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Die letzte Welle

Kriminalroman | Fesselnde Skandinavien-Spannung über die dunklen Geheimnisse eines schwedischen Fischerdorfes

©2023 603 Seiten

Zusammenfassung

Ein ungewöhnliches Ermittlerduo enthüllt die Abgründe eines Dorfes: Der Skandinavien-Thriller »Die letzte Welle« von Cecilia Sjögren als eBook bei dotbooks.

Im Altenheim »Ömheten« geschehen seltsame Dinge: Ein mysteriöser Einbruch, gefolgt von einem Todesfall weckt den Verdacht des pensionierten Polizisten Tore Lindahl. Ist sein Heimnachbar Viking wirklich auf natürliche Weise gestorben? Wer ist der Fremde, der vor dem Heim herumschleicht? Und warum will das Pflegepersonal all das geheim halten? Währenddessen hofft Veronika Wiklund bei der örtlichen Zeitung auf die große Story. Wenn sie nicht bald einen aufsehenerregenden Artikel abliefert, verliert sie den Job. Als sie von Tores Verdacht hört, sieht die Journalistin ihre Chance gekommen. Gemeinsam beginnen die beiden zu ermitteln. Ihre Recherche deckt ein weit verzweigtes kriminelles Netzwerk auf. Musste Viking sterben, weil er davon wusste? Oder liegt die Wahrheit weiter zurück – im Inferno des Zweiten Weltkriegs, dem auch der kleine Fischerort Grisslehamn nicht entgehen konnte?

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Schweden-Krimi »Die letzte Welle« von Cecilia Sjögren wird Fans von Camilla Läckberg und Kristina Ohlsson begeistern! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Im Altenheim »Ömheten« geschehen seltsame Dinge: Ein mysteriöser Einbruch, gefolgt von einem Todesfall weckt den Verdacht des pensionierten Polizisten Tore Lindahl. Ist sein Heimnachbar Viking wirklich auf natürliche Weise gestorben? Wer ist der Fremde, der vor dem Heim herumschleicht? Und warum will das Pflegepersonal all das geheim halten? Währenddessen hofft Veronika Wiklund bei der örtlichen Zeitung auf die große Story. Wenn sie nicht bald einen aufsehenerregenden Artikel abliefert, verliert sie den Job. Als sie von Tores Verdacht hört, sieht die Journalistin ihre Chance gekommen. Gemeinsam beginnen die beiden zu ermitteln. Ihre Recherche deckt ein weit verzweigtes kriminelles Netzwerk auf. Musste Viking sterben, weil er davon wusste? Oder liegt die Wahrheit weiter zurück – im Inferno des Zweiten Weltkriegs, dem auch der kleine Fischerort Grisslehamn nicht entgehen konnte?

»Die letzte Welle« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Cecilia Sjögren ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Autorin. Mit dem Schreiben von Spannungsromanen begann sie, als sie zum vierzigsten Geburtstag einen Krimikurs geschenkt bekam. Ihr Roman »Die letzte Welle« gewann 2022 den Krimiwettbewerb von SAGA Egmont.

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eBook-Neuausgabe September 2023

Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2022 unter dem Originaltitel »Svallvåg« bei SAGA Egmont, Kopenhagen.

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2022 by Cecilia Sjögren, SAGA Egmont.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2023 SAGA Egmont.

Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ys)

ISBN 978-3-98690-827-0

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Cecilia Sjögren

Die letzte Welle

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen von Christine Heinzius

dotbooks.

Prolog

Mallorca einen Monat zuvor

Irgendwie hatte sie wohl geahnt, dass es passieren würde. Dass die Wahrheit herauskäme und Dunkelheit verbreiten würde. Trotzdem hatte sie ihre Lüge gelebt – was niemand wissen durfte.

Die dichten Jahresringe des Lebens hatten ihr Geheimnis verborgen. Ein verräterisches Gefühl der Sicherheit. Sein Besuch gestern hatte alles verändert.

