Lade Inhalt...

Männer, Mondschein und Amore

Roman

©2015 157 Seiten

Zusammenfassung

Eine turbulente Komödie, süß wie Eis und belebend wie ein doppelter Espresso: »Männer, Mondschein und Amore« von Tina Grube als eBook bei dotbooks.

Das darf doch wohl nicht wahr sein! Die Großeltern: glücklich verheiratet. Die Eltern: glücklich verheiratet. Die Geschwister: nun, man kann es sich denken ... Nur eine schlägt aus der Art: Josefine verschenkt ihr Herz allzu oft an Männer, die das eindeutig nicht verdient haben. Der aktuelle Traumprinz schickt sie immerhin nicht in die Wüste, sondern nach Italien – im Auftrag ihres smarten Chefredakteurs soll Josefine eine Reportage über das Luxushotel »Splendido« schreiben. Doch das malerische Portofino hält jede Menge Überraschungen für sie bereit. Und bei Mondschein und italienischen Männern kann Amore doch wirklich nicht länger auf sich warten lassen … oder?

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Tina Grubes rasanter Liebesroman »Männer, Mondschein und Amore« steckt voller Sommerfeeling – ein Lesevergnügen für die Fans der Bestsellerautorinnen Gabriella Engelmann und Susanne Fröhlich. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1
Eine Pille zum Entlieben, bitte

Es ist wirklich dringend: Ich, Josefine Saunders, muss mich entlieben! Und zwar möglichst jetzt, sofort, auf der Stelle!

»Bist du noch bei uns, Jo?« Leichter Spott liegt in der Stimme des Chefredakteurs.

Mist, ich hab doch tatsächlich gerade geträumt. Hat er mich etwas gefragt? Was mache ich jetzt? Am besten einen Angriff nach vorn.

»Natürlich, wo soll ich denn sonst sein, Dominik? Oder bin ich plötzlich unsichtbar?«, antworte ich.

Kichern bei den Kollegen, Stimmung bei der Redaktionskonferenz, das ist doch mal was Nettes. Der eine oder andere hatte sich nicht ausreichend Kaffee zugeführt und zeigte noch gewisse Anzeichen von Morgenmüdigkeit. Jetzt sind wenigstens alle anständig wach!

»Hm, also, noch einmal: Was verstehst du von der Liebe?«, fragt Dominik.

Ich falle bestimmt gleich in Ohnmacht. Hundertprozentig. Hoffentlich schwinden mir die Sinne nicht so undekorativ, dass man nur noch das Weiße von meinen Augen sieht. Hat er gerade LIEBE gesagt? Das Objekt meiner heimlichen Begierde fragt mich vor versammelter Mannschaft nach der LIEBE? Mich?

Vielleicht sollte ich mit dem Entlieben vorsichtshalber doch noch einen Tag warten.

»Von der Liebe? Eine Menge!«, behaupte ich mal.

Er guckt mich direkt an. Das ist er. Der Blick, der seit sieben Monaten, drei Tagen und fünf Stunden die ganze Redaktion verrückt macht. Die Hälfte aller Mitarbeiter des renommierten Magazins SPOTLIGHT ist glühend in diesen neuen Chefredakteur verknallt, das schließt die Verheirateten ebenso ein wie die Singles, die Blutjungen ebenso wie die schon lange Ergrauten, und es betrifft Frauen und Männer in fast gleichen Teilen. Ob Putzfrau, Layouter, Fotografin, Redakteur, Ressortleiterin oder Praktikant, die Luft flirrt vor lauter Hormonausschüttungen. Der Einzige, der kürzer werdende Röcke, modische Hemden mit Taillenabnähern, Botox geglättete Gesichtsteile und den Anstieg gefärbter Haare nicht bemerkt, ist ER: Dominik. Ein Erfolgsmensch mit Bilderbuchkarriere. Vom Volontär hat er sich bis zum Chefsessel hochgearbeitet und ein sterbendes Nachrichten-Magazin mit Kultcharakter in das auflagenstärkste der Republik verwandelt. Nun ist er hier bei uns gelandet und krempelt den ganzen Laden anständig um. SPOTLIGHT schreibt zwar schwarze Zahlen, aber die Verlagsleitung ist der Meinung, unser Magazin hätte das Potenzial zu einer weit höheren Auflage, zu weit mehr Werbekunden, zu weit mehr klingender Münze in der Kasse. Und Dominik soll’s richten. Ja, was für ein Boss: Scheinbar mühelos präsentiert er uns täglich neue Gedanken und Konzepte, bewertet blitzschnell unsere Ideen, fällt Entscheidungen, die von Angstfreiheit und Innovationsdrang zeugen, und überrascht uns mit Herausforderungen, die wir annehmen, weil wir unbedingt Teil seines Teams sein wollen. Wir lauschen seiner wunderbaren Stimme, mit der er genauso gut Fernsehmoderator hätte werden können. Wir mustern ihn verstohlen, wenn er lässig beim Reden auf und ab läuft. Wir starren auf seine schönen Hände, wenn er nachdenklich mit einem Bleistift spielt. Wir fühlen uns wohl in unserem neuen Konferenzraum, der nun weiß und lila gestrichen ist – Lila übrigens zur Förderung unserer Kreativität. Wir mögen den neuen weißen Tisch mit den Chrombeinen lieber als den wurmbefallenen Holztisch der Vergangenheit, und wir schauen alle bewundernd auf das Riesenbild des amerikanischen Künstlers James Rosenquist, das er gegen das morbide Landschaftsgemälde eines unbekannten Malers hat austauschen lassen, weil er der Meinung ist, Pop-Art regt an – das finden wir nun auch. Und wir alle, inklusive der älteren Damen in der Buchhaltung, haben auf seine Anordnung hin allen Nippes von unseren Schreibtischen entfernt, inklusive vertrockneter Blumentöpfe, Schneekugeln mit Weihnachtsmännern, Schüsselchen mit Gummibärchen und Fotos unserer Lieben. Wir erliegen seiner Intelligenz, wir erliegen seinem Charme, wir erliegen seinem Lächeln, wir erliegen seinem Lachen, wir lieben ihn einfach alle!

Supermann Dominik schaut mich nach wie vor abwartend an. Offenbar wartet er auf weitere Erklärungen meinerseits zum Thema Liebe. Kann er haben, schließlich kenne ich mich als Kultur-Redakteurin aus. In der Kultur wimmelt es nur so von Liebe, wahrscheinlich gäbe es gar keine Kultur ohne Liebe, Begierde, Leidenschaft, Liebschaften und Affären, aber auch nicht ohne Liebeskummer, Eifersucht und Betrug.

»Romeo und Julia vom guten alten Shakespeare, Pretty Woman mit Julia Roberts und Richard Gere, Meryl Streep und Clint Eastwood in Die Brücken am Fluss ...«

»Ich meine die reale Liebe, nicht die im Theater oder im Kino.« Dominik lässt nicht locker.

Reale Liebe? Das fragt er mich? Wenn ich die Liebe im Griff hätte, würde ich ja wohl nicht jede Nacht mit einem Plüschtier im Arm einschlafen müssen. Was sag ich nur? Mein Hirn arbeitet fieberhaft. Ich drücke meine Finger, die ineinander verhakt sind.

»Da ist er ja wieder, der gordische Knoten.« Dominik grinst, einige der anderen auch.

Schnell schüttle ich meine verkrampften Finger.

»Bei mir ist das, na ja, also es ist – genetisch!«, sage ich das Erstbeste, das mir gerade in den Sinn kommt. War das gerade meine Stimme? Laut und etwas hysterisch?

»Dein Fingerkneten ist genetisch?«, fragt der Kollege zu meiner Rechten erstaunt.

