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Wer liebt schon seinen Ehemann?

Roman

©2015 339 Seiten

Zusammenfassung

Wenn der Schein trügt … „Wer liebt schon seinen Ehemann?“ von Annegrit Arens jetzt als eBook bei dotbooks.

Ihr Ehemann: ein Schuft. Sein Tod: ein unerwarteter Segen. Nun muss sich Franziska nicht mehr mit Nebenbuhlerinnen auseinandersetzen, und auch die Geldsorgen haben ein Ende.
Um sich endlich den Luxus zu gönnen, von dem sie ihr Leben lang geträumt hat, kauft sie sich ein Schloss. Als sie jedoch vor dem viel gepriesenen Gebäude steht, fällt ihr nur noch eins ein: RUINE. Vielleicht hätte sie es vor dem Unterschreiben der Kaufurkunde doch besichtigen sollen … Nun muss Franziska die Ärmel hochkrempeln und zeigen, was in ihr steckt! Dabei kommen ihr nicht nur Beamte vom Denkmalschutz und kaufwillige Amerikaner in die Quere. Auch der ehemalige Schlossherr steht plötzlich auf der Matte – mit unwiderstehlichen Angeboten …

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Wer liebt schon seinen Ehemann?“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:
Ihr Ehemann: ein Schuft. Sein Tod: ein unerwarteter Segen. Nun muss sich Franziska nicht mehr mit Nebenbuhlerinnen auseinandersetzen, und auch die Geldsorgen haben ein Ende.
Um sich endlich den Luxus zu gönnen, von dem sie ihr Leben lang geträumt hat, kauft sie sich ein Schloss. Als sie jedoch vor dem viel gepriesenen Gebäude steht, fällt ihr nur noch eins ein: RUINE. Vielleicht hätte sie es vor dem Unterschreiben der Kaufurkunde doch besichtigen sollen … Nun muss Franziska die Ärmel hochkrempeln und zeigen, was in ihr steckt! Dabei kommen ihr nicht nur Beamte vom Denkmalschutz und kaufwillige Amerikaner in die Quere. Auch der ehemalige Schlossherr steht plötzlich auf der Matte – mit unwiderstehlichen Angeboten …

Über die Autorin:
Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe Dezember 2015

Copyright © der Originalausgabe 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Milena

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-450-4

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Annegrit Arens

Wer liebt schon seinen Ehemann?

Roman

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Kapitel 1
Der Fluch der Laugenbrezel

Franziska hatte nicht grundsätzlich etwas gegen alte Gemäuer. Möglicherweise fühlte sie sich von Fassaden, die nicht mehr ganz taufrisch waren, sogar ganz besonders angezogen. Dafür sprachen zumindest die vier deutlich älteren Männer, an deren Seite sie in der Vergangenheit ihr Glück gesucht hatte. Und jedes Mal aufs Neue in der Hoffnung, dass dieses Glück sich als so prall und rund und dauerhaft erweisen möge, wie es ihr im ersten Funkenflug der Hormone versprochen worden war. Sie war viermal in dieselbe Falle getappt. Zuletzt mit Ehering, doch das machte, wie sich nun herausstellte, auch keinen großen Unterschied.

Als der Mietwagen hielt und damit unmissverständlich feststand, dass sie ihr Ziel erreicht hatte, löste der Anblick, der sich ihr bot, eine Kettenreaktion aus. Man könnte es eine Explosion nennen, die alte Bilder und dieses neue Bild zusammenfügte und Franziska mit der ungeschönten, von keiner romantischen oder hormonellen Verirrung kaschierten Wahrheit bombardierte: Das »Schloss« war eine Ruine! Eine Ruine, auf die jedes Schlossgespenst, das etwas auf sich hielt, spucken würde.

