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Sommerträume in Azurblau

Drei Romane in einem eBook: »Ein Traum am Meer« von Juli Sand, »Hundert Momente mit dir« von Marie Winter und »Ein Kuss unter Orangenbäumen« von Carla Blumberg

©2022 712 Seiten

Zusammenfassung

Die Liebe wartet am Meer: Der romantische Urlaubs-Sammelband »Sommerträume in Azurblau« jetzt als eBook bei dotbooks.

Das Rauschen der Wellen verheißt neue Anfänge – in diesem romantischen Sammelband erleben drei Frauen unvergessliche Sommerabenteuer: Als die junge Claire an der provenzalischen Küste einen Vintageladen eröffnet, wird sie schon bald in einen Wettstreit mit dem unverschämten Massimo Noir verwickelt, dem Besitzer eines Modeunternehmens. Aber geht es ihm wirklich um ihr Geschäft – oder um ihr Herz? Einem aufregenden Fremden begegnet auch Sandra, als sie sich im italienischen Stresa eine Auszeit gönnt. Aber die Küsse des geheimnisvollen Italieners schmecken nach mehr als nur einem Urlaubsflirt … Paula wiederum erhofft sich von ihrer Andalusienreise eine entspannte Zeit – sie hat allerdings nicht mit einer ganzen Busladung an exzentrischen Mitreisenden und romantischen Verwicklungen gerechnet!

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Romantik-Sammelband »Sommerträume in Azurblau« vereint die Liebesromane »Ein Traum am Meer« von Juli Sand, »Hundert Momente mit dir« von Marie Winter und »Ein Kuss unter Orangenbäumen« von Carla Blumberg zu perfekter Strandlektüre! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Juli Sand
Ein Traum am Meer

An der provenzalischen Küste träumt die junge Engländerin Claire von einem Neuanfang: Jahrelang hat sie für das Familienunternehmen alles gegeben – nun will sie sich hier ihren Wunsch von einem kleinen Vintage-Laden am Meer erfüllen. Aber warum ist diese zauberhafte Idee dem CEO einer großen Modekette ein Dorn im Auge? Der ebenso attraktive wie unverschämte Massimo Noir scheint nichts lieber zu tun, als sie zu provozieren und ihr Steine in den Weg zu legen. Doch Claire denkt gar nicht daran, klein beizugeben – mit neugewonnenem Mut und cleveren Freundinnen an der Seite wird es höchste Zeit, dem erfolgsverwöhnten Playboy einen Denkzettel zu verpassen! Bloß scheinen die Schmetterlinge in ihrem Bauch ganz andere Pläne für Claire zu haben …

Kapitel 1

Claires Herz klopfte stärker, als sie auf La Citadelle, die Festung oberhalb der Stadt, zulief. Sie hatte es tatsächlich gewagt. Noch im Flugzeug gestern Abend, als sie in einen leichten Dämmerschlaf versunken war, hatte sie sich gefragt, ob nicht doch alles nur ein Traum war, aus dem ihr Vater sie gleich herausreißen würde.

Aber nein, sie war hier. Sie war tatsächlich hergekommen, allein. In die Stadt, die sie seit ihrer Kindheit so sehr liebte. Nach Saint-Tropez, ihren Sehnsuchtsort. Nirgendwo war sie je glücklicher gewesen.

Und genau hier wollte sie es schaffen. Die Unabhängigkeit genießen, die ihr von Geburt an verwehrt geblieben war. Ihr eigenes Geschäft eröffnen und damit einen lang gehegten Traum verwirklichen.

Sie genoss die leichte Brise, die den Saum ihres Sommerkleides umspielte. Claire fühlte sich wie befreit. Stark genug für einen Neuanfang. Ab heute würde sie ein selbstbestimmtes Leben führen und ihre eigenen Entscheidungen treffen.

Die Zitadelle war noch genauso wuchtig, wie Claire sie in Erinnerung hatte: ein respekteinflößender, sechseckiger Bau aus dem 16. Jahrhundert, innerhalb dessen Mauern es immer kühl war und nach kaltem Stein roch. Sie fröstelte, als ihre Finger langsam über das Mauerwerk strichen.

