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Enwor - Band 5: Das schwarze Schiff

Die Bestseller-Serie

©2015 516 Seiten

Zusammenfassung

Die Schlinge zieht sich zu: „ENWOR – Band 5: Das schwarze Schiff“ von Wolfgang Hohlbein jetzt als eBook bei dotbooks.

ENWOR: Kriegsgeboren und vom Feuer getauft – eine postapokalyptische Welt voller Gefahren.
Endlich liegt die Hexe Vela in Fesseln. Nun gilt es, ihr Schicksal zu entscheiden. Gowenna und die Satai-Krieger Skar und Del brechen auf zum Berg der Götter. Dort soll über die Hexe Gericht gehalten werden. Doch der Freisegler der Helden steuert geradewegs ins Verderben. Das schwarze Schiff versenkt ihr Boot und nur knapp können sich die Helden auf eine riesige Eisinsel retten. Von dort brechen die Gestrandeten ins Ungewisse auf. Denn im Eis lauert nicht nur der Tod durch Auszehrung, sondern auch entsetzliche Kreaturen, die das schwarze Schiff entfesselt hat …

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Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

ENWOR: Kriegsgeboren und vom Feuer getauft – eine postapokalyptische Welt voller Gefahren.

Endlich liegt die Hexe Vela in Fesseln. Nun gilt es, ihr Schicksal zu entscheiden. Gowenna und die Satai-Krieger Skar und Del brechen auf zum Berg der Götter. Dort soll über die Hexe Gericht gehalten werden. Doch der Freisegler der Helden steuert geradewegs ins Verderben. Das schwarze Schiff versenkt ihr Boot und nur knapp können sich die Helden auf eine riesige Eisinsel retten. Von dort brechen die Gestrandeten ins Ungewisse auf. Denn im Eis lauert nicht nur der Tod durch Auszehrung, sondern auch entsetzliche Kreaturen, die das schwarze Schiff entfesselt hat …

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.

Der Autor im Internet: www.hohlbein.de

Bei dotbooks veröffentlichte Wolfgang Hohlbein die Romane FLUCH – SCHIFF DES GRAUENS, DAS NETZ und IM NETZ DER SPINNEN, die ELEMENTIS-Trilogie mit den Einzelbänden FLUT, FEUER UND STURM und die große ENWOR-Saga; eine chronologische Übersicht der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Wie wird es mit den Kriegern Skar und Del weitergehen? Finden Sie es heraus im nächsten Roman der ENWOR-Saga: ENWOR – Band 6: Die Rückkehr der Götter. Eine Leseprobe finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Neuausgabe November 2015

Copyright © der Originalausgabe 1984 bei Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-436-8

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Wolfgang Hohlbein

ENWOR

Band 5: Das schwarze Schiff

Roman

dotbooks.

1. Kapitel

Rayan legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zur Mastspitze empor. Das Gesicht des Freiseglers wirkte blaß und kränklich. Seine Augen waren gerötet und müde; mit tiefen, blauschwarzen Ringen unterlegt und eingefallen, was seinem Aussehen etwas von einer haarlosen fetten Eule verlieh. Die Haut glänzte, wo sie zum Schutz gegen Kälte und Wind mit Fischöl eingerieben war, und seine Bewegungen hatten viel von ihrer Behäbigkeit verloren und waren jetzt unkontrolliert und fahrig; nervös und von der hektischen Art eines Menschen, der am Rande des körperlichen Zusammenbruches stand und sich nur noch mit äußerster Anstrengung auf den Beinen hielt. Er hatte in den vergangenen drei Nächten kaum geschlafen, und die unzähligen Stunden, die er ununterbrochen an Deck gewesen war, begannen ihren Tribut zu fordern. Sein linkes Auge zuckte immer wieder, gleichermaßen nervös wie geblendet vom grellen Licht der Sonne; einer Sonne, die übergroß und strahlend im Zenit stand und Meer und Himmel mit einer Kaskade gelbroter Helligkeit übergoß, als wolle sie der grimmigen Kälte und dem Heulen des Eissturmes Hohn sprechen.

»Nun?«

Skar deutete nach Westen und sah den Freisegler fragend an.

Rayan drehte sich schwerfällig um. Sein linkes Augenlid flackerte noch immer nervös, und unter dem wulstigen Fett seines Doppelkinnes zuckte ein Nerv.

Für einen Moment spiegelte sich das rote Licht der Sonne in seinen Pupillen, was ihm zusammen mit seiner unnatürlich blassen Haut beinahe das Aussehen eines Albinos verlieh. »Nichts«, murmelte er. »Nichts Neues, jedenfalls. Er kommt näher.« Er seufzte, sah noch einmal zu der dickvermummten Gestalt im Mastkorb hinauf und hob die Schultern; eine leere Geste ohne wirkliche Bedeutung, die aber mehr als alle Worte seine Hilflosigkeit ausdrückte.

Skar sah ihn einen Moment lang scharf an, beließ es aber ebenfalls bei einem Achselzucken und fuhr herum, um mit zwei, drei schnellen Schritten zur Reling hinüberzugehen. Seine Bewegungen wirkten steif und ungelenk, als lähme die Kälte seine Muskeln, so daß sie ihm nur noch widerwillig gehorchten. Die zernarbten Planken ächzten unter seinen Füßen, als könnten sie sein Gewicht kaum mehr verkraften und wären müde geworden wie die Männer, die sie tragen mußten. Das Schiff hob und senkte sich in sanftem, unablässigem Auf und Ab, aber selbst diese Bewegung erschien Skar träge und mühsam, und das Knarren, Quietschen und Stöhnen der Takelage schien einen bizarren Gegentakt zum Heulen des Sturmes zu schlagen.

Skar legte erschöpft die Hände auf die Reling, schloß die Augen und gab sich für die Dauer eines Atemzuges ganz der eisigen Kälte und den wütenden Hieben des Windes hin. Der Sturm riß Wasser in gischtenden Schwaden von der Meeresoberfläche empor und schleuderte es gegen das Schiff. Die nadelspitzen Tropfen bissen wie winzige scharfe Zähne in seine Haut, und der Hauch des Salzwassers vermischte sich mit der Kälte und dem fauligen Geruch, der aus der Bilge heraufstieg, zu einem seltsamen, nicht einmal unbedingt unangenehmen Aroma. Hier, nur wenige Fuß über dem schäumenden Meer, spürte man die Kälte besonders schmerzhaft. Skar konnte fühlen, wie sie aus dem vereisten Holz in seine Fingerspitzen kroch, langsam in seinen Armen emporstieg und sich wie ein klammer, lähmender Mantel über seinen ganzen Körper ausbreitete. Die Luft schmeckte nach Metall und brannte bei jedem Atemzug in seiner Kehle, aber der Schmerz und die Kälte vertrieben wenigstens für einen Moment die quälenden Gedanken aus seinem Schädel und schufen eine wohltuende Leere.

Die SHAROKAAN bebte, als eine besonders mächtige Woge heranrollte und sich brüllend an ihrer Flanke brach.

Der Seegang war nur scheinbar gleichmäßig. Skar hatte Zeit genug gehabt, ihn zu studieren: Jede zehnte oder zwölfte Welle war größer als die anderen, eine brüllende Wand aus schäumendem graugrünem Wasser, als müsse das Meer jedesmal Atem schöpfen, um zu einem besonders wütenden Hieb gegen den frechen Eindringling auszuholen, der es gewagt hatte, so weit in sein Reich einzudringen. Für einen Moment krängte das Schiff über; eisiges Wasser schwappte auf das Deck und schlug mit einer Million winziger schäumender Krallen nach Skars Beinen, so daß er sich unwillkürlich fester an die Reling klammerte. Das bewahrte ihn zwar davor, über Bord gespült zu werden, würde ihm aber nichts nützen, wenn die SHAROKAAN wirklich kenterte. Ein Sturz in das eisige Wasser mußte in wenigen Augenblicken zum Tode führen. Doch er wußte auch, daß das so plump wirkende Schiff eine ganze Menge mehr vertrug als diesen Sturm. Der Freisegler mochte dem ungeübten Auge einer Landratte, wie Del und er es noch vor wenigen Tagen gewesen waren, schwerfällig erscheinen, aber dieser Eindruck täuschte. Der Dreimaster erreichte bei voll aufgezogener Takelage eine erstaunliche Geschwindigkeit, und der breit ausladende Rumpf widerstand Brechern, die weitaus größere Schiffe wie Spielzeuge zerschmettert hätten. Nein – das Meer war nicht ihr Feind. Die wirkliche Gefahr kam aus einer ganz anderen Richtung.

Skar drehte das Gesicht in den Wind und blinzelte aus zusammengekniffenen Augen nach Westen. Selbst mit bloßem Auge war der Dronte jetzt zu erkennen: ein winziger schwarzer Punkt, der im monotonen Takt der Wellen am Horizont erschien und wieder verschwand, erschien und wieder verschwand, immer und immer wieder, als wolle er sie damit zusätzlich verspotten.

Seine Hand glitt unwillkürlich zum Gürtel und fuhr über die leere Schwertscheide. Das Gefühl, unbewaffnet zu sein, irritierte ihn noch immer. Er kam sich nackt und schutzlos vor. Selbst der Gedanke, daß dieser Kampf nach anderen Regeln als den ihm vertrauten ausgetragen wurde und ihm die Waffe sowieso nichts genutzt hätte, änderte nichts daran. Er hatte Rayan einmal gebeten, ihm seine Waffe wiederzugeben, gleich nachdem sie den Dronte zum ersten Mal sichteten, aber der Freisegler war hart geblieben. Niemand außer ihm und den beiden Veden besaß an Bord das Recht, Waffen zu tragen; nicht einmal einen Dolch oder einen Zierdegen. Skar hatte nicht noch einmal gefragt. Er war es nicht gewohnt, zu betteln.

Sein Blick wanderte ziellos über das Deck. Die verquollenen Planken waren von einer matt glänzenden Schicht aus eingetrocknetem Salz und Fett überzogen; da und dort hatten sich Rauhreif und Eis in kleinen glitzernden Nestern festgesetzt. Takelage und Segel waren schwer vom Eis, und von der Reling wuchs ein bizarres Netz blitzender Eiszapfen.

Skar brach ein paar davon mit einer spielerischen Bewegung ab, warf sie ins Meer und sah ihnen nach, bis sie in den schäumenden Fluten versunken waren, ehe er sich herumdrehte und den Matrosen bei ihrem ruhelosen Tun zusah. Die Hälfte der Besatzung schien ununterbrochen damit beschäftigt zu sein, Taue und Segel frei und geschmeidig zu halten. Sie kämpften einen vergeblichen Kampf. Der Sturm überschüttete das Schiff seit Tagen mit einem Sprühregen aus Wasser und Hagel und Schnee. Feuchtigkeit, klamme, alles durchdringende Nässe hüllte es ein wie der Atem eines eisigen Gottes, kroch beharrlich in Holz und Segel und Tauwerk, selbst in die Körper der Männer, durchtränkte gleichermaßen ihre Kleider wie ihre Bewegungen, ihre Gedanken und ihre Seelen. Die SHAROKAAN schien sich mit Wasser vollgesogen zu haben wie ein gigantischer Schwamm, und die eisige Kälte ließ die Feuchtigkeit rascher gefrieren, als die Männer das Eis abkratzen und wegschlagen konnten. Das Schiff stöhnte bereits jetzt unter der schweren Last des Eispanzers, der sich wie ein wucherndes Geschwür über Deck und Rumpf und Segel und Masten ausbreitete, dünne, glitzernde Arme um Reling und Tauwerk schlang und bizarre weiße Gewächse aus Ecken und Winkeln emporsprießen ließ. Selbst das Salz, das sie anfangs verwendeten, um auf den vereisten Planken wenigstens schmale Wege begehbar zu halten, hatte jetzt seine Wirkung verloren. Das Meer schien sich einen bösen Spaß daraus zu machen, es rascher von Deck zu waschen, als sie es ausstreuen konnten, und die so vom Eis befreiten Planken nur noch schneller wieder mit einer rutschigen Schicht zu überziehen. Auch wenn der Dronte mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte –, die SHAROKAAN wurde stündlich langsamer, um eine Winzigkeit nur, aber stetig, und der Zeitpunkt war abzusehen, an dem das Schiff überhaupt keine Fahrt mehr machen oder einfach unter dem Gewicht des auf ihm lastenden Eises auseinanderbrechen würde. Es lag schon jetzt merklich tiefer im Wasser als zu Beginn der Reise.

Aber wahrscheinlich würde es gar nicht soweit kommen, dachte Skar düster. Irgendwann im Laufe der nächsten Tage mußte der Dronte nahe genug herangekommen sein, um seine furchtbaren Katapulte einsetzen zu können. Das gnadenlose Rennen zwischen ihnen und dem schwarzen Segler dauerte nun schon mehr als drei Tage und Nächte, aber an seinem Ausgang hatte von Anfang an kein ernsthafter Zweifel bestanden. Der Dronte war schneller. Nicht viel, aber er war schneller.

Skar trat von der Reling zurück und versuchte, die Gedanken an den Dronte und das, was vor ihnen lag, abzuschütteln. Es ging nicht, genausowenig, wie sie der Gefahr entgehen konnten, indem sie sie einfach ignorierten, konnte er sie aus seinen Gedanken verbannen.

Fröstelnd schlang er die Arme um den Oberkörper, trat einen Moment auf der Stelle und schlitterte dann vorsichtig über das vereiste Deck zum Achteraufbau zurück. Eine Eisplatte löste sich von einem der Hauptsegel, als er unter dem Mast hindurchging, krachte weniger als einen Meter neben ihm wie eine gläserne Guillotine herab und zerbarst klirrend, aber Skar zuckte nicht einmal zusammen. Selbst gegen die größte Gefahr stumpft man mit der Zeit ab, wenn man ihr ständig ausgesetzt ist. Das Segel blähte sich, für einen Moment von der erdrückenden Last des Eises befreit, und ein ganzer Hagel kleinerer Eisstücke und Trümmer prasselte auf das Deck herab. Der Mast ächzte unter der plötzlichen Belastung, und das Knattern des Stoffes erinnerte Skar an den dumpfen Trommelschlag galoppierender Pferde, einen Laut, den er in letzter Zeit immer häufiger vermißte. Satai waren nicht für das Meer geboren, wenigstens das hatte er begriffen. Wenn auch vielleicht zu spät. Das Schiff zitterte unter seinen Füßen. Er blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zu den winzigen, buntgekleideten Gestalten empor, die hoch über ihm durch die Takelage krochen und mit Äxten und Pickeln den schimmernden Panzer aufzubrechen versuchten. Die Männer waren mit Seilen und Ketten gesichert. Trotzdem war das, was sie taten, lebensgefährlich. Sie hatten schon vier Männer verloren; Opfer der Kälte und des tückischen Windes, die die schmalen Spieren in tödliche Fallen verwandelten, vereiste Laufstege, auf denen eine einzige Unaufmerksamkeit, ein Sekundenbruchteil des Leichtsinns bereits den sicheren Tod bedeutete. Der Anblick ließ Skar an ein gewaltiges, kompliziert gewobenes Netz denken, in dessen zahlreichen Zentren sich große plumpe Spinnentiere bewegten. Die vier, die bisher umgekommen waren, würden nicht die letzten sein. Und die Männer dort oben wußten das; vielleicht besser als er. Dessenungeachtet stiegen sie weiter hinauf, ohne zu protestieren, stellten sich dem Wind und der Kälte und arbeiteten, bis ihre Finger steif und nutzlos geworden waren und sie von anderen abgelöst werden mußten.

Skar ging weiter, öffnete die niedrige Tür und eilte zur Kajüte herunter. Die Treppe führte steil in die Tiefe und war auf den obersten Stufen vereist wie das Deck, und Skar mußte den Kopf einziehen, um sich nicht an der niedrigen Decke zu stoßen. Eine Wolke übelriechender, schaler Luft schlug ihm entgegen, und wie immer, wenn er sich unter Deck aufhielt, hatte er im ersten Moment das Gefühl, ersticken zu müssen.

Freisegler waren keine Passagierschiffe. Es gab hier keine hellen, freundlichen Kabinen mit Schlaf- oder Waschgelegenheiten, sondern nur einen einzigen niedrigen Raum, der gleichermaßen für den Kapitän als auch die Besatzung und eventuelle Passagiere als Unterkunft diente und zudem noch einige Fuß unter der Wasserlinie lag.

Skar blieb eine halbe Sekunde lang unter dem Eingang stehen, sah sich in dem von trüber rötlicher Helligkeit erleuchteten Raum um und ging dann auf Gowenna und Rayan zu, die an einem roh gezimmerten Tisch hockten und aufgeregt miteinander debattierten. Neben dem Freisegler saß Helth, einer der beiden Veden, die ihn gewöhnlich auf Schritt und Tritt begleiteten. Skar zögerte ein wenig im Weitergehen, aber das war nicht allein auf die Anwesenheit des schwarzhaarigen Hünen zurückzuführen – obwohl es kein Geheimnis war, daß sie nicht gerade Freunde waren. Er fühlte sich unwohl, körperlich unwohl. Die Wände waren feucht und strömten einen durchdringenden Modergeruch aus, und die niedrige Decke vermittelte ihm ein kaum zu bezwingendes Gefühl von Platzangst. In den Ritzen des Fußbodens hatte sich Wasser gesammelt, und trotz der glühenden Kohlebecken an den Wänden war es hier und da zur Bildung von Rauhreif gekommen: erste Vorboten des eisigen Winters, der das Schiff gepackt hatte und sich beharrlich in seine Eingeweide wühlte. Dazu kam das Wissen, sich tief unter der Wasseroberfläche zu befinden. Ein Wissen, das in Skar das Gefühl weckte, lebendig begraben zu sein. Er konnte das Wasser spüren. Tonnen um Tonnen eisigen, tödlichen Wassers, das das Schiff wie eine gewaltige Faust umklammerte und gierig an seinen Flanken leckte, immer auf der Suche nach einem Riß, einer Spalte, einer haarfeinen undichten Stelle, die es sprengen und zu einem Leck erweitern konnte.

Skars Atem ging unwillkürlich schneller. Er versuchte den Gedanken zu vertreiben und sich einzureden, daß seine Sorgen unbegründet seien, aber die Furcht in seiner Seele war nicht von der Art, gegen die man sich mit Logik zur Wehr setzen konnte.

Gowenna sah auf, als er neben sie trat. Ihre Haut glänzte wie Wachs in der trübroten Beleuchtung, und ihr Haar war, obwohl sie es auch hier an Bord jeden Tag sorgsam kämmte und bürstete, strähnig und glanzlos geworden. Das Salzwasser hatte die Farbe herausgebissen. Sie schien um Jahre gealtert und wirkte krank. Aber sie hatte die Wache vor Skar gehabt – zwölf Stunden bei eisigem Wind und kälteklirrender Luft –, und ihre Züge waren von der Anstrengung gezeichnet.

Skar nickte knapp. »Du schläfst nicht?«

Gowenna verneinte. »Nein, wie du siehst.« Sie sprach schnell und fast ohne jede Betonung, und ihre Lippen, die sich nur zur Hälfte bewegten, ließen die Worte noch monotoner erscheinen, als sie ohnehin klangen.

»Ich konnte nicht schlafen.« Sie machte eine einladende Geste, stützte sich mit den Ellbogen auf die Tischplatte und bettete das Kinn in die Hände.

Skar zögerte einen Moment und ließ sich dann auf einen der dreibeinigen Schemel sinken. Sein Blick suchte den Rayans. Sie waren seit elf Tagen an Bord der SHAROKAAN, aber es war das erste Mal, daß er Rayan – oder irgendein anderes Mitglied der Besatzung – im Gespräch mit Gowenna sah. Bisher hatten sie alle ihre Nähe beinahe ängstlich gemieden.

Zwischen den buschigen Brauen des Freiseglers entstand eine steile Falte. »Du hast Wache«, sagte er leise. Rayan war kein Mann großer Worte. Während der letzten Tage war seine Art zu reden noch knapper als gewöhnlich geworden, und wenn er überhaupt sprach, dann kam er ohne Umschweife oder verzierende Schnörkel direkt zur Sache.

»Möglich«, antwortete Skar trotzig. »Aber ich pflege Befehle nur dann zu befolgen, wenn ich ihren Sinn zu erkennen vermag.«

Seine rüde Antwort tat ihm fast sofort wieder leid. Er hatte keinen Streit mit Rayan; im Gegenteil. Aber die Stimmung an Bord war gereizt, und er machte da keine Ausnahme. Schließlich war auch er nur ein Mensch.

Zu seiner Überraschung nahm Rayan die Worte hin, ohne mehr als ein leises Stirnrunzeln als Zeichen seiner Mißbilligung zu äußern.

»Skar hat recht«, sagte Gowenna. »Eine Wache hat nur dann Sinn, wenn es etwas zu bewachen gibt. Es hat nicht sehr viel Sinn, seine Kräfte damit zu verschleißen, daß man dem Sturm zusieht und die Hagelkörner zählt. Es wäre klüger, wenn du deine Leute für den Kampf schonst.«

Der Vede wollte auffahren, aber Rayan brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zur Ruhe. Er lehnte sich zurück, musterte Gowenna mit einem schwer zu deutenden Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. In seiner Stimme schwang ein spöttischer Ton, als er antwortete. »Es wird keinen Kampf geben«, sagte er ruhig. »Gegen Brandgeschosse kämpft es sich schlecht.«

»Wie lange wird es noch dauern, bis sie uns einholen?« fragte Skar hastig, als er sah, wie sich Gowennas Gesicht vor Ärger verdüsterte. Auch sie war reizbarer geworden. Schon eine spöttische Entgegnung wie die Rayans konnte genügen, sie aus der Haut fahren zu lassen. Und das letzte, was sie im Moment gebrauchen konnten, war ein Streit zwischen einem von ihnen und Rayan oder seinen Veden. Sie waren Gäste an Bord, aber – das hatte er sehr schnell begriffen – keine willkommenen, sondern allerhöchstens geduldete Gäste.

Rayan zuckte mit den Achseln, beugte sich vor und griff nach der ausgefransten Zeichenfeder, die vor ihm lag, um damit zu spielen. Ihre Spitze hinterließ eine Reihe unregelmäßiger dunkler Tintenflecke auf der Tischplatte.

»Einen Tag«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Allerhöchstens zwei –, wenn wir Glück haben und unser Tempo halten können, heißt das. Vielleicht auch weniger«, fügte er mit einem lakonischen Achselzucken hinzu. »Niemand weiß genau, wie weit ihre Katapulte schießen. Aber wir werden es sicher bald erfahren.«

»Zumindest weiter als unsere Pfeile«, sagte Gowenna. Sie fuhr plötzlich herum, starrte Skar an und schlug die Faust in die geöffnete Linke. »Der Gedanke, mich wie ein Stück Vieh abschlachten zu lassen, macht mich krank«, stieß sie hervor.

Skar erwiderte ihren Blick gelassen. Der unausgesprochene Vorwurf in ihren Worten entging ihm keineswegs, aber er antwortete nicht darauf. Er hatte es aufgegeben, mit Gowenna zu streiten. Weder über dieses noch über irgendein anderes Thema. Sie war nicht mehr die Frau, die er in Ikne kennengelernt hatte. Schon lange nicht mehr. Ihr Gesicht war nicht das einzige, was zerstört war. Der Atem des Drachen hatte auch ihre Seele verbrannt.

»Ich will wenigstens einen von diesen Halunken mitnehmen, ehe es mich erwischt«, fuhr sie nach sekundenlangem Schweigen fort.

»Die Gelegenheit hast du verpaßt«, sagte der Vede halblaut.

Skar sah alarmiert auf. Veden galten schon im allgemeinen als schweigsam und verschlossen, und die beiden schienen sich ihrem Dienstherrn noch mehr angepaßt zu haben. Er konnte sich nicht erinnern, daß einer von ihnen während der ganzen Fahrt mehr als zehn zusammenhängende Worte geredet hätte. Aber er hatte auch nicht viel Kontakt mit ihnen gehabt. Noch mehr als Rayan und seine Männer mieden sie seine und Gowennas oder Dels Nähe, gingen ihnen unauffällig; aber konsequent aus dem Weg und beschränkten sich darauf, auf eine direkte Frage mit einem Kopfnicken oder einer Geste zu antworten. Um so mehr überraschten ihn jetzt die Worte des Veden; nicht so sehr, was er sagte, sondern wie er es tat. Seine Stimme vibrierte beinahe unhörbar, und seine Haltung war nur scheinbar entspannt und drückte in Wahrheit Aggressivität und Wut aus, Regungen, die Skar an dem Veden noch nie zuvor bemerkt hatte.

»Du hättest über Bord springen und den Dronte entern können, als er nahe genug war. Vielleicht hätte uns das einen größeren Vorsprung verschafft.«

»Helth!« sagte Rayan scharf.

Der Vede fuhr zusammen, sah Rayan für die Dauer eines Lidschlages mit undeutbarem Ausdruck an und wandte sich ab. Sein Gesicht erstarrte wieder zu einer unbeweglichen Maske. Für einen Moment erinnerte er Skar an Gowenna – jene Gowenna, die in der flammenden Hölle Combats verbrannt war, nicht die, die neben ihm saß.

