das hatte sie unmenschliche Anstrengung gekostet, es zu verdrängen. Nie und nimmer hatte sie dabei an Sünde gedacht, aber es war eben eine daraus geworden. Und deswegen war sie am letzten Sonntag zur Beichte gegangen.

Gott würde ihr vergeben. Ganz bestimmt. Lebhaft hatte ihr dies Padre Giovanni, der Beichtvater aus Venedigs Tintoretto-Kirche, nach der letzten Messe versichert.

»Hochwürden, wenn ein Kind Böses tut, ist es dann verdammt?«

»Kein Kind tut Böses«, hatte der Padre gebrummt. »Kein Kind.«

»Aber eines, das tötet und Unzucht begeht?«

»Kinder töten nicht. Oder hast du jemanden getötet?«

»Nein.«

»Na siehst du.«

»Und« – der Padre hatte keine Sekunde gezögert, und seine Stimme klang nicht minder gemütvoll wie zuvor – »Unzucht, hast du Unzucht begangen?«

»Erstens weiß ich gar nicht, was das ist, und zweitens bin ich noch ein Kind«, hatte sie so schnell dahergeplappert, als ob ihre Worte plötzlich zu glühenden Kohlestücken geworden waren. Woran Padre Giovanni natürlich sofort bemerkte, dass sie in einem Fall log. Aber er hüstelte nur und knautschte zur Strafe den Klingelbeutel – das Zeichen, dass er eine Spende für die Lüge erwartete. Was er immer so machte, wenn er merkte, dass einer aus der Familie Merelli ihm nicht die Wahrheit sagte. »Da du nicht weißt, was Unzucht ist, kannst du auch kaum Derartiges begangen haben, meine Tochter«, sagte er tadelnd und mischte in das Knarzen des Holzes das helle Klingeln der Münzen.

»Kaum?«

»Wissen und Tun sind zwei Paar Schuh. Das heißt: Unzucht kann man begehen, ohne von ihr zu wissen.«

»Was ist Unzucht?«, wollte sie wissen.

»Es ist nicht meine Aufgabe, einem Mädchen von Stand darüber Auskunft zu erteilen«, entrüstete sich der Padre und wühlte so heftig in seinem Klingelbeutel, als suche er den einen unverschämt hineingeworfenen Knopf. »Wisse aber: Gott liebt die Kinder. Und verzeiht ihnen alles, was sie tun, selbst wenn es in den Augen der Erwachsenen Unzucht sein könnte. Somit höre also: Im Wissen um den Schatz der Werke Christi und der Heiligen spreche ich dich von deinen Sünden los. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Du bist entlassen.«

Der Padre schob den Klingelbeutel durch die Öffnung, und sie fütterte ihn mit Lira- und Centesimi-Münzen.

Das war letzten Sonntag.

Jetzt war Freitag.

Und sie war kein Kind mehr, sondern auf dem besten Weg, eine richtige Frau zu werden ...

Marciella verkleinerte das sonnendurchflutete Rechteck ihres Fensters, indem sie die Vorhänge ein Stück zuzog. Noch einmal besah sie sich nachdenklich ihre Hände. Sie dehnte die Finger, drehte die Hände hin und her, tat, als würde sie sie waschen. Von ganz allein, schien es, wendeten sich ihre Handflächen schließlich nach oben, legten sich die beiden kleinen Finger nebeneinander. Minutenlang verharrte sie so, ähnlich einer in sich gehenden Muslimin. Beruhigt sog sie die Kraft des Lichtes in sich auf, das in ihre schalengleichen Handflächen strömte. Links und rechts neben ihr ließ die Sonne die weinroten Seidenvorhänge aufglühen. Marciella atmete tief durch und lächelte. Gott hatte ihr verziehen. Da war sie sich ganz sicher. Vater hatte sie benutzt. Ihren Körper zwar nicht beschmutzt, ihre Seele aber für immer verwundet. Doch zu Beginn dieser Woche hatte Gott ihr ein Zeichen gegeben: ein körperliches Zeichen, das ihr den Vater für alle Zeiten vom Leib halten würde und sie endlich von seiner Nähe und Zudringlichkeit befreite – ihre Regel hatte eingesetzt.