Ihr Vater hatte sie immer wieder gegen ihren Willen hierher mitgenommen, wenn sie die Sommerferien in der Gegend verbrachten. Sie erinnerte sich daran, wie sie protestiert hatte, weil sie viel lieber am Strand gespielt hätte. Doch die späten Nachmittagsstunden waren der Bildung vorbehalten gewesen. Besichtigungen historisch bedeutsamer Orte standen täglich auf der Tagesordnung der Familie Woods.

Sie hatte das gehasst. Immer wieder hatte ihr Vater William sie geschichtliches Wissen abgefragt und ihr das Gefühl gegeben, dumm und ungenügend zu sein.

Claire hatten Zahlen und Daten nie besonders interessiert, viel lieber ließ sie ihrer Fantasie freien Lauf. Doch dazu hatte es in ihrem Leben bisher viel zu wenig Spielraum gegeben. Immer wieder hatte ihr Vater sie dazu gezwungen, ihre Zeit in Museen, Militäranlagen oder sogar in verlassenen Bunkern zu verbringen. Claire hatte dazu noch weniger Lust gehabt als ihre ältere Schwester Catherine. Doch ihr Vater ging ihre Erziehung an wie alle Dinge in seinem Leben, das von seiner Zeit beim Militär geprägt war: strukturiert, effizient und mit eiserner Hand. Widerstand war zwecklos. Er ließ es nicht zu, dass seine Töchter ihre Zeit mit Sandburgenbauen oder ähnlichen Aktivitäten verschwendeten. Jeder einzelne Tag ihrer Kindheit und Jugend war bis auf die Minute durchorganisiert. Sie sollten etwas aus der Geschichte lernen, möglichst schnell erwachsen werden und dann sein Imperium vergrößern, das war immer sein Ziel gewesen.

Claire schüttelte die Gedanken daran ab und stieg auf die Plattform der Festungsanlage. Das alles lag jetzt weit hinter ihr. Ihr Blick schweifte über die Bucht, und sie atmete tief durch. Diese warme, leichte Luft fühlte sich einfach herrlich an! Und erst die Landschaft! Ein Traum aus azurblauem Meer, in dem sich der Himmel spiegelte, breitete sich vor ihren Augen aus. Unendliche Weite. Ihre Lieblingsfarbe in allen Schattierungen, so weit sie blicken konnte. Sanfte Wellen tanzten über den Golf von Saint-Tropez, und Claire genoss den Ausblick und die salzige Meeresluft. Sie trat näher an das rostige Geländer heran. Es war brüchig und erweckte nicht gerade den Anschein, als würde es sie vor dem Absturz bewahren, wenn sie sich dagegenlehnte.

Sie blinzelte, und für einen kurzen Moment stockte ihr der Atem. Was, wenn sie es allein, ohne die Hilfe ihres Vaters, nicht schaffte? Sie hatte es sich nicht ausgesucht, doch bei allem, was sie bisher in ihren 29 Jahren begonnen hatte, waren das Geld und der Einfluss ihres Vaters immer da gewesen. Ein Sicherheitsnetz, das sie stets aufgefangen hatte. Allerdings war es ihr in den letzten Jahren eher wie eine Fessel vorgekommen.

Ihr Vater war meilenweit entfernt, und doch meinte sie plötzlich seine mahnende Stimme zu hören, Worte, die sie zusammenzucken ließen wie ein Donnergrollen. Er war vehement gegen ihre Pläne gewesen, und seit dem Streit hatten sie kein einziges Wort mehr miteinander gesprochen. Er hatte sie spüren lassen, wie enttäuscht er von ihr war. Bittere Wahrheiten waren ausgesprochen worden.

Früher hätten ihre Schuldgefühle sie davon abgehalten, eine Entscheidung gegen seinen Willen zu treffen. Doch diesmal hatte sie sich nicht von der Vergangenheit leiten lassen. Sie hatte sich über ihren Vater hinweggesetzt. Noch immer spürte Claire seinen versteinerten Blick im Rücken. Was, wenn sie auf seine Hilfe angewiesen sein würde?

Claire öffnete die Augen.