»Quatsch, der Bezug zur Liebe. Wir haben Liebes-Gene in der Familie!«

Neugierig und offensichtlich belustigt schaut Dominik mich an. Er lehnt sich zurück. Schweigend. Dieses amüsierte Funkeln in seinen Augen, als wäre er der große schwarze Kater, der gerade beginnt, genüsslich mit einem winzigen Mäuschen zu spielen.

Also ich sag lieber nichts mehr. Und jetzt hätte ich gern endlich die kleine Ohnmacht, ehrlich!

»Liebes-Gene, sehr interessant«, er nickt mir schließlich zu. »Wenn das so ist, kannst du schon mal deine Koffer packen, denn du wirst eine Woche lang Recherchen über prominente Liebespaare machen.«

Moment, denke ich. Liebe hin, Liebe her, jetzt muss ich erst mal meine Berufsehre verteidigen.

»Klatschgeschichten? Nein, nicht mit mir! Ich bin eine seriöse Journalistin und Filmkritikerin, ich schnüffle nicht hinter Promis her!«

»Es geht hier nicht ums Schnüffeln. Ich brauche einen gut recherchierten Aufmacher für unseren Themenschwerpunkt im August: Der große Liebessommer! Ich möchte Gefühle, Infos über ein paar Urlaubsflirts, eine Hochzeit, Geschichten über Liebespaare von gestern, heute und übermorgen, einfach alles, was der Ort, an den ich dich schicke, hergibt.«

So, so, er schickt mich. Der Kater lässt das Mäuschen tanzen, und wenn es mit seinen kleinen Füßchen nicht den Takt trifft, dann wird das Mäuseköpfchen wahrscheinlich gnadenlos abgebissen.

»Wir haben jetzt Anfang Juni und Schulferien«, erklärt Dominik weiter, »die Redaktion ist nur zu zwei Dritteln besetzt, so dass jeder seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden muss. Für dich mit deinen ...«, er lässt sich das Wort genüsslich auf der Zunge zergehen, »Liebes-Genen ist das doch kein Problem, oder?«

Wieder kichern ein paar Kollegen. Böse schaue ich Dominik an. Gerade hasse ich ihn ein bisschen, das ist doch eigentlich gut fürs Entlieben, oder?

»Wo soll ich denn hin? Venedig mit Gondelromantik? Las Vegas für Schnellentschlossene? Oder gibt’s ein Kaff am Ende der Welt mit Sternenregen für Astrofans?«

Jetzt lacht er und zeigt seine gepflegten Zähne. Für einen Moment bleibt mein Blick daran hängen. Warum muss der Mann auch noch Zähne haben, mit denen er als Model für Zahnpasta oder Gebiss-Bleichmittel der Marke Weiß-Weißer-am-Weißesten auftreten könnte?

Er beugt sich vor und schiebt mir einen Stapel Papiere über den Tisch. »Portofino heißt der Zauberort«, erklärt er.

»Portofino«, wiederhole ich. Hab ich das schon mal gehört?

»Portofino mit seinem Luxushotel Splendido

Klingelt da etwas in mir? Ja, ich vernehme ein Hochfrequenz-Tönchen. Hoffentlich ist das nicht der Beginn eines Hörsturzes mit nervigen Ohrgeräuschen. Dann werde ich endgültig wahnsinnig!

Ein kurzes Klopfen an der Tür des Konferenzraums und herein schaut eine Frau mit strahlendem Lächeln und blondem Haar.

»Oh, bin ich zu früh?«

Dominik springt auf. »Nein, nein, wir sind gerade fertig!«

Kollektiv mustern wir alle die junge Frau, die einen eher unauffällig, die anderen unverhohlen. Die Blondine ist langbeinig und langmähnig, wahrscheinlich sogar naturblond, verdammt, und sie strahlt, als würde die Sonne höchstpersönlich irgendwo in ihrem Inneren wohnen.

Ich schaue rüber zur Kollegin aus der Moderedaktion, die sogar fast empört aussieht, kein Wunder, gut gekleidet ist das blonde Gift auch noch: schicke schwarze Sandalen mit kleinem Plateau, schwingendes hellblaues Sommerkleid, sicher aus Seide, große Designer-Handtasche, genauer gesagt, eine Birkin von Hermès – alles tipptopp. Der Sportchef scheint als Einziger begeistert zu sein, dieser Verräter, während die Politik-Redakteurin einen sorgenvollen Gesichtsausdruck annimmt, der Wirtschafts-Ressortleiter eher missmutig dreinschaut und die weiblichen Mitglieder der Abteilung News entweder mit hochgezogenen Augenbrauen aufwarten oder die Stirn derart in Falten legen, dass man staunt, wozu Haut so fähig ist.

»Okay, Schluss für heute, Herrschaften«, sagt Dominik, weil so überhaupt keiner Anstalten macht, den Raum zu verlassen. Widerwillig erheben wir uns alle, mir fällt fast zufällig mein Kugelschreiber runter und kullert aus meinem Blickfeld, so dass ich noch eine halbe Minute rausschinde, weil eine Journalistin ja ihren Kugelschreiber braucht und ich deshalb erst einmal unter den Tisch krieche. Als ich mit hochrotem Kopf wieder auftauche, spüre ich Dominiks Blick. Er schaut nicht böse, eher neutral. Vielleicht störe ich ja gar nicht so richtig. Stören kann man nur die Intimsphäre, oder? Und diese Schönheit hier kann ja alles Mögliche sein. Vielleicht bewirbt sie sich als Telefonistin. Nein, eher unwahrscheinlich, dafür ist die Handtasche zu teuer. Oder, ja, das wird es sein: Sie ist seine Schwester! Die kleine Schwester, die mal kurz in das Büro des großen Bruders hineinschneit an diesem wunderbaren Tag. Wenn nicht die Schwester, dann ist sie sicher die viel zu junge Frau seines Vaters, klar, die Stiefmutter der Neuzeit – jung und schön, geldgierig und verschlagen und vor allem zickig, wenn es um die lieben Stiefkinder geht. Und Dominik macht nur gute Miene zum bösen Spiel. Das ist doch eine ganz wunderbare Szene, ich sag’s ja immer, das Leben schreibt die besten Filme, das werde ich eines Tages in ein Drehbuch einarbeiten, weil ich zum Filmeschreiben quasi geboren bin!

»Ich bin so schrecklich aufgeregt«, sagt die böse Stiefmutter mit Glücksglucksen in der Stimme zu Dominik.

»Bald ist es so weit«, sagt Dominik und lächelt die Blondine an. Die beiden schauen sich in die Augen.

Mist, so guckt keine fiese Stiefmama, und so guckt auch kein entnervter Stiefsohn, und wenn ich noch länger mit den beiden Turteltauben in einem Zimmer bleibe, bekomme ich Probleme mit meiner Magensäure, die sich bereits auf den Weg nach oben begibt und mir die nächsten Stunden mit Sodbrennen zur Hölle machen könnte. Hocherhobenen Hauptes nehme ich also meine Portofino-Unterlagen, halte mich weiterhin an meinem Kugelschreiber fest und räume das Feld. Kaum draußen, lasse ich allerdings den Kopf hängen. Ich gehe zurück in mein Büro und versuche, nicht weiter an Blondie und meinen Chef zu denken.

***

Portofino, Portofino.

Ja, jetzt hab ich’s! Da waren Mama und Papa auf ihrer Hochzeitsreise. In diesem Traumhotel Splendido, allerdings nur für drei Tage, mehr war nicht drin. Das muss schon immer wahnsinnig teuer gewesen sein. Dafür hält die Ehe seit über dreißig Jahren. Ebenso die Ehe meiner vier Tanten und zwei Onkel mütterlicherseits, meiner drei Onkel väterlicherseits und in der Generation davor die Ehen aller Großeltern und aller Urgroßeltern samt Großtanten und Großonkeln und Urgroßtanten und Urgroßonkeln. Unser Stammbaum kann sich sehen lassen, jawohl, der trägt auch keine zum Unglück verführenden Äpfel wie der Baum im Paradies, sondern er zeigt nur glückliche Gesichter. Bei uns gab’s noch nie eine Trennung und schon gar keine Scheidung. In unserer Familie liebt man sich, und zwar anständig und für immer und ewig!