Skar sah an der Reaktion auf Gowennas Zügen, daß es in ihr brodelte. Ihre Hand glitt zum Gürtel und krampfte sich um die leere Schwertscheide.

»Du warst dabei, die Karte zu studieren?« fragte er hastig, um die Situation zu entspannen. Die Stimmung an Bord hatte sich während der letzten drei Tage merklich verschlechtert, und er spürte, daß nur noch ein winziger Anlaß notwendig war, um das Schiff wie ein Pulverfaß explodieren zu lassen. Ihr Verhältnis zu den Veden war schon zu Beginn der Reise nicht gerade gut gewesen, besonders Gowenna begegnete den beiden Nordländern mit kaum verhohlener Feindschaft, der gleichen eifersüchtigen Feindschaft, die sie auch ihm anfangs entgegengebracht hatte und die wohl noch immer irgendwo in ihr schlummerte. Aber es war noch etwas anderes hinzugekommen, etwas, das zuvor in ihrem Wesen fehlte und ihr vielleicht einen letzten Rest von Menschlichkeit beließ. Verbitterung. War sie vorher nur von Mißtrauen und einer geradezu grenzenlosen Wut auf die gesamte Menschheit erfüllt gewesen, so war jetzt auch noch Haß hinzugekommen. Selbst Skar ertappte sich in letzter Zeit immer öfter dabei, daß er beinahe so etwas wie Furcht vor Gowenna verspürte. Eine Furcht, die durch den Anblick ihres verbrannten Gesichts nur noch vertieft wurde. Und die drohende Gefahr hatte die aufgestauten Ängste noch verstärkt. Rayan schenkte ihm einen raschen, dankbaren Blick, der ihm zeigte, daß er seine Absicht durchaus verstanden hatte, und nickte. »Das habe ich. Aber es ist reine Zeitverschwendung.« Er deutete auf die ausgebleichte Karte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Fett, Schmutz und große, bräunliche Flecken, wo das Pergament ausgetrocknet und brüchig geworden war, verunzierten ihre Oberfläche. Die Ränder waren unregelmäßig vor langer Zeit einmal aus einer weitaus größeren Karte herausgerissen worden. Die Tinte war längst verblichen und die Schriftzeichen für den, der nicht sowieso wußte, was sie bedeuteten, unleserlich.

Rayan tippte mit dem Zeigefinger auf eine gestrichelte Linie, die Skar mit einiger Phantasie als die Küste des Drachenlandes erkannte.

»Wir sind hier losgesegelt«, erklärte er. »In Anchor. Und hier« – er bezeichnete einen Punkt dicht daneben, ohne daß Skar klar wurde, wieso er in diesem unleserlichen Wirrwarr aus Strichen und Linien und verschmiertem Dreck irgend etwas erkennen oder gar ihre Position bestimmen konnte – »sind wir auf den Dronte gestoßen. Von dort aus sind wir ununterbrochen nach Nordwesten gesegelt und müßten uns jetzt ungefähr …« Er zögerte, fuhr mit der Fingerkuppe über den Rand der Karte hinaus und bezeichnete eine Stelle zwischen der Tischkante und dem Rand des Blattes, »… hier befinden.«

»So weit?« zweifelte Skar.

Rayan nickte. »Eher weiter. Tausend Meilen, schätze ich.«

Rayan verzog beleidigt das Gesicht. »Vielleicht sind es auch nur achthundert« schränkte er ein. »Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Dieser verdammte Sturm hat uns weit vom Kurs gebracht. Ich weiß nicht, wie weit er uns von der Küste weggetrieben hat.«

»Könnt ihr Seeleute nicht die Position anhand der Sterne bestimmen?« fragte Gowenna.

Rayan starrte sie finster an und antwortete gar nicht.

»Und was«, fragte Skar rasch, »liegt vor uns?«

»Das wissen die Götter«, antwortete Rayan. »Und vielleicht noch die Fische. Es kann alles sein. Tausend Meilen leerer Ozean, Inseln, Festland, das Nichts …« Er seufzte. »Wenigstens wissen wir, was hinter uns ist.«

Skar wandte unwillkürlich den Blick nach Osten. Selbst durch den massiven Rumpf des Schiffes hindurch glaubte er plötzlich den dunklen, auf und ab hüpfenden Schmutzfleck auf dem Horizont zu erkennen. Es würden noch viele Stunden vergehen, ehe der Punkt so groß wurde, daß er die bizarre Form des gefürchteten schwarzen Segels erkennen konnte, und trotzdem glaubte er, die Nähe der Gefahr wie einen körperlichen Schmerz zu fühlen. Für einen Moment verspürte er ein aberwitziges Gefühl des Bedauerns. Er konnte Gowennas Unruhe verstehen – es war die gleiche Art von Unruhe, die auch ihn quälte, nur gedämpft durch die Erfahrung eines zehn Jahre längeren Lebens; oder was er dafür hielt. Die Gewißheit, einen Kampf ohne die geringsten Aussichten auf einen Sieg antreten zu müssen, war schlimm. Aber Stunde um Stunde dazusitzen und das unbarmherzige Näherkommen des Kaperschiffes zu beobachten war beinahe noch schlimmer.

Er hielt Rayans Blick sekundenlang stand, versuchte zu lächeln und stand auf. Er fror. Die Kälte war längst auch in diesen Teil des Schiffes gekrochen, und die glühenden Kohlebecken kämpften einen vergeblichen Kampf gegen die Feuchtigkeit, die ihr auf dem Fuß folgte. Trotzdem trugen sowohl Gowenna als auch er nur dünne Lederhemden über ihren Panzern. Warme Kleidung, das hatten sie bereits nach den ersten Stunden an Deck feststellen müssen, nutzte an Deck kaum etwas. Der eisige Wind durchdrang alles, tränkte selbst die dicksten Pelze mit Feuchtigkeit und verwandelte sie in wenigen Augenblicken in kalte, klamme Mäntel, die ihre Körper eher noch mehr auskühlten als wärmten.

»Wohin?« fragte Rayan.

Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf die niedrige Tür am anderen Ende des Raumes. »Ich werde nach Del sehen«, sagte er. »Vielleicht kann ich auch ein wenig schlafen oder wenigstens ausruhen.«

»Und deine Wache?« erinnerte Helth.

Skar schenkte ihm einen abfälligen Blick. »Ich schenke sie dir«, sagte er bissig. »Stell dich selbst an die Reling, wenn du Angst hast, daß dir der Himmel auf den Kopf fällt.« Seine Worte waren schärfer, als im Augenblick vielleicht angebracht war. Er lag nicht im Streit mit dem Veden und wollte ihn auch nicht, aber die hochmütige Art, in der Helth Gowenna behandelt hatte, ärgerte ihn. Er wußte wohl von allen an Bord am allerbesten, wie wenig Gowenna einen Beschützer brauchte, aber sie waren zu lange zusammen, als daß es ihm gleichgültig sein konnte, wie man sie behandelte. Vielleicht war er auch trotz allem zu sehr Mann, und Gowenna, trotz allem zu sehr Frau. Der logische Teil seines Denkens sagte ihm, daß Gowenna von dem Veden nichts zu befürchten hatte. Helth war, unbeschadet seines hochmütigen Auftretens und der Meisterschaft, mit der er seine Waffen zu handhaben verstand, nicht viel mehr als ein zu groß geratenes Kind, und zudem der einzige an Bord, der nicht wußte, wie sehr Gowenna ihm überlegen war; nicht nur mit Worten. Aber es gab noch einen anderen Skar, einen, der einfach nur Mann war und dessen Beschützerinstinkte durch Gowennas Anwesenheit geweckt wurden, der ihm zumindest das Gefühl gab, etwas für sie zu empfinden, auch wenn es in Wirklichkeit nicht da war. Nicht mehr. Trotzdem konnte er nicht so tun, als wäre sie eine Fremde. Dazu waren sie zu lange zusammengewesen.

Er schenkte Helth einen letzten, bösen Blick, wandte sich mit einem Ruck um und ging mit weit ausgreifenden Schritten auf die Tür zu.

2. Kapitel

Der Gang war fensterlos niedrig, wie alle Räume an Bord der SHAROKAAN, und führte durch die volle Länge des Schiffes bis zum Bug hin. Der Boden war hier nicht massiv wie in der Mannschaftskabine, sondern bestand lediglich aus einem grob zusammengenagelten Lattenrost, der unter seinen Schritten federte und unter dem das faulige Wasser der Bilge sichtbar wurde. An den Wänden waren Flecken hellgrauen Schmierpilzes gewachsen, und das Dröhnen der Brecher, die monoton gegen den Rumpf schlugen, klang hier unten wie ein dumpfer, nie aufhörender Trommelwirbel. Skars Unwohlsein schien sich zu verstärken, als er den Gang betrat. Die Enge vermittelte ihm den Eindruck, eingesperrt zu sein. Er fragte sich unwillkürlich, warum jemand, der ein Schiff konstruierte und baute, auf diese Winzigkeit verzichten mußte. Die SHAROKAAN war ein großes Schiff – es hätte ihrem Stauraum kaum Abbruch getan, die Decken einen Fuß höher und die Wände ein paar Zoll weiter auseinander anzubringen, so daß man nicht ständig das Gefühl haben mußte, lebendig begraben zu sein. Aber Seefahrer waren ohnehin ein Volk für sich, das er wahrscheinlich nie verstehen würde. Der Gang wurde so gut wie nie benutzt – das Deck der SHAROKAAN war nicht so massiv, wie es einem Außenstehenden erscheinen mochte, sondern bestand im Grunde nur aus einem Balkengerüst, auf das einzelne Platten wie übergroße Dachpfannen aufgelegt waren, so daß jeder Punkt der Laderäume bequem von oben erreicht werden konnte, und Del und er waren vielleicht seit Jahren die ersten, die regelmäßig hier herunterkamen. Auf dem Boden lag der Staub von Jahrzehnten, von Nässe und Fäulnis zu einer schmierigen Schicht zusammengebacken, in der seine Schritte saugende Geräusche verursachten und die ihn festzuhalten versuchte, so daß er ständig glaubte, gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen zu müssen.

Skar fröstelte, senkte den Kopf ein wenig und ging schneller. Die Kälte war hier unangenehmer als hinten in der Kabine – nicht schlimmer, aber direkter und aufdringlicher, als hätte sie ihm aufgelauert, um hier, wo er allein und nicht in der Gesellschaft anderer war, mit ganzer Kraft über ihn herzufallen.

Er erreichte das Ende des Ganges, schob den Riegel zurück und betrat die dahinterliegende Kammer. Sie maß kaum drei Schritte im Quadrat und wurde auf der gegenüberliegenden Seite von einem mannshohen, aus fingerdicken Stangen von eisenhartem altem Eichenholz gefertigten Gitter abgeschlossen. Sorgsam zog er die Tür hinter sich wieder zu, ehe er sich umdrehte und den wuchtigen Schlüssel von der Wand nahm. Er war so alt und grob wie dieses Schiff und hing offen an einem krummgeschlagenen Nagel, aber doch so weit vom hinteren Teil der Kammer entfernt, daß keiner, der seinen Arm durch die Gittertür zwängte, ihn erreichen konnte.

Skar steckte den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn halb herum und zögerte einen Herzschlag lang. Sein Blick glitt mit einem Mißtrauen, das so unbegründet wie unbewußt war, durch den winzigen, nur schwach erhellten Raum auf der anderen Seite des Gitters.

Er war nur wenig größer als dieser Teil der Kammer, in der er sich jetzt noch befand, und auf schwer in Worte zu fassende Weise düster. Wenn er jemals einen Ort gesehen hatte, auf den das Wort Kerkeratmosphäre zutraf, dann war es dieser winzige Verschlag im Bug der SHAROKAAN. Die Wände zogen sich im vorderen Teil der Kammer, der Krümmung des Schiffsrumpfes folgend, zusammen und schienen seine Insassen erdrücken zu wollen, und wenn der Boden auch hier, anders als hinten im Gang, massiv war, so glaubte er die lauernde kalte Tiefe darunter doch zu spüren.

Del lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und schlief; wie meistens, wenn er herkam, und auch Vela hatte sich auf dem niedrigen, mit Stroh und Decken gepolsterten Lager ausgestreckt und das Gesicht in der Armbeuge vergraben. Die dünne Kette, die ihr linkes Handgelenk mit dem wuchtigen Eisenring in der Wand verband, glitzerte wie eine silberne Schlange auf dem mattgrauen Stoff ihres Gewandes, dessen zerschlissene Seide mit dem schmutzigen Braun der Wände zu verschmelzen schien, als hätte das Schiff bereits angefangen, sie aufzusaugen. Skar drehte den Schlüssel vollends herum und warf sich leicht mit der Schulter gegen das Gitter, um es in den verquollenen hölzernen Angeln zu bewegen. Das quietschende Geräusch hallte überlaut in der winzigen Kammer wider.

Del öffnete träge ein Auge, blinzelte und schnitt eine Grimasse, als er ihn erkannte. Sein Gesicht zeigte jenes verquollene Aussehen eines Menschen, den man unvermittelt aus dem tiefsten Schlaf gerissen hatte. Die Errish rührte sich nicht.

»Ist es schon soweit?« fragte Del gähnend. Er reckte sich, so daß sich seine mächtigen Oberarmmuskeln für einen Moment deutlich unter dem dünnen Wollcape abzeichneten, das er über seinen Panzer geworfen hatte, schlug spielerisch mit den Fingerknöcheln gegen die Wand über seinem Kopf und ließ die Arme klatschend auf seine Oberschenkel fallen. Er trug noch immer den schwarzen Panzer aus Tuan, obwohl er unpraktisch und kaum sicherer als der Lederharnisch der Satai war. Aber er war jung genug, daß Skar ihm diese romantische Spielerei vergab, und früher oder später würde er wohl von selbst einsehen, daß er sich eher lächerlich als interessant machte.

Skar zog das Gitter hinter sich zu und sah den jungen Satai kopfschüttelnd an. »Wenn du mit deiner Frage meinst, ob der Dronte schon heran ist, dann lautet die Antwort nein«, sagte er. »Und wenn du wissen willst, ob deine Wache vorbei ist …« Er hob die Schultern, suchte sich einen einigermaßen trockenen Platz auf dem Fußboden und ließ sich mit überkreuzten Beinen darauf nieder, ehe er weitersprach. »Das kommt darauf an – wenn du das Gefühl hast, ausgeschlafen zu haben, dann müßten die zwölf Stunden vorüber sein.«

Del grinste, warf einen flüchtigen Blick auf die schlafende Errish neben sich und rieb sich mit den Knöcheln der Rechten über die Augen. »Höre ich da so etwas wie Kritik in deiner Stimme?« fragte en Seine Worte hatten spöttisch klingen sollen, aber er war noch immer nicht richtig wach und sprach so undeutlich, daß Skar Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen. »Es ist nicht gerade kurzweilig, zwölf Stunden neben einer Stummen zu sitzen, weißt du? Ein Stein ist gesprächiger als sie.«

Skar spürte einen scharfen, raschen Stich in der Brust. Dels Stimme hatte bei den letzten beiden Sätzen kalt geklungen, nicht feindselig, sondern so unbeteiligt, als spräche er tatsächlich über einen Stein. Was immer die Sumpfmänner mit ihm gemacht hatten – sie hatten jedes Gefühl, das er jemals für die Errish empfand, ausgelöscht; so gründlich, als hätte es niemals existiert. Vielleicht gründlicher. Und sie hatten dafür gesorgt, daß es niemals wiederkommen konnte.

Aber der Gedanke beruhigte Skar nicht. Im Gegenteil. Es gab Augenblicke, in denen er sich nicht sicher war, vor wem er mehr Furcht empfinden sollte – vor Vela oder dem breitschultrigen Riesen, der einmal sein Freund gewesen war. Seit sie Elay verlassen hatten, versuchte er sich einzureden, daß das alles nicht stimmte und er sich nur selbst verrückt machte, aber er spürte einfach, daß Del nicht mehr er selbst war. Etwas fehlte in seinem Wesen. Aber er wußte nicht, was.

»Was macht der Kapersegler?« fragte Del, plötzlich wieder ernst werdend.

»Er kommt näher«, antwortete Skar. »Aber wir haben noch Zeit. Vielleicht zwei Tage. Möglicherweise finden wir irgendwo Land oder eine Insel …« Er zuckte abermals mit den Schultern, lehnte sich zurück und fuhr hastig wieder hoch, als sein Rücken die Wand berührte. Das Holz war eisig. Obwohl in der winzigen Kammer nahezu gleich viele Kohlebecken aufgestellt waren wie in der großen Kabine im Heck, vermochte ihre Glut die feuchte Kälte nicht zu vertreiben, die sich in ihren Wänden eingenistet hatte.

Als sie in Anchor aufgebrochen waren, hatte der Sommer seinen Einzug gehalten, aber der Dronte jagte sie immer weiter nach Norden, hinein in ein Reich von ewigem Winter und eisiger Kälte.

»Ich wollte, wir hätten uns zum Kampf gestellt«, murmelte Del, als hätte er seine Gedanken erraten.

Skar spürte einen plötzlichen Zorn in sich aufsteigen. Er war nicht hierhergekommen, um über den Dronte zu reden, und er wollte auch nicht das Gespräch, das Gowenna ihm hatte aufzwingen wollen, nun mit Del fortsetzen. Aber er beherrschte sich und zog statt der scharfen Antwort, die ihm auf der Zunge lag, nur die linke Augenbraue ein Stück nach oben. »Kampf?« wiederholte er. »Was für einen Kampf meinst du, Del? Niemand hat je gegen einen Dronte gekämpft. Er kämpft gegen die anderen. Das ist ein Unterschied.«

Del wischte seinen Einwand mit einer unwilligen Geste beiseite. »Unsinn«, sagte er. »Niemand hat es je versucht. Du hast diese Fischgesichter doch gesehen – sie haben sich doch schon fast vor Angst in die Hosen gemacht, als sie das Schiff nur sahen! Rayan hätte beidrehen und sich zum Kampf stellen sollen. Wir hätten eine gute Chance gehabt. Bisher haben diese Piraten immer nur wehrlose Handelsschiffe überfallen, vergiß das nicht.«

»Während die SHAROKAAN bis an die Zähne bewaffnet ist, wie?« fragte Skar spöttisch. »Mit Tonnen von Caba-Nüssen und Stoffballen, mit denen wir werfen können.«

Del runzelte die Stirn. »Immerhin sind wir an Bord«, erinnerte er.

Skar nickte. »Sicherlich. Zwei Satai, die froh sind, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein …«

»Und zwei Veden«, fiel ihm Del ins Wort. »Auch wenn ich diese eingebildeten Gimpel nicht leiden kann, heißt das nicht, daß sie nicht imstande wären, ihr Schwert zu führen.« Er setzte sich ein Stück weiter auf, hob die Hand und streckte vier Finger aus. »Und da wäre noch Gowenna«, sagte er und hielt nun auch noch den Daumen in die Höhe. »Wir fünf sollten doch ausreichen, mit ein paar dahergelaufenen Piraten fertig zu werden.«

Skar verzichtete auf eine Antwort. Del wußte so gut wie er, daß er Unsinn redete, aber seine Worte weckten wieder die Erinnerung an ihre erste, schreckliche Begegnung mit dem Dronte. Sie hatte nur wenige Augenblicke gedauert, aber es waren Augenblicke gewesen, die er vielleicht nie wieder vergessen würde. Vorher hatte er alles, was ihm je über die schwarzen Killersegler zu Ohren gekommen war, für übertrieben oder schlicht und einfach unwahr gehalten, aber er war rasch eines Besseren belehrt worden. Die Wirklichkeit war schlimmer gewesen.

Er hatte sich niemals vor Piraten oder ähnlichem Gelichter gefürchtet. Aber Dronte waren keine gewöhnlichen Piraten. Dronte enterten nicht. Sie töteten. Niemand wußte, warum, aber sie taten es, mitleidlos und immer. Kein Schiff hatte je den Angriff eines Dronte überlebt, und so beruhte nahezu alles, was man von ihnen wußte, auf Gerüchten und Legenden, Geschichten, die sich die Seefahrer abends in den Hafenkneipen erzählten oder mit denen sie sich vor Fremden brüsteten. Jedenfalls hatte Skar das geglaubt, bis er dem Dronte selbst gegenübergestanden hatte. Sie waren Killer, mitleidlose Jäger, die ein Wild, auf dessen Spur sie sich einmal gesetzt hatten, nie wieder verloren. Das Schiff war wie ein gigantischer schwarzer Alptraum aus der Nacht hervorgebrochen und hatte warnungslos das Feuer auf die SHAROKAAN eröffnet. Einzig durch Rayans hervorragendes seemännisches Können waren sie davor bewahrt worden, schon von der ersten Salve weißglühender Feuerbälle vernichtet zu werden.

Die Erinnerung ließ Skar schaudern. Keines der todbringenden Katapulte des Dronte hatte seine Ladung ins Ziel gebracht, und trotzdem waren sie der Vernichtung nur mit knapper Not entronnen. Eines der Brandgeschosse war dicht neben der SHAROKAAN im Meer eingeschlagen; ein flammenspeiender Stern, der das Wasser in einen kochenden Hexenkessel verwandelte und das Schiff mit siedendem Dampf verbrühte und in erstickende Schwefelnebel tauchte. Nur ein winziger Spritzer der brennenden Masse hatte das Schiff getroffen, und schon er hätte ihnen beinahe den Untergang gebracht. Fockmast und Segel waren in Flammen aufgegangen, und die Mannschaft konnte das Feuer nur mit äußerster Mühe löschen. Für wenige Augenblicke war die SHAROKAAN in einen lodernden Scheiterhaufen verwandelt, eine schwimmende Fackel inmitten der unendlichen Wasserfläche des Ozeans. Hätte das Geschoß das Schiff voll getroffen, wäre von der SHAROKAAN nichts übriggeblieben. Niemand hätte das Feuer der Hölle löschen können.

Skar schüttelte die Erinnerung mit einer ärgerlichen Bewegung ab. Doch die Bilder verblaßten nicht. Sie zogen sich zurück, verkrochen sich in einem finsteren Winkel seines Gedächtnisses, aber sie waren noch da. Lauernd, bohrend, wie ein Rudel kleiner, gefährlicher Raubtiere, jederzeit bereit, einen Moment der Unaufmerksamkeit auszunutzen und erneut über ihn herzufallen. Vielleicht würde er sie nie wieder vollkommen loswerden. Sie waren durch die Hölle gegangen in diesen wenigen Minuten, eine Hölle aus brennendem Holz und Tauwerk und Qualm und Gestank, Schreien und weißglühenden Geschossen, die erbarmungslos auf den Freisegler herunterregneten.

Aber ihre Reise stand vom ersten Augenblick lang unter keinem guten Stern. Ursprünglich hatten Del und er beabsichtigt, von Elay aus direkt nach Muur-Eyl und dann durch die westliche Wüste nach Lam zu ziehen; ein Weg, der vielleicht mühsam, aber größtenteils ungefährlich war. Aber sie hatten ihre Rechnung ohne die Ehrwürdige Mutter gemacht. Die Herrscherin des Drachenlandes hatte ihnen nicht nur ihre Dankbarkeit bekundet, sondern sie gleichzeitig auch gebeten, Gowenna und die verstoßene Errish zum Berg der Götter zu geleiten. Und die Bitte der Ehrwürdigen Mutter der Errish war Befehl. Auch – oder vielleicht gerade – für einen Satai. So mußten Del und er zustimmen, noch einmal in den Dienst der Errish zu treten und Vela zum Rat der Satai zu bringen, obwohl es ihnen widerstrebte, sich als Kerkermeister zu verdingen. Aber es hatte Gründe gegeben, diesen Auftrag anzunehmen. Gründe, die weit zurücklagen, weiter, als er sich erinnern wollte. Einer der Gründe war das Kind, das Vela in ihrem Leib trug. Sein Kind …

Skar schrak aus seinen Überlegungen hoch, als ihn Del unsanft an der Schulter berührte. »Was … ?« fragte er verwirrt.

Del zog eine Grimasse. »Ich habe dich jetzt dreimal hintereinander angesprochen«, bemerkte er spöttisch. »Sprichst du nicht mehr mit jedem, oder wirst du langsam alt?«

Skar rettete sich in ein verlegenes Lächeln. »Ich … war in Gedanken«, sagte er rasch. »Entschuldige.« Er setzte sich gerade auf, seufzte und machte Anstalten, vollends aufzustehen. »Ich lasse dich in vier Stunden ablösen«, bestimmte er. »Dann ist deine Wache nämlich offiziell vorbei. Sieh zu, daß du bis dahin ausgeschlafen hast. Es ist ziemlich ungemütlich an Deck.«

»Warte noch einen Moment«, bat Del. Plötzlich grinste er, und für einen Moment erinnerte er Skar wieder an den großen, jähzornigen Jungen, als den er ihn in Erinnerung hatte. Aber nur für einen Moment. »Ich … muß noch etwas erledigen.« Er stand auf, reckte sich noch einmal und trat gebückt durch die Gittertür. Skar runzelte ärgerlich die Stirn, als Del weiterging und sowohl das Gitter als auch die dahinterliegende Tür achtlos offenließ, verzichtete aber darauf, aufzustehen und sie zu schließen. Er hielt die Sicherheitsmaßnahmen, auf denen die Ehrwürdige Mutter bestanden hatte, ohnehin für übertrieben. Vela stellte keine Gefahr mehr dar. Die Macht, die sie gehabt hatte, war dahin, ein für allemal, und allein die dünne Kette, mit der sie gebunden war, garantierte dafür, daß sie die Zelle nicht verlassen konnte. Sie war aus Sternenstahl geschmiedet, dem gleichen, nahezu unzerstörbaren Material, aus dem auch sein Tschekal gefertigt war. Nicht einmal die Kräfte eines Banthas hätten ausgereicht, sie zu zerreißen.