»Und Sie wollen hier wirklich aussteigen?«, erkundigte sich der Fahrer und musterte Franziska eingehend. Ihre äußere Erscheinung war tadellos. Der schmal geschnittene Pulli mit Nerzkragen von Prada, dazu der gerade mal bis zur Mitte der wohlgeformten Oberschenkel reichende, tief angesetzte schwarze Faltenrock und darunter gleichfarbige Strumpfhosen und Stiefeletten mit extrem hohen und dünnen Absätzen, auf denen die wenigsten Frauen vernünftig gehen können und es trotzdem tun, weil nun mal die meisten Männer ein Faible für solche Folterinstrumente haben. Franziskas bereits vor Jahren von einem namhaften Orthopäden diagnostizierte Hammerzehen gingen, wie vieles andere, auf das Konto des Mannes, der nun ein toter Mann war.

»So ist es. Ich möchte hier aussteigen.« Wollte sie das wirklich? Eine müßige Frage. Franziska gab sich einen Ruck und drückte die Beifahrertür auf. »Wenn Sie so reizend wären, mir mein Gepäck hineinzutragen.«

»Hören Sie, ich kann auch erst mal warten. Vielleicht überlegen Sie es sich ja doch anders, wenn Sie da drin waren, und Ihr Gepäck ist bei mir im Kofferraum allemal besser aufgehoben.«

»Was bekommen Sie?« Franziska überging den Vorschlag, auch wenn er noch so verlockend klang. Sie hätte vermutlich nicht mal mehr die Rückfahrt in die Stadt bezahlen können. Halb zur Seite gedreht, damit die Leere in ihrem Portemonnaie nicht sichtbar wurde, zog sie einen größeren Schein, ihren letzten genau genommen, heraus. 50 Euro, sie zupfte an ihrem Rock und dachte, dass sie für dieses Geld nicht mal eine einzige Falte des Rocks bekäme, der ihre noch immer tadellose Figur hervorhob und glatt vergessen ließ, dass sie die Fünfzig bereits überschritten hatte.

»Zweiundvierzig Euro bekomme ich. Aber sagen Sie später nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Seit der Graf weg ist, haben sich hierhin höchstens noch der eine oder andere Landstreicher und ein paar Buben aus dem Dorf verirrt, nicht mal Liebespärchen zieht es in diese Ruine.«

»Stimmt so.« Franziska reichte ihrem redseligen Gegenüber den Fünfziger. Sie war gern spendabel. Eine Großzügigkeit, die ihr verblichener Ehemann – der Teufel möge ihn holen! – stets moniert hatte. Ein Pfennigfuchser vor dem Herrn und ein Feigling obendrein! Sie hingegen hatte nie vergessen, was es bedeutet, arm zu sein, und fühlte sich wie die Lottofee persönlich, wenn das Gesicht eines von ihr Begünstigten in Sekundenschnelle all das widerspiegelte, was vor vielen Jahren in ihr selbst abgelaufen war, wenn jemand ihr mehr als ein paar Cent Trinkgeld gegeben hatte. Irrtümlich? Gleich fordert er sein Geld zurück! Test? Du Diebin, wolltest mich wohl betrügen! Nebengeschäft? Schätzchen, so wie du gebaut bist, passt du prima zu meinen Liegesitzen! Und dann, wenn nichts dergleichen nachkam, die große Erleichterung gepaart mit Überraschung, weil es manchmal auch anders lief …

Ein ungeduldiges Räuspern holte Franziska in die Gegenwart zurück. »Und wo soll ich die Sachen nun hinbringen?«

»Zum Haupteingang, bitte.« Franziska wandte dem Fahrer den Rücken zu und stöckelte los. Sie bemühte sich um einen aufrechten Gang, den Kopf stolz erhoben, Haltung ist alles – was in diesem konkreten Fall aber vielleicht doch nicht stimmte. Sie hatte das Gestrüpp unterschätzt, das zwischen den Pflastersteinen wuchs, und eine Distel attackierte ihre teuren Wolfords. Als sie ausweichen wollte, stolperte sie, streckte reflexartig beide Arme aus und ruinierte sich so obendrein die Handballen und zwei Nägel, was aber immer noch besser als eine Bauchlandung war. Das wär's gewesen! Alle mal hersehen, was aus Franziska Schmitz alias Tuchscherer geworden ist! Hochmut kommt vor dem Fall! Ihre Brüder hätten gar von einem Sieg über den Kapitalismus gesprochen.