Vorausgesetzt natürlich, man findet die große Liebe. Verliebt zu sein habe ich schon oft geschafft. Zum Beispiel in Stefan, den findigen Anwalt, der plötzlich feststellte, dass er nur bei Rothaarigen so richtig in Fahrt kam. Da ich aber keine Anstalten machte, mir zum Färben Henna aufs Haupt zu packen oder dauerhaft mit flammend rotem Schopf herumzulaufen, den ein Friseur regelmäßig mit Chemie zaubern müsste, war das mit Stefan schnell vorbei. Total verknallt war ich auch in Jürgen, den Trainer mit dem traumhaften Waschbrettbauch. Irgendwann hatte ich mir mit seiner Hilfe sogar muskulöse Oberarme erarbeitet, bei denen die Männer erblassten, aber auf Dauer waren Eisen-Stemmen und Liegestütze unsere einzigen Gemeinsamkeiten. Danach kam Vladimir, der Musiker, dessen wahre Geliebte die Musik war. Ihn habe ich eines Tages seinem Klavier und seinem heißgeliebten Beethoven überlassen. Ha, und verlobt war ich auch schon. Fast jedenfalls ... Alles sah so gut aus mit Max und mir. Wir konnten so gut zusammen lachen und feiern und ernst sein und reisen und faulenzen und überhaupt. Perfekt bis zu dem Tag, an dem Max sich ein Herz fasste, mir seine Liebe erklärte und mir einen Ring in einer kleinen reizenden Schmuckschatulle aus dunkelrotem Samt unter die Nase hielt. Das hat mir den Schreck meines Lebens eingejagt – und ich habe mal wieder die Finger ineinander verknotet, bis ich sie gar nicht mehr auseinanderbekommen habe, schon gar nicht, um den Ring zu nehmen. Sprechen konnte ich auch nicht mehr, ein Ja wäre wohl die von ihm erwartete Antwort gewesen. Stattdessen rauschte mir der Kopf, und ich dachte nur, das ist er doch noch gar nicht, der Richtige, der Einzige! Diesen Gedanken konnte er wohl in meinem Gesicht lesen und hat nur schief gelächelt. Dann hat er die kleine Schmuckschatulle wieder eingesteckt und ist gegangen. Das habe ich total vermasselt, da war ich schuld, aber es war besser, als mit wehendem Schleier vom Altar wegzurennen, wohlwissend, dass da draußen mein Traummann ist und gefunden werden will.

Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass ich Trägerin dieses sagenhaften Liebes-Gens bin, allerdings ist es bei mir eben noch … inaktiv. Es schlummert, es bereitet sich vor, es hat eben seinen ganz eigenen Zeitplan.

Gedankenverloren trete ich zum Fenster und schaue hinaus. Das blonde Sonnenwunder steigt gerade in Dominiks Cabriolet. Während er das Auto startet, streichelt sie ihm verspielt den Nacken. Nun fahren sie los. Ihre Mähne weht wie eine goldene Fahne des Triumphes hinter ihnen her.

Mir wird schlecht. Jetzt gewinnt die Magensäure doch noch.

Genau das habe ich gebraucht: ein eindeutiges Bild, eine weibliche Schönheit an seiner Seite, einen optisch klaren Beweis für das völlig Unmögliche. Der perfekte Schock, das funktioniert wie ein Schlag mit dem Holzhammer auf den dummen, verknallten Kopf – ja, das hilft besser als jede Langzeittherapie.

Jo, entlieb dich jetzt!

Und mach einfach deine Arbeit! Ein Interview, das ich mit einem berühmten englischen Regisseur geführt habe, will übersetzt werden. Außerdem muss ich seinen unglaublich guten Film vorstellen. Man munkelt, der Streifen wäre Material für einen Oscar. Der Regisseur war zwar schräg, aber derart mit seinem Filmstoff verbunden und während meines Interviews so emotional beim Beschreiben der Geschichte, dass wir beide fast in Tränen ausgebrochen wären. Es geht um Feindschaften und einen Bandenkrieg und das Auseinanderbrechen einer Familie, alles aus dem Blickwinkel eines kleinen Jungen erzählt. Solche Themen machen mich immer völlig fertig. Aber ich muss zugeben, ich weine gerne im Kino. Wozu hat man schließlich Tränen? Ich weine gern Glückstränen, und die Tränen der Trauer müssen ebenfalls fließen, das ist meine Philosophie. Ja, Tränen transportieren unsere Gefühle nach außen, und das ist wichtig, denn wenn alle Gefühle im Körper bleiben, dann erstickt man doch daran. Ich hole schon mal die Box mit den Taschentüchern aus der Schublade und schalte den Recorder ein, mit dem ich das Interview aufgenommen habe.

***

Ein paar Tage später sehe ich die Blondine wieder über den Korridor auf Dominiks Büro zulaufen. Anette aus dem Business-Ressort hat inzwischen herausgefunden, dass die Blondine einen klangvollen Namen trägt: Nadine. Natürlich, wie sollte sie auch sonst heißen? Das ist keine Erna, keine Frieda, keine schlichte Sabine oder schüchterne Marion und schon gar keine altmodische Hannelore, sondern eben eine Nadine! Auch Sally aus der Anzeigenabteilung war investigativ tätig und hat ermittelt, dass Nadine einen Deutschen Schäferhund und einen Sibirischen Husky besitzt. Die Frau hat einen Hang zu großen Tieren, das ist klar! Hätte ich einen Hund, dann sicher eine total verrückte Promenadenmischung, nicht klein, nicht groß, nicht reinrassig, nicht elegant und schon gar nicht mit einer Wahnsinnsaugenfarbe. Ich wette, Nadine und der Husky haben die gleichen strahlenden blauen Augen und bei jedem Spaziergang im Park einen ganzen Fanclub, der ihnen folgt. Gabriele, unsere Mode-Chefin, kennt Nadine als PR-Frau des berühmten Modedesigners Pietro Pantani. Und Fred aus dem Gesellschafts-Ressort sagt, es gäbe einige Fotos von Nadine auf Mode-Partys und Fashion-Veranstaltungen. Auch auf Wohltätigkeits-Galas lässt sie sich sehen, weil sie aus einer sehr vermögenden Familie stammt, die Hilfsorganisationen für arme Kinder unterstützt. Keines der Fotos in der Bildredaktion allerdings zeigt sie zusammen mit einem Mann, der ihr Partner sein könnte. Es scheint, so haben die Fotografen Fred berichtet, dass sie großen Wert darauf legt, auf Fotos nur mit Kollegen, Familie oder anderen Frauen abgelichtet zu werden. Ihr Liebesleben soll anscheinend geheim bleiben. Klar, das gäbe einen Aufmarsch, wenn unser berühmter intelligenter Chef eines intellektuellen Gegenwarts-Magazins plötzlich in allen schnöden Tabloid-Gazetten auftauchen würde.

Ich sehe Nadine also hinterher und beäuge kritisch ihren Gang. Links, rechts, links, rechts, gleichmäßige Schritte, als hätte sie ein Metronom verschluckt, dazu ein leichter Hüftschwung, jede Bewegung sitzt und würde jedem Laufstegtrainer frenetische Schreie des Entzückens entlocken.