Aber vielleicht diente sie auch eher Velas Schutz, so wie die Wache, in der sich Del und einer der Veden abwechselten. Es war nicht so sehr das Schiff oder seine Besatzung, die sie vor Vela beschützten, als vielmehr Vela, die zu ihrer eigenen Sicherheit hier vorne untergebracht war. Skar hatte bis jetzt nicht begriffen, wie es Gowenna gelungen war, die Ehrwürdige Mutter zu überreden, ihr – ausgerechnet ihr – die Verantwortung dafür zu übertragen, daß die ehemalige Errish sicher am Berg der Götter ankam. Ein Wächter sollte seinen Gefangenen nicht hassen. Sein Blick glitt über Velas zusammengekrümmte Gestalt. Obwohl sie auf der Seite lag und eine schwere Felldecke über sich ausgebreitet hatte, war jetzt nicht mehr zu übersehen, daß sie schwanger war. Skar versuchte nachzurechnen, wie lange es jetzt noch dauern würde, kam aber zu keinem genauen Ergebnis. Sechs, vielleicht sieben Wochen – es spielte im Grunde keine Rolle. Sie würde tot sein, lange bevor das Kind – sein Kind – zur Welt kommen konnte.

Seltsamerweise ließ ihn der Gedanke beinahe kalt. Es war sein Sohn, der da in ihrem Körper heranwuchs, aber es war ein Kind, das gegen seinen Willen entstanden war und das niemals hätte gezeugt werden dürfen. Er empfand nichts bei dem Gedanken, der Vater dieses Knaben zu sein; allerhöchstens Abscheu. Vielleicht auch so etwas wie Mitleid, aber wenn, dann war es ein Mitleid, wie er es auch einem fremden Kind entgegengebracht hätte; vielleicht mehr als seinem eigenen. Er hatte Kinder niemals gemocht – was nicht hieß, daß er sie verabscheute oder gar haßte –, und der Gedanke, daß er selbst dieses Kind gezeugt hatte und sein Vater sein sollte, erschien ihm beinahe lächerlich. In seinem Leben war kein Platz für Kinder; nicht für fremde und schon gar nicht für eigene. Vielleicht – auch darüber hatte er nachgedacht, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen – war es auch nur Schutz; ein Mechanismus, mit dem er sich vor sich selbst schützte, eine instinktive Abwehr gegen die Gefühle, die da in seinem Inneren lauern mochten und die sein Leben noch komplizierter gemacht hätten, als es ohnehin war. Nein – alles, was er für dieses Kind, wenn überhaupt, empfand, war Mitleid, Mitleid mit diesem noch ungeborenen Wesen, das im Grunde von ihnen allen die geringste Schuld trug.

Nach allem, was Vela getan hatte, war dies vielleicht der größte Frevel gewesen. Dieses Kind war nicht aus Liebe entstanden, nicht einmal aus Unachtsamkeit oder – und auch das hätte er verstanden und, wenn auch mit Abscheu, akzeptieren können –, um ihn zu erpressen, sondern aus dem einzigen Grund, ihre Macht zu vergrößern. Es wäre zu einer Waffe geworden, einem finsteren Gott des Bösen, ein Dämon, der das Grauen längst vergangener Zeiten wieder hätte auferstehen lassen können.

Aber soweit würde es nicht kommen. Vielleicht war es nicht einmal ein Zufall, daß der schwarze Killersegler ausgerechnet jetzt aufgetaucht war und sie jagte. Skar glaubte nicht an Götter und Dämonen, aber er war auch nicht so vermessen, sich allen Ernstes einzureden, daß es sie nicht doch geben konnte, nur weil er nicht an sie glaubte. Wenn es sie gab – da war er ganz sicher –, dann hatten sie den Dronte geschickt; Feuer gegen Feuer, die größte Geisel der Meere gegen eine Gefahr, die noch nicht einmal geboren war. Die Errish hatte selbst die Götter herausgefordert, und letztlich war es einer von ihnen gewesen, der sie besiegt hatte. Nicht er. Er war nur ein Werkzeug.

Vela bewegte sich. Der graue Stoff ihres Gewandes raschelte, und für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Ihre Augen waren leer; die winzigen, zu schwarzen Punkten zusammengezogenen Pupillen wirkten verschleiert und schienen direkt durch ihn hindurchzusehen. Wahrscheinlich nahm sie weder ihn noch ihre Umgebung wirklich wahr. Skar wußte nicht, was in dem grauen Pulver war, das Gowenna ihr regelmäßig in die Mahlzeiten mischte, aber er hatte am eigenen Leib gespürt, daß sich die Errish auf das Mischen von Drogen verstanden.

Ihr Geist war gefangen. Vielleicht schlief sie, vielleicht stand sie die Qualen der Hölle durch – er wußte es nicht, und er wollte es auch nicht wissen. Die Kette, die ihren Geist gefesselt hielt, war mindestens ebenso stark wie die um ihren Arm.

Del kam zurück, ließ sich fröstelnd neben einem der Kohlebecken niedersinken und rieb die Hände über der Glut aneinander. Sein Gesicht war vor Kälte gerötet. Er zitterte. Die sanitären Einrichtungen der SHAROKAAN waren eine einzige Katastrophe. Es war schon bei gutem Wetter eine Zumutung, seine Notdurft in einem nach drei Seiten offenen Drahtkorb außenbords der Reling verrichten zu müssen. Während eines Eissturmes wie dem, der das Schiff seit drei Tagen beutelte, blieb den Zuschauern selbst das schadenfrohe Lachen buchstäblich im Halse stecken.

Skar stand auf, wandte sich zur Tür und suchte hastig nach festem Halt, als das Schiff von einer stärkeren Woge getroffen wurde und sich bedrohlich auf die Seite legte. Del grinste. Skar schenkte ihm einen bösen Blick, zerbiß einen Fluch auf den Lippen und ging hastig zur Tür.

»Ich lasse dich in vier Stunden ablösen«, sagte er, während er den Schlüssel im Schloß herumdrehte und ihn sorgsam an den Haken zurückhängte.

Del knurrte eine Antwort, rollte sich unter der Wand wie ein Hund zusammen und zog mit der linken Hand eine Decke heran. Kopfschüttelnd wandte sich Skar ab. Er beneidete Del keineswegs um seine Aufgabe. Verglichen mit den Temperaturen in der Mannschaftskabine war es hier unten warm, und trotzdem hatte er schon nach den wenigen Minuten, die er hiergewesen war, das Gefühl gehabt, selbst der Gefangene und nicht der Wächter zu sein.

Mit einem letzten, abschließenden Nicken, das Del schon gar nicht mehr zur Kenntnis nahm, verließ er den Raum, legte den Riegel von außen vor die Tür und eilte durch den niedrigen Gang zurück zur Mannschaftskabine.

Von Rayan und dem Veden war keine Spur mehr zu sehen, als er die Kajüte betrat. Sie waren wieder oben an Deck, wie fast immer, obwohl es dort für sie nichts zu tun gab. Nichts außer zu warten und den näher kommenden schwarzen Punkt am Horizont anzustarren. Aber Rayan gehörte zu jener Art von Kapitänen, die nichts von ihren Männern verlangten, was sie nicht selbst zu tun bereit und in der Lage waren, und er schien dies ununterbrochen unter Beweis stellen zu müssen. Ein Verhalten, für das Skar kein Verständnis hatte. Es nutzte niemandem, sondern schadete im Gegenteil. Aber sie waren in einer Situation, in der rationales Handeln nicht mehr unbedingt die wichtigste Rolle spielte. Vielleicht war Rayans Benehmen auch eine Erklärung für die stoische Gelassenheit, mit der die Männer dort oben noch immer weiterkämpften. Gowenna saß allein an ihrem Tisch und redete mit einem Matrosen, der, vergraben unter einem Berg von Decken und zweckentfremdeten Kleidungsstücken, auf dem Boden lag und ihr mit ernstem Gesicht zuhörte. Skar eilte an ihr vorüber, ohne hinzuhören. Ihr Gespräch drehte sich, wie nahezu alles, was während der letzten drei Tage an Bord des Schiffes gesprochen wurde, um den Dronte. Sie waren der Vernichtung entkommen, aber der Tod war nur hinausgeschoben, nicht besiegt, und es kam Skar manchmal vor, als bildeten sie sich ernsthaft ein, ihn wegdiskutieren zu können.

Er ging zu seinem Lager, einem verlausten Bündel gleich denen der anderen, ließ sich darauf nieder und suchte in den schmuddeligen Fetzen nach etwas, das er als Kopfkissen benutzen konnte. Es gab keine Kojen oder auch nur Bettstellen auf der SHAROKAAN, sondern nur eine Anzahl zerschlissener Bündel, auf denen die Besatzung – und auch da machte Rayan keine Ausnahme – wechselweise schlief. Auch Gowenna und er mußten sich damit begnügen. Nicht weil Rayan sie absichtlich schlecht behandelte, sondern weil es auf dem vollgestopften Schiff einfach keinen anderen Raum gab, in den sie sich hätten zurückziehen können. Sie hatten für die Überfahrt bezahlt, sehr viel bezahlt sogar, aber das bedeutete nicht, daß sie mehr Anspruch auf eine besondere Behandlung als irgendein Mannschaftsmitglied hatten. Das einzige Bett auf dem ganzen Schiff stand vorne in Velas Zelle, und auch dies war erst in Anchor zusätzlich an Bord gebracht worden, auf Geheiß der Ehrwürdigen Mutter.

Das Schiff wiegte sich sanft unter ihm, und das dumpfe, regelmäßige Klatschen, wenn sich die Wellen an der Bordwand brachen, hatte etwas seltsam Beruhigendes. Das dunkelrote Licht der glühenden Kohlen schimmerte sanft durch seine geschlossenen Lider und gaukelte ihm eine Wärme vor, die kaum da war. Er bewegte sich unruhig, zog die Decke enger um die Schultern und drehte das Gesicht zur Wand, um möglichst viel von der ausgestrahlten Wärme aufzufangen.

»Schläfst du?«

Skar öffnete widerwillig die Augen, wälzte sich herum und setzte sich auf. Diesmal vermied er es sorgsam, mit der Wand in Berührung zu kommen.

Gowenna hockte sich neben ihn auf den Boden, stand noch einmal auf, um eine Decke als Unterlage heranzuziehen, und ließ sich mit einem Laut, der sowohl Erschöpfung als auch Resignation – oder beides – ausdrücken konnte, auf das provisorische Lager sinken. Das dunkelrote Dämmerlicht im Inneren der Kabine tauchte ihr Gesicht in gnädige Schatten. Sie hatte sich angewöhnt, stets so zu sitzen, daß sie ihrem Gegenüber die unversehrte rechte Seite zuwandte, und auch er machte da jetzt keine Ausnahme mehr. Es war einmal anders gewesen.

Er merkte plötzlich, daß er sie anstarrte, senkte den Blick und suchte vergeblich nach einem passenden Wort.

»Es braucht dir nicht peinlich zu sein«, bemerkte Gowenna ruhig. »Gerade du solltest wissen, wie ich aussehe.«

Skar sah auf, aber Gowenna sprach rasch weiter und gab ihm keine Gelegenheit zu antworten. »Glaubst du, daß wir eine Chance haben?« fragte sie.

Skar zögerte. Er wollte einfach nicht mehr darüber sprechen, aber er spürte, daß er es mußte, wenn er nicht wirklich grob werden wollte. »Eine Chance? Gegen den Dronte? Niemand hat ihn jemals besiegt.«

»Aber einige sind ihm entkommen.«

Skar lächelte. »Wer hat das gesagt? Rayan?«

»Nein. Ich … habe Geschichten gehört.«

»Du wählst das richtige Wort«, sagte Skar. »Geschichten. Manche behaupten es, aber ich glaube nicht, daß es wahr ist.«

»Wir wüßten kaum, daß es so etwas wie einen Dronte überhaupt gibt, wenn jede Begegnung mit ihm tödlich enden würde«, beharrte Gowenna.

»Das mag sein –, aber wenn, dann hatten die anderen bessere Chancen. Wir machen kaum noch Fahrt. Und er holt immer mehr auf.«

Gowenna schwieg einen Moment, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme spöttisch. »Was ist mit dir?« fragte sie. »Hat dich Rayan mit seinem Gerede von Tod und Untergang schon angesteckt?« Sie lächelte, zog die Knie an den Körper und stützte das Kinn darauf. Das dunkelrote Licht des Kohlefeuers gab diesem Lächeln etwas seltsam Warmes, Vertrautes. Für einen kurzen, ganz kurzen Moment glaubte Skar in ihren Zügen eine Schönheit zu entdecken, die vorher nicht dagewesen war. Etwas Sanftes und Weiches und Mädchenhaftes, das vielleicht jahrelang tief in ihr geschlummert hatte und erst jetzt hervorbrach. Aber dann hob sie den Kopf, und Skar blickte wieder in die zerstörte Kraterlandschaft, die früher einmal das Gesicht einer schönen Frau gewesen war. Die Illusion zerplatzte.

»Was wirst du tun, wenn wir es schaffen?« fragte sie plötzlich.

Skar starrte sie an. »Findest du, daß jetzt der richtige Moment –«

»Der einzige Moment, Skar«, unterbrach ihn Gowenna. »Du hast es selbst gesagt – er kommt näher. Wir werden nicht mehr oft Gelegenheit haben, allein miteinander zu reden. Und ich will wissen, woran ich bin. Ich hätte dich schon … schon längst fragen sollen.«

»Wonach?« fragte Skar betont.

»Was du tun wirst, wenn wir in Pan'am ankommen«, antwortete Gowenna.

Skar lachte unsicher. »Das, was die Ehrwürdige Mutter von mir verlangt hat«, sagte er. »Du weißt es. Du warst dabei. Ich werde Vela zum Berg der Götter bringen, damit sie dort ihr Kind zur Welt bringen kann, und …

»Du weißt, daß sie sterben wird, sobald dies geschehen ist?« unterbrach ihn Gowenna wieder.

»Wieso? Sie ist gesund, und –«

»Das meine ich nicht, und du weißt es. Der Rat der Satai wird sie nicht leben lassen, Skar. Er darf es nicht zulassen, daß sie am Leben bleibt. Nicht nach allem, was geschehen ist.«

Skar schüttelte unwillig den Kopf. Etwas war in Gowennas Stimme, das ihn alarmierte. »Das ist nicht wahr«, sagte er. »Sie stellt keine Gefahr mehr dar, und –«

»Sie nicht, aber ihr Wissen. Sie hat Geheimnisse ergründet, die für uns Menschen verboten sind. Sie ist noch immer gefährlich.«

»Aber das ist doch Unsinn«, murrte Skar. »Du –«

»Du weißt es«, fiel ihm Gowenna ins Wort. »Aber du willst es nicht wahrhaben.«

Skar schwieg. In Gowenna war eine stärkere Veränderung vor sich gegangen, als er befürchtet hatte. Sie war besessen. Besessen von ihrem Wunsch nach Rache. Sie mußte so gut wie er wissen, daß ihr Leben nur noch Stunden zählte, wenn nicht ein Wunder geschah und sich das Meer auftat, um den Dronte zu verschlingen. Aber für sie schien das alles überhaupt keine Rolle zu spielen. Der schwarze Killersegler bedeutete für sie – wenn überhaupt etwas – nicht viel mehr als ein Ärgernis, ein dummes lästiges Ding, das sie daran hinderte, ihre Rache zu vollziehen. Sie war krank. Krank vor Rache und Haß.

»Und wenn ich es weiß?« fragte er nach einer Weile.

In Gowennas sehendem Auge blitzte es zornig auf. Aber sie beherrschte sich. »Dann beantworte mir meine Frage«, verlangte sie. »Wirst du sie zum Berg der Götter bringen oder nicht?«

»Ich werde tun, was die Ehrwürdige Mutter von mir verlangt hat«, antwortete er steif. »Nämlich Vela sicher zum Berg der Götter geleiten und sie beschützen. Auch vor dir.«

»Du bist ein Narr, Skar«, sagte Gowenna ruhig. »Glaubst du wirklich, du könntest mich daran hindern, sie zu töten, wenn ich das wollte?«

»Nein. Und gerade das ist es, was mir Angst macht. Was hast du wirklich vor? Ich weiß, daß du sie nicht töten willst; wie du selbst gesagt hast, hättest du es hundertmal tun können bis jetzt. Und das ist ein Grund mehr für mich, noch wachsamer zu sein.«

Seine Stimme war bei den letzten Worten immer lauter geworden, und Skar sah an der Reaktion auf Gowennas Zügen, wie sehr sie seine Worte verletzten. Weitaus mehr, als er geglaubt hatte, und mehr, als eigentlich normal gewesen wäre. Sekundenlang starrte sie ihn schweigend und voller Verachtung an, und für einen kurzen Moment glaubte er etwas von dem unbeschreiblichen Haß zu spüren, der in ihrer Seele brannte. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, schürzte aber dann nur wütend die Lippen und stand auf.

Skar hielt sie am Arm zurück. »Gowenna«, sagte er ernst. »Wir sind eigentlich beide alt genug und kennen uns zu lange, um uns noch Theater vorspielen zu müssen, meinst du nicht?«

Sie versuchte, ihre Hand aus seinem Griff zu befreien, aber Skar hielt sie unbarmherzig fest.

»Bitte«, fuhr er fort. »Wir haben wirklich im Moment andere Sorgen – laß uns wenigstens ehrlich zueinander sein.« Aber er spürte, schon während er die Worte aussprach, daß Gowenna ihm nicht zuhörte, daß sie ihm nicht zuhören wollte.

»Laß mich los!« zischte sie.

Skar seufzte, schüttelte den Kopf und löste seinen Griff. Gowenna wich hastig ein Stück von ihm weg, massierte mit der Linken ihr schmerzendes Handgelenk und_ starrte ihn haßerfüllt an. Ihre Haut war rot, wo Skar sie gepackt hatte. Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte er mit aller Kraft zugedrückt. Es tat ihm leid.

»Ich danke dir, Satai«, murmelte Gowenna. »Du hast mir die Antwort gegeben, die ich haben wollte.«

»Habe ich das?«

Sie nickte. »Jedenfalls weiß ich jetzt, was ich wissen wollte«, sagte sie. »Ich werde mich danach richten, wenn die Zeit gekommen ist.«

Skar seufzte. Und obwohl er ganz genau wußte, wie sinnlos es war, antwortete er ihr noch einmal: »Ich werde tun, was man mir aufgetragen hat, Gowenna, ich werde Vela und ihr Kind zum Berg der Götter bringen und sie dem Rat der Satai übergeben. Und ich werde mich dem Spruch meiner Herrscher beugen, ganz gleich, wie er ausfällt. Du tätest gut daran, ebenso zu handeln.«

Gowennas Blick sprühte vor Haß, aber sie antwortete nicht mehr auf seine Worte, sondern fuhr mit einer überhastet wirkenden Bewegung herum. Mit raschen Schritten ging sie zwischen den schlafenden Matrosen hindurch und verschwand gebückt auf der Treppe; nicht, weil sie dort oben irgend etwas zu tun gehabt hätte, sondern einzig, um ihn demonstrativ allein zu lassen.

Skar starrte ihr kopfschüttelnd nach. Was war nur mit ihr geschehen in den Monaten, die sie getrennt gewesen waren? Sie war auch zuvor schon verbittert und voller Haß gewesen, aber die Frau, die jetzt mit ihm auf diesem Schiff fuhr, war mehr als nur verbittert. Sie war besessen.

Er ließ sich wieder zurücksinken, schloß die Augen und versuchte an nichts zu denken. Aber er fand keine Ruhe, obwohl er müde war und sein Körper nach Schlaf schrie. Es waren Momente wie diese, in denen er mehr als zuvor daran zweifelte, daß es richtig gewesen war, den Befehl der Margoi zu befolgen. Wahrscheinlich hätten sie sich nicht weigern können, die Bewachung Velas zu übernehmen –, aber er hätte sich weigern können, Gowenna als Begleiterin zuzulassen.

Die Ehrwürdige Mutter hätte diesen Wunsch akzeptiert – vielleicht hätte sie ihn sogar begrüßt. Skar war sicher, daß es nicht ihre Idee gewesen war, ausgerechnet Gowenna mit der Aufgabe zu betrauen, die verstoßene Errish zu bewachen. Möglicherweise war es ein Akt von falsch verstandener Wiedergutmachung gewesen, und vielleicht – wahrscheinlich, so, wie er Gowenna während der letzten Tage erlebte – hatte sie selbst das Ihre dazu beigetragen, dieses Gefühl in der Herrscherin von Elay zu erwecken. Wenn sie von diesem Schiff herunter waren – wenn sie es schafften –, dann würden sie sich trennen müssen.

Skar bewegte sich unruhig, drehte das Gesicht zur Wand und versuchte die Kälte zu ignorieren, die beharrlich unter seine Decken kroch. Er war alles andere als ein Fatalist, aber es hatte keinen Sinn, sich mit all diesen Fragen zu belasten. Nicht jetzt. Vielleicht war es richtig gewesen, vielleicht nicht. Er konnte jetzt nichts mehr daran ändern.

Es würde sich herausstellen. Bald.

3. Kapitel

Er hatte schlecht geschlafen. Sein Rücken schmerzte, und in seinem Kopf war ein dumpfer, an- und abschwellender Druck, nicht wirklich unangenehm, aber doch beinahe quälender als echter Schmerz, der ihn aufstöhnen und spontan die Hände an die Schläfen heben ließ. Er schlug die Augen auf, starrte einen Herzschlag lang die niedrige Decke über sich an und setzte sich dann mit einem Ruck auf. Die Bewegung jagte eine neue Welle von Übelkeit durch seinen Schädel. Das Schiff vibrierte. Das Deck über ihm hallte wider vom hastigen Trappeln zahlreicher Füße, und von irgendwoher drang aufgeregtes Stimmengewirr an sein Ohr. Er verstand die Worte nicht, aber er spürte, daß irgend etwas geschehen sein mußte. Die SHAROKAAN schien wie ein lebendes Wesen vor Erregung zu zittern. Es war, als hätte sich der Pulsschlag des Schiffes beschleunigt.

Skar wartete, bis der dumpfe Druck hinter seinen Schläfen abgeklungen war und das Schwindelgefühl wich. Seine Zunge fühlte sich pelzig an, und seine Augenlider brannten und schienen geschwollen; ein Gefühl, gleich dem, das sich einstellte, wenn man viel zu kurz oder viel zu lange geschlafen hatte. Er atmete ein paarmal bewußt ein, sog die eisige Luft tief in seine Lungen und sah sich um. Die meisten Lager waren verlassen; die Kajüte war fast leer. Die Kohlebecken an den Wänden waren heruntergebrannt, und das Licht war zu einer trüben, unsicheren Helligkeit herabgesunken, die die Umrisse der Dinge im Raum verschwimmen und alles seltsam unwirklich erscheinen ließ. Gleichzeitig war es empfindlich kälter geworden. An den Wänden und der Decke sammelte sich Feuchtigkeit und lief in dünnen, glitzernden Rinnsalen zu Boden. Sein Atem bildete eine feine Dampfwolke vor seinem Gesicht.

Auch Gowennas Schlafplatz war leer, aber als er aufstand, bewegte sich einer der Lumpenhaufen neben ihm. Die Decken wurden auseinandergezogen, und eine dürre Hand, bleich und so abgemagert, daß sich die Knochen unter der Pergamenthaut abzeichneten, wühlte sich ins Freie. Ein schmales, erschöpftes Gesicht erschien zwischen den zerschlissenen Stoffbahnen, dunkle Augen, in denen sich Müdigkeit und Angst und noch etwas anderes, Fremdes spiegelten, starrten zu ihm hinauf. Skar kannte den Mann nicht mit Namen, aber er hatte gesehen, wie er am Vorabend vom Mast gestürzt war und sich schwer verletzt hatte. Wahrscheinlich würde er sterben.

Skar lächelte ihm flüchtig zu, unterdrückte ein Gähnen und reckte sich. Seine Gelenke knackten leise, und die vom langen Liegen steifen Muskeln reagierten mit stechenden Schmerzen auf die plötzliche Bewegung. Sein Kopf dröhnte noch immer, aber der Schlaf hatte ihm merklich gutgetan, und er spürte neue Kraft durch seine Glieder strömen.