Nein, nie wieder müsste sie sich von William zurechtweisen lassen. Sie atmete tief durch. Wie oft hatte sie sich diesen Augenblick der Freiheit vorgestellt, ihn sich in strahlenden Farben ausgemalt, wenn sie sich ausgelaugt und ohnmächtig gefühlt hatte. Mit seiner ständigen Kritik und Kontrolle hatte ihr Vater sie steuern wollen wie eine Marionette.

Doch erst, wenn sie es ohne seinen Einfluss schaffte, wäre sie wirklich frei. Wie hatte es nur so lange dauern können, das zu begreifen? Wenn Catherine nicht wäre, wäre Claire vielleicht schon viel früher gegangen. Hätte alles hinter sich abgebrochen und neu angefangen. Doch Catherine hing an England und an der Familie. Und Claire hing an Catherine. Ach, wenn sie doch nur nicht im Streit mit ihrer Schwester auseinandergegangen wäre …

Claire konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Sie wollte alles in sich aufnehmen, was ihr die neue Umgebung zu bieten hatte. Die würzige Luft, die nach Kräutern roch, die Leichtigkeit, die in der Luft lag, und die hellen, freundlichen Farben. Vom historischen Ortskern drang Stimmengewirr zu ihr herauf, und das Läuten der Glocken erinnerte sie daran, dass sie losmusste. Sie war schon viel zu spät dran.

So gut es in den Sandalen ging, lief sie die gepflasterten Gassen hinunter in die Altstadt, vorbei an ein paar älteren Männern, die unter einer ausgedörrten Pinie Boule spielten. Im Licht des frühen Vormittags leuchtete die Kirche in Ocker- und Gelbtönen. Beim Blick auf die Turmuhr beschleunigte Claire ihren Schritt. Sie spürte ihr Herz noch schneller schlagen, merkte, wie sie nervös wurde. Was erwartete sie? Was würde ihr dieser Tag bringen? Wie würde das alles hier ausgehen?

Sie hastete durch die Traverse de la Gendarmerie und versuchte, sich zwischen den Touristen hindurchzuschlängeln. Wie gerne hätte sie ein paar Fotos gemacht, denn das Licht zauberte tanzende Punkte auf die hellen Fassaden, die in geschmackvollen Pastelltönen gehalten waren. Doch sie musste weiter, die Häuserfronten und Auslagen in den Schaufenstern konnte sie auch noch ein anderes Mal bewundern.

Da blieb ihr Blick an einer Glasfront hängen. Die grellen Farben und schrillen Muster der ausgestellten Kleider mochten sich so gar nicht in die klassische Fassade des Hauses einfügen. Schilder in Neonfarben verkündeten niedrige Preise. Claire hatte nichts gegen günstige Mode einzuwenden, wenn diese fair produziert wurde. Bei diesen Dumpingpreisen hier konnte das allerdings kaum der Fall sein. Sie selbst liebte es, hochwertige Teile mit Schnäppchen vom Flohmarkt oder aus preiswerten Läden zu kombinieren. Das hier war allerdings nichts als Ramsch. Wie konnte man nur so etwas Geschmackloses mitten in der wunderschönen historischen Altstadt anbieten? Hierher gehörten edle Geschäfte mit ästhetischen Produkten, die Werte und Qualität vermittelten. Klasse statt Masse. Allerdings schienen da manche Menschen anderer Auffassung zu sein. Frauen scharten sich in dem Laden um Wühltische, auf denen Handtaschen zu extrem niedrigen Preisen angeboten wurden.

»Die sieht fast aus wie von Chanel!«, hörte Claire eine junge Frau rufen und blieb stehen.

Das Wort Chanel erregte Claires Aufmerksamkeit. Ihre Leidenschaft für klassische Handtaschen und ihre Geschäftsidee hielten sie davon ab, einfach weiterzugehen. Eine Billigtasche, die aussah wie von Chanel? Konnte es das geben? Davon musste sie sich selbst überzeugen. Claire betrat das Geschäft und schob sich durch die Gruppe hindurch. Wie besessen gruben sich die Hände der Frauen durch Handtaschenberge, die sich auf dem Tisch türmten. Claire nahm eine und roch daran. Der chemische Geruch nach Plastikfasern stieg ihr in die Nase. Der Rahmen der Tasche war geklebt statt genäht, und der Trageriemen würde keine Saison lang halten. Doch eines musste sie zugeben: Die Form erinnerte tatsächlich an ein klassisches Chanel-Modell. Dass es jemand wagte, dieses zeitlose und edle Design einfach mit Billigmaterial zu verschandeln, regte sie auf.