Jetzt brauche ich noch dringender ein Entliebungsmittel, ich will alle Verliebtheitsblasen in meinem verwirrten Hirn zerplatzen lassen. Warum gibt es so etwas bloß nicht? Die Pharmaindustrie könnte sich echt mal etwas einfallen lassen, ich bin doch wahrlich nicht der einzige Mensch auf unserem Blauen Planeten, der solche Pillen dringend nötig hätte.

Trotz aller Widrigkeiten gelingt es mir, mich einigermaßen professionell auf meinen Portofino-Trip vorzubereiten. Ich klicke mich durchs Internet und lese alles, was ich über das sagenumwobene Hotel Splendido finden kann.

Splendido. Wie das schon klingt! Da ist Licht drin und glitzerndes Meer und duftende Blütenpracht und Mondschein und alles andere, was mein sentimentales Herz zum Schnellerschlagen bringt.

Gut gerüstet und innerlich voll auf Charme-Abwehr eingestellt, begebe ich mich zum letzten Briefing-Gespräch zu Dominik. Nadine scheint wieder gegangen zu sein, und das ist auch gut so.

»Wir brauchen keine Landschaftsbeschreibungen ausufernder Art«, sagt er.

»Oh, ich dachte, ich könnte mich mal so richtig in Zypressenromantik mit der einen oder anderen Palme als i-Tüpfelchen suhlen«, gebe ich zurück.

Er verzieht das Gesicht, als hätte er auf etwas wirklich Saures gebissen. »Das fehlte gerade noch. Nein, konzentriere dich auf die Menschen. Schreib einen Teil in Retrospektive über die Liebespaare der Vergangenheit, halte dich aber dabei kurz. Wir haben im Archiv Fotos der Promis, die in diesem Jahr schon im Splendido waren oder zumindest in Portofino an Land gegangen sind: Rihanna, Jay-Z, Beyoncé, Steven Spielberg, Denzel Washington – mach einfach eine Auswahl. Viele reisen mit Yachten an, damit sie totale Privatsphäre haben. Und schau dich um, wer jetzt dort so herumläuft. Je aktueller das Ganze, desto besser. Ach, und übrigens, du solltest bitte deine Garderobe sorgfältig planen, ja?«

»Bekomme ich jetzt auch noch Kleidervorschriften?«, platzt es aus mir heraus. Typisch, Josefine, nur weiter so! Ein Moment weiblicher Schwäche, weil ich mich bevormundet fühle, und schon zicke ich meinen Chef an. Unsicher schaue ich erst auf den Boden und dann wieder vorsichtig zu ihm hoch.

Dominik lehnt sich in seinem Sessel zurück und grinst. »Nichts liegt mir ferner, ich wollte dir wirklich nicht zu nahetreten oder deine Kleidung kritisieren. Aber das Splendido ist eines der elegantesten Hotels in Europa.«

Elegant, ja, schon klar. Das genaue Gegenteil von mir. Ich schaue ihn forschend an, sehe ich da Ironie? Nein, er lächelt freundlich, ein bisschen besorgt vielleicht, in jedem Fall sehe ich ausgerechnet jetzt das Grübchen an seinem Mundwinkel, das mich immer total fertigmacht.

»Hast du dich schon um deine Unterkunft gekümmert?« fragt er.

»Ja, unten im Ort ist eine kleine Pension, da war noch etwas frei.«

Er schüttelt den Kopf und lacht. »Das ist zwar klasse, dass du unser Budget nicht strapazieren willst, aber es ist besser, wenn du im Splendido wohnst. Sag Gesa beim Hinausgehen Bescheid, dass sie dir dort ein Zimmer buchen soll.«

Wahnsinn! Josefinchen im Splendido! Jubel! Freude! Wenn ich das meiner Mama erzähle. Noch mehr Jubel! Und noch mehr Freude!

»Am Ende deiner Arbeitswoche dort wird übrigens eine große Hochzeit im Hotel gefeiert«, erklärt Dominik. »Wir werden organisieren, dass du dabei bist. Damit deine Liebes-Gene, so nanntest du es doch, sich wohl fühlen. Zumindest an dem Tag solltest du dich festlich kleiden. Nur so als kleiner Ratschlag.«

Er kann es nicht lassen! Glaubt er etwa, ich würde normalerweise in Turnschuhen auf Hochzeiten herumspringen?

»Solange ich keine Blumen streuen muss«, murmle ich und stehe auf. »Sonst noch etwas?«

»Melde dich bitte regelmäßig und halte mich über deine Recherchen auf dem Laufenden, ja?« Dominik schaut mich entspannt an.

Ich nicke nur und verlasse fluchtartig sein Büro.

Abstand.

Abstand wird mir guttun.

Eine Woche ohne Dominik vor meinen Pupillen – ein weiteres Entliebungshilfsmittel. Ein paar tausend Kilometer zwischen mir und diesem Wunderwerk an männlicher Lässigkeit. Es wäre doch gelacht, wenn das nicht hilft.

***

Eine halbe Stunde später vergeht mir mein freudig erregtes Jubelgefühl, aber total. Vollbepackt mit Unterlagen und meinem Laptop renne ich in den Fahrstuhl, in dem ausgerechnet Nadine steht. Sie hat einen Ordner aus der Beauty-Redaktion in der Hand. Ah, sie bekommt bereits Spezial-Tipps, wofür auch immer. Wenn ich es nicht so eilig hätte, würde ich dort gleich mal nachfragen gehen, was Nadine so getrieben hat. Vielleicht hat sie sich nach den neuesten Methoden zur Faltenbekämpfung erkundigt. Nein, nicht nötig, dieses Wesen ist auch noch faltenlos. Sie lächelt mir zu, während sich schon die Türen des Fahrstuhls schließen.

Ich lächle kurz zurück, so viel Anstand muss sein, und betrachte nun ihr Spiegelbild in der reflektierenden Aufzugtür. Sie hat hübsche, hellrosa lackierte Fußnägel, die heute in flachen, goldenen Sandalen stecken. Wenn Dominik schon perfekt ist, dann setzt sie echt noch einen obendrauf. In solchen Sandalen hätte ich von den dünnen Riemchen schon überall Blasen und offene, brennende Hautstellen. Die Füße und Zehen von Miss Makellos allerdings sehen aus wie gemalt, sind völlig unversehrt und ohne Dellen und Hornhaut. Diese Frau bekommt in ihrem Leben bestimmt niemals auch nur den Ansatz eines Hühnerauges.

Frustriert gucke ich in die andere Richtung. Die Frau ist das genaue Gegenteil von mir: Sie ist groß und schlank – ich bin eher klein und ein wenig üppig. Sie hat langes, glattes, blondes Haar – meine Haare sind gerade mal mittellang und dunkel und superlockig und widerspenstig, im Grunde nicht zu bändigen. Selbst mit einem Pferdeschwanz kann ich das kaum verbergen, und wenn ich die Haare offen trage, dann habe ich eine Million Korkenzieherlocken, die unkontrolliert in alle Himmelsrichtungen stehen und dabei auch noch wippen, sobald ich mich bewege. Abgesehen davon, ist Mademoiselle Perfektion maßlos anmutig, während ich eher wie jemand wirke, der mit Gummistiefeln regelmäßig im Matsch herumtappt. Ich hab’s eben permanent eilig und renne viel von hier nach dort, da kann die Grazie schon mal auf der Strecke bleiben.

Plötzlich geht ein Ruck durch die Fahrstuhlkabine, und der Aufzug bleibt stehen, wir sind höchstens eine Etage runtergefahren. Wir hängen irgendwo zwischen der fünften und der vierten Etage im Niemandsland, vermute ich mal. Durch die Scheibe der Fahrstuhltür sieht man nichts, nur die nackte graue Betonschachtwand, ein Anblick, auf den ich gern verzichtet hätte.