Das Gefühl war nicht echt, das wußte er. Schon eine halbe Stunde an Deck würde genügen, um sich wieder so müde und erschöpft zu fühlen wie zuvor. Aber das vage Bewußtsein seiner Stärke brachte ihm auch etwas von seinem normalen Optimismus zurück, und er schob die innere Unruhe einfach von sich. Damit würde er sich auseinandersetzen, wenn es soweit war. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, nach Del und Vela zu sehen, aber dann hörte er wieder die Schritte über sich und die Stimmen, und seine Neugier erwachte erneut.

Sein Blick streifte Rayans Truhe. Die große, mit bronzenen Riegeln und Schlössern gesicherte Seekiste war das einzige wirklich massive Möbelstück im Raum, sah man von dem festgeschraubten Tisch und den dazugehörigen ebenfalls am Boden befestigten Schemeln ab. Für einen Moment überlegte er ernsthaft, einfach hinüberzugehen und seine Waffen an sich zu nehmen. Die Vorstellung war verlockend – ein schneller Griff, und er würde wieder Satai sein, kein Mann mit einer leeren Schwertscheide am Gürtel. Die altersschwachen Schlösser würden einem ernstgemeinten Versuch, sie aufzubrechen, kaum standhalten, und das vertraute Gewicht der Waffe an seiner Seite würde ihm viel von seiner verlorenen Sicherheit und Ruhe zurückgeben.

Aber er verwarf den Gedanken augenblicklich wieder. Es hatte keinen Zweck, zusätzlich zu allem anderen auch noch eine direkte Konfrontation mit Rayan und seinen Wachhunden zu provozieren.

Skar drehte sich mit einem lautlosen Seufzer herum und ging zur Treppe. Es wurde Zeit, von diesem Schiff herunterzukommen. Gedanken wie die, die ihm jetzt im Kopf herumspukten, paßten vielleicht zu Del, aber kaum zu ihm. Er zwang sich, schneller zu gehen.

Die Tür am oberen Ende der Treppe stand offen, und der Sturm schlug mit eisigen Krallen nach ihm, als er auf das Deck hinaustrat. Skar blinzelte überrascht. Die Sonne stand dicht über dem Horizont –, aber sie stand im Osten, und das bedeutete, daß es wieder Morgen war und er den Rest des Tages und die ganze Nacht durchgeschlafen hatte. Er wankte, betroffen von der Wut, mit der der Eissturm über das Deck pfiff, klammerte sich am Türpfosten fest und verzog das Gesicht. Von der unnatürlichen Ruhe, die während der letzten Tage an Bord des Schiffes geherrscht hatte, war nichts mehr geblieben. Das Schiff befand sich in heller Aufregung. Der größte Teil der Besatzung drängte sich an der Backbordreling und starrte aufgeregt nach Osten. Andere liefen wild schreiend und gestikulierend über das Deck oder kletterten behende wie Baumaffen an der Takelage empor, um über die Köpfe der Gaffenden hinwegsehen zu können. Skar blickte instinktiv nach Osten. Aber der dunkle Punkt war noch hinter ihnen, näher als am Tag zuvor, aber hinter ihnen. Die Aufregung mußte einen anderen Grund haben.

Skar griff sich den erstbesten Mann, der vorüberkam, und hielt ihn grob an der Schulter fest. »Was ist los?« fragte er.

»Was los ist?« echote der Matrose verblüfft. »Du …« Er schluckte, sah Skar eine halbe Sekunde lang erschrocken an und verbesserte sich hastig. »Ihr wißt es nicht?«

»Dann würde ich nicht fragen«, antwortete Skar verärgert. Er verstärkte den Druck seiner Hand ein wenig. »Also?«

Ein schmerzhaftes Zucken lief über das Gesicht des Matrosen. »Land«, keuchte er. »Wir haben Land voraus!«

Skar ließ den Freisegler so abrupt los, daß der Mann das Gleichgewicht verlor und auf dem spiegelglatten Boden ausglitt. Mit ein paar raschen Schritten war er an der Reling und bahnte sich einen Weg durch die dreifach gestaffelte Reihe der Seeleute. Ein Ellbogen traf schmerzhaft seine Rippen, so hart, daß es sicher kein unglücklicher Zufall mehr, sondern Absicht war, und ein harter Stiefel bohrte sich in seine nackten Waden, aber er achtete nicht darauf.

Über dem Horizont, vielleicht noch zehn, zwölf Meilen entfernt, war eine dünne weiße Linie sichtbar geworden; nicht viel mehr als ein Strich, der auf die Trennlinie zwischen Ozean und Himmel gemalt war, aber ein Strich von zu kräftiger Farbe für tiefhängende Wolken und zu kantiger Form für eine Nebelbank. Land! Land oder wenigstens Eis, das vielleicht einer Küste oder einer größeren Insel vorgelagert war.

Skar drehte sich um und hielt nach Rayan Ausschau.

Im ersten Moment konnte er ihn in dem Gedränge nirgends sehen – die gesamte Mannschaft schien auf dieser Seite des Schiffes zusammengelaufen zu sein. Aber dann entdeckte er einen der hochgewachsenen Veden und mit ihm Rayan. Der glatzköpfige Freisegler stand vorne am Bug und war in eine hitzige Diskussion mit Del und einem seiner Offiziere verwickelt. Seine beiden Veden-Leibwächter standen stumm dabei und verfolgten die Szene mit unbewegten Gesichtern. Ihre Haltung wirkte angespannt.

Skar drängte sich zu ihnen durch, tauschte einen raschen Blick mit Rayan und legte Del die Hand auf die Schulter.

»Was ist los?« fragte er. »Und was machst du hier an Deck? Wer ist vorne bei Vela?«

Der junge Satai fuhr herum. Ein zufriedener Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er Skar erkannte. »Gut, daß du kommst«, sagte er, ohne auch nur anzudeuten, daß er Skars Fragen überhaupt gehört hatte. Er wirkte aufgebracht. »Dieses verdammte Fischgesicht« – damit deutete er auf Rayan, der die Beleidigung mit einem ärgerlichen Schnauben quittierte – »weigert sich, den Kurs zu ändern.«

»Mit gutem Grund«, gab der Freisegler gereizt zurück. »Das dort drüben ist Eis, kein Land …, sieh selbst!« Er zerrte sein Fernrohr unter dem Gürtel hervor, fuchtelte wild damit in der Luft herum und hielt es Skar mit einer wütenden Bewegung hin.

Skar nahm das Glas entgegen und drehte es einen Moment unschlüssig in den Händen. Rayans aufgeregter Tonfall überraschte ihn. Er hatte den Freisegler bisher stets als ruhigen und überlegten Mann kennengelernt, selbst in extremen Situationen. Aber schließlich war er lange genug mit Del zusammen, um zu wissen, daß der junge Satai jeden aus der Ruhe bringen konnte. Und meistens war er es, der hinterher die Wogen glätten mußte – so wie jetzt. So rasch, wie er in das Gespräch geplatzt war, sah er sich auch schon als Mittelpunkt des Streites. Sowohl Del als auch der Freisegler schienen zu erwarten, daß er ihre jeweilige Partei ergriff. »Ich glaube dir«, sagte er. »Aber meiner Meinung nach …«

»Papperlapapp«, unterbrach ihn Rayan wütend. »Ich habe dir ein wenig mehr Intelligenz zugetraut, Skar. Auf dem offenen Meer sind wir dem Dronte noch einen Tag und die Nacht und vielleicht sogar noch einen Tag voraus. Wenn ich jetzt den Kurs ändere, dann verschenken wir unseren Vorsprung!«

Skar sah den Freisegler verwirrt an. Er war nicht einmal dazu gekommen, wirklich etwas zu sagen, aber Rayan schien das auch nicht erwartet zu haben. Er war wohl froh, jemanden gefunden zu haben, auf den er seinen Zorn entladen konnte. Aus irgendeinem Grund war ihm Del dazu wohl nicht geeignet erschienen. »Verdammt, Skar«, fuhr er fort, »ich weiß, wieviel ihr euch darauf einbildet, Satai zu sein, und in der Arena und auf dem Schlachtfeld mag dies durchaus seine Berechtigung haben. Aber das hier ist die offene See, und da gelten andere Gesetze!«

»Aber ich habe doch gar nicht –«, begann Skar, wurde aber schon wieder von Rayan unterbrochen.

»Dieser junge Narr« – Rayan stach mit dem Zeigefinger wie mit einem Dolch in Dels Richtung – »verlangt allen Ernstes von mir, daß ich beidrehe und dort hinübersegle. Bring ihn zur Räson, oder ich vergesse mich!«

Del grunzte trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Hätte er dabei nicht vor Kälte gezittert, würde es vielleicht sogar beeindruckend gewirkt haben.

»Ich weiß«, sagte Skar rasch, bevor Del antworten und vielleicht noch Öl ins Feuer gießen konnte, »du bist der Seemann, Rayan. Trotzdem glaube ich nicht, daß wir dem Dronte noch lange davonlaufen können.« Er wies, das Fernglas als Zeigestock haltend, über die Köpfe der Matrosen hinweg nach Westen. Die Entfernung zwischen dem Dronte und der SHAROKAAN war sichtlich geschrumpft. Das hatte er schon vorhin bemerkt. Aber er sah jetzt erst, wie sehr. Der schwarze Schatten tauchte jetzt nicht mehr unter den Horizont, sondern blieb, abwechselnd größer und kleiner werdend, sichtbar. Es sah aus, als führe der schwarze Dämon einen Tanz auf den Wellen auf, um sie damit zu verhöhnen. Sie mußten während der Nacht noch mehr von ihrem Vorsprung verloren haben.

Rayan grunzte, stemmte die Arme in die Hüften und starrte ihn feindselig an. »Wenn ich jetzt den Kurs ändere und diesen verdammten Eisberg ansteuere, kann ich genausogut die Segel streichen und hier auf den Dronte warten«, schrie er aufgebracht. »Du kennst diese verdammten schwimmenden Eisinseln nicht, Skar …«

»Aber du, wie?« höhnte Del. Rayan ignorierte ihn.

»Ich habe genug über sie gehört«, fuhr er wütend fort. »Sie sind teuflisch. Das, was du da siehst, ist nur ein kleiner Teil – die Hauptmasse liegt unter der Wasseroberfläche verborgen. Komm ihnen zu nahe, und du wirst aufgeschlitzt, schneller, als du ein Stoßgebet zu deinen Ahnen geschickt hast.« Er hob die linke Hand, legte die Finger zu einer Imitation eines Schiffsrumpfes zusammen und schlug mit der Faust hinein. »Nein!« Er schüttelte wütend den Kopf. An Küstennähe würde ich es riskieren. Gib mir Festland, und ich manövriere diesen schwarzen Aasgeier aus, daß ihm die Augen aus seinem Schädel fallen. Aber das da ist Selbstmord!«

Del schnaubte erregt. »Der Kerl hat doch nur Angst um sein kostbares Schiff«, bemerkte er bissig. Er fuhr herum, trat an die Reling heran und starrte die weiße Linie über dem Horizont an. »Was glaubt er, wie lange er ihnen noch davonsegeln kann?« fragte er, ohne Rayan dabei anzusehen. Skar schluckte einen Fluch herunter und warf ihm einen beinahe flehenden Blick zu. Del sprach absichtlich in der dritten Person von Rayan, um ihn zu beleidigen und noch mehr zu reizen. »Wahrscheinlich laden sie bereits die Katapulte. Wäre er vor drei Tagen nicht zu feige gewesen, sich zum Kampf zu stellen, dann wären wir jetzt nicht in dieser Lage. Sie werden uns noch vor Sonnenuntergang einholen.«

Einer der beiden Veden hinter Rayan spannte sich. Seine Hand glitt zum Gürtel und legte sich um den Griff des wuchtigen Breitschwertes, aber Rayan hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Vielleicht«, antwortete er gelassen. »Aber ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen.«

Del wandte sich wieder um und funkelte wütend auf den zwei Köpfe kleineren Freisegler herunter. »Du vielleicht«, zischte er, »aber ich nicht.«

»Noch bin ich der Kapitän der SHAROKAAN«, antwortete Rayan eisig. »Und noch entscheide ich, was wir tun. Wir haben noch viele Stunden, in denen sich eine Möglichkeit ergeben kann, ihn abzuschütteln. Land. Eine Insel. Was weiß ich.«

Skar zog das Fernrohr auseinander und setzte es an. Es war ein wirklich gutes Glas – die dünne weiße Linie wuchs mit einem Mal zu einer mächtigen glitzernden Mauer heran, scheinbar nur wenige Steinwürfe entfernt. Rayan und Del stritten sich weiter, aber er achtete nicht mehr darauf. Del war trotz allem klug genug, seine Grenzen zu kennen und es nicht auf eine offene Konfrontation ankommen zu lassen. Minutenlang stand Skar reglos da, schwenkte das Glas von rechts nach links und wieder zurück und betrachtete die schimmernde Barriere vor dem Horizont. Sein Mut sank, als er erkannte, wie recht Rayan mit seiner Prophezeiung hatte. Das Eis bildete eine mächtige gläserne Wand, die hundertfünfzig, zweihundert Fuß oder mehr senkrecht aus dem Meer emporwuchs, als hätte einzorniger Gott hier eine endgültige Sperre errichtet, um ihrem Vordringen ein Ende zu setzen. Das Wasser an ihrem Fuß war von trügerischer Ruhe, aber an vielen Stellen schimmerte es weiß durch die grüngrauen Wogen, und manchmal brachen sich die Wellen mit schaumiger Gischt, lange bevor sie gegen die schimmernde Mauer trafen. Eis, das bis dicht unter die Wasseroberfläche herangewachsen war und nun wie eine Phalanx kleiner heimtückischer Seeungeheuer auf den leichtsinnigen Segler wartete, der ihnen in die Fänge lief. Eine Todesfalle, selbst für einen so erfahrenen Seemann wie Rayan.

Er schwenkte das Fernrohr weiter, aber der Anblick war überall gleich: eine fugenlose Wand, glatt und poliert wie Glas, hier und da gerissen und zu bizarren Mustern gesprungen, aber trotzdem von undurchdringlicher Härte. Nicht einmal ein einzelner Mann hätte dort Zuflucht finden können, geschweige denn ein ganzes Schiff.

»Was ist das da?« fragte Del leise. »Dort vorne?«

Skar setzte das Glas ab, sah den jungen Satai fragend an und blinzelte mit bloßen Augen zum Horizont. Er konnte nichts Außergewöhnliches erkennen. »Was meinst du?«

»Direkt vor uns. Siehst du es nicht?

Skar hob das Glas erneut an die Augen und starrte in die Richtung, in die Dels Arm wies. Im ersten Moment sah er nichts als schimmerndes Weiß und monotone Glätte, aber dann gewahrte er ein flüchtiges Aufblitzen, das Spiegeln von Licht auf einer gebrochenen Eisfläche, nur sichtbar, wenn sich die SHAROKAAN auf dem Rücken einer Woge befand und kurz davor war, ins nächste Wellental hinabzustürzen.

Wortlos setzte er das Fernrohr ab und gab es Rayan zurück. »Del hat recht. Sieh selbst.«

Der Freisegler griff wütend nach dem Instrument, preßte die Lippen aufeinander und starrte Skar an. Aber schließlich hob er das Glas und blickte sekundenlang durch die Linse.

»Siehst du es?« fragte Skar,

Rayan nickte widerwillig. »Den Einschnitt?«

»Die Durchfahrt«, verbesserte Skar. »Dahinter muß ein See liegen. Siehst du, wie sich das Sonnenlicht auf dem Wasser bricht?«

Rayan antwortete nicht. Sein Gesicht verriet Anspannung, und Skar konnte den lautlosen Kampf, der hinter seiner Stirn tobte, fast sehen. Seine Kiefer mahlten in einer unbewußten, kraftvollen Bewegung. »Ich sehe es, aber …«

Skar brachte ihn mit einer knappen, aber energischen Geste zum Verstummen. Der Anblick der senkrechten, wie mit einer gewaltigen Axt in das Eis gehauenen Bresche ließ einen verzweifelten Plan in ihm Gestalt annehmen. »Was glaubst du?« fragte er langsam. »Ist der Kanal breit genug für die SHAROKAAN?«

Rayan ließ das Glas sinken und starrte Skar an, als zweifle er ernsthaft an seinem Verstand. »Vielleicht«, sagte er. »Auf diese Entfernung kann ich das nicht sagen. Und wenn er breit genug ist, heißt das noch lange nicht, daß er auch genug Tiefgang hat. Warum? Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß ich mein Schiff dort hineinmanövriere? Selbst wenn wir hindurchkommen, ohne uns den Rumpf aufzuschlitzen oder wie ein Korken in einem Flaschenhals hängenzubleiben – woher willst du wissen, was dahinter ist? Es kann offenes Meer sein, aber genausogut ein See, aus dem wir nie wieder herauskommen.«

Skar tauschte einen langen Blick mit Del. Sein Gesicht blieb starr, aber er schien den gleichen Gedanken nachzuhängen wie er. Er nahm Rayan das Glas aus der Hand, blickte erneut die Eiswand an und drehte sich herum, um in die entgegengesetzte Richtung zu sehen. Durch das Fernrohr betrachtet, war der Dronte bereits erschreckend nahe gekommen; ein schwarzes Ungeheuer, dessen gewaltiges Hauptsegel das Sonnenlicht aufzusaugen schien. Hinter der niedrigen Reling war nicht das geringste Zeichen von Leben auszumachen, aber Skar war sicher, daß man dort drüben jede Bewegung an Deck der SHAROKAAN mißtrauisch verfolgte.

Skar senkte das Glas, schob es mit einer bedächtigen Bewegung zusammen und begann Rayan mit knappen Sätzen seinen Plan zu erklären.

4. Kapitel

Die Eiswände glitten so dicht an der Bordwand vorüber, daß man nur die Hand hätte auszustrecken brauchen, um sie zu berühren. Ein hoher, schwingender Ton, als würde irgendwo vor ihnen eine gewaltige gläserne Harfe anschlagen, ließ die Nerven der Männer vibrieren, und das dumpfe Klatschen der Wellen erzeugte ein unwirklich verzerrtes Echo, das die bizarre Atmosphäre im Inneren des Eiskanals noch verstärkte. Die schimmernden Wände färbten das Licht blau.

Skar hob die Hände vor den Mund und blies hinein, um die Kälte aus seinen Fingern zu vertreiben. Die SHAROKAAN bewegte sich nur noch im Schneckentempo vorwärts. Der Wind war vollends zum Erliegen gekommen, als sie in den Kanal eingefahren waren, und die Segel hingen schlaff von den Rahen, nur noch gehalten von dem starren Panzer aus Eis, das sie wie eine glitzernde, halb durchsichtige Haut überzog. Die gesamte Besatzung, selbst die Verwundeten, die noch die Kraft hatten zu stehen und sich hier heraufzuschleppen, hatte zu beiden Seiten an der Reling Aufstellung genommen und stakte das Schiff mit langen, eisenbeschlagenen Stangen und Enterhaken von der Stelle – die einzige Möglichkeit, überhaupt noch Fahrt zu machen. Es gab eine Strömung, aber sie war nicht stark genug, um das schwere Schiff nennenswert zu bewegen, und der Einschnitt war nicht breit genug, um die weit ausladenden Ruder einsetzen zu können.

Sie waren vor über zwei Stunden in den Kanal eingelaufen. Ihr Schwung hatte ausgereicht, sie noch wenige hundert Fuß weiterzutragen, aber seither wurde das Schiff nur von der Muskelkraft der Besatzung bewegt – eine mühsame und kräftezehrende Art, von der Stelle zu kommen, aber die einzig mögliche. Rayan trieb seine Leute unbarmherzig an und verlangte das Letzte von ihnen, aber er griff auch selbst kräftig mit zu und mühte sich wie ein gemeiner Matrose mit der sperrigen Enterstange ab.

Skar drehte sich zum wiederholten Male um und starrte über das Achterdeck. Ihr Vorsprung war zusammengeschrumpft, und der schwarze Mordsegler kam mit jedem Augenblick, den sie länger durch diesen verdammten Kanal krochen, näher. Skar wußte, wie groß das Risiko war – alles hing davon ab, daß sie aus dem Kanal heraus waren, ehe der Pirat an seinem Ende auftauchte und sich querstellen konnte, um eine Breitseite auf sie abzufeuern. Hier, eingesperrt zwischen den glatten, senkrechten Wänden des Eiskanals, gab es keine Möglichkeit, seinen tödlichen Geschossen auszuweichen. Der Kanal war eine Falle, aus der es kein Entkommen gab.

Skars einziger Trost war, daß der Dronte mit Sicherheit die gleichen Schwierigkeiten haben würde wie sie. Selbst er mit seinem geringeren Tiefgang mußte viel Zeit dabei verlieren, das Labyrinth aus dolchspitzen Eisriffen und heimtückischen Fallen zu überwinden, das die Natur vor der Einfahrt errichtet hatte. Vielleicht, sinnierte Skar, ohne jedoch selbst recht daran glauben zu können, tat er ihnen auch den Gefallen und schlitzte sich den Rumpf auf, ehe er nahe genug herankam.

Er legte den Kopf in den Nacken und ließ den Blick an den glatten Wänden des Eises emporwandern, die fast zweihundert Fuß senkrecht in die Höhe strebten und sich leicht gegeneinander zu neigen schienen, so daß man hier unten den Eindruck gewinnen mußte, sich am Grunde eines mächtigen gewölbten Tunnels zu befinden, in dessen Zenit eine schnurgerade blaue Linie eingezeichnet war; eine optische Täuschung, die aber trotzdem etwas bedrückend Reales hatte und Skar das Gefühl vermittelte, lebendig begraben zu sein. Das Eis fing die schräg einfallenden Sonnenstrahlen auf und tauchte das Deck der SHAROKAAN in eine sonderbare, unwirkliche Helligkeit, Licht, das die Segel transparent machte und die Bewegungen der Männer und das sanfte Schaukeln des Schiffes seltsam ruckhaft und abgehackt erscheinen ließ. Skar zog fröstelnd die Schultern zusammen und trat auf der Stelle. Der eisige Biß des Windes war hier drinnen nicht mehr zu spüren, aber dafür strahlten die spiegelnden Wände eine andere Art von Kälte aus, eine Kälte, die weniger seinen Körper als vielmehr seine Seele streifte und etwas darin erstarren ließ. Die sterile, strenge Geometrie des Eistunnels atmete etwas spürbar Abweisendes aus; das Gefühl, sich an einem Ort zu befinden, der nicht für Menschen geschaffen war und an dem nichts Lebendes etwas zu suchen hatte.

Er versuchte, die bedrückenden Gedanken abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Und er spürte, daß er mit seinen Empfindungen nicht allein war. Auch die anderen fühlten es. Rayans Männer waren merklich stiller geworden, seit sie in das schweigende Weiß eingedrungen waren. Die Rufe, mit denen sie sich anfangs noch gegenseitig angefeuert hatten, waren nach und nach verstummt. Die Männer arbeiteten jetzt stumm und verbissen, und außer einem gelegentlichen Stöhnen und dem rhythmischen Klirren, mit dem die stählernen Spitzen ihrer Enterhaken in die Wände stießen, herrschte auf dem Schiff eine fast geisterhafte Stille; trotz des gleichmäßigen Klatschens der Wellen und des Ächzens des Rumpfes. Die Geräusche waren bedeutungslos, Illusion, die die wirkliche, tiefer sitzende Stille nicht durchbrechen konnten: dieses Schweigen der Schöpfung, die ihnen auf diese lautlose Art ihre Ablehnung entgegenschrie.

Skar biß sich auf die Lippen und schmeckte salziges Blut, als die spröde gewordene Haut unter der leichten Berührung riß, aber selbst der Schmerz war bedeutungslos und schien kaum bis an sein Bewußtsein zu dringen. Alles um sie herum war Ablehnung. Geht weg! schrie die Stille, und: Geht weg! flüsterte das Klatschen der Wellen. Sie gehörten nicht hierher, sie nicht, das Schiff nicht – nicht einmal der Dronte mit all seiner Fremdartigkeit hatte das Recht, in dieses Reich aus Stille und blauem Licht einzudringen. Mit einem Mal wußte er, daß es kein Zufall war, daß sie diese Eisinsel hier am Rande der Welt gefunden hatten. Sie waren weit über die Grenzen vorgedrungen, die menschlicher Wissensdurst bisher erforscht hatte, weit über den Teil der Welt, in dem es noch Leben gab. Weiter, als sie gedurft hätten. Nicht einmal in der tödlichen Sandöde der Nonakesh hatte er ein derart starkes Gefühl des Lebensverneinenden empfunden. Es war, als wäre diese schwimmende Eisinsel nicht nur tot, sondern von etwas erfüllt, das Skar in Ermangelung eines besseren Wortes als negatives Leben bezeichnete. Jemand trat neben ihn und berührte ihn an der Schulter. Skar fuhr aus seinen Gedanken hoch und drehte sich mit einer hastigen, beinahe schuldbewußten Bewegung um.

Es war Rayan. Der Freisegler wirkte erschöpft. Sein Gesicht glänzte trotz der Kälte vor Schweiß. »Wenn dein Plan nicht aufgeht, dann fahren wir allesamt zum Teufel«, sagte er übergangslos.

