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Mord in Göteborg: So kalt die Nacht

Schweden-Thriller

©2023 731 Seiten

Zusammenfassung

Du kannst dich nicht vor ihm verstecken: Der packende Schweden-Thriller »Mord in Göteborg« von Peter Gissy jetzt als eBook bei dotbooks.

Zwei Kinder finden die Leiche einer jungen Frau. Ihr nackter Körper wurde akribisch gereinigt und nichts deutet auf den möglichen Täter hin. Die einzige Spur ist die abgerissene Hälfte einer Spielkarte. Die Göteborger Polizei zieht die forensische Psychologin Michelle Mohlin zum Fall hinzu. Die Ex-Polizistin, die sich auch in einem Frauenhaus engagiert, soll ein Täterprofil erstellen. Nur widerwillig lässt Michelle sich auf die Zusammenarbeit ein, denn die Zeit bei der Polizei hat tiefe Spuren bei ihr hinterlassen. Als eine weitere junge Frau vermisst wird, rückt der Fall in den Fokus der Öffentlichkeit. Michelle und das Ermittlerteam beschließen, die mediale Aufmerksamkeit zu nutzen und den Täter aus der Reserve zu locken. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Michelle muss sich nicht nur einem gefährlichen Mörder, sondern auch den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit stellen.

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Skandi-Thriller »Titel« von Autor. Das Hörbuch und die Printausgabe sind bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Kinder finden die Leiche einer jungen Frau. Ihr Körper wurde akribisch gereinigt und nichts deutet auf den möglichen Täter hin. Die einzige Spur ist die abgerissene Hälfte einer Spielkarte. Die Göteborger Polizei zieht die forensische Psychologin und Ex-Polizistin Michelle Mohlin zum Fall hinzu, sie soll ein Täterprofil erstellen. Nur widerwillig lässt Michelle sich auf die Zusammenarbeit ein, denn die Zeit bei der Polizei hat tiefe Spuren bei ihr hinterlassen. Doch dann wird eine weitere Frau vermisst, und schon bald überschlagen sich die Ereignisse. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem Michelle sich nicht nur einem gefährlichen Mörder stellen muss, sondern auch den Dämonen ihrer Vergangenheit.

»Mord in Göteborg« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über den Autor:

Peter Gissy ist freier Journalist, Übersetzer und Autor von Krimis und Kinderbüchern. Er gilt als Mentor von Camilla Läckberg und hat einen festen Platz auf den Leselisten der schwedischen Krimi-Fans.

Die Website des Autors: petergissy.se/

Bei dotbooks erscheint sein Thriller »Mord in Göteborg: So kalt die Nacht« als eBook.

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eBook-Ausgabe September 2023

Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2021 unter dem Originaltitel »Nøglen En avgörande ledtråd« bei SAGA Egmont, Kopenhagen.

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2021 by Peter Gissy

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2023 by Peter Gissy und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/matho

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-947-5

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Peter Gissy

Mord in Göteborg: So kalt die Nacht

Schweden-Thriller

Aus dem Schwedischen von Ricarda Essrich

dotbooks.

Prolog

Zunächst hielten die Jungen den schwarzen Plastiksack für nichts Besonderes. Da schaute etwas Merkwürdiges aus dem Gebüsch heraus, zur Hälfte von großen Zweigen verdeckt. Wahrscheinlich hätten sie den Sack gar nicht bemerkt, so unscheinbar, wie er dort in der schmalen Senke lag, wenn es in der Nacht zuvor nicht anhaltend geregnet und gestürmt und der Herbststurm nicht überall Löcher in die dichte Vegetation gerissen hätte. Dieser Teil des Waldes außerhalb von Olofstorp war sehr wild und beinahe undurchdringlich, und kaum jemand kannte ihn. Es gab wenige Wege, nur Reifenspuren von Forstmaschinen, die sich einige Jahre zuvor den Weg durch das Gelände gebahnt hatten. Der nächste größere Weg war geschottert und lag gut und gerne zehn Minuten von hier entfernt.

Ted, zehn Jahre alt, nahm an, dass jemand Müll im Wald entsorgt hatte. Sein erster Impuls war, weiterzufahren. Was kümmerte ihn ein hässlicher Sack, wenn sie gerade so viel Spaß mit ihren Mountainbikes hatten? Er hatte schließlich nichts damit zu tun, wenn jemand hier einfach etwas weggeworfen hatte.

Doch dann entdeckte auch sein großer Bruder Glenn den Sack.