»Die hier, schau mal, Celeste, wie vom Laufsteg!« Eine junge Frau mit abgeblättertem Nagellack und verspiegelter Sonnenbrille hielt eine der Taschen am ausgestreckten Arm von sich weg. Sie strahlte vor Begeisterung.

»Ja, aber nur fast«, sagte Claire. »Chanel hätte nie etwas anderes als hochwertiges Leder benutzt.«

»Na und?« Die Frau schaute sie verdutzt an und zuckte mit den Schultern. Ihre Freundin kam hinzu und nahm die Tasche in die Hand. Dann musterte sie Claire von oben herab.

»Was mischen Sie sich überhaupt ein?«, sagte sie zu Claire.

»Die Tasche ist schlecht verarbeitet, sie wird schnell kaputtgehen oder schäbig aussehen«, sagte Claire.

»Und? Dann kauf ich mir eine neue. Hauptsache, sie sieht schick aus. Die Leute werden denken, dass sie teuer war«, sagte die Frau zu Claire.

»Einfach eine neue kaufen? Wollen Sie nicht lieber in etwas investieren, an dem sie lange Freude haben? Die Tasche will etwas sein, das sie nicht ist. Stört Sie das überhaupt nicht?« Claire ärgerte sich darüber, dass die Frauen Geld für derart schlechte Ware ausgeben wollten. Warum sparten sie nicht und kauften sich dann etwas, das länger hielt?

Verwundert schauten sich die jungen Frauen an, und eine tippte sich mit dem Finger an die Stirn, dann wandten sie sich wieder dem Wühltisch zu.

»Interessant«, sagte ein Mann, der neben ihr stand und den Claire erst jetzt bemerkte. »›Die Tasche will etwas sein, das sie nicht ist‹?«, zitierte er sie mit ironischem Unterton. »Dass Handtaschen auf der Suche nach einer Identität sind, war mir völlig neu.«

Der Mann machte sich über sie lustig. Claire versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ihr fiel auf, wie sinnlich die Stimme dieses Mannes klang, was es nicht gerade besser machte. Als sie aufschaute, trafen sich ihre Blicke. Er sah viel zu gut aus für diese Welt, wie gephotoshoppt. Glasklare grüne Augen umrahmt von kantigen Gesichtszügen.

Er taxierte sie aufmerksam, und Claire schaute rasch in eine andere Richtung.

Die Frauen am Wühltisch fingen an zu kichern und zu tuscheln. Einige starrten den Mann einfach nur wie gebannt an.

Auch Claire war wie benommen von seinem Blick. Sie wollte ihm etwas entgegnen, suchte nach Worten, die sie hätte erwidern können, doch sie war einfach nur perplex. Er strahlte eine starke Präsenz aus, es hypnotisierte sie beinahe. Lag das vielleicht daran, dass er so überhaupt nicht hierher, neben einen Wühltisch, passte? Er war groß und athletisch, sein edler Anzug saß perfekt und sah maßgeschneidert aus, und er trug eine teure Uhr. Irgendwie kam der Mann ihr bekannt vor. Aber sie musste sich täuschen, so ein Gesicht vergaß man nicht so einfach wieder.

Sein durchdringender Blick ruhte noch immer auf ihr, und Claire spürte ihn fast körperlich. Ihr wurde heiß.

»Eine Handtasche sollte die Identität der Besitzerin unterstreichen«, sagte Claire. »Das hier ist doch alles Ramsch. Wie kann eine Tasche unter 20 Euro kosten? Macht sich denn heutzutage niemand mehr Gedanken über Nachhaltigkeit und faire Produktionsmethoden?«

Claire spürte, dass sie sich gerade richtig in Rage redete. Ihr Puls beschleunigte sich, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

»Dann gehen Sie doch einfach weiter«, sagte das Mädchen mit dem abgeblätterten Nagellack und der verspiegelten Sonnenbrille, »und lassen uns in Ruhe weitershoppen.« Sie warf einen Blick in die Richtung des Mannes, wollte seine Bestätigung einholen.