Mit zusammengebissenen Zähnen – vier davon teure Implantate, die sie aus Sicht der Tuchscherers erst recht als Kapitalistenbraut brandmarkten – rappelte Franziska sich auf, ignorierte die angebotene Hilfe des mit mehreren Koffern beladenen Mannes hinter sich und ging weiter. Nur ja nicht aufgeben! Sie war eine Kämpfernatur! Sie würde sich auch mit einundfünfzig Jahren und angesichts dieser Ruine, die alles war, was ihr von einem Vierteljahrhundert Ehe blieb, nicht unterkriegen lassen. Sie hatte ihre Lektion endgültig gelernt. Geld regiert die Welt, und solange es sich in der Hand von Männern befindet, fallen für Frauen nur Brosamen ab. Fazit: Man muss es den Männern abnehmen, notfalls mit Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste, sonst ist man am Ende nur wieder selbst die Dumme.

»Hören Sie, das kann nicht Ihr Ernst sein! Sie können hier unmöglich bleiben!«

Franziska schoss herum, ihr linker Absatz knirschte bedenklich. Ein Mann, schon wieder ein Mann, der sich anmaßte, über sie zu bestimmen. Was dabei herauskam, erlebte sie gerade hautnah.

»Und warum kann ich das nicht?«, schnappte sie.

»Dieser Ort ist Ihrer unwürdig.« Der Zeigefinger des Mannes glitt an ihr hinab, ohne sie wirklich zu berühren, was nichts an der Absicht, von deren Schlüpfrigkeit sie überzeugt war, änderte. Der Männerfinger verharrte kurz an jenen Stellen, die seit jeher die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts fesseln, und zeigte zuletzt auf den unglaublich schmutzigen Boden der Eingangshalle, deren Portal offen stand. Jetzt begriff Franziska auch, warum der Notar auf ihre Frage nach einem Schlüssel gemeint hatte, der sei vermutlich überflüssig. Sie hatte nichtsdestotrotz darauf bestanden …

»Im Gegensatz zu Ihnen, wie?«, spottete Franziska. »Wetten, dass ein ganzer Kerl wie Sie meiner nicht unwürdig wäre.«

»Ich könnte Sie wirklich mit zurück nach Bamberg nehmen, Sie müssten nicht mal etwas dafür bezahlen. Für heute mache ich sowieso Feierabend.«

»Besonders kaufmännisch gedacht ist das nicht, oder? Vielleicht will ja noch jemand von hier zurück in die Stadt, damit würden Ihnen zweiundvierzig Euro durch die Lappen gehen.«

»Bestimmt nicht! In diesem Kaff liegt der Hund begraben, hierher kommt freiwillig kein Fremder. Also, haben Sie es sich überlegt?«

Franziska nickte und beobachtete, wie sich satte Zufriedenheit auf dem Gesicht des Mannes ausbreitete. Sie ließ sich Zeit, bevor sie hinzufügte: »Ich habe mir überlegt, dass Sie mir die acht Euro Differenz besser doch zurückgeben.«

Ein paar Minuten später stand sie da, einen Haufen Kleingeld in der Hand und einen schalen Geschmack im Mund, um sie herum nichts als marodes Gestein und ein Geruch, den sie ihrem schlimmsten Feind nicht wünschte. Ihre Gepäckstücke waren buchstäblich im Dreck gelandet, die Maske war gefallen, wie immer war das Kavaliersgehabe lediglich gespielt gewesen. Spielen konnte sie auch. Sie bückte sich, hob die Louis-Vuitton-Reisetasche auf und schwor sich, notfalls mit dem Teufel einen Pakt zu schließen, wenn sie dafür Kuchen statt Brot bekam. Wie sie den Geruch der Armut verabscheute, der in den Kleidern nistet und seinen Besitzer klein und immer kleiner macht. Sie wollte nichts weiter als ihr Stück vom Kuchen haben, ohne dafür jemals wieder einem Kerl die Füße küssen zu müssen.