Glenn sprang von seinem Bike, hockte sich hin und hob einen längeren Zweig auf. Vorsichtig tippte er damit den Sack an, als hätte er Angst, es könnte plötzlich ein wildes Tier daraus hervorspringen. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und drückte ein Loch ins Plastik. Etwas Helles schimmerte hindurch. Etwas Haariges. Doch ein Tier?

Was war das?

Entschlossen steckte er den Zweig in das Loch und vergrößerte es.

Die Jungen schnappten überrascht nach Luft.

Ein Gesicht.

Das Gesicht einer Frau.

Sie lag regungslos da und schien sie durch das Loch anzusehen. Die Augen waren halb geschlossen und sahen merkwürdig glanzlos aus. Ted konnte einen Schrei nicht unterdrücken.

Es gab keinen Zweifel, dass die Frau nicht mehr lebte, dennoch sagte Glenn: »H-hallo?«

Keine Antwort.

Sie sahen einander an, erschrocken und ängstlich.

Den Trip in den Wald hatten sie ohne Wissen ihrer Eltern unternommen. Der Wald war ein gefährlicher Spielplatz, das hatten sie unzählige Male zu hören bekommen, und dort durften sie sich nicht allein aufhalten. Trotzdem zog es sie mit ihren Bikes fast immer dorthin. In dem urwüchsigen Gelände gab es massenhaft spannende Trails zu entdecken. Gebüsch und Bäume wechselten sich ab. Sie spielten doch nur, sonst nichts. Sie traten gegeneinander an, beide gleichermaßen begierig darauf, der Beste zu sein.

Die tote Frau hatte das Spiel jäh beendet.

Der zwölfjährige Glenn packte seinen kleinen Bruder am Arm. »Wir müssen die Polizei rufen.«

Ted nickte stumm.

Glenn hatte bereits die Nummer gewählt und das Handy am Ohr. Er wusste, was zu tun war: Vor einem halben Jahr hatte seine Mutter den Notruf gewählt, als die Großmutter der Jungen zu Hause in ihrer Wohnung plötzlich das Bewusstsein verloren hatte. Die Notrufzentrale meldete sich sofort. Die Frau am anderen Ende der Leitung stellte ihre Fragen, auf die Glenn antwortete, so gut er konnte. Zwischendurch musste er ein paar Mal tief durchatmen, um sprechen zu können. Nein, es war kein Scherz. Ja, er war sicher, dass sie tot war. Nein, sie würden nichts anfassen, sondern auf die Polizei warten.

»Wo seid ihr?«, fragte die Person in seinem Ohr.

Er sagte es ihr. »Hinter Gråbo«, ergänzte er und räusperte sich, als seine Stimme zu brechen drohte.

»Wie fühlst du dich, Glenn?«

»Ganz gut.« Doch er sagte es sehr zögerlich, und sie musste die Angst in seiner Stimme gehört haben.

»Geht ein paar Schritte zur Seite und wartet auf uns, okay? Tut gar nichts. Das ist wichtig. Achte darauf, dass dein Handy an ist, damit wir dich eventuell zurückrufen können. Außerdem orten die Einsatzkräfte dich anhand der Koordinaten deines Handys. Hast du verstanden?«

»Ja«, sagte Glenn.

Einen Moment später legte er auf. Seine Beine und Hände zitterten, seine Kehle fühlte sich rau und trocken an.

»Komm«, sagte er zu Ted und wies auf ein paar größere Steine. »Wir setzen uns dorthin. Die Polizei ist unterwegs …«

Sein kleiner Bruder ging vor. Doch plötzlich blieb er stehen und übergab sich an Ort und Stelle. Die Tränen rannen ihm übers Gesicht, während er schniefte, und er wischte sich ungeschickt über die Wangen, verteilte dabei schwarzen Dreck in seinem Gesicht. »Tut mir leid«, sagte er. »Das ist so eklig ...«

»Beruhige dich«, sagte Glenn und warf einen Blick zurück zu dem Sack. »Du musst keine Angst haben«, sagte er an seinen Bruder gerichtet, meinte aber auch sich selbst damit: Er wusste, dass er stark sein musste. Er würde auch seine Mutter anrufen müssen, sie musste hiervon erfahren. Aber nicht sofort. Erst musste er sich sammeln. Er hatte ein komisches Gefühl in der Brust. Und sein Hals fühlte sich zugeschnürt an.

Die Tote war offensichtlich ermordet worden.

Jemand hatte sie getötet und in den Sack gesteckt.

Das war schwer zu begreifen.