Ich sage laut das Sch-Wort und drücke sofort hektisch auf alle Tasten, erst vorsichtig, dann schlage ich fast auf die Knöpfe ein. Schließlich kombiniere ich Fluchen und Drücken. Doch außer dass mein Blutdruck steigt und meine Handflächen nass werden, passiert rein gar nichts.

Ruhig beobachtet mich das blonde Wesen und holt ihr Handy aus der Handtasche. Sie wählt eine Nummer, während ich weiterhin die Knöpfe malträtiere.

»Dominik, hier ist Nadine. Stell dir vor, ich stecke im Fahrstuhl in deinem Gebäude fest. Kannst du mal irgendwo Bescheid sagen, bitte?«

Wie kann man nur so ruhig und höflich in dieser gefährlichen Situation sein? Wenn wir mit dem Ding hier nun gleich abstürzen? Vier Stockwerke bis zum Erdgeschoss und noch eins runter bis in den Keller, das sind mindestens zehn Meter, das überleben wir nicht! Oder wenn uns der Sauerstoff ausgeht? Oder wenn das Teil nun auf ewig klemmt und wir verhungern müssen? Oder verdursten, das soll noch unangenehmer sein!

»Alles in Ordnung?«, fragt mich die blonde Nadine.

»Klar!«, antworte ich cool.

Mir bricht der Schweiß aus. Enge Räume sind nichts für mich. Ich mag offene Fenster, weite Plätze, große Zimmer, endlose Strände, die Wüste, den Ozean, aber bestimmt keine Fahrstuhlkabinen, aus denen man nicht herauskommt. Ich glaube, die Luft wird bereits dünner.

»Wir werden bestimmt gleich befreit«, tröstet Nadine mich lächelnd.

Gern würde ich etwas erwidern, aber mein Herz rast, und ich fürchte, dass sich gleich weitere körperliche Symptome einstellen, die die Anwesenheit eines Notarztes mit Sauerstoffgerät erfordern werden. Ich rutsche mit dem Rücken an der Wand des Fahrstuhls auf den Boden und umklammere zitternd meinen Laptop.

Besorgt schaut Nadine auf mich herunter. Meine Kurzatmigkeit ist auch schwer zu überhören, schätze ich, kann es aber nicht richtig beurteilen, weil es in meinen Ohren rauscht. Rauscht, nicht klingelt, also sicher doch kein spontaner Tinnitus, sondern der Beginn von etwas viel, viel Schlimmerem.

Miss Makellos und nun auch noch Miss Angstfrei kniet sich neben mich. »Ich heiße Nadine«, sagt sie. In Ihren Händen hält sie ein Taschentuch und tupft mir liebevoll den Schweiß von der Stirn. Dann öffnet sie auch noch die obersten zwei Knöpfe meiner Bluse – das macht man wohl so bei Herzinfarktkandidaten.

Wenn ich nicht starr vor Angst wäre, würde ich mir die Bluse gern einfach vom Leib reißen, ich brauche Luft zum Atmen, mehr Luft, viel mehr Luft.

»Ich bin Lo«, keuche ich. Habe ich gerade Lo gesagt? Meine Zunge ist offenbar geschwollen und mir beim Sprechen im Weg.

»Du arbeitest bei SPOTLIGHT, oder?«

Kraftlos nicke ich. Ich kann nicht sprechen. Jetzt wird mir schwindlig, ich höre sie nur noch wie durch Watte.

»Ich habe eine Idee«, sagt sie plötzlich und versucht, den Laptop aus der Umklammerung meiner Finger zu befreien. Während ich beginne, unkontrolliert zu wimmern, öffnet sie geschickt den Computer und aktiviert einige Programme.

Nadine sitzt nun mit ausgestreckten Beinen neben mir, den Laptop auf den Knien, und lächelt mir aufmunternd zu.

Auf einmal ertönt ein Lied. Laut, richtig laut.

Wie durch einen Nebel dringt Dancing Queen an mein Ohr. Nadine hat offenbar das Musikprogramm auf meinem Computer gefunden.

»Ich sag immer, man kann nicht verzweifeln, wenn man Abba hört«, erklärt sie und zieht mich näher an sich heran.

Vertrauensvoll lege ich meinen Kopf auf ihre Schulter. Dabei zittere ich wie ein Fahnenmast in einer Orkanböe.

Nadine streicht mir über mein Haar und singt: »You are the dancing queen, young and sweet, only seventeen ...«

Ach ja, wenn ich noch siebzehn wäre, säße ich jetzt nicht in diesem unheilschwangeren Fahrstuhl, sondern brav oder zumindest sicher und trocken in der Schule. Langsam werden meine Ohren wieder frei. Ich höre ihre Stimme, klar und rein, sie trifft zwar nur jeden dritten Ton, aber es klingt trotzdem irgendwie nett.

Sie singt auch noch, als der Fahrstuhl urplötzlich seine Fahrt wieder aufnimmt. Wir gleiten eine Etage nach unten, und die Türen öffnen sich. Ein Mechaniker, der Hausmanager und Dominik – ausgerechnet ER – schauen uns an.

»Kleine Mädelsparty?« Dominik grinst und reicht Nadine die Hand. Während sie aufsteht, raffe ich blitzschnell meinen Kram zusammen, flüstere ein schnelles »Dankeschön« in Nadines Richtung und renne aus dem Gebäude.

Sollen doch alle denken, ich wäre verrückt geworden oder würde vor lauter Lebenslust unter freiem Himmel den Boden küssen wollen, mir ganz egal. Ich bin frei, ich lebe, ich atme, ich muss nicht in einem Fahrstuhl sterben!

***

Meine Knie bleiben wacklig, meine Hände zittern, aber wenigstens kann ich wieder normal sprechen. Das stelle ich fest, als ich im Supermarkt kurz mit der Kassiererin über das Wechselgeld rede. Schnell raffe ich meine spärlichen Einkäufe zusammen und packe sie zu Hause auf den Küchentresen: Es handelt sich um zwei Tüten. Die eine beinhaltet knackiges, hellgrünes Gemüse, genauer gesagt Stangensellerie. Herrlich gesund, nur 15 Kilokalorien pro hundert Gramm. Das ist quasi nichts. Und das ist deshalb wichtig, weil die zweite Tüte eine geballte Ladung Marshmallows enthält. Genauer gesagt 250 Gramm, die haben insgesamt 833 Kilokalorien. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie alle verzehrt habe, denn sie sind beruhigender als Baldrian und besänftigender für meine Seele als Gute-Nacht-Liedchen, sie wirken quasi wie Medizin für mein mehr als aufgewühltes Nervenkostüm.

Noch im Stehen reiße ich gierig die Tüte auf. Dann setze ich mich auf einen Barhocker am Küchentresen. Langsam esse ich ein Marshmallow nach dem anderen. Zuerst ein rosa Marshmallow. Köstlich, weich, federnd gibt es nach, als ich es zwischen Daumen und Zeigefinger halte und betrachte, bevor ich es mir in den Mund schiebe. Genuss hoch zehn, ich bin im Paradies der Kohlenhydrate. Danach folgt ein weißes Marshmallow, dann wieder rosa und so weiter. Ein zartes Schaumzuckerbällchen nach dem anderen landet zwischen meinen Zähnen. Ich kaue und kaue. Zwischendurch beiße ich zum Neutralisieren in eine Selleriestange, die im Kontrast noch bitterer schmeckt als sonst. Ich futtere mich in einen Rausch hinein, Endorphine werden ausgeschüttet, diese wunderbaren Glückshormone, die einen benebeln und alles Negative verblassen lassen. Meine Orgie dauert knapp vierzehn Minuten. Dann habe ich es geschafft: Mein Magen arbeitet verzweifelt gegen die gigantische Schaumzuckermenge an, und mir ist echt schlecht.