Skar lächelte mit einem Optimismus, der ganz und gar nicht im Einklang mit seinen Gedanken stand. »Es wird klappen. Sieh dich doch um«, entgegnete er mit einer übertriebenen, weit ausholenden Geste, die das Schiff und den gesamten Kanal einschloß. »Hast du je eine bessere Falle gesehen? Wenn er einmal hier drinnen ist, dann können wir mit ihm machen, was wir wollen, Rayan. Hier wäre jeder hilflos, und der Dronte erst recht. Er kann seine Katapulte nicht einsetzen. Es sei denn«, fügte er mit einem nur halb gelungenen Versuch, scherzhaft zu klingen, hinzu, »er könnte um die Ecke schießen.«

»Wer sagt dir, daß er es nicht kann?« murrte Rayan, nickte aber trotzdem. Skars Worte waren im Grunde überflüssig – jeder an Bord hatte während der letzten Stunden das immer quälender werdende Gefühl gehabt, in einer tödlichen Falle zu sitzen. Wer immer diesen kaum fünfhundert Meter langen Kanal beherrschte, konnte ihn gegen eine ganze Flotte verteidigen.

»Es ist eine Falle«, stellte Skar noch einmal fest, mehr, um sich selbst Mut zu machen.

»Wenn er hineingeht«, murmelte der Freisegler. »Der Dronte ist nicht dumm.« Er zögerte, sah nervös über die Schulter zurück und dann wieder Skar an. »Sie sind vielleicht gewissenlose Mörder, aber trotzdem hervorragende Seeleute. Und diese Falle würde selbst ein Kind erkennen.«

»Er wird uns folgen«, sagte Skar überzeugt. »Er muß es einfach, wenn er nicht Gefahr laufen will, uns zu verlieren.«

»Er muß überhaupt nichts«, gab Rayan ungehalten zurück. »Ich an seiner Stelle würde den Teufel tun und mit meinem Schiff in dieses Rattenloch segeln.« Er preßte die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen und schlug sich mit der flachen Hand klatschend gegen die Oberschenkel. »Willst du wissen, was ich tun würde? Ich würde mich vor der Zufahrt auf die Lauer legen und in aller Ruhe abwarten. Man kann das Spiel nämlich auch andersherum spielen – du hast vollkommen recht, wenn du glaubst, niemand könnte gegen unseren Willen hier herein. Aber wir kommen genausowenig wieder heraus. Und irgendwann müssen wir es.«

Skar nickte. »Natürlich. Aber wann? In einer Woche? Einem Monat? Sechs Monaten? Wie lange reichen unsere Lebensmittel?

»Einen Monat«, antwortete Rayan, »wahrscheinlich sogar länger. Und die halbe Ladung besteht aus Carbafrüchten. Allerdings fürchte ich, daß dir diese Diät nicht allzu lange munden wird. Ich sehne mich schon jetzt nach einem anständigen Stück Fleisch«, fügte er lächelnd hinzu. »Aber wenn es sein muß, dann halten wir eine ganze Weile aus.«

»Er nicht«, sagte Skar überzeugt. »So lange hält er nicht durch. Entweder er belagert uns und zieht nach ein paar Tagen wieder ab, oder er versucht uns in den Kanal zu folgen. In jedem Fall haben wir die besseren Chancen.«

»Alles ist besser, als sich auf einen Kampf auf offener See einzulassen«, brummte Rayan, krauste aber trotzdem zweifelnd die Stirn und begann mit seinem Dolch zu spielen. Allen waren ihre Waffen zurückgegeben worden, bevor sie in den Kanal einliefen, und Skar mußte, wenn auch widerwillig, zugeben, wie gut Rayan sein Schiff gegen einen Überfall gewappnet hatte. Die scheinbar harmlosen Matrosen waren in bis an die Zähne bewaffnete Krieger verwandelt.

»Ich hoffe, die Götter sind uns gnädig«, murmelte Rayan.

Skar schwieg dazu. Normalerweise lächelte er über derartige Bemerkungen – er hing keiner der drei großen und unzähligen kleinen Religionen Enwors an und verleugnete im Gegenteil alles, was mit Götter- und Dämonenglauben zusammenhing, aber in ihrer jetzigen Situation erschienen ihm Rayans Worte seltsam passend. Wäre er selbst religiös gewesen, dann hätte er jetzt gebetet. Manchmal tat es ihm fast leid, daß er es nicht konnte.

Nebeneinander gingen sie zum Bug. Die SHAROKAAN hatte das Ende des Kanals jetzt fast erreicht. Die schmale Wasserstraße, auf der sich das Schiff bewegte, verbreiterte sich vor ihnen zu einem runden, sicher eine Meile oder mehr durchmessenden See, der sich wie ein gewaltiger blauer Spiegel vor ihnen ausbreitete. Die Wände stiegen an drei Seiten senkrecht in die Höhe und gaben Skar das Gefühl, sich in einem riesigen wassergefüllten Krater zu befinden. Nur an Backbord gab es eine Stelle, die man mit sehr viel gutem Willen als Strand bezeichnen konnte. Das Wasser schwappte dort gegen eine glatte, steil emporsteigende Rampe, deren oberes Ende vom Fuße einer zerklüfteten Eislandschaft gebildet wurde, die sich kraß von den wie poliert wirkenden weißen Mauern ringsum unterschied. Ein geschickter und entsprechend ausgerüsteter Kletterer konnte dort den Aufstieg bewältigen, dachte Skar. Wenigstens saßen sie nicht vollkommen in der Falle, wenn der Dronte den Kanal allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz überwand.

»Perfekt«, lobte er. »Besser konnten wir es uns kaum wünschen. Wenn ich einen Ort wie diesen hätte entwerfen sollen, dann hätte er genauso ausgesehen.«

»Ich hoffe, daß der Kapitän des Dronte nicht dasselbe denkt«, knurrte Rayan. Dann drehte er sich abrupt um und begann Kommandos zu brüllen. Eine hektische Aktivität breitete sich über dem Schiff aus. Stangen und Enterhaken wurden eingezogen, Matrosen turnten mit schnellen, geübten Bewegungen in der Takelage empor und nahmen ihre Plätze ein, und die zwei Dutzend gewaltigen Ruder, die bisher einen eisüberzogenen Zaun beiderseits der Reling gebildet hatten, klatschten gleichzeitig ins Wasser. Das Schiff bebte und erzitterte einen Moment und setzte sich dann wie ein großes, schwerfälliges Tier in Bewegung. Der stumpfe Bug teilte rauschend das Wasser und schwenkte langsam herum. Eine sanfte Wellenbewegung pflanzte sich über den See hinweg fort und zerbrach an den Eiswänden. Der blaue Spiegel zerbarst in ein Mosaik blitzender Scherben.

Skar beobachtete das Treiben an Bord mit wachsender Ungeduld. Nach Tagen untätigen Abwartens brannte es ihm in den Fingern, endlich eine Entscheidung herbeizuführen. Nicht, daß er sich auf den Kampf freute. Sie hatten alle Trümpfe in der Hand, aber der Dronte war ein Gegner, der immer für eine Überraschung gut war, und im stillen hoffte Skar sogar darauf, daß der Pirat die Falle erkennen und sich auf eine Belagerung einlassen würde, die er früher oder später aufgeben mußte. Die Kälte würde ihnen auch hier drinnen zu schaffen machen, aber die zweihundert Fuß hohen Eismauern gaben ihnen wenigstens Schutz vor dem Wind und der unbändigen Kraft des Ozeans, während sich der Dronte draußen mit dem Sturm und anderen Naturgewalten herumschlagen mußte; Gegnern, denen nicht einmal er auf Dauer gewachsen war. Aber irgend etwas sagte ihm, daß es trotzdem zum Kampf kommen würde. Ein Dronte weicht nie wieder von einer einmal aufgenommenen Spur ab, klangen Rayans Worte in ihm nach. Es gibt kein Entkommen und kein Unentschieden.

Das Schiff hatte die Mitte des Sees erreicht und begann sich zu drehen, bis es quer zur Fahrrinne lag. Rayan feuerte die Männer an den Rudern mit zornigem Gebrüll an und beschleunigte ihren Takt. Die SHAROKAAN bewegte sich wie ein störrischer Esel rückwärts und glitt gemächlich an die Eiswand neben dem Kanal heran. Für jeden, der gleich ihnen die schmale Wasserstraße befuhr, war das Schiff jetzt nicht mehr zu sehen. Aber es war da, ein vielleicht plump aussehendes, aber trotzdem gefährliches Raubtier, das sich auf die Lauer gelegt hatte und darauf wartete, daß sein Opfer in die vorbereitete Falle lief.

Die SHAROKAAN war keineswegs wehrlos. Der Ruf, der dem Dronte vorauseilte, der Mythos der Unbesiegbarkeit, fußte zu einem nicht geringen Teil auf der Taktik der schwarzen Mörder, ihre Opfer aus großer Entfernung zu schlagen; sie mit Feuer und Tod zu überziehen, lange ehe es zu einem wirklichen Kampf kommen konnte. Auch, wenn es dem Dronte gelingen sollte, den Kanal zu überwinden, so hatten sie ihm seine stärkste Waffe genommen. Er würde es nicht wagen können, seine Katapulte einzusetzen. Nicht auf diese kurze Distanz. Ihr Höllenfeuer würde ihn selbst ebenso versengen wie sein Opfer.

Er verscheuchte die Gedanken an Kampf und Tod und wandte sich fröstelnd, um zum Achterdeck zurückzugehen. Jetzt, als sie neben der gewaltigen glatten Eiswand lag, erschien ihm die SHAROKAAN kleiner. Das Klatschen der Ruder hatte aufgehört, und das Schiff bewegte sich kaum noch. Auch die Wellen, die es bei seiner Einfahrt in den See selbst verursacht hatte, verliefen sich langsam wieder, und die Wasseroberfläche würde in kurzer Zeit wieder so glatt und unbewegt sein wie zuvor. Skar blieb auf halber Strecke stehen und sah über die Reling aufs Wasser hinab. Rayans Vermutung, es hier mit einem gewaltigen schwimmenden Eisberg zu tun zu haben, war falsch gewesen. Die Strömung, die die SHAROKAAN auf ihrem Weg durch den Kanal begleitet hatte, war keine Strömung, sondern es waren die letzten Ausläufer der Flut. Unter dem Eis mußte Land sein, vielleicht nur eine Insel, aber immerhin festes Land. Vielleicht waren sie sogar an die Küste eines fremden, bisher unbekannten Kontinents verschlagen worden. Aber wenn, dann war es ein Kontinent der Kälte und des Schweigens. Selbst der Mann oben im Mastkorb sah nichts als Eis und glitzerndes Weiß, obwohl der Blick von dort aus unzählige Meilen weit reichte, so klar, wie die Luft war.

Skar legte die Hände auf die Reling, beugte sich vor und brach mit der Linken ein Stück Eis ab.

»Was tust du da?«

Skar drehte den Kopf, als er Rayans Stimme hörte. Der Freisegler war lautlos herangekommen und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Seine beiden Veden-Leibwächter folgten ihm wie Schatten.

Skar deutete zuerst auf das Wasser, dann auf das Eisstückchen in seiner Hand. »Sieh selbst«, sagte er. Mit einer schwungvollen Bewegung warf er den Eisklumpen über Bord. Er tauchte unter, erschien Sekunden später wieder auf dem Wasser und tanzte einen Moment auf der Stelle.

Rayans Stirnrunzeln vertiefte sich. »Was soll das?« fragte er.

»Warte«, antwortete Skar. »Ich glaube, ich habe etwas entdeckt.«

Der Eisbrocken begann langsam, dem Sog der Strömung folgend, zur Mitte des Sees zu treiben. Plötzlich hielt er an, begann immer schneller zu kreiseln – und verschwand.

»Ein Sog«, stellte Rayan fest. »Und? Um das herauszufinden, brauchst du nicht deine und meine Zeit zu vergeuden. Siehst du diese Stelle dort?« Er deutete dorthin, wo der Eisbrocken verschwunden war. Das Wasser war dort ungewöhnlich glatt; wie Glas, das sorgsam poliert worden war. »Der See muß irgendwo einen Abfluß haben«, sagte er. »Deshalb ist die Strömung hier auch so schwach – das Wasser fließt beinahe so schnell ab, wie es hereinkommt. Und was soll uns das nutzen?«

Skar zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung«, gestand er. »Ich weiß nur gerne soviel wie möglich über meine Umgebung. Manchmal kann das sehr nützlich sein.«

»Wir sind soweit«, drang Dels Stimme in ihr Gespräch. Skar nickte, warf einen letzten Blick auf die trügerisch glatte Wasserfläche über dem Sog und streifte mit einer entschlossenen Bewegung den Umhang ab, der ihm bisher Schutz gegen die Kälte gewährt hatte.

Del kam näher und deutete mit einer Kopfbewegung auf das plumpe Heckkatapult, die einzige wirklich weitreichende Waffe der SHAROKAAN, das aus seiner Halterung auf dem Achterdeck entfernt und weiter zur Schiffsmitte hin auf einer provisorischen Rampe aus Balken und Tauen befestigt worden war. Der armlange Stahlbolzen auf der Sehne deutete jetzt nicht mehr auf die Wasseroberfläche, sondern in spitzem Winkel nach oben. Sein Schatten wies wie der Zeiger einer bizarren Sonnenuhr auf die verbrannte Stelle am Heck der SHAROKAAN, wo das Höllenfeuer des Dronte schon einmal gewütet hatte. Wäre Skar abergläubisch gewesen, hätte er es für ein schlechtes Omen gehalten.

»Fertig?« fragte Del.

Skar nickte. Seine Hand glitt nervös über den Griff seines Schwertes. Auf seiner Zunge fühlte er plötzlich einen schlechten Geschmack, und er gestand sich ein, daß er unsicherer war, als er bisher zugegeben hatte. Ihr Plan erschien ihm mit einem Mal gar nicht mehr so narrensicher wie noch vorhin, als er versucht hatte, Rayan davon zu überzeugen. Es waren zu viele Wenns drin, zu viele Spekulationen auf ein Glück, das sie bisher schmählich im Stich gelassen hatte. Plötzlich fielen ihm tausend Dinge ein, die falsch laufen konnten, tausend Umstände, die sie nicht bedacht hatten oder gar nicht hatten wissen können.

Del gab der Bedienungsmannschaft ein Zeichen und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, als die Männer die Winde bedienten und sich die haarfeine Metallsehne mit einem singenden Geräusch spannte.

Der Stahlbolzen zitterte. Seine Spitze hob sich ein wenig, und für einen Moment fürchtete Skar fast, daß das improvisierte Gestell, auf dem sie das Katapult festgemacht hatten, der Belastung nicht gewachsen sein könnte. Die Balken knirschten hörbar.

»Jetzt!« befahl Skar.

Einer der Matrosen hob seine Axt und ließ die Schneide auf das Haltetau heruntersausen. Die Sehne entspannte sich mit einem peitschenden Knall. Der Bolzen wurde zu einem flirrenden Schemen, jagte schräg in den Himmel hinauf und grub sich dicht unterhalb der Mauerkrone in das Eis. Ein Hagelschauer aus kleineren Eisbrocken prasselte auf das Schiff herunter, und das Wasser rings um die SHAROKAAN schien zu kochen.

Skar warf dem Schützen einen anerkennenden Blick zu. »Ein guter Schuß«, lobte er, während er mit einem Fuß auf die Reling trat und prüfend an dem Tau zerrte, das der Bolzen mit sich emporgerissen hatte. Es hielt. Die Kraft der Stahlsehne hatte das Geschoß tief in das Eis getrieben. Es würde sein Körpergewicht tragen.

»Einen Moment noch, Rayan.«

Skar hielt mitten in der Bewegung inne, balancierte einen kurzen Augenblick auf der eisverkrusteten Reling und sprang auf das Deck zurück. Auch Rayan drehte sich deutlich verärgert herum und blickte zu Gowenna hinüber, die auf Deck gekommen und gebückt unter der Tür stehengeblieben war. Neben ihr stand eine schmale, in ein dunkelgraues Gewand gekleidete Gestalt. Ihr Gesicht war unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze des Mantels verborgen; die Hände mit einer dünnen silbernen Kette aneinandergefesselt. Eine zweite Kette führte von ihrem Handgelenk zu einem wuchtigen Ring in Gowennas Fingern. Der Anblick ließ eine Welle heißen Zorns in Skar aufsteigen. Was immer Vela getan hatte, es gab keinen Grund, sie wie einen Hund zu behandeln.

Rayan wollte auffahren, aber Skar legte ihm rasch die Hand auf den Unterarm und trat auf Gowenna zu. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er scharf.

Gowenna hielt seinem Blick gelassen stand. »Das wirst du gleich erfahren, Satai«, sagte sie abfällig.

»Ich hoffe es«, mischte sich Rayan ein. »Wir haben im Moment nämlich nicht die nötige Muße, uns zu unterhalten.«

»Vela und ich verlassen das Schiff«, sagte Gowenna kühl.

Rayan blinzelte überrascht. »So?« machte er. »Und wie, wenn ich fragen darf? Wollt ihr schwimmen?«

»Du wirst uns eines deiner Beiboote geben«, antwortete Gowenna. Sie sprach so schnell, als hätte sie sich die Antwort auf seine Frage sorgsam überlegt. »Und ein paar Männer, die uns rudern.«

Rayan ächzte, aber Gowenna gab ihm keine Gelegenheit zu antworten. »Es ist zu gefährlich, während des Kampfes an Bord zu bleiben«, fuhr sie fort. »Das Schiff kann in Brand geraten oder sinken – sie wäre verloren, vorne in ihrer Zelle.«

»Deine Besorgnis ist rührend«, sagte Rayan ätzend, »aber sie kommt zu spät, Gowenna. Wir haben keine Zeit, und ich kann keinen Mann hier an Bord entbehren.«

»Ich habe dich für diese Fahrt bezahlt, Rayan«, antwortete Gowenna. Ihre Stimme klang plötzlich schneidend. »Sehr gut bezahlt sogar. Und mit dem Geld hast du auch die Verantwortung für ihr Leben übernommen. Ich werde mit Vela an Land gehen, bis der Kampf vorüber ist. Gib mir ein Boot und zwei Mann, die uns rudern können.«

Skar sah, wie sich Rayans Gesicht vor Zorn rötete. »Gowenna hat recht«, sagte er hastig. »Es ist zu gefährlich, wenn sie an Bord bleibt.«

Rayan fuhr mit einer wütenden Bewegung herum. »Auf welcher Seite stehst du, Satai?« zischte er.

»Auf der der Ehrwürdigen Mutter«, antwortete Skar ruhig. »Sie hat uns auf diese Reise geschickt, damit wir Vela sicher am Berg der Götter abliefern. Außerdem verlierst du nichts – gib ihr ein, zwei von deinen Männern und die Verletzten mit.«

Rayan schluckte. Aber er schien einzusehen, daß er sich im Moment in der schlechteren Position befand. Natürlich war er der Kapitän des Schiffes und sein Wort hier an Bord Gesetz, ganz egal, was vorher beredet und vereinbart worden war –, aber Gowenna hatte recht. Die Errish würde nicht nur keine Hilfe, sondern unter Umständen eine Behinderung sein, wenn es zu einem Nahkampf mit dem Dronte kam. Und er würde sich vor seinen Leuten ins Unrecht setzen, wenn er bei seiner Weigerung blieb. »Gut«, gab er gepreßt von sich. »Zwei Mann, die Verwundeten und Lebensmittel für drei Tage. Aber beeilt euch. Ich will nicht noch mehr Zeit verlieren.«

Skars Blick heftete sich kurz auf den Eisstrand am anderen Ende des Sees. Ein Aufstieg an dieser Seite war sicher ungefährlicher als das, was sie vorhatten, aber auch zeitraubender. Und Zeit war genau das, was sie im Moment nicht hatten. Er griff nach dem Tau, zog es straff und wickelte es sorgsam um Fäuste und Handgelenke.

Rayan wandte sich an den Veden rechts neben sich und wechselte ein paar schnelle Worte mit ihm, die Skar nicht verstand. Der Vede nickte.

»Er wird dich begleiten«, sagte Rayan plötzlich.

Del wollte auffahren, aber Rayan brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Schweigen. »Ich habe unseren Plan ein klein wenig geändert«, sagte er ruhig. »Der Satai bleibt hier, Skar. Dafür wird Brad mit dir dort hinaufgehen.«

Skar schwieg einen Moment. Er war nicht einmal sonderlich überrascht. Irgendwie hatte er die ganze Zeit über gespürt, daß der Freisegler ihm nicht traute. Nicht, daß er glaubte, sie würden ihn verraten. Aber sein Vertrauen in ihre Fähigkeiten war nicht so groß wie das der meisten anderen Männer, die Skar kennengelernt hatte. »Du bist mißtrauisch wie eh und je«, bemerkte er.

Rayan zuckte gleichmütig die Achseln.

»Wir möchten nur verhindern, daß ihr kurzfristig eure Meinung ändert und vielleicht plötzlich Sympathie für die andere Seite entdeckt«, mischte der jüngere der beiden Veden sich bissig ein.

Skars Miene verdüsterte sich. Er wußte, daß der Nordländer nicht wirklich meinte, was er da sagte, sondern die Worte einzig aussprach, um ihn zu reizen, aber er ärgerte sich trotzdem darüber. Vielleicht gerade.

Seltsamerweise rief Rayan den Veden nicht zur Ordnung, wie er es normalerweise getan hätte.

»Ein ehrliches Wort.«

»Ein ehrliches Wort im richtigen Moment«, sagte Helth. »Du und Brad werdet dort hinaufgehen. Del und ich werden den Angriff hier unten mitmachen.«

Skar hob ergeben die Schultern. Rayan schwieg noch immer. In seinen Augen stand ein lauernder Ausdruck. Aber Skar dachte nicht daran, die Auseinandersetzung auf die Spitze zu treiben. Es war kaum der richtige Zeitpunkt für eine Kraftprobe. Und es blieb auch gar keine Zeit für lange Diskussionen. Im Grunde hätte es Skar sogar gewundert, wenn Rayan anders als gerade so reagiert hätte.

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, stieg auf die Reling und stieß sich mit einer kraftvollen Bewegung ab.

Er merkte sofort, daß er sich verschätzt hatte.

Das Tau spannte sich, und die Eiswand sprang wie mit einem plötzlichen Satz auf ihn zu. Durch die Länge des Seiles, an dessen Ende er wie das Gewicht eines überdimensionalen Pendels hing, war seine Geschwindigkeit viel zu hoch. Er zog instinktiv die Beine an, spannte die Muskeln und versuchte, den Aufprall abzufangen.

Der Schlag war von grausamer Härte. Ein weißglühender Schmerz explodierte in seinen Knöcheln, pulsierte durch seinen Körper und ließ ihn aufschreien. Für einen Moment lockerte der Schmerz seinen Griff.

Vom Deck der SHAROKAAN ertönte ein vielstimmiger Aufschrei, als Skar ein Stück weit am Seil abrutschte, bis zur Hüfte ins eiskalte Wasser eintauchte, sich am Ende des Seiles drehte, und ein zweites Mal, diesmal mit Schultern und Hinterkopf, mit immer noch großer Wucht gegen die Wand geschleudert wurde. Das Seil schnitt wie ein Messer in seine Handflächen. Der Ruck war so gewaltig, daß er für einen Moment glaubte, die Arme würden ihm aus den Schultergelenken gerissen. Ein neuer, noch schlimmerer Schmerz raste durch seinen Körper und verwandelte seinen Schrei in ein gequältes Aufheulen. Blut floß in seine Augen und verschleierte seinen Blick. Er spürte, wie sich seine Muskeln unter der Anspannung verkrampften und seine Kraft schwand, als wäre irgendwo in seinem Körper eine unsichtbare Schleuse geöffnet worden, durch die seine Lebensenergie hinauspulsierte. Aber er klammerte sich verzweifelt fest, biß die Zähne zusammen und zog trotz der Höllenqualen die Beine an. Er mußte aus dem Wasser heraus. Schon jetzt, nach wenigen Augenblicken, war sein Körper von den Hüften abwärts taub und alles Gefühl aus seinen Beinen gewichen. Er spürte, wie die Kälte in ihn hineinkroch, in ihrem Gefolge eine beinahe wohltuende, verlockende Lähmung führend, wie sie seine Rücken- und Schultermuskeln erreichte und auch sie betäubte. Sein Griff begann sich zu lockern. Mit jeder Sekunde wurde es schwerer, sich am Seil festzuhalten. Aber wenn er abrutschte, war er verloren. An Schwimmen war bei diesen mörderischen Temperaturen nicht zu denken. Er wäre tot, bevor er die ersten drei Züge gemacht hätte.

Skar schloß die Augen, preßte die Kiefer zusammen und zog sich Zentimeter um Zentimeter aus dem Wasser. Seine Beine waren taub und gehorchten seinen Befehlen nicht mehr, so daß sein ganzes Gewicht nun auf Arm- und Schultermuskeln ruhte, und an seinen Füßen schienen Zentnergewichte zu hängen. Das Wasser hielt ihn fest, zerrte mit aller Macht an ihm und versuchte, sein schon sicher geglaubtes Opfer zurückzuholen. Das feuchte Tau gefror in der eisigen Luft beinahe augenblicklich; seine Finger fanden kaum mehr richtigen Halt. Seine Kraft ließ nach. Langsam, aber unbarmherzig rutschte er ins Wasser zurück.