Und heute war der erste Tag danach. Endlich war sie eine freie, richtige Frau.

Marciellas Stimmung besserte sich von Minute zu Minute, und schließlich gewann sie auch die Kraft, die Bilder vom letzten Montagabend beiseite zu schieben. Eigentlich war ja gar nichts passiert. Zwar hatte Papa sie wie immer besucht und hätte auch wieder angefangen, aber – Marciella wurde so rot wie die Seidenvorhänge ihres Zimmers, als sich ihr diese Worte aufdrängten – er wollte sich wohl nicht die Finger schmutzig machen. Erschrocken, verärgert, ja fast empört hatte er sich aus der Hocke hochgestemmt und war wortlos gegangen. Nicht ohne die Tür mit einem lauten Knall zuzuschlagen.

Erleichtert seufzte Marciella auf. Wahrscheinlich war sie das einzige weibliche Wesen auf der Welt, das glücklich war, dass sie ihre Tage bekommen hatte. Aber andere Frauen oder Mädchen hatten auch keine Väter, die am Bett ihrer entkleideten Töchter knieten, sie an allen denkbaren Stellen befingerten und sich dabei selbst liebkosten – bis das, was in seiner Hand lag, nass wurde und schrumpfte.

»Ich bin frei«, jubelte Marciella leise. »Frei, weil ich zur Frau geworden bin. Nie wieder Kind!«

Sie zog die Schublade der schmalen Barock-Kommode neben sich auf und durchwühlte sie. Murmeln, Glasketten, billige Silberringe, Kämme, das Miniaturwindrad, ein abgekauter Buntstift, das Foto einer nackten Frau mit Sonnenschirm auf einem ausgestopften Tiger, eine Zigarettenspitze aus Elfenbein, ein halbes Kartenspiel und ein Lederbeutel mit kostbarem Safran, dem Andenken an Giovanni Merelli, ihrem Großvater, dem das goldene Gewürz zu Reichtum verholfen hatte. »Liebe und achte das Erbe deiner Väter«, stand auf dem Seidenpapier, das die zarten, tiefroten Safranfädchen umhüllte.

Und da war auch das kleine Mahagoni-Kästchen.

Marciella öffnete den Deckel und rührte noch einmal mit dem Zeigefinger ihre Milchzähne durch, die sie in dem Kästchen gesammelt hatte.

»Elf Zähne«, sagte sie. »Sicher nicht alle, aber eine ganz hübsche Ausbeute. Aber ihr, meine lieben zahmen Zähnchen, wart einmal. Addio!«

Sie kniete sich auf die Polsterbank, reckte sich in die Höhe und leerte mit Schwung ihr Kästchen aus dem Fenster. »Nie wieder Kind!«, sagte sie dabei. Nie wieder Kind!

Sie warf das Kästchen zurück in die Schublade, die daraufhin unsanft in den Bauch der Kommode knallte. Dann zog sie die Vorhänge zu.

»Und nun?«

Ihr Zimmer, in dem sich in Tapeten und Möbeln dunkles Rosa und honigfarbene Holztöne mit dem kräftigen Blau eines großen Perserteppichs vermischten, versank in feurigem Rot. Für einen Augenblick kam es Marciella vor, als säße sie in einer Faschingslaterne, die im Dunkel der Nacht glühte. Sie setzte sich auf ihr Bett, über dem ein aufgebauschter Baldachin aus altrosafarbenem Musselin schwebte. Zufrieden betrachtete sie ihre »Duftlampe«, die auf ihrem Nachttisch stand. Sie war ihr ganzer Stolz, hatte sie sie doch selbst erfunden. Sie bestand aus einer Achatschale, in die sie drei Mahagonistäbchen hatte hineinbohren lassen. Diese bildeten die Säulen für eine auf ihr ruhende flache Perlmuttwanne, in der Wasser und aromatische Öle von einer Kerzenflamme erwärmt wurden. Dabei verdampfte das Öl und parfümierte ihr Zimmer mit seinem Duft.