Erschöpft lege ich mich aufs Sofa. Auf den Rücken natürlich, weil mein Bauch derzeit keinen Druck verträgt. Also, was ist das nur für eine Misere: Ich bin immer noch in Dominik verliebt, der seinerseits Nadine liebt, die ich nun inzwischen auch noch liebe, weil sie mir das Leben gerettet hat.

Mann o Mann, so viele Pillen gibt’s gar nicht, wie ich sie zum Entlieben brauche!

Kapitel 2
Steckt in jeder Frau eine Mata Hari?

Ich kontrolliere mindestens siebenmal, ob ich meinen Pass auch wirklich eingesteckt habe. Und mein Telefon. Und genug Geld. Und die Sonnenbrille. Und den Computer.

Außerdem zähle ich andauernd bis drei: Meine Handtasche ist Nummer eins, die Reisetasche Nummer zwei, die Arbeitstasche Nummer drei. Nicht auszudenken, wenn eine der drei Taschen auf dem Weg nach Portofino auf der Strecke bliebe. Das kann fix gehen, wie ich aus der Vergangenheit schmerzhaft weiß. Im Taxi zum Flughafen kann man schnell mal was liegenlassen, ebenso nach dem Durchleuchten seines Handgepäcks, außerdem im Wartebereich des Abflug-Gates und natürlich – im Flugzeug. Flugzeuge sind gefräßig, die schlucken Gepäckstücke und spucken sie nur wieder aus, wenn man ganz konzentriert daran denkt.

Also, immer schön eins, zwei, drei.

In der Ankunftshalle von Genua dringen italienische Wortfetzen an mein Ohr. Mama und Papa haben offenbar sehnsüchtig auf ihren Sohnemann Alessandro gewartet, der wird geherzt und geknutscht. Die Mama wiederholt immer wieder voller Inbrunst seinen wunderschönen, klangvollen Namen, unterbrochen nur von ihren Tränen und Küssen. Direkt zu meiner Rechten umarmt sich leidenschaftlich ein junges Liebespaar, nur gestört von einem Hund, der offenbar zu einem von beiden gehört und spielerisch, dabei nachdrücklich bellend, mal in sein, mal in ihr Hosenbein beißt. Plötzlich laufen mir auch noch die fünf Kinder einer deutschen Urlauberfamilie vor die Füße und schubsen sich krakeelend gegenseitig hin und her, bis eines der Mädchen mich rammt und hinfällt, was die Mutter wiederum mehr als laut werden lässt. Mir wird heiß, ich will hier raus! Flughäfen nerven, besonders wenn man nicht abgeholt wird und voller Konzentration auf seine Taschen aufpassen muss.

Doch ich schaffe es! Mit drei Gepäckstücken steige ich in ein Taxi. Dann endlich fällt die Anspannung der Reise von mir ab.

Si, si, der Taxifahrer kennt das Hotel Splendido, und wir fahren los. Raus aus Genua, direkt auf die Küstenstraße. Als ich zum ersten Mal das Meer erblicke, klopft mein Herz schneller. Bella Italia, du zeigst dich in deiner ganzen Schönheit, die Palmen wedeln mir zu, die Zypressen bestechen mit ihrer Grazie, stolz stehen sie da, schlank und hoch aufgerichtet und dunkelgrün, außerdem Olivenbäume überall – das ist gewachsene Kulturlandschaft, das ist Bilderbuch. Schon kommt der erste kleine Ort namens Rapallo, ich glaub es kaum, eine uralte Brücke, ein Relikt der Römer genau über der Straße. Direkt dahinter folgen diese putzigen kleinen Geschäfte: eines mit kunterbunten Fruchtbonbons und hausgemachten Marmeladen, ein anderes mit Zeitschriften, Badelatschen und Plastikeimerchen für den Strand, das nächste mit toll designten Espressomaschinen, blitzblank geputzten Toastern aus Chrom und formschönen Cappuccinotassen. Und noch ein Abschnitt Küstenstraße, überall wunderschöne Häuser mit Fassaden in sanften Erdtönen, umrahmt von knallpinkfarbenen Bougainvillea-Büschen und üppigen, dunkellila schimmernden Bougainvillea-Bäumen.

Im nächsten Ort, Santa Margherita, fahren wir am Yachthafen vorbei. Jeder Italiener scheint zumindest ein kleines Bötchen zu haben. Die sieht man dann nach der Ortsausfahrt überall verteilt wie kleine weiße Taschentücher auf dem Meer schwimmen. Man paddelt, man träumt, man isst Sandwiches, alles auf den Bötchen und Booten und größeren Schiffen oder, wie an dem kleinen Strandabschnitt, den wir jetzt passieren, Handtuch an Handtuch in trauter Eintracht, mit Sonnenschirmchen oder ohne, egal, Hauptsache am oder direkt auf dem Meer.

Da ist es dann auf einmal: ein Schild, auf dem Hotel Splendido steht und auf das zwei zauberhafte Seepferdchen gedruckt sind. Schon die Auffahrt zum Hotel ist unglaublich: Eine schmale Straße wird umsäumt von tropischen Bäumen, Kakteen und blütenreichen Büschen. Das tiefblaue Meer lassen wir weit unter uns zurück und fahren höher und höher bergauf zu dem sagenumwobenen Hotel Splendido, das sich perfekt in die italienische Landschaft schmiegt.

Ich kann es kaum glauben. Nein, das gibt es ja alles gar nicht, jedenfalls normalerweise nicht in meinem Leben, nur im Spielfilm. Das Haus ist umwerfend in seiner Schönheit! Die terracottafarbene Fassade ist von Künstlerhand bemalt, mit dem in dieser Region so oft benutzen Trompe-l’œil-Effekt, der eine optische Illusion entstehen lässt. Im ersten Moment denke ich, alles wäre dreidimensional – einzeln sichtbare Steine und Borten und Stuck-Kanten –, aber beim zweiten Hinsehen merke ich, dass die Verzierungen nur raffiniert gepinselt sind. Dadurch wirkt das Haus noch unwirklicher, wie gerade einem Märchenbuch entsprungen.

Die gesamte Front des Hotels hat Terrassen und Balkons mit üppig rosa blühenden Pflanzen, nein, langweilige Geranien aus dem Großmarkt sind das nicht, sondern etwas Feineres, Exotischeres, das ich benennen kann, sobald ich mein botanisches Wissen aufgefrischt habe. Ich entdecke die Hauptterrasse des Hotels, auf der ich mein Leben verbringen könnte, überall lauschige Ecken, Sesselchen zum Ausruhen, Stühle und Tische zum Essen, dazwischen Zitronenbäumchen und überall üppig rankender Wein.

Ich bin im Hotel Splendido! Luxusleben, verführe mich, umhülle mich und lass mich nie wieder los! Ich bin tatsächlich hier und wunderbarerweise – eins, zwei, drei – auch all mein lebensnotwendiges Gepäck, das mir nun von hilfreichen Händen abgenommen wird.

Vor lauter Begeisterung lächle ich von einem Ohr zum anderen und kriege trotz Sonnenbrille einfach keinen coolen Gesichtsausdruck hin. Klarer Fall von Luxusanfängerin, aber egal! Vielleicht kann ich mir ja auch einfach ein bisschen vornehme Blasiertheit von der einen oder anderen Dame abgucken. Zum Beispiel von den beiden Signoras mittleren Alters, die gerade die Lobby kreuzen. Aha, das trägt man hier also tagsüber: zarte Seidenkaftane, bunt gemustert, der eine sieht aus wie ein Original von Emilio Pucci. Der andere ist mit Perlen bestickt, vielleicht von Roberto Cavalli, in jedem Fall wallend, bodenlang, dazu Plateausandalen von Jimmy Choo oder Christian Louboutin. Solche Marken gehören nicht unbedingt zu meinem Repertoire, aber das ist jetzt vorerst nebensächlich. Glücklich stehe ich vor der Rezeption.