Señora Orjeda drückte die Zigarette direkt auf der Fensterbank aus und zog den fleckigen Malerkittel fester um ihren dünnen Körper. Unruhig spähte sie aus dem Fenster in den Garten. Hinter der selbst gebauten Trockenmauer voller Bougainvillea breiteten Pinien ihre riesigen Kronen aus. Stolze, gerade Bäume, die die schicke Aveguida de Rossegada einrahmten. Ein krasser Gegensatz zu den kauernden Krüppelkiefern ihrer Kindheit.

Der Gedanke an Zuhause ließ ihre Hand zittern. Ihre Finger glitten mechanisch durch das graue Haar, in dem Reste einer rotgoldenen Farbe vom Schöpfungsmorgen erzählten. Ihr Blick irrte umher.

Auf der anderen Seite lag das Mittelmeer und wogte im Frühlingsabend. Die Luft satt von Salz und Pinien. Sie liebte es, hier zu stehen und das zu betrachten, was ihr ein und alles geworden war. Zitrus- und Mandelbäume in der Mitte des Gartens, Hibiskus und Lavendel, die über die Kalksteinkante der Beete wucherten. Die weiße Villa mit ihrem geräumigen Patio, in der sie heute die Fensterläden zum Gewölbe hin geschlossen hatte, um die Hitze draußen zu halten.

Señora Orjeda unterdrückte ein Gähnen. Sie war heute früh aufgestanden. Schon bevor die Sonne ihre Strahlen über den zackigen Kamm des Tramuntanagebirges geschickt hatte. Schlaflos hatte sie sich in die Türöffnung des Patios gestellt, um zu warten. Denn sie hatte sich entschieden zu bleiben, endlich alles zu erzählen. Wenn es überhaupt eine Entscheidung war, denn sie sah keinen anderen Ausweg.

Jetzt wurde es Abend, und er war immer noch nicht gekommen. Vielleicht hatte er seine Meinung geändert?

Señora Orjeda ließ den Blick zur Straße schweifen. Das Viertel lag ganz verlassen in seiner umwerfenden Schönheit.

Heute hatte sie die Nachbarn gar nicht gesehen. Vielleicht hatten sie sich vor der Hitze verzogen oder vielleicht waren sie einfach nicht da. Wohlhabende Ausländer, die nach Hause verschwanden, wenn die Hitze und die Touristen die Insel übernahmen. Eine Möglichkeit, dem auszuweichen, was ihnen nicht gefiel.

Nicht einmal Sergio, der ihr mit allem Praktischen im Haus half, hatte sich heute blicken lassen. Er hatte versprochen, die Mauer im Patio heute ganz freizulegen, aber offensichtlich war ihm etwas dazwischengekommen.

Verdammte Spanier, dachte sie.

Denn trotz ihrer sechzig Jahre auf der Insel fiel es ihr immer noch schwer, zu begreifen, dass eine abgesprochene Uhrzeit kein Versprechen war. Sie hätte seine Anwesenheit heute als Ablenkung gebraucht, um die Nervosität zu dämpfen, die sie nun innerlich auffraß. Langsam strich sie mit der Hand über das abgegriffene, von Ruß und dem Leben selbst ganz verfleckte Wachstuchheft. Darin stand die Geschichte, die sie heute erzählen wollte, wenn er kam.

Behutsam legte sie das Heft auf den alten Beistelltisch am Fenster. Die dünnen Finger folgten dem Mosaik auf der Tischplatte, Azurblau auf sandfarbener Terrakotta. Eine halbvolle Cavaflasche stand auf dem Tisch, deren Etikett sie dieses Jahr mit einem ihrer Werke hatte schmücken dürfen. Regionaler Wein, regionale Künstlerin. Der krönende Abschluss einer beeindruckenden Produktion. Mit 85 Jahren konnte sie sich immer noch finanziell mit ihrer Malerei über Wasser halten. Doch das, was sie heute Morgen gemalt hatte, würde sich nicht verkaufen lassen.