Vor Kurzem hatte er im Fernsehen einen Film gesehen, in dem jemand ermordet und in einen Graben geworfen worden war. Jetzt fühlte es sich beinahe so an, als wäre er in diesem Film gelandet.

Da hatte sich der Mörder mit einer blutigen Axt hinter einer Scheune versteckt und alle beobachtet, die vorbeigingen.

Als Glenn plötzlich aufging, dass sich jemand in der Nähe befinden könnte – vielleicht der Mörder, genau wie in dem Film –, blickte er sich mit klopfendem Herzen um. Die sich wiegenden Äste um sie herum sahen aus wie lange, spitze Arme; Arme, die sich nach Ted und ihm auszustrecken schienen.

Teil I

DIE JÄGER VERSAMMELN SICH

Kapitel 1

Nach der Trauerfeier begab sich Michelle Mohlin auf direktem Weg ins Freie. Über ihr läuteten die Glocken der Kapelle, klangen gleichzeitig düster und tröstlich.

Durch die Sonnenbrille betrachtete sie die Trauernden, die sich auf dem gekiesten Platz vor der Kapelle versammelten. Im Gebäude war es kühl gewesen, sie hatte in ihrer Lederjacke gefröstelt. Wie erwartet, waren nicht viele zur Beerdigung gekommen. Jörgens Mutter war natürlich da, bleich und still, ebenso wie seine Schwester mit ihrem Mann, der wegen seiner rheumatischen Erkrankung am Stock ging und aussah wie ein alter britischer Oberst. Außerdem eine Handvoll weitere Trauergäste, die sie nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte.

Sie selbst hatte sich als Letzte in die Kapelle geschlichen und ganz nach hinten gesetzt. Allein, so weit weg von den anderen wie möglich, in die letzte Bank, nahe dem Ausgang.

Sie war nicht zum Sarg vorgegangen.

Dort verlief die Grenze.

Es war eine recht schlichte Veranstaltung gewesen.

Mit Ausnahme der Mutter hatte eigentlich niemand Trauer gezeigt.

Auch sie nicht.

Eigentlich hatte sie sich sogar über die innere Kälte gewundert, die sie empfand, denn die Jahre mit Jörgen waren ‒ wenn sie ehrlich war ‒ nicht nur schlecht gewesen.

Der Pfarrer, jung und enthusiastisch, hatte sein Bestes gegeben, um die richtige Stimmung zu erzeugen, und von der »letzten Reise einer verlorenen Seele« gesprochen, als er neben dem Sarg am Fuß der Kanzel stand. Es lagen einige Kränze davor, jedoch so wenige, dass es beinahe mickrig aussah.

Michelle fragte sich, ob Jörgen gerne als »verloren« bezeichnet worden wäre. Sie bezweifelte es.

Doch das spielte nun keine Rolle mehr.

Lange war sie sich nicht sicher gewesen, ob es sinnvoll war, zur Beerdigung zu gehen, doch sie bereute es nicht. Nun konnte sie endlich einen Schlusspunkt hinter das Leben mit ihm setzen.

Sie atmete tief durch und zog ihr Halstuch enger.

Gut, dass es vorbei war.

Das Krächzen einer Krähe riss sie aus ihren Gedanken. Sie flog in Richtung der hohen Birken davon, die sich ein Stück entfernt über die Grabsteine erhoben, flog eine elegante Kurve, bevor sie sich im Gras niederließ und ein paar Mal mit den Schwanzfedern wippte. Sie schien sie beinahe herausfordernd anzusehen: als wolle sie klarmachen, dass das Leben weiterging wie bisher, trotz allem.

Michelle konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie hatte ja recht.

Sie schob die Sonnenbrille zurecht. Eigentlich war es zu dieser Jahreszeit zu dunkel dafür, aber sie wollte nicht, dass jemand sie erkannte.

Die letzten sieben Jahre hatte sie darauf verwendet, ihre Erinnerungen an Jörgen zu verdrängen. Er war wirklich ein Mistkerl gewesen und hätte ihrer Meinung nach überhaupt keine Beerdigung bekommen sollen. Ihn in ein Loch im Boden zu werfen und unter Mist zu begraben, hätte völlig ausgereicht.