Irgend etwas sauste an ihm vorbei und grub sich splitternd ins Eis, nur wenige Handbreit von seiner Schulter entfernt. Skar drehte mühsam den Kopf und starrte, ohne zu verstehen, was er sah, auf den Axtstiel, der zitternd neben ihm aus dem Eis ragte.

»Halt dich fest«, schrie eine Stimme. Eine zweite Axt zischte heran und blieb vibrierend neben der ersten stecken.

Skar löste mühsam die rechte Hand vom Seil. Seine Finger waren steif und verkrampft, die Hand fühlte sich an wie ein Stück Holz. Er glitt ein weiteres Stück ins Wasser, griff mit einer verzweifelten Bewegung nach dem Beil und zog sich mit letzter Kraft empor.

Er wußte nicht, wie lange es dauerte. Irgendwie schaffte er es, seinen gefühllosen Körper noch einmal aus dem Wasser zu ziehen und sich festzuhalten. Begriffe wie Zeit und Raum wurden unwichtig, und alles, was in seinem Hirn Platz hatte, waren Kälte und Schmerz und der einzige Gedanke, nicht loszulassen. Irgendwie gelang es ihm, auch die andere Hand vom Seil zu lösen und sich auf die beiden Axtstiele hinaufzuziehen und in einer einigermaßen sicheren Haltung sitzen zu bleiben. Der See und das Eis begannen sich um ihn zu drehen, und Schwäche breitete sich wie lähmendes Gift in seinen Adern aus. Ihm wurde übel. Er würgte, kämpfte den Brechreiz nieder und versuchte, auch die Schwäche zurückzudrängen. Es war schwer, unendlich schwer, aber es ging. Das dumpfe Dröhnen in seinen Ohren ebbte allmählich ab, und er verstand die Worte, die ihm vom Schiff aus zugerufen wurden.

Skar!

Es war Gowennas Stimme. Er blinzelte, hob die Hand ans Gesicht und fühlte Blut. Der rote Schleier war noch immer vor seinen Augen, und irgend etwas Warmes und Klebriges lief seinen Nacken herunter und erstarrte in der eisigen Luft. Er sah das Schiff wie durch einen wogenden, von roten Streifen durchzogenen Schleier. Gowenna stand inmitten der Besatzung hinter der Reling und gestikulierte aufgeregt zu ihm herüber. »Kannst du mich verstehen?«

Er versuchte zu nicken. Die Bewegung war so schwach, daß man sie drüben wahrscheinlich nicht einmal sah. »Es … geht«, sagte er mühsam. Seine Lippen waren taub und rissen auf, als er sich zwang, sie zu bewegen. Die eisige Wand klebte an seiner Haut fest, und in seinen Adern war kein Blut mehr, sondern ein Strom reißender scharfer Eiskristalle, die ihn von innen heraus zerschnitten.

»Kannst du weiterklettern?« rief Gowenna.

Skar hätte gelacht, wenn er die Kraft noch aufgebracht hätte. Seine Muskeln waren hart wie Holz, und seine Linke schien am Seil festgefroren zu sein. Wahrscheinlich fiel er nur deshalb nicht von seinem provisorischen Sitz herunter, weil sein Körper einfach zu steifgefroren war, um sich überhaupt noch bewegen zu können.

»Halt aus!« rief Gowenna. »Wir holen dich!«

Das Katapult wurde neu geladen und ausgerichtet. Die Männer arbeiteten mit fieberhafter Eile, aber ihre Bewegungen kamen Skar trotzdem langsam und träge vor, und das Schiff begann immer wieder vor seinen Augen zu verschwimmen und schien sich immer weiter zu entfernen.

Ein zweiter Bolzen prallte dicht neben dem ersten gegen die Wand, rutschte klirrend herunter und klatschte ins Wasser. Rayan begann zu schreien und überschüttete die Männer am Katapult mit einem Schwall von Flüchen und Verwünschungen. Das Seil wurde eingezogen und neu aufgewickelt, während die Matrosen das Katapult für einen weiteren Schuß spannten.

Skar beobachtete das Treiben auf dem Schiff ohne sonderliche Anteilnahme. Er mußte all seine Willenskraft aufwenden, um nicht einzuschlafen. Die Kälte wich Stück für Stück aus seinem Körper und wurde von einer tauben, auf eigenartige Weise beinahe wohltuenden Müdigkeit abgelöst. Es war sein sicherer Tod, wenn er jetzt einschlief, das wußte er. Trotzdem fiel es ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer, die Augen offenzuhalten.

Das Katapult entspannte sich mit einem schmetternden Knall. Diesmal saß der Bolzen sicher im Eis, kaum eine Handbreit unter dem ersten. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt schwang sich mit einer eleganten Bewegung über die Reling der SHAROKAAN, glitt dicht über der Wasseroberfläche auf ihn zu und begann noch während des Sprunges am Seil emporzuklettern. Offensichtlich hatte der Mann aus seinem Fehler gelernt.

Wieder vergingen Minuten; Zeit, in der es Skar immer schwerer fiel, seinen Geist gegen die dunkle Woge hinter seiner Stirn zu behaupten. Die Schwingungen des Seiles neben ihm wurden länger, als der Mami mit kraftvollen Bewegungen daran heraufkletterte.

»Halt aus!« brüllte Rayan. »Brad läßt dir ein Seil herunter!«

Skar wollte nicken, aber selbst dazu fehlte ihm die Kraft.

Von oben ertönte für eine Weile ein hektisches Klirren und Hämmern; Eis rieselte herab und ließ unter ihm das Wasser aufspritzen. Skar zerbrach sich eine Weile den Kopf über die Ursache des Geräusches, aber seine Gedanken führten einen irren Tanz auf und weigerten sich, in geordneten Bahnen zu laufen. Trotzdem klammerte er sich daran fest, lauschte auf jeden Laut, jede Nuance, nur um nicht einzuschlafen.

»Das Seil, Skar!«

Wieder Gowennas Stimme. Er verstand die Worte, aber es war so schwer, ihren Sinn zu begreifen. Er war so müde. Alles was er wollte, war schlafen; die Augen schließen und der verlockenden Wärme nachzugehen. Aber er durfte es nicht. Nicht jetzt.

»Skar! Nimm das Seil! Die Schlaufe!«

Diesmal glaubte er einen Unterton von Verzweiflung in ihren Worten zu hören. Aber sie mußte trotzdem noch vier- oder fünfmal rufen, ehe Skar endlich reagierte. Mühsam hob er den Kopf und blinzelte nach oben. Die Sonne stand als lohender Ball über dem Rand des Kraters. Ihr Licht brach sich in der schimmernden Eiskante und blendete ihn, gaukelte ihm Schatten und Bewegung vor, wo nur eisige Starre war. »Das Seil, Skar!« Wieder diese Stimme. Er blinzelte, zwang sich, in das regenbogenfarbige Licht zu sehen und drehte mühsam den Kopf.

Neben ihm baumelte eine Seilschlaufe. Er griff ungeschickt danach, verfehlte sie und wäre um ein Haar von seinem improvisierten Sitz gefallen. Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm, sie mit starren Fingern zu ergreifen und ungeschickt über Kopf und Schultern zu streifen.

Von oben wurde das Seil angezogen. Die Schlaufe zog sich zusammen und schnitt schmerzhaft wie ein glühender Draht in seine Haut. Er bekam kaum noch Luft. Das Seil spannte sich, und Skar wurde unsanft in die Höhe gerissen. Sein Körper pendelte wild hin und her. Er versuchte, sich mit den Händen abzustützen und wenigstens die schlimmsten Schläge aufzufangen, war aber trotzdem schon nach Sekunden von einer Unzahl von Prellungen und blutigen Schürfwunden übersät. Der Schmerz ließ ihn aufstöhnen, aber gleichzeitig war er beinahe dankbar dafür, denn er zerriß die schwarze Decke, die sich über sein Bewußtsein legen wollte. Wie ein Ertrinkender griff er danach, zog sich an ihm entlang wie an einer dünnen, brennenden Rettungsleine, klammerte sich an die letzte Möglichkeit, nicht das Bewußtsein zu verlieren und endgültig in den drohenden Abgrund zu fallen: Bewußtlosigkeit und Schlaf, denen der Tod folgen würde.

Der Aufstieg dauerte nicht lange. Schiff und Meer sackten unter ihm weg, und schon nach kurzer Zeit tauchte die Kante der Eismauer vor ihm auf; dann griffen zwei kräftige Hände unter seine Achseln und zerrten ihn vom Abgrund weg. Dunkle Augen blickten besorgt aus einem sonnengebräunten Gesicht auf ihn herab.

»Bleib ganz ruhig liegen«, sagte Brad. Seine Stimme klang dunkel und rauh; anders, als Skar sie vom Schiff her in Erinnerung hatte. Man spürte, daß er nicht viel sprechen wollte. Er musterte Skar besorgt, streifte dann mit einer entschlossenen Bewegung seinen Fellmantel ab und breitete ihn über Skar aus. »Warte einen Moment.«

Skar drehte mühsam den Kopf. Der Vede hatte eine Anzahl stählerner Haken in das Eis getrieben und eine Art primitiven Flaschenzug daran befestigt: die Hammerschläge, die er unten gehört hatte. Jetzt griff er nach dem Tau und warf es in die Tiefe. »Er lebt!« schrie er mit vollem Stimmaufwand. Skar hörte keine Antwort von unten, aber Brad wandte sich mit einem zufriedenen Nicken um und kam zu ihm zurück. Seine Gestalt verschwamm vor Skars Augen, und seine Stimme klang nach Kälte und Eis.

»Du darfst nicht einschlafen«, sagte Brad warnend. »Wenn du einschläfst, dann stirbst du.« Er sah kurz auf und lächelte rasch und flüchtig. »Das Kunststück, das du da zum besten gegeben hast, war nicht besonders schlau«, sagte er. »Ich habe euch Satai eigentlich immer für intelligenter gehalten. Ich muß mich getäuscht haben.«

»Und ich«, gab Skar mühsam zurück, »habe immer geglaubt, ihr Veden wäret eingebildete Gimpel. Ich scheine mich ebenfalls getäuscht zu haben.«

Brad stutzte, starrte ihn einen Herzschlag lang verwirrt an und lachte plötzlich, schallend und ausdauernd. »Eins zu null für dich, Skar. Man sollte einen Satai doch nicht unterschätzen. Wenigstens mit Worten kannst du umgehen«, fügte er mit gutmütigem Spott hinzu.

Das Seil in seinen Händen ruckte zweimal hintereinander. Brad wandte sich um, trat wieder an die Kante und begann etwas mit Hilfe des Flaschenzuges heraufzuziehen. Wenige Augenblicke später hievte er ein umfangreiches, in Decken und Felle verschnürtes Paket über die Kante, hob es mit einem Ruck hoch und trug es zu Skar hinüber.

»Zieh dich aus«, sagte er, während er das Bündel öffnete und seinen Inhalt durchwühlte.

Skar stemmte sich mühsam hoch und begann, Harnisch und Lendenschurz abzulegen. Seine ungelenken Finger ließen jeden Handgriff zu einem mühsamen, schmerzhaften Abenteuer werden, aber er schaffte es. Nach ein paar Augenblicken hockte er nackt und frierend neben dem Veden.

Brad reichte ihm eine schmale tönerne Flasche. »Hier«, sagte er. »Reib dich damit ein. Aber gründlich.«

Skar griff nach der Flasche und machte sich unbeholfen am Verschluß zu schaffen. Der Vede sah ihm eine Weile amüsiert dabei zu, ehe er ihm wortlos die Flasche aus der Hand nahm und den Korken entfernte. Er goß Skar etwas von ihrem Inhalt über die Schultern und begann die Flüssigkeit methodisch zu verreiben. Sie brannte wie Feuer, aber Skar fühlte sich auch fast augenblicklich besser. Eine Woge wohltuender Wärme floß durch seinen Körper; gleichzeitig begann seine Haut zu schmerzen, als würde sie ihm in Streifen vom Leib gerissen.

»Was ist das?« fragte er.

Brad träufelte eine weitere Handvoll der übelriechenden braunen Brühe auf ihn und ließ seine Hände mit geübten massierenden Bewegungen über seinen Rücken kreisen. »Nashtan«, antwortete er. »Ein Gemisch aus verschiedenen Ölen und Pflanzensäften. Wir benutzen es, wenn wir bei niedrigen Temperaturen ins Wasser müssen. Es legt sich wie eine zweite Haut um dich und hindert deine Körperwärme daran, zu entweichen. Wie eine Decke, weißt du? Nur wirksamer.«

Skar zog eine Grimasse. »Ihr hättet mir vorher sagen können, daß es so etwas gibt.«

Brad grinste. »Niemand hat geahnt, daß du baden wolltest.«

Skar war gerade dabei, etwas darauf zu erwidern, aber Brad schlug ihm in diesem Moment so kräftig zwischen die Schulterblätter, daß er stöhnend in die Knie brach und erst einmal sekundenlang nach Luft rang. Als er wieder zu Atem gekommen war, drückte ihm der Vede die Flasche in die Hand und machte eine auffordernde Bewegung. »Mach allein weiter. Die Bewegung wird dir guttun. Du mußt das Zeug gründlich einmassieren, wenn es helfen soll. Aber vergiß nicht, es hinterher wieder abzuwaschen. Sonst erstickst du.«

Seine Worte erinnerten Skar an irgend etwas, aber er war zu müde, um den Gedanken weiter zu verfolgen. Gehorsam begann er sich von Kopf bis Fuß mit der zähen Flüssigkeit einzureiben. Die versprochene Wirkung stellte sich fast augenblicklich ein, wenn sie wahrscheinlich auch weniger auf das Öl als auf die Bewegung zurückzuführen war, die er seinen schmerzenden Muskeln aufzwang. Die Lähmung wich allmählich aus seinen Gliedern und wurde von kribbelnden, stechenden Schmerzen abgelöst, winzigen glühenden Nadeln, die tief in sein Fleisch stachen und die Starre daraus vertrieben. Als er fertig war, kauerte er sich zusammen, schlug die Arme um den Oberkörper und verkroch sich unter Brads Umhang.

Der Vede schüttelte mißbilligend den Kopf. »Bleib lieber in Bewegung«, riet er. »Die Wärme täuscht. Du bist unterkühlt – wenn du einschläfst, wirst du nicht wieder erwachen.«

»Das hast du schon einmal gesagt«, fiel ihm Skar grob ins Wort. »Ich bin nicht taub.«

Brad zuckte mit den Achseln, wandte sich um und warf sein Tau ein zweites Mal in die Tiefe, um noch mehr Material von der SHAROKAAN heraufzuziehen. Wenn ihn Skars rüde Worte ärgerten, so ließ er sich nichts anmerken.

Skar bedauerte seinen groben Tonfall bereits wieder. Der Vede hatte ihm das Leben gerettet, ganz egal, wie man es betrachtete. Er hatte kein Recht, so mit ihm zu reden. Aber er war auch zu stolz, sich zu entschuldigen.

Es war nicht die Wahl von Brads Worten gewesen, sondern die Tatsache, daß es ein Vede war, der sie aussprach. Sie waren sich ähnlich, sowohl im Denken als auch in ihrer einsamen Art zu leben, so ähnlich, daß ein Außenstehender die Unterschiede vielleicht gar nicht bemerken würde; aber gerade in dieser Ähnlichkeit, Dinge in der gleichen und doch wieder ganz anderen Art zu sehen und zu tun, lag die unüberbrückbare Kluft zwischen Veden und Satai. Während die Satai überall auf Enwor als Krieger bekannt und gefürchtet waren, bildeten die Veden eine kleine verschworene Gemeinschaft mit einer eigenen Religion, einer eigenen Kultur und sogar einer eigenen Sprache. Es kam nicht oft vor, daß Veden außerhalb ihres Stammesgebietes hoch oben im Norden von Thbarg gesehen wurden. Meistens reisten sie in kleinen Gruppen zu zweien oder dreien, verdingten sich als Leibwächter für Herzöge oder Könige, seltener traten sie – wie Brad und sein Kamerad – in die Dienste eines reichen Kaufmannes. Veden waren teuer. Vielleicht war der grundlegende Unterschied zwischen Veden und Satai der, daß die Satai aus Überzeugung oder auch aus reiner Abenteuerlust handelten, während die Veden ihre Dienste für Geld feilboten, für einen Preis, den selbst Könige nicht immer zu zahlen in der Lage waren. Aber sie waren ihr Geld wert. Selbst ein erfahrener Satai wie Skar würde es sich zweimal überlegen, Händel mit einem Veden zu beginnen.

Und sie waren stolz – ein Stolz, der nach außen hin wie Überheblichkeit aussehen mochte und für den sich die schweigsamen Einzelgänger den Ruf der Borniertheit eingehandelt hatten. Skar wußte, wie falsch dieses Vorurteil war. Er war noch nicht oft mit Veden zusammengetroffen, aber er fühlte, daß sich hinter ihrem verschlossenen Auftreten nichts als Wachsamkeit verbarg, Wachsamkeit und ein tiefsitzendes Mißtrauen nicht nur allem Fremden, sondern selbst dem Bekannten und sich selbst gegenüber, ins Extrem getrieben und über unzählige Generationen weitervererbt. Sie hatten Mißtrauen und Ablehnung zur Richtschnur ihres Handelns erhoben und wie einen Schutzwall um sich herum aufgebaut; ein Wall allerdings, der sie auch isolierte, sie zu Außenseitern machte. Aber man fürchtete sie.

Die Frage, welche der beiden Kasten aus einem ernstgemeinten Zusammenstoß als Sieger hervorgehen würde – Veden oder Satai –, war Anlaß unzähliger Diskussionen gewesen, aber sie war nie geklärt worden und würde niemals geklärt werden. Einem ungeschriebenen Gesetz folgend, gingen sich Satai und Veden aus dem Weg, ein Verhalten, das weniger von Ablehnung oder Mißtrauen, sondern vor allem von gegenseitigem Respekt und dem Wissen um die Fähigkeiten des anderen bestimmt wurde. Skar konnte sich keinen Grund vorstellen, der einen Satai dazu bringen sollte, gegen einen Veden zu kämpfen, oder umgekehrt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Veden und Satai … Skar schrak allein vor dem Gedanken zurück. Sollte irgendwann einmal das Undenkbare geschehen und ein Krieg zwischen den beiden Kasten ausbrechen, würde es das Ende der Welt bedeuten, wie sie sie kannten.

»Woran denkst du?« fragte Brad unvermittelt.

Skar schrak auf. Für einen Moment fühlte er sich so schuldig, als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen. Was brachte ihn nur auf solche Ideen? Zwischen den Satai und den Veden herrschte Frieden, seit es die beiden Kasten gab – wieso dachte er da an Krieg und Weltuntergang? Hatte ihn der Dronte mit seinem Todesatem schon so weit angesteckt, daß er nur noch in Kategorien von Vernichtung und Tod denken konnte?

»Nichts«, sagte er hastig und lächelte. Für einen Veden war Brad ungewöhnlich gesprächig. Aber vielleicht war er auch nur nervös – Vede oder nicht, er mußte das gleiche fühlen wie Skar. Wenigstens das verband sie, dachte er. Ihre Angst. Sie kannten die gleichen Ängste wie alle anderen Menschen, nur wußten sie sie ein wenig besser zu verbergen und manchmal sogar ins Gegenteil zu wenden, sie sich sogar dienstbar zu machen. Jeder Satai wußte, was Angst war, gut und manchmal sogar zu gut. Ein Mann, der keine Angst kannte, lebte nicht lange genug, um Vede oder Satai zu werden.

»Nichts«, sagte er noch einmal. »Es war … nichts.«

Brad lächelte. »So?«

»Vielleicht habe ich über die Frage nachgedacht, was zwei Veden wie euch an Bord eines Freiseglers gebracht hat«, sagte Skar, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen und Brad nicht spüren zu lassen, was er gedacht hatte. »Zahlt Rayan so gut, oder seid ihr ihm auf andere Weise verpflichtet?«

Brad schwieg eine Weile, und Skar fürchtete fast, mit seiner Frage zu weit gegangen zu sein. Die Beweggründe des Veden gingen ihn nichts an, und er wußte, wie empfindlich Veden auf Fragen reagierten, die ihren persönlichen Bereich anrührten.

»Wir sind Brüder«, sagte Brad plötzlich. »Helth und ich sind Brüder. Und Söhne.«

»Wie meinst du das?«

»Rayans Söhne«, gab Brad mit überraschender Offenheit zu. »Wir sind Rayans Söhne, Helth und ich.«

»Rayans …« Skar suchte verblüfft nach Worten. »Der alte Seebär ist ein Vede?« fragte er ungläubig. Für einen Moment erinnerte er sich Rayans, wie er ihn zum letzten Mal unten auf der SHAROKAAN gesehen hatte: klein, kräftig, mit zuviel Speck über den sicherlich vorhandenen Muskeln, kahlköpfig und mit einem scharfen Blick, dem nicht die kleinste Kleinigkeit entging; ein Krämer, der in die Rolle eines Kriegers geschlüpft war. Jedenfalls hatte er das bisher geglaubt. Aber es war gerade umgekehrt.

»Er war es, bis er unsere Mutter traf«, nickte Brad. Es schien ihm nicht das geringste auszumachen, über sich und seine Vergangenheit zu reden, ein Verhalten, das in krassem Gegensatz zu dem Eindruck stand, den Skar bisher von ihm gewonnen hatte. Er schien im Gegenteil froh zu sein, mit jemandem reden zu können. Aber wäre Skar selbst nicht ebenso froh darum gewesen? Wenn nicht er, wer sollte dann wissen, was es hieß, in einer Welt voller Feinde zu leben, allein zu sein? Und hatte er sich selbst nicht schon ein paarmal dabei ertappt, mit dem Wind oder dem Meer zu sprechen? »Er stand vor der Wahl«, fuhr Brad fort, nachdem er sich im Schneidersitz neben Skar niedergelassen und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, »sein Weib und sein ungeborenes Kind zu verlassen oder sein Volk. Er entschied sich für sein Weib. Eine Wahl, die einem Mann zur Ehre gereicht«, fügte er hinzu. Bei jedem anderen hätten diese Worte wie eine Rechtfertigung geklungen, aber aus seinem Munde hörten sie sich wie eine Selbstverständlichkeit an.

Skar nickte impulsiv. Nicht viele Männer hätten den Mut aufgebracht, diesen Schritt zu tun. Er mußte das Bild, das er sich über den Freisegler gemacht hatte, überdenken. »Und ihr?«

»Wir wurden Veden«, antwortete Brad. »Ich wurde nach Thbarg gebracht, als ich alt genug war, die Reise ohne meine Mutter oder eine Amme überstehen zu können, und als Rayans Weib das zweite Mal schwanger war, reiste sie selbst nach Thbarg und gebar dort Helth. Unser Volk straft nicht die ungeborenen Kinder für die Fehler ihrer Väter. Wir wuchsen als Veden auf, aber wir gingen, nachdem wir unsere Mannesweihe erhalten hatten. Zuerst ich, später Helth.«

»Ihr habt euer Volk verlassen?«

Brad schüttelte den Kopf. »Nicht für immer. Wir gelobten unserem Vater, ihm bei einer … Aufgabe zu helfen. Wenn sie erfüllt ist, kehren wir nach Thbarg zurück.«

Skar verzichtete darauf, den Veden nach der Art dieser Aufgabe zu fragen. Hätte er darüber reden wollen, so hätte er es getan.

Brad stand mit einem Ruck auf. »Ich habe noch zu tun«, sagte er knapp. »Ruh dich aus. Du wirst deine Kraft später noch brauchen. Aber schlafe nicht ein.« Fast, als wäre ihm erst jetzt und nachträglich bewußt geworden, daß er zuviel und über die falschen Dinge geredet hatte, drehte er sich mit einer hastigen Bewegung um und ging. Skar hörte ihn irgendwo hinter sich hantieren, widerstand aber der Versuchung, sich umzudrehen und das Gespräch fortzusetzen. Er spürte, daß der Vede jetzt allein sein wollte, aber er fühlte auch, daß Brad ihm das alles nicht aus einer Laune heraus oder gar aus Schwatzhaftigkeit erzählt hatte, sondern mit seinen Worten einen bestimmten Zweck verfolgte.