Mit zitternden Händen hatte sie die Farbe über die weiß gekalkte Wand fließen lassen. Für Uneingeweihte ein Plagiat eines der Größten der Insel: Miró. Für denjenigen, der verstand – ein angsterfüllter Ausdruck des Unterdrückten, von dem sie geglaubt hatte, sie hätte es nur mit den Toten und dem Meer geteilt.

Erreicht man jemals einen Punkt, an dem man das Recht hat, wieder zu leben, fragte sie sich. An dem das, was man aus seinem Leben verbannt hat, als Bezahlung gilt? Vielleicht war es trotz allem möglich, überlegte sie weiter und ließ den Blick noch einmal über die Nachbarschaft streifen.

Auf der anderen Straßenseite flankierten gepflegte Beete den Weg zu den verschiedenen Bauten des Hotels Bendinat.

Ein leises Motorengeräusch hörte man von der Straße. Langsam, aber sicher wurde es lauter. Sie hielt den Atem an. Das Mittelmeer lag wie eine Fata Morgana in der zitternden Hitze. Der Duft des Lavendels wurde immer schwerer.

Das Auto hielt am Tor. Der Motor lief weiter. Das anhaltende Geräusch drang durchs Fenster. Señora Orjeda trat einen Schritt näher und stieß dabei die Flasche auf dem Tisch um. Die Bläschen des Cava schäumten auf dem Stein. Er floss weiter und machte das Heft nass. Erschrocken hob sie es hoch und trocknete das Wachstuch am Malerkittel.

Der Sekt floss weiter über die Tischkante und tropfte auf den Steinboden, zu ihren Füßen bildete er eine kleine Pfütze. Ein Duft nach Birne und Zitrone erfüllte den Patio.

Durch das Fenster sah sie, wie das Auto auf den Hotelparkplatz gegenüber fuhr. Der Motor wurde ausgeschaltet. Er, auf den sie den ganzen Tag gewartet hatte, stieg aus und blieb auf dem Parkplatz stehen, den wässrigen Blick auf das Gebäude geheftet. Mit einer verärgerten Bewegung strich er sich das Haar aus der Stirn.

In der Ferne, am Horizont, sank die Sonne in die Stille des Meeres.

Señora Orjeda umklammerte das Heft. Die Wahrheit war ihr immer zu schwierig gewesen. Der Weg der Lüge war so viel leichter. Es hätte so weitergehen können, wäre er nicht gekommen. Schon jetzt machte die bevorstehende Lüge ihren Mund trocken. Ihr Besucher lenkte den Blick zur Straße und ging auf das Haus zu. Sie verfolgte seine Bewegungen durch das Tor und über den ordentlich geharkten Weg. Der Garten ruhte still im Sonnenuntergang.

Er klopfte an die Tür.

Señora Orjeda stand wie festgewachsen im Cava. Der Mut verließ sie, und sie konnte die Tür nicht öffnen.

Es klopfte noch einmal und der Riegel klackte. Im schwachen Licht des Patios sah sie ihn die Türschwelle überschreiten.

»Hallo? Bist du zu Hause?« Sein Blick fiel auf die Wandmalerei von heute Morgen.

Sie schluckte. »Du bist also zurückgekommen«, sagte sie. Schweiß floss aus ihren Achseln den Malerkittel entlang.

Er drehte sich um. »Ja, so hatten wir es ja beschlossen.«

»So hatten wir es beschlossen«, wiederholte sie.

Es lag ein Schatten auf seinem Gesicht.

»Komm, setzen wir uns in den Salon und trinken Kaffee«, sagte sie mit leicht zittriger Stimme.

»Nein danke.« Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.

»Es ist eine lange Geschichte«, begann sie zögernd. »Die kann man nicht mal eben erzählen.«

»Ich bin nicht gekommen, um mir deine Lügen anzuhören.« Er trat einen Schritt näher.

»Wieso bist du dann gekommen?«, fragte sie und umklammerte das Heft.

»Um dich vor Angst gelähmt zu sehen.«

»Du bist gekommen, um das Glas zu leeren?«

»Nenn es wie du willst.«

Sie machte einen Schritt zurück und erkannte zu spät, dass sie sich dadurch den Fluchtweg abschnitt. Hinter ihr lag die weiß gekalkte Mauer, dick und undurchdringlich.