Sie hatte seinen Nachnamen behalten, doch das war auch schon alles, was von ihm in ihrem Leben übrig geblieben war. Als die Scheidung durch war, hatte sie einen Container bestellt und all seine Sachen darin entsorgt. Kleidung, Möbel, Teppiche, das Bücherregal aus Teakholz, das er von seinen verstorbenen Großeltern geerbt und mit dem er immer so geprahlt hatte. All das war zum Recyclinghof in Högsbo gegangen. Natürlich hatte er sich aufgeregt, als er davon erfahren hatte, aber für sie war es die reinste Befreiung gewesen. All das alte Zeug musste raus! Zeit für etwas Neues. Und da hatten er und seine Sachen keinen Platz. Mit jeder Minute, die verging, verlor sein Verrat an Bedeutung. Und eines Tages, das hatte sie sich geschworen, würde sie ihren Mädchennamen wieder annehmen. Bald würde es so weit sein.

Unter den Bäumen war es idyllisch, und in der frischen Luft ließ der Druck in ihrem Inneren mit jedem Schritt nach. Es war schön, das Ganze endlich hinter sich lassen zu können. Michelle drehte um und wandte sich in Richtung Parkplatz.

Sie würde Jörgen nicht vermissen, nicht eine Sekunde. Niemand würde ihn vermissen.

Doch insgeheim wusste sie, dass sie sich selbst etwas vormachte. Sie würde das, was geschehen war, nie ganz hinter sich lassen können. Die Vergangenheit war noch da, die guten und die schlechten Zeiten, auch wenn die Konturen mit den Jahren verblassen würden.

Wie so häufig zog es beim Gehen in ihrer Schulter. Manchmal wirkten die Schmerzmittel nicht richtig. Vielleicht trug auch die feuchte Kälte zu dem hartnäckigen Schmerz bei?

Allmählich wurden die fahlen Sonnenstrahlen von den Nachmittagsschatten ersetzt; der Abend war nicht mehr fern. Das Dezemberwetter war unzuverlässig, es änderte sich ständig. Wie schon in den letzten Tagen lag Regen in der Luft. Doch Schnee hatte es bisher noch keinen gegeben.

Sie kramte in ihrer Jackentasche nach den Autoschlüsseln und ging auf den Parkplatz zu.

Da vernahm sie hinter sich Schritte auf dem Kies.

Jemand näherte sich.

»Michelle?«

Sie erkannte die Stimme sofort.

Nach kurzem Zögern drehte sie sich um.

Åsa Kaspersson sah im Großen und Ganzen noch so aus, wie sie sie in Erinnerung hatte, wenn auch ein wenig älter. Mit immer noch recht kräftigem Oberkörper. Es war ungewohnt, sie so herausgeputzt zu sehen, mit dunklem Mantel und Rock. Aschblondes gelocktes Haar, das über den Kragen herabfiel. Die Augen wie immer wachsam, abschätzend. Der Blick einer Polizistin. Über einer Schulter hing ein grüner Rucksack, ein sportliches Modell, das in dieser Situation deplatziert wirkte.

Åsa streckte die Hand aus, und Michelle ergriff sie zögerlich.

»Ich muss mit dir sprechen«, sagte Åsa ohne Umschweife. »Beruflich«, fügte sie hinzu.

»Aha.«

»Wir sind da an einer Sache dran … und ich glaube, du kannst uns dabei helfen.«

Michelle wusste sofort, worum es ging. Nein. Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen.

»Nein, danke«, antwortete sie bestimmt.

Doch Åsa ließ nicht locker. »Können wir uns irgendwo hinsetzen? Vielleicht einen Kaffee trinken?«

»Ich habe keine Zeit«, log Michelle ungeniert. Was sollte es zu besprechen geben? Sie hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen, und zwar aus Gründen, die Åsa und ihre Kollegen sehr gut kannten.

Åsa breitete resigniert die Arme aus und musterte sie plötzlich mit gerunzelter Stirn, als ob sie versuchte, ihren Geisteszustand zu beurteilen. »Wie geht es dir?«

Michelle konnte ihre Gedanken nicht verbergen. »Sorgst du dich um meine Gesundheit?«

»Tut mir leid, das war nicht so gemeint. Das ist ein bisschen seltsam rübergekommen, aber … na ja, du weißt schon. Unter diesen Umständen.«

»Es geht mir besser als damals bei der Polizei, falls du das meinst, und das soll auch so bleiben.«

»Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen. Ich kenne deine Haltung, aber …« Åsa verlor den Faden und setzte noch einmal an. »Kannst du es dir nicht noch einmal überlegen? Ich meine … ich brauche dich wirklich.« Sie hielt inne. Offenbar fiel es ihr schwer, auszudrücken, was sie wollte.