Marciella beschloss, diesen besonderen Tag, den ersten, der ihrer Seele Freiheit versprach, angemessen zu feiern. Und zu diesem sonnenglühenden Rot passte jetzt nichts besser als die köstlichen Düfte Arabiens.

Sie öffnete die Tür des Nachttischs, in dem der Wasserkrug stand, und kippte etwas Wasser in die Schale. In der Schublade bewahrte sie ihre Kollektion von Duftölen und Kräuterauszügen auf.

Was passt am besten zu deiner Stimmung, überlegte sie. Ein demütigender Lebensabschnitt lag hinter ihr, vor ihr die Zukunft als heranreifende Frau. Eine Frau indes, die nie vergessen würde, was ihr als Mädchen geschehen war. Marciella war sich im Klaren, dass das Gefühl von Schande, Demütigung und Missbrauch fest in ihre Seele eingebrannt war. Aber in den letzten Monaten – war da nicht immer häufiger noch ein ganz anderes Gefühl in ihr gewachsen?

»Irgendwann werde ich mich rächen«, sagte sie leise. »Der Tag wird kommen.«

Ohne über ihre Rache länger nachzudenken, bekam sie plötzlich Lust, sich zu verkleiden, eine Karnevalsmaske aufzusetzen und ihren Vater zu töten – irgendwie. Womit sie sich gleich mit bestrafen würde, indem sie die gefühlte Schuld in eine tatsächliche verwandelte. Die Lust, andere und damit sich zu quälen – war das der Anfang eines Auswegs? Marciella schauderte vor ihren eigenen Gefühlen. Würde sie jemals richtig lieben können? Einen Mann lieben? Mit ihm verkehren und Kinder bekommen?

»Vielleicht«, sagte sie gedankenverloren. »Wenn es ein ganz besonderer Mann ist. Ein anderer Mann. Ein Mann von einem fremden Stern.«

Marciella schob die Rachegedanken wieder beiseite. Ja, sie würde sich rächen. Wie und wann, das brachte die Zeit. Doch wollte sie nicht eigentlich feiern?

»Schluss jetzt!«, ermahnte sie sich und griff in die intarsiengeschmückte Holzschatulle, die in der Schublade ihres Nachttischchens lag. »Öl, Duft, Gewürze. Felix Arabiae.«

In den mit Zedernholzleisten abgeteilten Fächern standen etliche schwarze Glasfläschchen mit Pipettenverschluss. Ohne länger zu überlegen, entnahm Marciella Fläschchen mit Zedern-, Zypressen- und Ingweröl. Sie tropfte jeweils sechzehn Tropfen ins Wasser, so viele, wie sie alt war, und mischte noch zwei Tropfen Sandelholz- und Pfefferöl hinzu. Dann stellte sie die Kerze, die auf ihrem Sekretär brannte, unter die Perlmuttwanne und begann so tief zu atmen, bis ihr leicht schwindelig wurde. Erst dann sank sie auf ihr Bett zurück, schloss die Augen und wartete auf die Wirkung der Düfte.