»Hast du wirklich geglaubt, dass du davonkommst?«, fragte er, und ihr fiel auf, dass er zum ersten Mal lächelte.

»Es muss eine Zeit geben, in der Vergebung möglich ist«, sagte sie. Die Angst stieg in ihre Brust.

»Zeit.« Er schnaubte. »Das Einzige, das die Zeit bei dieser Geschichte geleistet hat, ist, dass du dummdreist geworden bist. Du hast Spuren hinterlassen. Deine Sphäre wurde zu eng. Keine Überraschung, denn du hast immer mehr gewollt, als das Leben dir bot.«

»Du weißt nichts über mich«, sagte sie unsicher. Die Stimme klang fremd.

»Mehr, als du glaubst«, erwiderte er. »Deine Werke verbreiten sich durch die Touristen. In unserer Zeit kann man sich vor niemandem verstecken. Ein Bild von Mallorca hängt plötzlich an einer Wand in Roslagen. Das Versteckte und Vergessene erwacht zum Leben.«

Roslagen. Vor ihrem inneren Auge sah sie die dichten Kronen der Kiefern. Sah sich selbst durchs Gestrüpp laufen, in die vermoderte Schwärze des Waldes hinein.

Sie war weitergelaufen, ohne sich umzusehen. Denn sie wusste, dass sie durch einen Blick zurück weich würde. Die Angst pochte in ihren Schläfen, in einem anderen Takt als ihr Puls.

Büsche und Sträucher hatten ihr Arme und Beine zerkratzt. Die Handtasche presste sie fest an den Körper. Darin befanden sich die Tickets, der Schlüssel zu ihrem neuen Leben. Das Schreckliche tief im Meer begraben.

All die Jahre hatte sie sich eingeredet, dass es so gewesen war. Bis die Briefe kamen. Sie hätte damals viel kraftvoller handeln sollen, das erkannte sie jetzt.

Durch die Erinnerung verließ sie alle Stärke. Aus der Angst war eine unüberwindliche Müdigkeit geworden. Sie war es müde, alle an der Nase herumzuführen. Eine verbitterte Lügnerin mit einer Lebensgeschichte aus lauter Geheimnissen und Leerräumen.

»Hast du je an das gedacht, was du hinter dir gelassen hast?«, fragte er und trat einen Schritt näher.

»Jeden Tag«, sagte sie. »Du hast keine Ahnung.«

»Trotzdem hast du nichts dagegen getan?«

»Nein«, flüsterte sie und faltete die zitternden Hände. Mit schwacher, eintöniger Stimme betete sie den Rosenkranz:

»Herr erbarme dich. Christus erbarme dich. Herr erbarme dich. Christus höre uns. Christus erhöre uns ...«

»Für Gebete ist es etwas zu spät«, unterbrach er. »Du kannst nicht länger vor der Wahrheit fliehen. Die Vergangenheit wurde zum Leben erweckt.«

Ihr Blick ging zur kurzen Seite des Patios, dorthin, wo Sergio die ursprüngliche Mauer freigelegt hatte. Ihr Körper zuckte.

»Es wohnen keine Geister in den Wänden«, flüsterte sie. Genauso sehr, um sich selbst zu überzeugen, wie ihn. »Das ist nur ein alter, spanischer Aberglaube.«

»Mag sein. Und doch lassen dich die Toten nachts schlecht schlafen, oder?«

Ein Schweißtropfen fiel von seiner Stirn. Ihre Blicke trafen sich erneut, und da sah sie es, das Absolute in seinen Augen. Eine Sturheit, die man nur bei jemandem findet, der bereit ist, zu töten. Mit unheimlicher Klarheit erinnerte sie sich, wann sie sie das letzte Mal gesehen hatte.

Das Sichtfeld wurde enger, in ihren Ohren ein Rauschen, aber noch etwas anderes. Irgendwo, weit weg in der Ferne, ein Motorengeräusch. Ein wohlbekanntes Stottern.