Er zog die behelfsmäßige Decke enger um die Schultern, während Brad damit begann, die beiden Fellbündel vollends aufzuschnüren und ihren Inhalt rings um sich auf dem Eis zu verteilen. Skar fror noch immer, aber die Kälte war jetzt nur noch unangenehm, nicht mehr tödlich, und seine Körperwärme begann sie allmählich unter der Decke herauszujagen. Eine wohlige Müdigkeit ergriff von ihm Besitz. Er schlief nicht, aber sein Zustand kam Schlaf doch sehr nahe; eine Art Trance, in der alles um ihn herum unwichtig wurde und aus der er erst lange nach Dunkelwerden wieder erwachte. Sein Kopf dröhnte, als er unter dem Umhang hervorkroch und sich vorsichtig aufrichtete. Er fieberte. Seine Kehle fühlte sich ausgedörrt und trocken an, und sein Rücken brannte, als wäre er mit Säure verätzt worden. Sein Herz schlug schmerzhaft und hart, und er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Brads Warnung fiel ihm ein. Widerstrebend stand er auf, streifte die Decke ab und begann sich mit Schnee abzureiben. Hinterher fror er genauso erbärmlich wie in dem Moment, in dem Brad ihn aus dem Wasser gezogen hatte, aber die Ruhe sowie die wärmende Wirkung des Nashtan hatten seinem Körper viel von seiner Kraft zurückgegeben. Er bückte sich, schlüpfte in seine noch immer feuchten Kleider und hielt nach Brad Ausschau. Der Vede stand an der seewärtigen Kante der Eismauer, winzig klein und verloren vor der gewaltigen schimmernden Fläche aus Eis. Skar fiel eigentlich erst jetzt auf, wie riesig das weiße Plateau war, auf das sie hinaufgestiegen waren – mehr als fünfhundert Meter lang, die Länge des Kanals. Was sie bisher als Wand bezeichnet hatten, war eine gewaltige, von einem Jahrtausende geduldig heulenden Wind glattgeschliffene Ebene, mächtig genug, einer Festung als Fundament zu dienen. Skar streckte sich, bewegte prüfend Arme und Beine und ging langsam zu dem Veden hinüber. »Wo ist er?« fragte er.

Brad deutete wortlos auf einen mächtigen schwarzen Schatten, der lautlos unter ihnen vorbeiglitt.

»Er kreuzt seit mehr als zwei Stunden dort. Er hat die Falle erkannt.«

»Du meinst, er wird nicht in den Kanal einfahren?«

Brad schwieg einen Moment. Sein Gesicht wirkte im schwachen Sternenlicht der Nacht bleich, aber auch weicher. Die harten Linien waren verschwunden oder hatten sich zumindest für den Augenblick hinter grauen Schatten verborgen, und um seinen Mund lag ein nachdenklicher, beinahe schon wehmütiger Zug. »Doch«, sagte er plötzlich. »Er wird. Er zögert noch, aber er weiß, daß ihm keine Wahl bleibt. Wahrscheinlich suchen sie nach einer Möglichkeit, die Mauer zu ersteigen, um uns in den Rücken zu fallen. Sie werden keine finden.«

Skar sah nach oben. Die Nacht war ungewöhnlich klar – nicht eine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Der Sturm hatte sich gelegt, und die Luft war von einer Durchsichtigkeit, wie man sie nur sehr weit im Norden und selbst hier äußerst selten fand. Es war hell, sehr hell. Die schimmernde Pracht der Sterne überschüttete das Meer mit einer Kaskade von silbernem, schattenlosem Licht, so daß der Blick fast so weit reichte wie am Tage, auch wenn man nicht so viele Einzelheiten erkennen konnte. Es war, als schienen die Sterne heller als sonst, weil die Götter dem Kampf zusehen wollten, dachte Skar.

Verwundert über sich selbst, rettete er sich in ein verlegenes Lächeln. Was waren das für Gedanken? Seine? Die Gedanken eines Mannes, der die Existenz von Göttern und Dämonen bisher strikt geleugnet hatte? Er versuchte, sie zu vergessen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem schwarzen Killersegler zu.

Brad würde wohl recht haben. Der Dronte konnte es sich einfach nicht leisten, eine langwierige Belagerung zu beginnen. Das Schiff war größer als die SHAROKAAN, aber im Gegensatz zu dem Freisegler war es kein Frachter, sondern ein Kaperschiff, wahrscheinlich randvoll gestopft mit Waffen und Kriegern. Kriegern, die essen und trinken wollten. Ihre Nahrung mußte bald knapp werden. Jedenfalls eher als die der Freisegler.

»Sie werden wissen, daß wir hier sind«, murmelte er.

Brad nickte. »Sie werden es sich zumindest denken. Ich würde es, wenn ich dort unten wäre. Aber es wird ihnen nichts nützen.«

Skar verzichtete auf eine Antwort. Brads Worte waren von einer zwingenden Logik, und trotzdem überzeugten sie ihn nicht.

Irgend etwas paßte nicht in das Bild, störte ihn. Aber er fand nicht heraus, was. Er versuchte, sich in den Kapitän des Dronte hineinzuversetzen. Er wußte nicht, was er an seiner Stelle tun würde, aber er wußte zumindest, was er nicht täte – nämlich offenen Auges in diese Falle rennen.

Aber hatte er überhaupt eine andere Wahl? Der Block aus Eis, in dem sie Zuflucht gesucht hatten, war gigantisch. Selbst von hier oben aus konnte er seine Grenzen nicht erkennen. Die senkrecht ins Meer stürzenden Wände aus Eis schienen sich meilenweit nach beiden Seiten zu erstrecken, ein endloser, sanft gekrümmter Bogen, dessen Konturen in unbestimmter Entfernung zu verschwimmen begannen, bis sie sich in Nichts auflösten und mit der Nacht verschmolzen. Er glaubte kaum mehr, daß es eine Insel war. Sie hatten die Küste eines neuen Kontinentes gefunden, einer neuen Welt. Wenn auch vielleicht einer Welt, die nur aus grimmiger Kälte und Eis bestand. Ein Land, ja, aber ein totes Land.

Skars Blick suchte wieder den mißgestalteten Rumpf des schwarzen Mordseglers. Trotz des hellen Sternenlichtes konnte er keine Einzelheiten erkennen. Es war, als verberge sich das Schiff hinter einem dunklen, wogenden Schleier, der dem Blick keinen sichtbaren Anhaltspunkt bot und trotzdem verhinderte, daß mehr als ein vager Gesamteindruck von Schwärze und Massigkeit erkennbar war. Trotz der Nähe blieb der Dronte ein plumper, häßlicher Schatten, der wie ein Bild aus einem bedrückenden Alptraum tief unter ihnen dahinzog; ein Schleier aus Nacht und Dunkelheit, der den Dronte wie eine dunkle Aura umgab. Und trotzdem sahen sie in diesem Augenblick wahrscheinlich mehr von dem Piraten als je ein Mensch vor ihnen. Jedenfalls mehr, schränkte er in Gedanken ein, als jeder, der eine Begegnung mit dem Dronte überlebt hatte, um davon zu berichten.

Skar hockte sich neben Brad auf den Boden. Die Hand des Veden lag auf dem Schwert, und auch Skars Finger glitten unbewußt zum Gürtel und legten sich um den lederbezogenen Griff des Tschekal. Die Berührung des kalten Metalls gab ihm Sicherheit; das Gefühl, etwas Bekanntes zu berühren, ein winziges Bindeglied zwischen dieser kalten, lebensfeindlichen Einöde und der Welt, aus der sie kamen.

Die Nachtluft trug ein dumpfes Klatschen zu ihnen herauf, als der Dronte wendete. Der plumpe schwarze Rumpf schwenkte in einer überraschend schnellen Bewegung herum; das Schiff legte sich auf die Seite und brach schäumend durch die Wellen. Die schwarzen Segel blähten sich knatternd.

Brad bewegte sich unruhig. Obwohl er kleiner war als Skar, erhob sich seine Gestalt wie ein riesiger schwarzer Schatten neben ihm gegen den sternenklaren Nachthimmel, und Skar hatte plötzlich ein absurdes Gefühl von Geborgenheit, von Wärme, die er schon lange vermißt hatte. Brad erinnerte ihn an Del, obgleich sie sich so unähnlich waren, wie sich zwei Männer nur sein konnten; nicht an den Del, der unten auf der SHAROKAAN war und auf seine Rückkehr wartete, sondern an einen anderen Del, einen, den er irgendwo auf den tödlichen Ebenen von Tuan verloren hatte, und eine seltsame Wehmut ergriff von ihm Besitz. Sie waren wieder zusammen, seit Del die Sumpfleute siegreich gegen die rebellischen Errish geführt hatte, und niemand hätte den Unterschied bemerkt. Aber es gab einen Unterschied, und der schmerzte. Sie sprachen und lebten miteinander, aber wenn sie es taten, so taten sie es in der Art, in der Fremde miteinander redeten, mit den gleichen vertrauten Worten wie früher, den gleichen Gesten und Bewegungen, den gleichen Scherzen, der gleichen selbstverständlichen Vertrautheit – und doch gab es einen Abstand, eine Kluft zwischen ihnen. Es war, als hätte Vela damals mehr zerstört als nur ihre räumliche Verbundenheit. Er war nicht mehr dazu fähig, jene Art von Freundschaft für den ungestümen jungen Draufgänger zu empfinden wie früher. Sie waren wie Brüder gewesen, mehr noch, wie Vater und Sohn, aber so sehr Skar auch in seinem Inneren nach einem Rest dieses Empfindens suchte, er fand nichts.

»Ist es wahr, was man sich an Bord erzählt?« fragte Brad plötzlich. »Daß das Kind der Errish von dir ist?«

Skar antwortete nicht gleich. Er war überrascht, nicht nur darüber, daß Brad es wußte – er hatte mit niemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit Del, aber Gerüchte wie diese pflegten sich immer und überall in Windeseile zu verbreiten –, sondern fast noch mehr darüber, daß er diese Frage überhaupt stellte. Er hatte ihn nicht für schwatzhaft gehalten. Aber eigentlich war ja auch der Brad, der mit ihm hier heraufgekommen war, um die Schlacht gegen den Dronte zu schlagen, ein ganz anderer Brad als der, den er unten auf der SHAROKAAN gekannt hatte.

»Ja«, sagte er nach einer Weile. »Ich … glaube, es ist wahr. Jedenfalls … hat sie es gesagt.«

Brad sah ihn an. »Und trotzdem bringst du sie in die Verbannung?« fragte er. »Die Mutter deines Kindes?« Was war das in seiner Stimme? dachte Skar erstaunt. Vorwurf?

»Es ist nicht mein Kind«, antwortete Skar, eine Spur zu hastig, wie er selbst merkte. »Vielleicht bin ich sein Vater, im körperlichen Sinne. Ich habe es gezeugt, aber das ist auch alles. Es hätte nie geschehen dürfen.«

Brad lächelte, aber Skar war sich nicht sicher, ob er den Grund dafür kannte. »Was hat sie getan?« fragte er.

»Vela?« Wieder zögerte Skar. Für einen Moment war er versucht, Brad den ganzen Hergang zu erzählen. Aber natürlich tat er es nicht. Sie hatten nicht genug Zeit, und er wollte es auch nicht. Es war zuviel Schmerz in dieser Geschichte.

»Ich kann nicht darüber reden«, sagte er. »Und es spielt auch keine Rolle. Jetzt nicht mehr.«

Brad schien das zu akzeptieren. »Hast du sie geliebt?« fragte er.

»Geliebt?« Skar schüttelte den Kopf. »Kaum. Vielleicht war es Mitleid, vielleicht hat sie mich auch behext. Sie war eine Errish, vergiß das nicht. Eine sehr mächtige Errish. Aber geliebt habe ich sie nicht. Ich habe versucht, sie nicht zu hassen, aber ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist.«

»Und jetzt?« fragte Brad.

»Ob ich sie hasse?« Skar überlegte einen Moment und schüttelte wieder den Kopf. Nein, sicher nicht. Er hatte versucht, jedes Gefühl für Vela aus sich herauszureißen, und es war ihm gelungen; teilweise wenigstens. »Nein«, sagte er. »Sie … sie ist eine Fremde für mich. Mehr nicht.«

»Ist das der Grund, warum du zuläßt, daß Gowenna sie wie einen Hund behandelt?« fragte Brad ruhig und diesmal, ohne ihn anzusehen.

»Del und ich sind nur zu ihrer Begleitung angeheuert«, antwortete Skar, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. »Vela ist ihre Gefangene, und solange sie sie nicht mißhandelt, haben wir kein Recht einzugreifen.«

»Aber sie mißhandelt sie. Vielleicht nicht körperlich, aber trotzdem sollte niemand einen Menschen behandeln, als wäre er ein Stück Vieh.«

»Gowenna haßt sie«, murmelte Skar. »Du hast ihr Gesicht gesehen – es war Vela, die ihr das angetan hat. Sie war eine schöne Frau, früher.«

»Ich weiß«, sagte Brad. »Es ist nicht das erste Mal, daß sie an Bord unseres Schiffes ist.«

»Und es war auch kein Zufall, daß die SHAROKAAN im Hafen von Anchor lag, als wir die Stadt erreichten«, fügte Skar hinzu. Es war ein Schuß ins Blaue, aber es war auch ein Verdacht, den er schon seit langem hegte.

Brad nickte ungerührt. »Nein. Wir waren zehn Tagesreisen entfernt, als uns ihre Nachricht erreichte. Es war kein Zufall – ebensowenig, wie es Zufall war, daß wir damals in Ikne lagen, um euch den Besh hinaufzubringen. Sie reist fast immer mit der SHAROKAAN, wenn sie eine Seereise antreten muß.

»Ihr wart auch damals schon an Bord?«

»Natürlich«, sagte Brad. »Aber ihr habt uns nicht gesehen. Gowenna wollte es nicht.«

»Und warum?«

Brad hob in einer seltsam schwerfällig wirkenden Bewegung die Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie … spricht nicht viel mit uns, weder mit mir noch mit meinem Bruder. Auch nicht mit Rayan. Ich glaube, sie mag ihn nicht besonders.«

»Aber warum fährt sie dann mit der SHAROKAAN?« fragte Skar verwundert. »Es gibt bequemere Schiffe.«

»Sie kannte unsere Mutter«, erklärte Brad. »Rayan hat es mir einmal erzählt. Bevor sie starb, waren sie oft zusammen. Gowenna war damals noch sehr jung; fast noch ein Kind. Ich glaube, für sie war Suquann – Rayans Weib – so eine Art Mutter. Als sie dann starb, kam sie weiter zu uns, obgleich ich nicht glaube, daß sie für meinen Vater dasselbe empfindet. Ich vermute, sie fühlt sich ihm irgendwie verpflichtet. So wie man weiter die Verbindung zu einer Frau aufrechterhält, deren Mann ein guter Freund war und der gestorben ist, verstehst du?«

Skar schwieg verblüfft. Er wußte, daß Gowenna älter war, als sie auf den ersten Blick wirkte – dreißig, vielleicht darüber, und er hatte auch Brad auf fast das gleiche Alter geschätzt. Nach seinen Worten war das unmöglich. Aber sein massiger Körperbau, der wild wuchernde Bart und das bis auf die Schultern reichende, volle Haar des Veden, und seine ernste Art, zu reden und sich zu geben, machten es schwer, sein Alter zu bestimmen.

»Sie kannte auch uns«, fuhr Brad fort, als hätte er seine Gedanken gelesen. Wahrscheinlich stand seine Verwunderung deutlich auf seinem Gesicht geschrieben. »Rayan hat erzählt, daß sie mich auf den Knien geschaukelt hat, als ich gerade drei oder vier war. Sie war damals selbst noch ein halbes Kind. Ich kann mich nicht daran erinnern.«

»Und sie trug einen anderen Namen«, murmelte Skar.

Diesmal war es Brad, der erstaunt nickte. »Kiina«, sagte er. »Woher weißt du das? Selbst Rayan hat es nur erfahren, weil sie sich einmal versprochen hat.«

»Das ist eine lange Geschichte«, versuchte Skar auszuweichen. »Vielleicht erzähle ich sie dir, wenn wir heil hier herauskommen. Wenn du sie dann noch hören willst.«

»Ich glaube nicht«, antwortete Brad, und irgendwie spürte Skar, daß dieses Nein endgültig war. Der Vede hatte ihm Vertrauen entgegengebracht, eine Winzigkeit nur, und doch unendlich viel für seine Verhältnisse. Er würde jetzt nicht weiter reden, und später, wenn sie zurück an Bord der SHAROKAAN waren, würde er wieder zu dem verschlossenen, abweisenden Mann werden, als den Skar und wahrscheinlich auch die Männer unten auf dem Schiff, vielleicht sogar sein Vater, ihn kannten.

Er seufzte, fuhr sich mit der Hand über die Augen und sah wieder auf den Ozean hinunter.

»Wir sind zu wenige«, stellte er fest.

Brad nickte. Skar spürte die Bewegung, obwohl sein Blick starr auf den drohenden schwarzen Schatten unter ihnen gerichtet blieb.

»Du hast recht«, murmelte der Vede. »Nur zwei gegen einen Feind, der noch niemals geschlagen wurde. Aber die Männer werden unten auf dem Schiff gebraucht.« Er wandte den Kopf und lächelte flüchtig; eine bedeutungslose Geste, in der keine Wärme, sondern wenn überhaupt ein Gefühl, dann höchstens Resignation und ein Anflug von Fatalismus lagen. In seinem ganzen Benehmen lag eine schwer zu fassende Art von Trauer; seine Bewegungen waren um eine Winzigkeit langsamer als gewohnt, seine Stimme um eine Spur leiser, sein Lachen nicht echt genug. »Die Männer werden unten gebraucht«, wiederholte er noch einmal. »Unsere Chancen stehen nicht schlecht, aber Rayan wird jede Schwerthand brauchen, wenn es doch zum Kampf kommen sollte.«

»Du rechnest damit?«

Brad schüttelte den Kopf. »Nein. Aber wir müssen auch mit dem Unberechenbaren rechnen. Das da unten ist kein dahergelaufener Pirat. Es ist ein Dronte.« Er sprach das Wort auf sonderbare Art aus, nicht so voller Haß, wie es Gowenna und Del und auch Skar selbst getan hatten, sondern beinahe respektvoll.

»Letztlich sind sie auch nur Menschen«, bemerkte Skat

In Brads Augen erschien ein seltsamer, schwer zu deutender Ausdruck. »Bist du sicher?« fragte er leise.

Skar blinzelte irritiert. Für einen Moment hielt er dem Blick des Veden stand, dann wandte er mit einem Ruck den Kopf und starrte wieder in die Tiefe. Brads Worte hatten ihn erschreckt. Vielleicht, weil er aussprach, was auch Skar die ganze Zeit über fühlte. Nur hatte er den Gedanken angstvoll vertrieben. Der Mordsegler zog dicht unter ihnen vorbei, dicht genug, daß er sich einbilden konnte, die Mastspitze mit der ausgestreckten Hand berühren zu können. Sein Blick tastete an der dunklen Linie des Hauptmastes herunter, glitt über die bizarren Umrisse des geblähten fünfeckigen Segels und verlor sich zwischen huschenden Schatten und ungreifbarem Nichts. Einen Moment lang glaubte er, eine schlanke, schwarze Gestalt auf dem Achterdeck zu entdecken, aber als er genauer hinsah, war sie verschwunden, und er war sich nicht sicher, ob sie wirklich da oder bloße Einbildung gewesen war.

»Wenigstens dieses Geheimnis werden wir lösen«, murmelte er nach einer Weile.

Brad nickte. »Dies und eine Frage, die mich schon lange bewegt.«

Skar wartete darauf, daß er weiterreden würde, aber er tat es nicht, und so fragte er: »Welche?«

»Die Frage, ob sie wirklich unbesiegbar sind, Skar.« Brad seufzte und ließ sich zurücksinken und stützte den Oberkörper mit den Ellbogen ab. Silbernes Sternenlicht wanderte über sein Gesicht und verwandelte es in eine verwirrende Landschaft aus Licht und dunklen, messerscharf gezogenen Schatten, in denen die Augen wie bodenlose schwarze Löcher wirkten. »Ich habe oft darüber nachgedacht, nicht nur während der letzten Tage. Sie gelten als unbesiegbar, aber niemand weiß, ob das stimmt.«

»Ein Mythos.«

»Möglich. Sicher zum großen Teil, aber nicht nur. Niemand hat jemals versucht, sie wirklich zu schlagen. Jedermann weiß, daß es unmöglich ist, einem Dronte zu entkommen. Oder glaubt es zu wissen.« Er lachte leise. »Aber man kann sich hinter einem Mythos so wirksam verbergen wie hinter einem Schild, nicht wahr? Es ist fast so wie mit dir und mir, Skar.« Er ließ sich weiter zurücksinken, seufzte und faltete die Hände hinter dem Kopf; er wirkte, als läge er irgendwo im Sonnenschein auf einer Wiese und genösse den Tag, nicht hier am Ende der Welt auf einer Mauer aus Eis und im Angesicht des schrecklichsten Feindes, gegen den Seeleute jemals gekämpft haben. »Jedermann weiß, wie stark wir Veden sind, und jedermann glaubt zu wissen, daß es Selbstmord ist, einen Kampf mit einem Satai zu beginnen.«

»In gewissem Sinne …«, begann Skar, wurde aber sofort wieder von Brad unterbrochen.

»Stimmt das, ich weiß«, nickte der Vede. »Aber auch wir sind nur Menschen. So mancher von denen, die sich vor uns fürchten, könnte uns in einem ehrlichen Kampf besiegen. Aber niemand versucht es auch nur. Sie haben Angst vor uns, nicht wirklich vor uns, vor den Menschen, die sich hinter euren schwarzen Harnischen oder unseren roten Umhängen verbergen, sondern vor unserem Mythos.«

»Manche versuchen es«, hielt Skar ihm entgegen.

Brad machte eine wegwerfende Geste. »Die Verrückten und Übermütigen«, sagte er.

»Und die Besten«, ergänzte Skar. »Du hast recht – die Menschen haben Angst vor uns, und deshalb wagen es nur die Stärksten, sich uns entgegenzustellen. Vielleicht ist das der Grund, weswegen auch Veden und Satai manchmal besiegt werden.«

Brad lächelte. »Auch eine Art, die Dinge zu betrachten«, murmelte er. »Hoffen wir, daß du recht hast und dein Beispiel auch auf den Dronte zutrifft.«

»Es war deines«, widersprach Skar. »Aber unsere Chancen stehen nicht schlecht. Selbst, wenn es ihnen gelingen sollte, die SHAROKAAN zu entern, werden sie eine böse Überraschung erleben. Dein Vater hat sich gut auf einen Zusammenstoß vorbereitet. Dazu kommen Helth und Del …« Er wiegte den Kopf. »Ich würde sagen, die Karten könnten schlechter verteilt sein.«

Aber trotz dieser optimistischen Worte sank seine Zuversicht mehr und mehr. Sicher – die Überraschung war auf ihrer Seite. Der Dronte würde bestimmt hartnäckigen Widerstand erwarten – jedermann wußte, daß Freisegler durchaus in der Lage waren, sich ihrer Haut zu wehren, und die meisten Piraten machten einen großen Bogen um sie –, aber er würde wohl kaum damit rechnen, plötzlich der Elite von Enwors Kriegerkaste gegenüberzustehen. Trotzdem war Vorsicht geboten, mehr denn je. Brads Worte hatten ihm klargemacht, daß der Dronte gar keine andere Wahl hatte, als sich zum Kampf zu stellen. Seine stärkste Waffe war Furcht, die Furcht, die die Seefahrer Enwors allein beim Klang seines Namens ergriff: sein Mythos. Wenn er die SHAROKAAN entkommen ließ, würde dieser Mythos zerbrechen. Er konnte es sich gar nicht leisten, den Freisegler davonfahren zu lassen.

Skar schüttelte mit einem leisen Seufzer den Kopf und blickte wieder auf das Meer hinab. Die Lautlosigkeit, mit der der Dronte dort unten seine Kreise zog, beunruhigte ihn fast mehr, als wenn er endlich angegriffen hätte.

»Ich frage mich, was er vorhat«, murmelte Brad, als hätte er Skars Gedanken erraten. Wahrscheinlich bewegten sich ihre Überlegungen im Moment in ziemlich gleichen Bahnen. »Er muß wissen, was ihm bevorsteht, wenn er in den Kanal einläuft. Ich wüßte es.«

»Ich auch«, bestätigte Skar. »Und ich – runter!«

Das letzte Wort hatte er geschrien. Er federte zur Seite, riß Brad mit einer kraftvollen Bewegung von der Klippe zurück und rollte sich, den Kopf an die Knie gezogen, so eng wie möglich zusammen. Irgendwo auf dem nachtschwarzen Meer unter ihnen war ein winziger, grausam heller Punkt entstanden, war blitzschnell zu einem Feuerball und dann zu einem flammensprühenden Blitz herangewachsen, der mit tödlicher Zielsicherheit zu ihnen heraufraste. Ein ungeheures Dröhnen und Brüllen erfüllte die Luft. Licht; gnadenlose, unerträgliche Helligkeit übergoß die Eislandschaft und fraß sich selbst durch Skars geschlossene Lider. Ein berstender Schlag traf die Klippe. Eine Welle weißglühenden Feuers rollte fauchend über Skar hinweg, versengte seine Haare und brachte seine Kleider zum Schwelen.

»Weg hier!« schrie er. Er fuhr herum, blinzelte aus tränenden Augen in das peinigende weiße Licht und robbte auf Händen und Knien von der Klippe fort. Vor ihm war Feuer, nichts als Feuer, Hitze, wabernde, kochende Luft und gierig ausgestreckte Flammenarme, die seinen Körper zu versengen trachteten. Neben ihm kroch Brad hastig über das Eis. Seine Finger hinterließen blutige Abdrücke auf dem weißen Untergrund.