Das Wasser wurde schnell warm, und das Öl begann zu verdampfen. Der Duft entfaltete sich wie das allmähliche Aufblühen einer Rose. Es hätte aber auch eine leise Stimme sein können, die sich sanft erhob und ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht zu erzählen begann. Marciella fühlte sich vom weichen Bett emporgehoben und träumte sich durch das Fenster hinaus in ein sattes Blau, hinein in eine Welt voller exotischer Klänge, leuchtender Sterne und farbiger Blüten mit betörenden Aromen. Sie schaukelte in einem orientalischen Gespinst kostbarer luftiger Stoffe auf einer arabischen Dhau und ergötzte sich am abendlichen Ozean, der ihr Spiegelbild in Gold zeichnete ... Je kräftiger die Duftöle Marciellas Zimmer parfümierten, so plastischer wurden die Bilder. Es war herrlich, so zu schwelgen – sinnlich und tröstend, kräftigend und ermutigend, wobei die Schärfe des Pfefferöls zugleich wach machte und im Innern ein wohliges Kitzeln hervorrief. Marciella griff nach hinten, angelte sich den chinesischen Fächer, der am Kopfende ihres Bettes an der Wand hing. Mit geschlossenen Augen fächelte sie sich die Duftaromen zu, atmete tief und gleichmäßig ein und aus und lächelte vor sich hin. Wenn dein Bett wirklich fliegen könnte, dachte sie, wäre das nicht herrlich? Sie stellte sich plätschernde Wadis vor, die in der Wüste eine Oase mit Dattelpalmen speiste. Sie hörte das Rauschen des Windes, dann wieder malte sie sich aus, ihr Diwan stünde in einem Sultanspalast am Fuß eines Marmorbassins, in dem glitzernde Fische schwammen. Ihr beiges Seidenkleid vertauschte sie mit wallenden Schleiern. Halb nackte dunkelhäutige Dienerinnen tuschelten miteinander, während sie ihr Zöpfe flochten. Ob sie so aussahen wie das schwarze Mädchen im orientalischen Séparée des Café Florian? Auf dem Fries dort rauchte sie eine bestimmt vier Ellen lange Pfeife, und auf ihrer nackten Brust ruhten breite goldene Ketten. Ihr edles Gesicht mit den roten Lippen schaute verträumt, vielleicht aber auch traurig. War sie eine Sklavin, die sich mit schwerem Tabak berauschte, weil sie einen lüsternen Sultan erwartete?

Marciella legte sich die Hand auf die Brust, so als könne sie damit die Blöße des Mädchens verdecken. Nein! Nicht!, schrie es in ihr. Diese Träume sind hässlich. Lieber stellte sie sich vor, da wo ihre Hand jetzt lag, ruhten Juwelen. Und so wie sie gerade ihr Brokatkissen an den Füßen spürte, so würden sich ihre mit Spangen geschmückten Fesseln an den Goldstickereien reiben, die die tausend bunten Kissen zierten, mit denen sie sich den Diwan teilte.

Ihre Träumereien machten Marciella schließlich träge.

Was wäre eigentlich, wenn sie gleich für immer einschliefe? Gab es jemanden, der dann um sie weinen würde?

Tränen stiegen in ihre Augen. Nein, niemand würde um sie weinen. Von Mutters Seite lebte niemand mehr. Aber Angelica, ihre Stiefmutter, hatte eine Schwester: Lara. Sie hatte ihr irgendwann erzählt, dass Tante Lara mit einem Mann aus Hamburg verheiratet war. Wie hieß er noch mal? Marciella grübelte. Was sie bald wieder aufgegeben hätte, wenn dieser Mann aus dem kalten Norden nicht etwas mit ihr gemein gehabt hätte: Wie sie liebte auch er Gewürze und Düfte. Er war erfolgreicher Kolonialwarenhändler. Sein Name hatte was mit der Bibel ... Jakob? Nein, nicht ganz. Angestrengt dachte Marciella nach. Richtig, Jacobi. Hermann Jacobi. Aus Hamburg, der Kaufmannsstadt an der Elbe, dem Venedig des Nordens. Beinahe in jedem Brief schrieb Tante Lara, dass das Wetter dort launisch und misepetrig war. Ständig gäbe es Kleiderprobleme, weil es plötzlich zu regnen anfange und der Wind auffrische. Aber trotzdem sei Hamburg eine herrliche Stadt, aus der sie wegen ihres lieben Hermanns nie wieder fort wolle.

Tante Lara ... Aber sie kannten sich nur oberflächlich. Sie würde bestimmt nicht um sie weinen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2023
ISBN (eBook)
9783986907914
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Juli)
Schlagworte
Historischer Roman Historischer Liebesroman Landschaftsroman Romantische Action & Abenteuer Exotik-Roman Frauensaga Tara Haigh Linda Holeman Neuerscheinung eBooks
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Titel: Die Safraninsel