Michelle entschied, etwas entgegenkommender zu sein. »Geht es um das Übliche?«

»Ja.«

»Ich habe das hinter mir gelassen, Åsa.«

»Das verstehe ich.«

Michelle hatte Åsa in der Kapelle nicht gesehen. Sie wusste nicht, welches Verhältnis sie zu Jörgen gehabt hatte. Hatten sie einander gekannt? Sie sah demonstrativ auf die Uhr. »Tut mir leid, aber ich muss los.«

Åsa gab nicht auf. »Was machst du inzwischen?«

»Ich arbeite. Es gibt ein Leben außerhalb der Polizei.«

»Du hättest nie gehen sollen.«

»Das sehen einige anders. Das hat Spuren hinterlassen«, sagte sie mit einer schiefen Grimasse. »Auch wenn die Jahre vergehen.« Das klang dramatischer als beabsichtigt.

»Verstehe. Ich habe mehrmals versucht, dich zu erreichen, aber du gehst nicht an dein Handy. Sogar über die Telefonzentrale der Universität habe ich es versucht. Hat man dich nicht informiert, dass ich dich gesucht habe?«

Michelle schüttelte den Kopf. »Nein.« Es war nicht das erste Mal, dass die Telefonzentrale ihren Aufgaben nicht nachkam. »Ich hatte ziemlich viel zu tun«, fügte sie hinzu.

»Ich bin davon ausgegangen, dass du zur Beerdigung kommen würdest, und habe hier mein Glück versucht. Tut mir leid.« Åsa sah verlegen aus. »Es geht um Folgendes: Ich leite ein neues Ermittlungsteam. Ich möchte interdisziplinär arbeiten und ich möchte dich dabeihaben. Dich. Niemand anderen.«

In einiger Entfernung fuhr ein Polizeifahrzeug langsam heran, es hielt am Straßenrand, und der Polizist hinterm Steuer winkte durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe vorsichtig in ihre Richtung. Åsa nickte ihm zu, dann nahm sie den Rucksack ab und streckte ihn Michelle entgegen.

»Hier. Das habe ich für dich vorbereitet. Ich bitte dich, dir das Material anzusehen.«

»Du gibst nicht auf, oder?«

»Ich weiß, was du kannst.«

Ihre Blicke verhakten sich ineinander.

»Du kennst meine Antwort.«

»Ich brauche dich, Michelle.«

Åsa Kaspersson war eine der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei in Göteborg, über die Michelle nichts Negatives sagen konnte. Es war eine Weile her, seit sie das Handtuch geworfen hatte. Es war eine heftige Zeit gewesen, und sie hatte sich geschworen, sich nie wieder in Polizeiarbeit hineinziehen zu lassen. Nicht nach allem, was passiert war. Andererseits hatte sie manchmal einige ihrer Aufgaben vermisst.

»Falls ich dabei bin …« Sie betonte das Wort falls.

Åsa hob die Hand und unterbrach sie. Ihr Blick war jetzt anders, strenger. »Ein junges Mädchen verschwindet eines Abends plötzlich. Niemand hat etwas gesehen, niemand hat etwas gehört, niemand weiß etwas. Ein paar Jungen finden sie ermordet auf, geschändet. Nackt. In einem Sack im Wald entsorgt wie irgendein abgenutzter Gebrauchsgegenstand. Vom Täter keine Spur. Er verhöhnt uns, Michelle. Ich versuche, die Ermittlungen zu beschleunigen.« Sie zögerte. »Im Rucksack findest du alles, was du brauchst. Schau dir das Material an. Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Mörder wieder zuschlagen könnte.« Jetzt klang sie beinahe flehend. »Du weißt, dass ich dich nicht bitten würde, wenn es nicht wichtig für uns wäre?«

»Es gibt auch andere.«

»Niemanden wie dich. Du siehst, was andere nicht sehen.«

Michelle spürte, dass ihre Abwehr bröckelte. Hätte Åsa versucht, sie anzurufen, wäre es vergeblich gewesen: Sie ging eigentlich nie ran, wenn sie die Nummer nicht kannte.

»Hast du das mit dem Chef geklärt?«, fragte sie.

Details

Seiten
Erscheinungsform
eBook-Ausgabe
Jahr
2023
ISBN (eBook)
9783986909475
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (September)
Schlagworte
Kriminalroman Thriller Schweden Krimi Skandinavien Thriller Johanna Mo Anders de la Motte Tove Alsterdal Lina Bengtsdotter A. K. Turner eBook
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Titel: Mord in Göteborg: So kalt die Nacht