»Hm …« Der Mann starrte Claire noch immer an. Dann schaute er auf seine Uhr. »Ich würde wirklich gerne noch ein Weilchen mit Ihnen über die Bedeutung von Handtaschen im Leben einer Frau plaudern, leider habe ich einen Termin. Übrigens: Zwei Straßen weiter ist Prada. Vielleicht finden Sie dort, wonach Sie suchen. Oder Sie versuchen es direkt bei der Heilsarmee. Dort ist jeder willkommen, der die Welt retten will. Einen schönen Tag noch!«

»Wie schade! Mit Ihnen würde ich gern den Planeten retten …« Das Mädchen hatte ihre verspiegelte Sonnenbrille abgenommen, zog einen Schmollmund und warf ihm einen schmachtenden Blick hinterher.

Mit geschmeidigen Bewegungen verschwand er in der Menschenmenge, die sich um sie herum gebildet hatte.

Claire spürte, wie ihr immer heißer wurde vor Zorn. Der Mann hatte sich ungefragt in ihr Gespräch mit den Frauen eingemischt und sie zum Gespött der Leute gemacht. Sie fühlte sich wie eine Idiotin. Eine Schweißperle lief ihr die Schläfe hinunter. Warum hatte sie nicht einfach mal den Mund halten können?

Die Art, wie er sie taxiert hatte … Wie konnte einen jemand allein mit seinem Blick derart aus der Fassung bringen?

Als Claire endlich die elegante Silhouette des Hotel de Paris sehen konnte, war sie völlig außer Atem. Sie war mittlerweile beinahe 20 Minuten zu spät und unglaublich wütend auf sich selbst. Dieser Termin war wichtig, und wieder einmal würde sie durch ihre Unpünktlichkeit ihren ersten Eindruck vermasseln. Statt perfekt vorbereitet zehn Minuten vor Start des Seminars in der ersten Reihe zu sitzen, wie Catherine es getan hätte, irrte sie hektisch in der Vormittagshitze herum und spürte, wie ihr Make-up verlief. Die Aktion in dem Laden wäre ihrem Vater und Catherine äußerst peinlich gewesen. In der Familie Woods legte man Wert auf britische Etikette und höfliche Zurückhaltung. Immer wieder verstieß Claire gegen diese Regeln. Weshalb nur brachte sie sich so oft in derartige Situationen? Doch vor allem: Weshalb schämte sie sich jedes Mal so dafür?

Sie dachte an den durchdringenden Blick des Fremden in dem Laden und spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss und sie rot anlief. Wieder rann ihr eine Schweißperle von der Stirn, und Claire tupfte sich mit einem Taschentuch ihr Gesicht ab. An diese Hitze hier im Süden der Provence würde sie sich noch gewöhnen müssen. Und an die intensiven Blicke der Männer in Saint-Tropez.

Dieses süffisante Grinsen, mit dem er sie gemustert hatte … Claires Gedanken schweiften wieder ab. Was hatte der Mann in dem Laden gemacht? Wieso hatte er sie so angeschaut? Was hatte er in ihr gesehen? Sie seufzte. Bestimmt hatte er sie für eine Verrückte gehalten. Sie sollte wirklich aufhören, ihre Gedanken an fremde Männer zu verschwenden. Männer waren das, was sie im Moment am wenigsten gebrauchen konnte in ihrem Leben.

Claire lief schneller. Trotz der Eile fiel ihr auf, dass die Menschen in Saint-Tropez viel mehr Wert auf ihr Äußeres legten als in England. Ob jung oder alt, ob Mann oder Frau, alle hatten einen eigenen exklusiven Stil. Da waren ältere Damen mit Sonnenbrillen, wie sie Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany getragen hatte, und junge Männer in schicken, gut sitzenden Anzügen. Die Sachen waren vielleicht nicht unbedingt teurer, sie schienen aber überlegt zusammengestellt zu sein. Das gefiel Claire. Die Leute an der Côte d’Azur legten anscheinend weniger Wert auf plakative Logos oder sichtbare Marken, sondern achteten vielmehr darauf, dass die Schnitte, Stoffe und Accessoires zu ihrer Persönlichkeit passten. Claire schaute an sich hinunter. War sie in dem hellen Leinenkleid vielleicht zu schlicht gekleidet? Als Accessoire trug sie nur einen schmalen Gürtel um die Taille, allein ein schmaler goldener Armreif zierte ihr linkes Handgelenk.