»Buon giorrrrrrrrno«, schmettere ich. Man muss das »R« nämlich anständig rollen, sonst klingt es zu touristisch. Schließlich habe ich vor ein paar Jahren nicht nur einen Anfänger-, sondern gleich auch noch einen Fortgeschrittenenkurs in Italienisch absolviert, weil ich total verrückt nach italienischen Filmen bin. Meine Lieblinge konnte ich dadurch in Originalsprache sehen, und zwar mehrmals und so lange, bis ich wirklich fast alles verstanden hatte: La matrimonia all’italiana von Vittoria de Sica mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni – was für ein schöner Mann. La dolce vita von Federico Fellini – einfach unvergesslich. Roma città aperta von Roberto Rossellini mit der unglaublichen Anna Magnani. La strada, La ciociara und wie sie alle heißen.

Nach meinem perfekt vorgetragenen Willkommensgruß mache ich gleich mal weiter. »Ich bin Josefine Saunders und möchte bitte einchecken!«

»Signorina Saunders?«, fragt der so nett lächelnde Italiener hinter der Rezeption.

»Si!«, bestätige ich und lächle ebenfalls.

Hoffentlich haben die bei SPOTLIGHT nichts mit der Reservierung versaut, dieser Nobelschuppen ist sicher so ausgebucht, dass ich mich im Falle einer verschluderten Buchung wohl höchstens in die letzte Dienstbotenkammer hinein betteln könnte.

»Wunderbar, Signorina Saunders, herzlich willkommen, wir haben Sie bereits erwartet. Wir freuen uns sehr über das Interesse von SPOTLIGHT, wir wissen, dass Ihr Magazin in Deutschland bedeutend und journalistisch ausgesprochen hochwertig ist, das ehrt uns wirklich. Mein Name ist Ettore, ich bin der Concierge und helfe Ihnen gern in allen Angelegenheiten. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an mich, wenn Sie ein Gespräch mit dem Hoteldirektor wünschen oder mit unserem Küchenchef oder mit unserem Veranstaltungsmanager, dann arrangiere ich das alles sehr gern für Sie.«

»Mille grazie!«, antworte ich. Na bitte, das geht doch prima. Gelernt ist gelernt!

Ettore, Ettore, Ettore, denke ich. Josefine, merke dir diesen Namen, du wirst diesen Mann brauchen!

»Bewegen Sie sich ganz frei in unserem Hotel, Signorina Saunders, wir zeigen Ihnen gern alle Details, oder Sie schauen sich selbst um. Nur eine Bitte: Damit sich all unsere Gäste entspannt und privat fühlen, wäre es nett, wenn Sie niemanden im Haus fotografieren.«

»Nein, schon klar, versprochen!« Ich nicke eifrig.

»Ah, da kommt auch gerade Alberto, der Chef unserer Bar. Er möchte Sie gern persönlich begrüßen. Seit über fünfunddreißig Jahren arbeitet er bereits im Splendido und ist hier eine echte Institution«, erklärt Ettore.

Ich drehe mich um. Ein grauhaariger Herr steht vor mir. Würde er keine Kellnerkleidung tragen, hätte ich ihn glatt für einen italienischen Grafen gehalten.

»Buon giorno, Signorina! Auch ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung!«

Alberto betrachtet mich ausgesprochen wohlwollend und beglückt mich mit vollendetem Diener und angedeutetem Handkuss. Wenn das so weitergeht, werde ich mich vielleicht nicht direkt in eine Principessa, aber zumindest in eine Baronessa erster Klasse verwandeln.

***

»Bitte, Signorina Saunders, folgen Sie mir.« Ettore höchstpersönlich läuft gemessenen Schrittes voran.

Ich gehe nicht hinterher, ich wandle.

Hier gibt es keinen ordinären Stein, sondern echten italienischen Marmor in zwei Farben: ein großes weißes Karo, ein großes schwarzes Karo, immer schön im Wechsel. Das erinnert mich doch schwer an den Hüpfdrang meiner Kindertage, da wäre ich auf einem Bein von einem schwarzen Karo zum nächsten gesprungen. So etwas macht die Kultur-Redakteurin von SPOTLIGHT natürlich nicht. Nein, ich bin ganz Dame und schreite mit vollendetem Genuss hinter Ettore her.

Auf Marmorstufen gehen wir in den ersten Stock. Ich sehe hellblau-cremefarben gestrichene Türen und zarte, aquarellierte Blumenranken in Pastelltönen an den Wänden des Korridors. Dann steigen wir noch eine Etage höher in den zweiten Stock, ich wollte ja partout nicht den Fahrstuhl nehmen, und nun keuche ich ein wenig. Ettore weist den Gang entlang. Noch mehr hübsch bemalte Wände und Türen, sanftes Licht dringt aus elegant geschwungenen Wandlampen mit dezenten Porzellanrosen. Und auf antiken Kommoden stehen sommerliche Blumensträuße, die aussehen wie frisch gepflückt.

»Wir haben ein ruhiges Zimmer ausgesucht, Signorina, damit Sie auch ungestört schreiben können. Und wir haben uns erlaubt, Ihnen ein Upgrade zu einer Junior-Suite zu geben, damit Sie ein wenig mehr Platz zur Verfügung haben.«

Wow, Sonderbehandlung für Journalisten. Ja, ich mag es ruhig. Ich bin nämlich ziemlich fertig. Als Kontrast zum anstrengenden Verlagsleben in einer brodelnden Großstadt kann ich jetzt echt mal Natur und Stille vertragen. Außerdem bin ich unglücklich verliebt und soll zu allem Übel über Liebespaare schreiben. Das ist kulturell nicht unbedingt wertvoll, dafür soll es romantisch sein, was mich derzeit eher mit Jammer erfüllt als mit Jubel.

Aber dieses Zimmer versöhnt. Es entschädigt mich für fast alles.

Ich bin in einer anderen Zeit gelandet, irgendwann im letzten Jahrhundert, als man die Wände noch mit Blütenranken verzierte und die Bettpfosten mit der Hand schnitzte. Als noch Wert auf bestickte Seidenkissen und fließende Vorhänge gelegt wurde und kostbare Holzböden mit weichen, handgewebten Teppichen veredelt wurden.

Am liebsten würde ich gleich alles anfassen: die feinen Stoffe, die unter Garantie superweichen, schneeweißen Handtücher im Marmorbad, die hellgelben Rosen auf dem Schreibtisch, das Briefpapier, das dort für mich bereitliegt, und die riesigen, samtigen Pfirsiche in der feinen Porzellanschale – liebe Güte, allein die Pfirsiche sind kleine Wunderwerke der italienischen Natur. Aber ich rühre mich nicht, und sprachlos bin ich gerade auch.

»Äh«, sage ich nur, obwohl ich eigentlich nach einer drahtlosen Internetverbindung fragen wollte. So etwas Profanes gibt es hier vielleicht gar nicht.

»Dort können Sie die Klimaanlage nach Ihren Bedürfnissen regulieren«, erklärt Ettore lächelnd. »Und wenn Sie diese Fernbedienung benutzen, fährt der Fernseher herauf, sehen Sie?«

Stumm nickte ich. Magisch öffnet sich eine Holztruhe, es erscheint ein Flachbildschirm-Fernseher, der nach hiesigen Geschmacksparametern das Zimmer wohl so verschandelt hätte, dass man ihn einfach versteckt.

»Um sich ins Internet einzuloggen, brauchen Sie nur Ihre Zimmernummer als Code einzugeben«, sagt Ettore nun.