***

Das Patrizierhaus kündete von einstigem Wohlstand. Zweifelsfrei hatte es eine Zeit gegeben, in der hier reiche Leute residiert und sich von einer umfangreichen Dienerschaft hofieren lassen hatten. Franz hatte eine Vision von adretten Spitzenhäubchen, steif knisternden Schürzen und aufblitzender nackter Haut. Wünscht der junge Herr sonst noch etwas? Ja, verflucht! Als er vor dem Ehebett stehen blieb, das nun das einzige Möbelstück in dem großen Schlafzimmer war, sehnte er sich haargenau solch ein williges Kammerkätzchen herbei, wie es anno dazumal hier herumgeschwirrt sein mochte. Notfalls täte es auch Aga, zumindest an ihrer Bereitwilligkeit hatte nie der geringste Zweifel bestanden. Das künstlich blonde und recht gut aussehende Dienstmädchen war ungemein willig gewesen, nur hatte es im wahrsten Sinne des Wortes aufs falsche Pferd gesetzt und in genau diesem Bett seinen Alten zu Tode geritten.

Franz beugte sich vor und griff nach dem Kissen in dem leicht knüselig wirkenden, ehemals weißen Bezug und presste es gegen sein Gesicht. Er vermisste die kleine Schlampe. Wenn sie jetzt hier wäre, könnte sie ihn verwöhnen und ihm danach beim Ausmisten helfen. Die Wohnung musste in vier Stunden besenrein übergeben werden, sonst war einen weiteren Monat lang Miete fällig. Er hatte es seiner Mutter versprochen, als sie in aller Herrgottsfrühe in den Zug gestiegen war: »Mach dir keinen Kopf, Maman, ich regele das!«

Maman, so nannte er Franziska, weil er das Französische liebte. Seine erste Geliebte war eine waschechte Französin gewesen, zwar nicht aus Paris, sondern aus einem Garnisonsstädtchen unweit der Grenze, trotzdem hatte die Kleine mehr Pfeffer im Hintern gehabt als alle, die nach ihr kamen. Franz leckte sich über die Lippen und schmeckte Stoff, der längere Zeit nicht mehr gewaschen worden war. Angeekelt schleuderte er das Kissen zurück aufs Bett. Was war er nur für ein Hornochse! Bildete er sich ernsthaft ein, Aga hätte lediglich aus Furcht vor der Polizei die Mücke gemacht? Okay, sie besaß keine Aufenthaltsgenehmigung, deshalb war sie für die Familie überhaupt erschwinglich gewesen. Sein Erzeuger hatte auf einem russischen Dienstmädchen bestanden, angeblich seiner Mutter zuliebe, der Alte war sich bis zum letzten Schnaufer treu geblieben. Ein Schürzenjäger und Blender, ein Verschwender vor dem Herrn, wenn es um die Befriedigung seiner niederen Gelüste ging, trotzdem musste etwas von dem verdammten Geld übrig geblieben sein. Bloß, wo steckte es?

Erneut nahm Franz seinen Rundgang auf und inspizierte jede vorstehende Fußbodenleiste, den Vorratsschrank und auch den Spülkasten vom WC, er befühlte sogar die abgewetzten Polster der antiken Stühle, die nicht mal mehr der Alträucher hatte haben wollen. Ebenso wenig wie das sündhaft teure Bett, von dem dummerweise ruchbar geworden war, dass darin jemand seinen letzten Schnaufer getan hatte. Franz lockerte die wackeligen Stuhlrahmen einen nach dem anderen, hielt die Luft an und hob die Sitzfläche ab, aber alles, was er fand, waren Staubflocken und Mäusekot. Widerlich!