Einige gut gekleidete Männer und Frauen steuerten zielbewusst auf den Eingang des Hotel de Paris zu. Ob das Referenten des Seminars waren?

Als Claire endlich den kühlen Türgriff das Tagungssaals umfasste, spürte sie, wie ihre Hand zitterte. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob sie überhaupt hierher passte. Was, wenn das alles ein Fehler war? Vielleicht hätte sie doch lieber in England, im schützenden Dunstkreis ihrer Familie bleiben sollen. Dort wusste man, wer sie war und was sie konnte. Hier würde sie sich ganz neu beweisen müssen, in einem fremden Land, auf unbekanntem Terrain. Der Mut, der sie hierhergebracht hatte, schien sich auf einmal in Luft aufzulösen.

Claire rückte ihren Gürtel zurecht und strich ihr Kleid glatt. Nein, sie hatte sich das alles gut überlegt und jahrelang darauf hingearbeitet. Sie sollte endlich aufhören, ständig an sich zu zweifeln. Sie wusste genau, was sie aus der Fassung gebracht hatte. Es war nicht nur ihre Unfähigkeit, es nicht pünktlich zu diesem wichtigen Termin geschafft zu haben. Vielmehr nervte sie die Tatsache, dass sie sich immer noch dem durchdringenden Blick der grünen Augen des Mannes in dem Laden ausgesetzt fühlte.

»I am enough«, flüsterte sie und versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren. »I am enough.« Dieses Mantra hatte ihr Dr. Emling, ihre Psychologin, mit auf den Weg gegeben. Sie sollte es sich immer wieder vor Augen führen, wenn sie sich unsicher oder ungenügend fühlte.

Sie versuchte, sich endlich auf das Seminar zu konzentrieren, und umfasste den Türgriff stärker.

»Stopp!«, rief jemand, noch bevor sie die schwere Tür öffnen konnte. »Sie können da nicht rein! Geschlossene Veranstaltung!«

Claire drückte ihren Rücken durch, schob die Schultern nach hinten und ging so aufrecht wie möglich zu dem langen Tisch, hinter dem eine groß gewachsene Blondine stand.

»Ich bin angemeldet, Claire Woods.«

»Ach, Sie sind Madame Woods. Hatten Sie eine gute Anreise? Nun, offensichtlich ging es hektisch zu dort, wo Sie herkommen …« Die Blondine musterte Claire mit tadelndem Blick. Sie trug ein hautenges dunkelblaues Kostüm und ein elegantes Seidentuch. Mit leicht abfälliger Miene tippte sie etwas in ihren Laptop ein. »Kann ich Ihre Anmeldung sehen? Ah, Madame Woods, aus England. Sie müssen sich hier registrieren.«

Claire fühlte sich plötzlich vollkommen fehl am Platz. Obwohl ihr ein solches Umfeld aus der jahrelangen Arbeit im Hotel vertraut war, schwand ihr Selbstbewusstsein mit jedem weiteren Augenaufschlag der Empfangsdame. Wo war bloß ihre professionelle Rüstung, mit der sie noch vor wenigen Tagen solche und ähnliche Situationen mit Leichtigkeit gemeistert hatte? Vielleicht lag es an der französischen Sprache, die nicht ihre Muttersprache war, auch wenn sie sie besser als die meisten Engländer beherrschte. Und natürlich war es ihr unangenehm, unpünktlich zu diesem wichtigen Termin zu erscheinen. Dieses elegante, moderne Hotel mit den schicken und professionell wirkenden Leuten, und sie kam nicht nur viel zu spät, sondern war auch noch vollkommen verschwitzt.