Skar schrie vor Schmerz, als ein winziger Spritzer der brennenden Flüssigkeit seine Schulter streifte, aber sein Schrei ging im Brüllen der Flammen unter. Hinter ihnen tobte die Hölle. Die Klippe stand auf einer Länge von beinahe fünfzig Metern in Flammen. Das Geschoß des Dronte hatte die Kante mit tödlicher Präzision getroffen und zehn, fünfzehn Meter massives Eis augenblicklich verdampfen lassen. Das eigentliche Brandgeschoß war längst abgerutscht und ins Meer zurückgestürzt, aber das brennende Öl war ausgelaufen und verwandelte die Mauerkrone in ein flammendes Inferno. Eis verwandelte sich zischend und krachend in Dampf, explodierte unter der ungeheuren Hitze zu kochenden grauen Schwaden und wurde unter ihren Füßen rissig und wäßrig firnig. Winzige Pfützen bildeten sich, verschmolzen zu Rinnsalen, dann zu kleinen reißenden Bächen, die sich in die Flammen ergossen und abermals zu brodelnden Dampfwolken wurden, lange bevor sie sie erreichten.

Skar hob schützend den Arm vor das Gesicht und wich weiter zurück. Ein durchdringender schwefeliger Gestank lag in der Luft und nahm ihm den Atem. Der gesamte Berg schien zu vibrieren. Ein tiefer, stöhnender Laut drang an sein Ohr, ein Krachen und Bersten, als schrie die gesamte gewaltige Eismasse unter den Schmerzen, die ihr das Feuer zufügte.

Doch so gewaltig die Hitze auch war, das Eis siegte schließlich. Die Flammen wurden kleiner, verloren an Wut und Macht, wechselten von kalkigem Weiß zu schmutzigem Rot, das nach wenigen Augenblicken endgültig von den immer schneller nachstürzenden Schmelzwassern erstickt wurde. Nur der durchdringende Gestank, ein warmer Hauch und das Knistern des Eises blieb.

»Danke«, brachte Brad mühsam hervor.

Skar fiel es schwer, die Worte des Veden überhaupt zu verstehen. In seinen Ohren hallte noch das Dröhnen der gewaltigen Detonation nach. Er stöhnte, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und stocherte mit dem kleinen Finger im linken Ohr herum. Langsam ging er zu Brad hinüber. Das Gesicht des Veden war von Ruß verschmiert, und auf seiner nackten Brust bildete sich langsam eine gewaltige Brandblase. Sein Bart war angesengt.

»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Brad.

Skar winkte ab. »Das war ich dir schuldig. Wir sind quitt.«

Aber das stimmte nicht. Er wußte es, und Brad wußte es auch. Sie waren plötzlich mehr als zufällig zusammengekommene Kampfgefährten. Skar hätte bei jedem anderen genauso gehandelt, ebenso wie Brad sein Leben riskiert hätte, um jeden beliebigen Matrosen der SHAROKAAN aus der Eiswand zu befreien. Aber das, was zwischen ihnen geschehen war, das stückweise und behutsame Einreißen der Mauer, die zwischen Brad und ihm stand, gab dem Geschehen einen völlig neuen Aspekt.

»Das galt uns«, sagte Skar, während er auf die noch immer brennende Klippe zeigte; rasch, beinahe verlegen und nur, um auf ein anderes Thema überzuleiten. »Uns persönlich, Brad. Sie müssen uns gesehen haben. Wir sollten uns irgendwo eine sichere Deckung suchen – ich glaube nicht, daß das der einzige Angriff auf uns war.«

Brad wollte etwas erwidern, aber ein peitschender Knall von jenseits der Eismauer verschluckte seine Worte. Hinter ihnen stieg ein weiterer Höllenfunke in die Höhe, löschte das Samtblau des Himmels und das Silber der Sterne mit Feuer und Glut aus und überzog das Firmament mit Feuer und die Klippe mit tanzenden roten Schatten. Skar duckte sich instinktiv, aber dieser zweite Schuß ging weit über sie hinweg und versank funkensprühend hinter dem jenseitigen Rand der Eisebene.

Brad fuhr zusammen. »Ihr Götter!« keuchte er. »Die SHAROKAAN!

Für einen winzigen Moment flammten die Wände des Sees in schmerzhaftem Weiß auf, als der Eiskessel das Feuer des Geschosses reflektierte. Skar hatte den Eindruck, direkt am Rande eines ausbrechenden Vulkans zu stehen. Dann erlosch das Licht übergangslos. Ein dumpfer Schlag wehte zu ihnen herauf, ein Laut, als schlüge ein gigantischer Hammer auf einen noch gigantischeren Amboß, dann ertönte ein machtvolles Zischen, und eine ungeheure Dampfwolke verdunkelte den Himmel.

Skar wandte sich geblendet ab. »Du hast recht!« brüllte er über das Zischen und Brodeln der Dampfexplosion hinweg. »Er weiß, daß wir hier sind!«

Brad sagte etwas, das vom Peitschen eines dritten Schusses übertönt wurde, und begann ungehemmt in seiner Heimatsprache vor sich hin zu fluchen. Das Feuer hielt weiter an. Während der nächsten halben Stunde verwandelte sich die Eisinsel in ein Chaos aus flackerndem Licht, Hitze und infernalischem Lärm. Der Dronte schleuderte mehr als drei Dutzend Brandgeschosse über ihre Köpfe hinweg. Der See verschwand unter einer brodelnden, von grellen Blitzen durchzuckten Dampfwolke. Das Eis bebte, hob sich und stöhnte wie ein gewaltiges lebendes Wesen. Die Hitze ließ die Kanten der Eiswände abschmelzen und rund werden, und die Spritzer der brennenden Flüssigkeit, die wie weißglühende lodernde Regentropfen herabrieselten, verwandelten das Eis in eine bizarre Kraterlandschaft. Meterbreite Risse entstanden, Sprünge rannten wie kleine lebende Wesen in unberechenbaren Richtungen durch das Eis und spalteten die Kanalwände, klaffende Wunden, aus denen Wasser und Dampf statt Blut sprudelten und die gierig wie aufgerissene Mäuler nach Brad und Skar schnappten. Überall zischten kochende Dampfgeysire hoch.

Dann, genauso plötzlich, wie der Angriff begonnen hatte, hörte das Feuer auf. Der Himmel war wieder klar, und nur vom See her klang noch das Krachen berstenden Eises und das Zischen von kochendem Wasser zu ihnen herauf.

Brad und Skar näherten sich dem Kanal mit äußerster Vorsicht. Das geschundene Eis schien unter ihrem Gewicht aufzustöhnen. Der Boden vibrierte, dann zerriß ein peitschender Knall die wieder eingetretene Stille, und ein gewaltiges Stück der Kanalwand löste sich und polterte in einer lang anhaltenden Lawine aus Eis und halb geschmolzenem Matsch in den Graben.

Brad fluchte ungehemmt vor sich hin. Seine Hände ballten sich in hilfloser Wut zu Fäusten.

»Ich glaube, wir haben ihn unterschätzt«, sagte Skar.

Brad knurrte. »Wer hier wen unterschätzt hat, wird sich erst noch erweisen müssen, Satai«, sagte er gepreßt. Er tat einen weiteren Schritt, prüfte, ob das brüchig gewordene Eis sein Körpergewicht trug, und ließ sich dann auf Hände und Knie herab, um vorsichtig an den Graben heranzukriechen.

»Dieses kleine Schauspiel war vielleicht eindrucksvoll, aber nicht besonders sinnreich«, sagte er wütend. »Eine überflüssige Demonstration seiner Macht, mehr nicht.«

»Für uns vielleicht«, entgegnete Skat »Für die Männer auf der SHAROKAAN muß es die Hölle gewesen sein.«

»Sie waren in Sicherheit«, widersprach Brad. »Das Schiff liegt im toten Winkel unter der Wand.«

Skar dachte für einen Moment an Gowenna, die an Land gegangen war, weil sie während des Kampfes nicht an Bord des Schiffes hatte bleiben wollen. Aber irgend etwas sagte ihm, daß ihr nichts geschehen war. Er war völlig sicher.

»Sie kommen.«

Skar sah, durch den plötzlichen Gedankensprung verwirrt, nach Westen, ließ sich ebenfalls auf Hände und Knie nieder und kroch behutsam neben den Veden. Das Eis vibrierte unter seinem Gewicht. Ein paar kleine Brocken lösten sich und stürzten lautlos in die Tiefe. Aber es hielt. Vor der Einfahrt des Kanals war ein gewaltiger schwarzer Schatten aufgetaucht; ein Stück faßbar gewordene Nacht, hinter der die Sterne verblaßten. Noch waren seine Segel gebläht, aber das würde sich ändern, wenn er vollends in den Kanal eingelaufen war. Sie hatten zwei, vielleicht sogar drei Stunden Zeit. Das Kaperschiff mochte eine größere Besatzung als die SHAROKAAN haben und sich vielleicht schneller als sie durch den Kanal staken können, aber auch sie würden Zeit brauchen. Viel mehr Zeit, als Brad und er nötig hatten.

Skar warf dem Veden einen fragenden Blick zu. »Hier?«

»Weiter zum See hin ist es günstiger.« Brad deutete mit einer Kopfbewegung auf das Ende des Kanals, hinter dem die SHAROKAAN auf der Lauer lag. »Vielleicht werden sie leichtsinnig, wenn sie unbehelligt so weit kommen«, murmelte er.

Skar schenkte dem näher kriechenden Schatten einen letzten, nachdenklichen Blick und schob sich dann langsam von der Kante zurück. Er hätte sich gewünscht, daß der Optimismus von Brads Worten mit dem in Einklang stand, was er selbst fühlte.

5. Kapitel

Sie hatten gewartet; Stunden, die ihnen wie Ewigkeiten vorgekommen waren. Obwohl der Dronte wendiger und schneller war als die SHAROKAAN, kam er kaum besser voran als sie zuvor; anders als der Freisegler hatte er die Strömung gegen sich, und es kam ihnen vor, als wären die Stakgeräusche langsamer geworden in den letzten Minuten. Vielleicht verlangsamte er seine Fahrt aber auch absichtlich, um vorsichtiger in den See einzulaufen. Er mußte wissen, daß die SHAROKAAN irgendwo auf der Lauer lag und ihn erwartete. Skar versuchte, sich in die Männer des schwarzen Seglers hineinzuversetzen. Es war sicher kein gutes Gefühl, mit vollem Wissen in eine Falle zu laufen.

Brad stand auf. »Es wird Zeit.« Er hob den Kopf und starrte einen Moment abwesend zu den Sternen empor. Für die Dauer von zwei, drei Herzschlägen wurde sein Antlitz von silbernem Licht beschienen, und Skar glaubte einen beinahe traurigen Ausdruck in seinen Augen zu gewahren. Aber dann bewegte er sich erneut, und sein Gesicht verlor sich wieder hinter einem Schleier aus anonymem Dunkel. Für den Bruchteil eines Lidzuckens hatte Skar den wirklichen Brad gesehen, das denkende und fühlende Wesen, das sich hinter der Maske einer gefühllosen Kampfmaschine verbarg. Seine Ruhe war nur gespielt. In Wirklichkeit, das spürte er, tobte in der Seele des Mannes ein wütender Kampf. Die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Piraten? Sicher nicht allein. Plötzlich bedauerte Skar, Brad nicht doch nach der Art des Gelöbnisses gefragt zu haben, das er und sein Bruder Rayan gegenüber abgelegt hatten. Er wußte nicht, warum, aber irgendwie glaubte er zu ahnen, daß es mit dem Dronte zusammenhing. Zusammenhängen mußte.

Aber jetzt war es zu spät, ihn danach zu fragen.

Brad ging mit schnellen Schritten zum Rand des gewaltigen Grabens hinüber und blieb hoch aufgerichtet stehen. »Es wird Zeit«, sagte er noch einmal, verharrte aber trotzdem weiterhin reglos. »Da ist … noch etwas, Skar«, begann er, sehr leise und so stockend, daß Skar spürte, wie schwer es ihm fiel weiterzureden.

»Ja?«

»Was ich dir vorhin erzählt habe, Skar«, fuhr Brad fort, immer noch leise und von ihm abgewandt, so daß seine Worte beinahe vom Wind verweht wurden.

»Ich werde nicht darüber reden. Zu niemandem.«

»Ich weiß«, nickte Brad. »Aber ich möchte, daß du mir etwas versprichst. Wenn … wenn ich sterben sollte, hier oder später, dann kümmere dich um Rayan. Und gib auf Helth acht. Er ist noch sehr jung; ein Kind.«

Skar nickte. Brad hatte ohne jedes Pathos, aber mit großem Ernst gesprochen.

»Gut«, sagte Brad. »Und jetzt laß es uns hinter uns bringen.«

Skar brauchte nicht hinabzusehen, um zu wissen, wo der Dronte war. Das helle Klirren der Eisenstangen, mit dem sich das Schiff an den Kanalwänden entlanghangelte, auf die gleiche Weise, wie es die SHAROKAAN Stunden zuvor ebenfalls getan hatte, war während der letzten halben Stunde näher gekommen und erklang nun direkt unter ihnen. In wenigen Augenblicken würde der Drachenkopf des Mordseglers in der diesseitigen Kanalausfahrt auftauchen.

Skar fühlte, wie seine Nervosität verflog und jener angespannten Ruhe wich, die er immer vor einem Kampf verspürte. Nur etwas war anders als sonst. Es war nicht nur die bekannte Ruhe, die von ihm Besitz ergriffen hatte, sondern noch etwas anderes, ein dumpfes Gefühl quälenden Unbehagens. Diesmal würde es keinen Kampf geben, keine Auseinandersetzung Mann gegen Mann oder Schiff gegen Schiff. Jedenfalls nicht für sie, nicht für Brad und ihn, und auch nicht für den Dronte, wenn sie Erfolg hatten. Auf eine unlogische Art bedauerte Skar beinahe seinen Entschluß, hier heraufzukommen. Brad und er hatten den eindeutig schmutzigeren Teil der Arbeit übernommen, ein Vorhaben, das nach Skars Empfinden verdammt nahe an kaltblütigen Mord herankam. Und das Wissen, daß ihnen gar keine andere Wahl blieb und sie nur mit gleicher Münze zurückzahlten, änderte daran gar nichts. Ihr Vorhaben widersprach nicht nur dem Ehrenkodex der Satai, sondern auch allen Grundsätzen, nach denen er bisher gelebt hatte. Aber er würde diesen Sprung über seinen eigenen Schatten tun müssen, wenn er überleben wollte. Er, Brad, Del, Gowenna und all die anderen unten auf der SHAROKAAN.

Brad spannte seine Armbrust, visierte kurz die gegenüberliegende Wand an und drückte ab. Das Geschoß sirrte davon, zog ein dünnes Seil aus mehrfach verdrilltem Hanf hinter sich her und bohrte sich eine knappe Handbreit unter der Kante in das Eis.

Während Brad daranging, einen Teil ihrer Ausrüstung in ein großes, engmaschiges Netz zu verfrachten, befestigte Skar das Ende des Seiles an einem Haken, den sie schon vorher ins Eis geschlagen hatten. Er zog ein paarmal daran und belastete das Seil schließlich mit seinem ganzen Körpergewicht. Der Haltebolzen ächzte hörbar, aber die Widerhaken hielten ihn sicher fest.

»Fertig?« fragte Brad.

Skar nickte wortlos.

Brad betrachtete sein Werk kritisch und griff dann ohne ein weiteres Wort nach dem Seil. Behende und schnell wie ein Baumaffe hangelte er sich an der Schnur über den Abgrund. Die Haken ächzten hörbar unter seinem Gewicht. Ein heftiger Windstoß fauchte durch den Kanal, traf ihn und ließ ihn einen Augenblick lang wild hin und her pendeln. Aber er hing sicher am Seil.

Skar beobachtete ihn mit wachsender Besorgnis. Eingerahmt von den selbst jetzt noch in unheimlichem weißem Licht leuchtenden Eiswänden bot Brad ein kaum zu verfehlendes Ziel. Wenn auch nur ein einziger Pirat unten auf dem Schiff einen Blick in den Himmel warf, mußte er ihn sehen. Und für einen geübten Bogenschützen stellten die zweihundert Fuß keine nennenswerte Entfernung dar.

Aber seine Besorgnis war überflüssig. Brad erreichte unbehelligt die gegenüberliegende Seite und schwang sich mit einer eleganten Bewegung auf das Eis hinauf. Rasch huschte er ein paar Meter von der Kante fort, blieb geduckt stehen und winkte Skar zu.

Skar befestigte das Netz an einem Haken, hängte es sorgfältig über das Seil und gab ihm einen leichten Stoß. Wenige Augenblicke später hievte Brad das Bündel zu sich hinauf und begann mit seinen Vorbereitungen.

Skar ging zu dem unordentlichen Haufen mit ihrer restlichen Ausrüstung zurück, nachdem er einen letzten Blick auf den Dronte geworfen hatte. Er hockte sich nieder und begann schnell, aber ohne Hast Tontöpfe, Lunten und Stoffstreifen vor sich auszubreiten. Nach kurzer Zeit hatte er mehr als ein Dutzend runder, kopfgroßer Tongefäße in einer Reihe am Rand der Schlucht aufgestellt. Die Ölhändler im fernen Wolan wären erstaunt gewesen, hätten sie gesehen, zu welchem Zweck ihre Ware hier gebraucht wurde. Normalerweise dienten die reich verzierten und bemalten Kalebassen als Öllampen – aber bis an den Rand gefüllt und mit einem brennenden Lappen als Lunte versehen, gaben sie auch ganz passable Brandbomben ab.

Skar griff in das Bündel, holte zwei Feuersteine hervor und begann sie rhythmisch aneinanderzuschlagen. Das leise Klicken hallte geisterhaft durch die Nacht und schlug glasklare, klingende Echos aus dem Eis. Einer der ölgetränkten Fetzen in seiner Hand begann zu schwelen und dann mit einer kleinen blauen Flamme zu brennen. Skar legte ihn vorsichtig vor sich auf den Boden, überzeugte sich davon, daß die Flamme nicht das Eis berührte und sich mit dessen Schmelzwasser selbst erstickte, beugte sich vor und sah nach unten.

Der schwarze, massige Leib des Dronte füllte die Wasserstraße wie ein formloses Ungeheuer aus. Das Boot befand sich noch eine halbe Schiffslänge vom Ende des Kanals entfernt. Seltsamerweise war außer den Stakgeräuschen kein Laut zu hören. Die Piraten schienen vollkommene Ruhe zu bewahren. Skar bemühte sich vergeblich, auf dem schwarzen Deck eine Spur der Besatzung auszumachen: wenn dort unten Männer waren, so verschmolzen sie vollkommen mit der schwarzen Farbe des Schiffes.

Er richtete sich auf und blieb einen Moment reglos stehen. In seiner rechten Hand glomm ein winziger blauer Funke.

Skar zögerte einen Moment, dann stopfte er den brennenden Fetzen in die kaum fingergroße Öffnung der Kalebasse und warf das Gefäß mit kraftvollem Schwung nach unten.

Der Wurf ging zu weit. Die Brandbombe flog über das Segel hinweg, schmolz zu einem schmalen, funkensprühenden Strich zusammen, traf die Reling des Killerseglers und ergoß ihren Inhalt über Bord.

Skar schloß geblendet die Augen. Eine grelle, gelbweiße Flamme breitete sich in Sekundenschnelle auf dem Wasser aus, leckte gierig nach den Eiswänden und dem schwarzen Rumpf des Dronte. Das Eis erstrahlte plötzlich in flackerndem weißem Licht. Ein dumpfes Stöhnen wehte zu Skar hinauf.

Aber das Feuer erlosch so schnell, wie es aufgeflammt war. Die Flammen wurden kleiner, verzehrten ihre Kraft in einem letzten, machtvollen Flackern und ertranken.

Skar zündete einen weiteren Lappen an und zielte diesmal sorgfältiger. Das Geschoß zeichnete eine funkensprühende Linie in die Nacht, traf das Heck des Dronte und zerplatzte. Ein Schwall brennenden Öls ergoß sich über die schwarzen Planken. Fast im gleichen Augenblick detonierte Brads erstes Brandgeschoß am Hauptsegel und ließ es in Flammen aufgehen.

Skar warf mit fast mechanischer Präzision weiter. Das Deck des Mordseglers verwandelte sich in wenigen Augenblicken in ein flammendes, weißglühendes Inferno. Kleine, grelle Feuerzungen glühten auf, liefen im Zickzack wie feurige Schlangen über Deck und Aufbauten des Dronte und überzogen ihn mit einem Netzwerk aus Glut und waberndem Licht. Das Toppsegel fing mit einem einzigen berstenden Schlag Feuer. Der schmale Kanal war plötzlich von weißer, schmerzhaft greller Glut erfüllt. Ein Feuerpilz wälzte sich brüllend empor, als irgendwo tief im Leib des Dronte ein Teil seiner Ladung auf die ungeheure Hitze antwortete und explodierte.

Skar wich zurück, als die ungeheure Hitzewelle aus dem Schacht brach. Vor seinen Füßen begann das Eis zu dampfen und zu schmelzen. Eine ungeheure Lichtflut brach aus dem Kanal und tauchte die Ebene in gleißende, schattenlose Helligkeit. Skar stöhnte unter dem Gluthauch auf, tastete blind nach einem neuen Brandgeschoß und warf es in die Tiefe. Ein weiterer dumpfer Knall mischte sich in das Prasseln und Brüllen der Flammen, aber er wußte nicht, ob er wirklich getroffen hatte oder ob das Inferno bereits zu selbständigem Leben erwacht war. Die gesamte Insel schien zu zittern.

Er atmete tief durch, schützte das Gesicht mit den Händen vor der Hitze und kroch wieder zum Rand vor. Das Eis unter seinen Händen und Knien wurde matschig und weich.

Der Kanal hatte sich in einen Schmelztiegel verwandelt. Die spiegelnden Wände reflektierten das grelle Licht der Flammen und steigerten es ins Unerträgliche. Der Dronte war zu einem länglichen Schatten geworden, der sich unter dem Glutvorhang wie unter Schmerzen zu winden schien. Das flackernde Licht gaukelte Skar Bewegung vor, und das Brüllen der Flammen erschien ihm plötzlich wie der Todesschrei eines gigantischen hilflosen Tieres. Die Segel des Dronte waren verbrannt. Seine Masten lohten wie Scheiterhaufen inmitten der Glut; die Explosion von vorhin hatte sein Heck zerrissen und das hintere Drittel des Schiffes in ein Wirrwarr aus Trümmern und Glut verwandelt. Die Wirkung ihrer improvisierten Brandgeschosse allein hätte nicht ausgereicht, eine solche Verheerung anzurichten. Das Feuer mußte die Munition seiner Katapulte erreicht und in Brand gesetzt haben. Sein Rumpf glühte. Zwischen den berstenden Platten brach ein höllisches, blendendweißes Licht hervor.

Der Dronte starb. Er starb an der Glut, mit der er bisher seine Opfer versengt hatte, ging, wie in einer bösen Rache des Schicksals, an seinem eigenen Schrecken zugrunde; eine Vernichtung, rascher und gründlicher, als sie jeder Angreifer hätte hervorrufen können. Noch während Skar hinsah, platzten die Flanken des Dronte wie unter einem gigantischen Axthieb endgültig auf. Ein Schwall flüssigen Feuers ergoß sich wie Blut aus einer schrecklichen Wunde ins Meer und führte den tobenden Flammen neue Nahrung zu. Der Kanal brannte jetzt in voller Länge. Die Flammen leckten achtzig, hundert Fuß an seinen Wänden empor, schlugen brüllend über dem Dronte zusammen und vereinigten sich zu einem Baldachin aus Licht und sengender Glut, unter dem es immer wieder aufblitzte, als der Dronte in einer Serie rasch aufeinanderfolgender Explosionen auseinanderbrach.

Skar fuhr erschrocken zusammen, als er sah, wie sich auf der gegenüberliegenden Seite der Kanalwand ein breiter gezackter Riß bildete, spinnenfingrige Ausläufer nach allen Seiten schickte und schließlich die ganze Wand mit einem einzigen dröhnenden Schlag spaltete.

Sein Warnschrei wurde vom Brüllen der Flammen verschluckt. Der Riß zuckte wie eine gierige, vielfingrige Hand nach Brad, zertrümmerte das Eis unter seinen Füßen und riß ihn in einer Lawine von Splittern und schmelzendem Eis in die Tiefe.

Skar stand wie betäubt da und starrte ins Leere. Unter ihm zerriß eine weitere Explosion den Flammenvorhang und gewährte ihm für Sekunden einen, Blick auf den auseinanderbrechenden Leib des Dronte. Die ursprüngliche Form des Schiffes war kaum noch zu erkennen. Das Wasser kochte. Zischende Dampfschwaden stiegen auf, verbrühten das wenige, das die Flammen noch nicht verzehrt hatten, ehe sie von neu emporschießenden Feuerarmen verschluckt und auseinandergerissen wurden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2015
ISBN (eBook)
9783958244368
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Schlagworte
eBook Fantasy Abenteur Action Dystopie Kultroman Helden
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Titel: Enwor - Band 5: Das schwarze Schiff
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