Ob Aga ihm zuvor gekommen war? Ihre Brüste waren echt, aber in ihrer Kleinmädchenstimme hatte etwas Falsches gelegen. Leider war er trotzdem darauf hereingefallen und hatte ihr einen Hunderter für die Heimreise in die Bluse gesteckt, als er sie Rotz und Wasser heulend über den Leichnam gebeugt vorfand. Einen winzigen Augenblick lang hatte er geglaubt, sie hätte seinen Vater abgemurkst, ein Verdacht, den Aga offenbar in seinen Augen gelesen haben musste.

»Er ist tot!«, hatte sie gekreischt und das auf eine billige Weise hübsche Gesicht, in diesem Moment durch verlaufene Wimperntusche ein wenig verunziert, in den Händen vergraben. »Dein Vater ist tot, aber ich war es nicht, ich kann nichts dafür. Und ein Visum hat er mir auch nicht mehr besorgt. Dabei hatte er es fest versprochen. Und meinen Lohn ist er mir schon seit Wochen schuldig.«

Franz war die Szene zuwider gewesen. Gegen seinen Willen waren ihm die Tränen in die Augen geschossen, vielleicht weil der Alte ihm auch einiges versprochen hatte. »Wir machen das schon, Junge, kein Problem, ich habe momentan eine Wahnsinnsglückssträhne. So ein dussliger Ami, der kein Karo von einem Kreuz Buben unterscheiden kann, hat Haus und Hof oder besser gesagt sein Schloss an mich verloren. Ein veritables Schloss mit mehr als achtzig Zimmern und Grafenkrönchen auf den Bettlaken, und das ist noch längst nicht alles. Unseren Freunden werden die Augen übergehen. Aber verrat deiner Mutter noch nichts, versprich mir das!«

Franz hatte nichts verraten, kein Sterbenswörtchen, doch sein Schweigen brachte ihm nichts. Das einzige Geld, das er bei seiner Suche entdeckte, war in einem Blumentopf versteckt und reichte nicht mal aus, um den Boxter reparieren und voll tanken zu lassen. Dabei hatte sein Alter ausdrücklich erwähnt, dass dieses Schloss noch längst nicht alles war, was der reiche Amerikaner hatte abdrücken müssen. Selbst wenn es sich dabei ursprünglich nicht um Bares, sondern beispielsweise um Schmuck handelte, hatte sein Erzeuger den inzwischen versilbert, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Dafür sprach auch, dass ausgerechnet für den Todestag ein Termin mit dem besten Maßschneider der Stadt vereinbart worden war, und der lieferte an die Mühlenbachs nur noch gegen cash.

Das Schneiderlein war gleichzeitig mit dem Zinksarg eingetroffen, ganz schön makaber! Franz hatte das Bild im Treppenhaus vor Augen, wie sich der Herr des feinen Zwirns bekreuzigte, gerade so, als ob der Tod durch Sex ansteckend sei. Franz grinste, dann fiel ihm wieder ein, dass er wahrlich keinen Grund zum Lachen hatte. Ich sitze bis zum Hals in der Scheiße, dachte er missmutig, und meine letzten paar Kröten bin ich jetzt auch noch los.

Ob der Alte das viele Geld womöglich am Körper versteckt hatte? Bei der Vorstellung, der Bestattungsunternehmer würde beim Herrichten des Leichnams fündig werden, kam Franz glatt der Hamburger hoch, den er zum Frühstück einzig und allein deshalb hinuntergewürgt hatte, weil er dafür einen Gutschein besessen hatte.

Der ekelhafte Pappgeschmack mit Fleischaroma mischte sich mit Magensäure, wenn er so weiter machte, biss er demnächst ebenfalls ins Gras. Scheißspiel, und die Bude sah noch immer aus wie Sau, damit nicht genug, erwartete seine Mutter ihn spätestens am nächsten Tag. Er hätte ihr liebend gerne einen dicken Batzen Geld oder zumindest die Hälfte davon offeriert. Schau mal, Maman, was der alte Drecksack gebunkert hat! Jetzt gehört der Zaster uns!