»Gott sei Dank!«, sage ich erleichtert.

Googelei und E-Mailerei funktionieren also auch in meinem neuen italienischen Traumdomizil. Tutto perfetto!

Nachdem auch mein Gepäck in mein Zimmer gebracht wurde, packe ich schnell aus und schließe meinen Computer ans Stromnetz an. Das reicht für den Moment an Arbeitsvorbereitung, finde ich und beschließe, das blütenweiß gekachelte Badezimmer zur Erfrischung meines Körpers zu nutzen. Ich inspiziere die große Duschkabine, ja, da steht alles, was eine Frau so braucht: ein Shampoo in einem entzückenden Behälter, der von der Form her an alte Apothekenfläschchen erinnert, daneben ein Conditioner fürs Haar und ein zartgrünes Duschgel, ebenfalls alles in Apothekenfläschchen. Ich dusche genüsslich, das Duschgel riecht ganz wunderbar, irgendwie nach Garten und Italien und Verführung. Auch die Handtücher sind eine Wonne: riesengroß und wahnsinnig flauschig. Solche hätte ich zu Hause auch gern, aber damit warte ich, bis ich eine steinreiche und erfolgreiche Hollywood-Drehbuchautorin bin, weil mein Journalistengehalt nicht unbedingt für die Luxus-Frottee-Abteilung reicht. Die Bodylotion duftet dezent, ich summe ein bisschen, während ich mich eincreme, und reinige dann mein Gesicht mit einer speziellen Lotion, während ich mich im Spiegel mustere. Das ist ja ein ganz toller Trick, dieser Spiegel im Bad hat Glühbirnen drum herum wie in einer Theatergarderobe, sehr klug, denn in solchen Spiegeln hat man keine Falten, keine Pusteln und schon gar keine Poren, nein, meine Haut wirkt strahlend und glatt wie bei Kindern vor der Pubertät, unglaublich!

So, nun werde ich mich noch ein wenig hübsch machen. Ich greife zu meiner weißen Leinenhose, die ich im letzten Sommerschlussverkauf erstanden und noch nie getragen habe. Sie ist herrlich sommerlich und wahnsinnig schick geschnitten, da werden die anderen Damen heute Abend staunen. Dazu wähle ich eine weiße Bluse, wenn das mal nicht frisch und knackig aussieht! Und elegant. Elegant ist hier wichtig! Dominik wäre bestimmt erfreut über mein gepflegtes Outfit. Nicht, dass mir das wichtig wäre. Nein, ich will mich ja entlieben, so zügig wie möglich!

Mein Blick fällt auf einen Zeitschriftenständer. Wenn mich nicht alles täuscht, ist er von dem italienischen Künstler und Interior Designer Piero Fornasetti. Na klar, über ihn und sein Werk hatten wir mal einen tollen Artikel in SPOTLIGHT. Ich greife in den Zeitschriftenständer hinein, es gibt eine Reihe italienischer Hochglanzmagazine, eine Mappe mit dem Menü für den Room-Service, was überlebenswichtig sein könnte, und eine weitere Ledermappe, wahrscheinlich mit dem Spa-Angebot, denn davon hat Ettore geschwärmt.

Vielleicht sollte ich mir mal ein Facial gönnen.

Oder eine anständige Tiefen-Massage von Kopf bis Fuß.

Oder auch ein Ganzkörper-Salzkörner-Peeling, das wäre doch etwas, danach fühlt man sich bestimmt, als hätte man die Haut mit einem Baby getauscht.

Ich klappe voller Vorfreude die Mappe auf. Doch – nanu ... Darin liegt keine Spa-Preisliste, sondern ein ganzer Stapel ausgerissener Zeitungsartikel und ein USB-Stick.

Furto a Portofino, lese ich.

Wer oder was bitte ist noch einmal ein Furto? Das Wort kenne ich doch, verdammt!

Ich schnappe mir mein Handy und öffne die Wörterbuch-App. Furto – Diebstahl, natürlich!

Ein Diebstahl in Portofino. Das Datum des Artikels zeigt, dass dieser Diebstahl vor ungefähr zwei Wochen stattgefunden haben muss.

Aggressione a mano armata, lautet die Schlagzeile des zweiten Artikels. Meine Augen gleiten über die Buchstaben, ich übersetze.

»Bewaffneter Raubüberfall«, sage ich laut in mein zauberhaftes Zimmer hinein.

Ganz langsam lese ich nun den Artikel von Anfang bis Ende. Meine Italienischkenntnisse sind inzwischen ein wenig eingerostet, aber je mehr ich lese, desto leichter fällt es mir. Ich kann einen Großteil verstehen. Ganz offenbar gibt es in Portofino ein Luxusuhren-Geschäft, und das hat es erwischt: Uhren von Rolex, Cartier, Patek Philippe, Baume & Mercier, Breitling, Chopard und vielen anderen haben unrechtmäßig den Besitzer gewechselt. Von Pistolen ist die Rede, von Gesichtsmasken und Motorrädern als Fluchtfahrzeugen.

Tatort Portofino? Unglaublich!

Fast erwarte ich, dass das Obst in der bildschönen Schale auf dem Tisch anfängt zu stöhnen oder dass die gelben Rosen ihre Köpfe sang- und klanglos vor Schreck hängen lassen. Aber nichts geschieht. Nur mein Herz klopft schneller. Mein innerer Sherlock Holmes ist erwacht.

Unschlüssig drehe ich den USB-Stick in meinen Händen hin und her. Wer weiß, was sich in dem Teil verbirgt? Vielleicht etwas sehr Interessantes? Vielleicht aber auch nur etwas Privates, das mich nichts angeht? Vielleicht aber auch etwas Brisantes, das rein journalistisch betrachtet weiter verfolgt werden muss? Vielleicht etwas wirklich Gefährliches? Womöglich bringe ich mich mit dem Ding um Kopf und Kragen oder mitten hinein in Teufels Küche?

Angst kämpft gegen Neugier. Na, explodieren wird der Stick schon nicht gleich. Und sehen kann mich gerade auch niemand.

Die Neugier hat gesiegt! Entschlossen klappe ich meinen Laptop auf und schiebe den geheimnisvollen USB-Stick in den Port. Ein Folder erscheint auf meinem Bildschirm und trägt statt eines Namens nur eine Buchstaben-Kombination: MA.

MA kann natürlich alles heißen. Was gibt es dann da Italienisches? Mamma. Oder Maccheroni. Oder ... es schaudert mich kurz ... Marihuana. Dann geht es vielleicht auch noch um Drogenhandel!

Ich öffne den Folder und finde darin zwei verschiedene Files. Der erste enthält weitere Zeitungsartikel. Alle nach Datum geordnet. Der älteste Artikel ist ungefähr ein Jahr alt, der jüngste gerade mal ein paar Wochen.

In den Artikeln werden Städtenamen genannt: Rapallo, Santa Margherita – durch die beiden Städtchen bin ich gefahren, als ich vom Flughafen kam. Im nächsten Artikel geht es um Genua, das nur eine halbe Stunde von hier entfernt liegt. Weiter geht es mit Nizza und Cannes – aha, die französische Côte d’Azur, auch nicht weit weg. Und Monte Carlo, Hauptstadt von Monaco, dahin braucht man von hier aus höchstens zwei Autostunden.

Ich picke Worte aus den Überschriften der Zeitungsmeldungen und übersetze sie: Das Wort Diebstahl kommt immer wieder vor.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (eBook)
9783958243347
Dateigröße
944 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Liebesroman Humor Roman Feelgood Roman Italien Roman Urlaub Roman Romantische Komödie Petra Hülsmann Gaby Hauptmann Neuerscheinung eBooks
Zurück

Titel: Männer, Mondschein und Amore
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
157 Seiten