»Gelingt es dir nicht einmal, stilvoll durch den Tag zu kommen?«, hörte sie ihren Vater in ihren Gedanken sagen.

»Bitte entschuldigen Sie die Verspätung«, sagte Claire. »Aber seit dem Brexit ist der Weg nach Frankreich gefühlt einfach doppelt so lang.«

Vergeblich versuchte Claire der Blondine ein Lächeln abzuringen.

Die rollte stattdessen mit den Augen. »Massimo Noir redet gerade, und er hasst Verspätungen, das sollte allgemein bekannt sein, auch auf der Insel.«

Mit welcher Ehrfurcht die Blondine den Namen Massimo Noir aussprach. Natürlich kannte Claire diesen Namen aus diversen Managementmagazinen. Er war ein sehr erfolgreicher Unternehmer eines internationalen Modekonzerns, laut Programmheft sollte er eigentlich erst am Abend einen Vortrag halten.

Claire hatte hohe Erwartungen an diese Seminarwoche, die gefüllt war mit Vorträgen, Reden und Workshops. Sie würde alles lernen, was man für eine erfolgreiche Existenzgründung brauchte, sie würde einen Businessplan erstellen und sich mit anderen Gründern austauschen können. Hier bekam sie professionelle Anleitung, wie man den Markt sondierte und Kunden überzeugte. Es war eines der international renommiertesten und intensivsten Existenzgründungsseminare und wurde von vielen Profis empfohlen.

Bereits vor acht Monaten hatte sich Claire auf die Warteliste setzen lassen. Nur 50 Plätze wurden einmal im Jahr angeboten und innerhalb weniger Stunden waren sie belegt gewesen. Glücklicherweise hatte jemand abgesagt und Claire einen der begehrten Wartelistenplätze ergattert.

Am Samstagabend stand dann der Höhepunkt der Woche auf dem Programm. Jeder Teilnehmer würde seine Geschäftsidee einer professionellen Jury präsentieren, die darüber entschied, ob man eine finanzielle Förderung und weitere Unterstützung durch einen erfahrenen Mentor erhielt.

Ob sie sich mit ihrer Idee zu Dreambag durchsetzen würde?

Der Tagungssaal war gut gefüllt, und es herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Etwa 80 bis 100 Menschen saßen in akkurat platzierten Stuhlreihen vor einem Podium.

Alle Plätze waren belegt. Claire befestigte ihr Namensschild und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie eingeschüchtert sie sich fühlte. Wo sollte sie sich hinsetzen? Da entdeckte sie den einzigen freien Platz in der ersten Reihe. Um dort hinzugelangen, musste Claire mitten durch den ganzen Raum gehen, vorbei an jeder einzelnen Stuhlreihe, in denen aufmerksame Teilnehmer saßen, die sich scheinbar allein durch Claires Schritte auf dem Marmorboden gestört fühlten. Es kam ihr vor, als würde jeder im Saal sich fragen, was sie hier zu suchen hatte. Einige fingen an zu tuscheln.

Endlich vorne angekommen, traf sie der Blick des Redners. Plötzlich wurden ihre Knie so weich, dass Claire sich an einer Stuhllehne festhalten musste. Das war der Mann, der …

»Bonjour Madame«, ertönte im selben Moment seine tiefe, sonore Stimme.

Claire spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.

»Schön, dass Sie zu uns stoßen«, fuhr der hochgewachsenen Mann mit den braunen Haaren fort, der Massimo Noir sein musste. »Um erfolgreich am Markt zu agieren, um ein Unternehmen nach vorne zu bringen und der Konkurrenz immer einen Schritt voraus zu sein, braucht es Disziplin, harte Arbeit, Kreativität, Fantasie und … ein punktgenaues Zeitmanagement. Denn Zeit ist Geld, ob man es glaubt oder nicht, sogar an der französischen Riviera.«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2022
ISBN (eBook)
9783986903114
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Juni)
Schlagworte
Sommerroman Urlaubsroman Liebesroman Humor Frauenunterhaltung Romantik Feelgood-Roman Marie Matisek Lotte Römer Anja Saskia Beyer Neuerscheinung eBooks
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Titel: Sommerträume in Azurblau