Eine Münze fiel zu Boden und rollte unter das Bett. Die Wirklichkeit holte Franz schlagartig ein. Er ging in die Knie und tastete den Boden ab, erwischte etwas Weiches, hustete, endlich wurde er des Zwei-Euro-Stücks habhaft, eingehüllt in Wollmäuse, die aufwirbelten und sich dann auf seinen dunklen Kaschmirpulli senkten. Für zwei Euro bekam er nicht mal ein paar Kippen. Scheißspiel!

***

Es kam nicht eben oft vor, dass Franziska sich mit einem Gefühl von Dankbarkeit an ihre Kindheit erinnerte. Jetzt hingegen gratulierte sie sich dazu, damals durch eine solch harte Schule gegangen zu sein. Wenn beispielsweise ihre großen Brüder auf sie aufpassen sollten und dazu keine Lust oder keine Zeit hatten, weil sie mal wieder irgendeine Demonstration für erheblich wichtiger gehalten hatten, war sie stundenlang auf dem Dachboden zwischen altem Gerümpel und mit Kampfparolen beschriebenen Transparenten, an denen sich Mäuse und andere Nager delektierten, eingesperrt worden. Deshalb hatte sie jetzt weder Angst vor dem Alleinsein an diesem gottverlassenen Ort noch vor den Fledermäusen, die sie bei ihrem Aufstieg in den Aussichtsturm des Schlosses aufscheuchte. Nicht mal der modrige Geruch machte ihr ernsthaft etwas aus, ihr frisch verblichener Gatte hatte eindeutig übler gerochen, wenn er im Morgengrauen von einer seiner zahlreichen Zechtouren zurückkam.

Wenn eine Situation ohnehin nicht mehr zu ändern war, schlug Franziskas praktische Veranlagung durch, so auch jetzt. Sie machte sich auf die Suche nach einem Platz, der halbwegs trocken und sicher war, und wurde in einer Kammer hinter der riesigen Küche fündig, wo sogar noch ein spartanisches Bettgestell aus Metall und ein Spind standen. Sonst hatte sie nirgends brauchbare Möbelstücke entdeckt. Dabei hatte sie sich fest darauf verlassen, dass dieses Schloss komplett eingerichtet war, bis hin zu der von Franz so enthusiastisch beschriebenen Bettwäsche mit Grafenkrönchen. Schön wär's! Ob sie noch eine Chance hatten, jenes Mobiliar zurückzubekommen, das dem Sperrmüll zugedacht war und nun im Gemeinschaftskeller der alten Wohnung darauf wartete, abgeholt zu werden? Ein paar Kartons mit Bett- und Tischwäsche sowie Geschirr für die Caritas waren auch dabei. Der Hausmeister hatte vierzig Euro dafür kassiert, dass er die Abwicklung in die Hand nahm, vermutlich würde er noch einmal dasselbe verlangen, um den Deal rückgängig zu machen, zuzüglich Speditionskosten. Fehlte nur noch, dass er ihnen die Lagerung in Rechnung stellte!

Franziska entfernte wütend die von Mäusen säuberlich entkernte und zum Nestbau umfunktionierte Matratze und drapierte ihren wärmsten Mantel – ein Stück von Escada – auf vier halbwegs sauber anmutenden Pappen, die von einem Karton mit dem Aufdruck »Achtung! Giftig!« stammten. Nachdem sie ihre Schlafstätte mit einer gusseisernen Pfanne, einer rostigen Gießkanne, einem Spaten und weiterem Zubehör, das ordentlich Krach machen würde, falls jemand auf ihr Gepäck scharf war, abgesichert hatte, streckte sie sich vorsichtig auf dem spartanischen Lager aus.