Sergios alter Ford, vorn und hinten nach unvorsichtigen Parkmanövern völlig verbeult. Eine Hoffnung regte sich, aber wurde genauso schnell erstickt. Aus dem Augenwinkel sah sie das erhobene Messer. Sergio käme zu spät.

Sie spürte den Schmerz des Messerstichs. Einer, zwei, dann entschwebte sie. Ein Tunnel, Dunkelheit. Ein langsam ansteigendes Lachen, dem Wahnsinn nahe. Eine morbide Freude darüber, keine Angst mehr haben zu müssen, weil bald sowieso alles vorbei war.

Sie sah ihren Körper von oben und den Mann, der durch die Tür des Patios verschwand.

Stille.

Dann änderte sich die Szene. Sergio war da, und sie sah wehmütig, wie er sich über sie beugte. Er hob ihren Kopf an, küsste ihre Stirn.

»Wer hat Ihnen das angetan?«, flüsterte er.

Seine Bestürzung erfüllte sie erneut mit dem Drang, erzählen zu wollen, wie es war. Eine Sekunde lang verließ sie ihren Platz da oben und kam in seinen Schoß, spürte, wie er sie streichelte und seine Tränen auf ihrer Haut.

»Señora Orjeda, wer?«, schniefte er.

Mit ihren letzten Kräften flüsterte sie in sein Ohr. Sah die Schärfe in seinem Blick, wie er versuchte, die einzelnen Fragmente, die über ihre Lippen kamen, zusammenzusetzen.

»Qué?«

Sie lächelte ihn ein letztes Mal an. Morgen würde er die Mauer wieder zumauern, und alles wäre wieder wie üblich. Die Wellen würden sich im Meer erheben und auf die zerklüfteten Klippen schlagen. Die Tauben würden wie immer die Kühle in den Kronen der Pinien suchen.

Die Angst verließ endlich ihre Schultern, und sie ließ los. Ließ sich vom sanft wehenden Wind über das glatte Meer führen.

Kapitel 1

Tore Lindahl schlug verschlafen die Augen auf und strich über den grauen Haarkranz. Licht fiel schwach durch die kleinen Löcher im Gewebe des Rollos, scharfe Lichtpunkte auf dem dunkelblauen Boden. Die Standuhr im Wohnzimmer schlug. Reglos lag er im Bett und lauschte. Ein Geräusch außerhalb des Traums hatte ihn geweckt. Da war er sich sicher.

Er wachte jeden Morgen genau zur selben Zeit, kurz bevor die Standuhr sechs Mal schlug, auf. Er lag still und sah das erste Licht des Morgens aus dem Nebenzimmer in den Flur fallen. Erneut lauschte er. In der Wohnung herrschte absolute Stille.

Beschwerlich setzte Tore sich auf. Das Bett knarrte unter seinem Gewicht, als er sich nach der kleinen Lampe auf dem Nachttisch streckte, etwas ungeschickt, so dass der Radiowecker zu Boden fiel. Die neonfarbenen Ziffern blinkten ärgerlich in der Dunkelheit. 04:30 Uhr. Irritiert stützte er sich mit der gesunden Hand an der Bettkante ab. Stand auf verschlafenen Beinen auf und griff nach der Krücke. Um ihn herum Dunkelheit.

Man sollte mit fünfundsiebzig nicht in einem Altenheim wohnen, dachte er und schickte seiner Tochter Anna einen bösen Gedanken. Es war egal, dass Ömheten ein schönes Heim war, das zentral in Norrtälje lag. Er wollte nach Hause, in sein Haus auf Singö.

Details

Seiten
Erscheinungsform
eBook-Ausgabe
Jahr
2023
ISBN (eBook)
9783986908270
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (September)
Schlagworte
Kriminalroman Skandinavien-Spannung Schweden-Thriller Nordic-Noir Krimi Lina Bengtsdotter Kristina Ohlsson The Good Nurse Camilla Läckberg Neuerscheinung eBooks
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Titel: Die letzte Welle