Sie war müde, sehr müde, so ausgelaugt hatte sie sich nicht mal gefühlt, als sie erfuhr, wie Fritz Joseph zu Tode gekommen war. In ihrem eigenen Ehebett beim Sex mit dem Dienstmädchen, dabei war sie nur mal rasch zum Friseur und zur Maniküre gegangen. Auf Pump, versteht sich! Engel, am Monatsende bezahle ich alles zusammen! Manche Monate hatten sich über Jahre erstreckt. Bei ihrer Heimkehr an jenem Nachmittag hatten ein Polizeiwagen und die Ambulanz vor der Haustür gestanden, außerdem jede Menge Neugierige. Sie hatte sich wortlos ihren Weg in den dritten Stock gebahnt, wo Franz ihr aus dem Schlafzimmer entgegenkam und den Weg verbarrikadieren wollte. »Maman, du kommst hier besser nicht rein!«

Franziska hatte sich nicht davon abhalten lassen, die Sache selbst in Augenschein zu nehmen. Das kleine Flittchen war längst auf und davon, für den splitternackten Fritz Joseph hingegen gab es kein Entkommen mehr. Selbst ein Blinder mit Krückstock hätte begriffen, was in dem Pfuhl abgegangen war. Franziska war froh, dass sie kein Feigling gewesen war und darauf bestanden hatte, ihr Schlafzimmer zu betreten, bevor man Fritz Joseph in einen Zinksarg packte. Dieser Anblick hatte den letzten Rest von Mitgefühl mit dem Mann, der immerhin der Erzeuger ihres Sohnes war, in ihr abgetötet. Vielleicht war sogar noch mehr hops gegangen.

Unruhig warf sie sich auf die andere Seite, die Bettfedern quietschten, von der hohen Decke über ihr löste sich ein Stück Putz und zerbröselte auf dem Weg nach unten in viele kleine Einzelteile. Staub zu Staub, aber sie hatte diese Ehe überlebt, und sie hatte Franz. Franz war ihr geblieben. Franz war ihr Ein und Alles. Mit dem Gedanken an ihren Sohn, der am nächsten Tag eintreffen würde, schlief sie ein und wachte sie auch wieder auf. Alle Knochen taten ihr weh, die Nase war verstopft. Sie fühlte sich elend. Anscheinend gab es nicht mal fließendes Wasser und folglich auch kein Spülklosett, sie behalf sich mit dem Brunnen draußen und verrichtete ihre Notdurft ebenfalls im Freien. Bei alldem wanderten ihre Gedanken immer wieder zu Franz.

Wie er wohl reagieren würde, wenn er das hier sah? Er war so begeistert von der Idee gewesen, mit ihr zusammen in einem echten Schloss zu residieren und sich sogar noch eine goldene Nase daran zu verdienen. Franz hatte ihr in kühnen Federstrichen ein Bild entworfen, das sie beide auf einer großen Freitreppe beim Empfang der zahlenden, durch die Bank honorigen Gäste zeigte, er hatte sogar das Kleid beschrieben, das sie dabei tragen würde. Granatroter Samt, der ihre kastanienbraunen Haare und ihre grünen Augen so richtig in Szene setzte, selbstverständlich würden sie auch einen Sterne-Koch anheuern und in Bälde zum Geheimtipp avancieren, ähnlich wie viele andere zu Gastronomietempeln und Nobelherbergen umgewandelte Schlösser.

Und nun das. Franz würde am Boden zerstört sein, besonders belastbar war er noch nie gewesen, seine Stimmung konnte binnen weniger Minuten von höchster Euphorie in tiefe Trostlosigkeit umschlagen.

Ob sie ihn davon abhalten sollte, hierher zu kommen? Sie warf einen Blick auf die von winzigen Diamanten geschmückte Uhr an ihrem Handgelenk, von der sie mittlerweile wusste, dass sie ebenso wenig bezahlt worden war wie ihre üppige Garderobe. Fritz Joseph hatte darauf bestanden, dass sie modisch mit jeder Promifrau aus der Regenbogenpresse mithalten konnte, das hatte seiner Eitelkeit geschmeichelt und seine Chancen erhöht, Zutritt zu jenen Kreisen zu erhalten, wo der Verlust eines kleinen Vermögens beim Kartenspiel nicht sonderlich ins Gewicht fiel. Es war ein Kunststück, über Jahre hinweg praktisch nur auf Pump zu kaufen. Wenn sie den Dahingegangenen für irgendetwas bewunderte, dann für das perfekte Illusionskino, das er erzeugt hatte. Betonung auf »hatte«, dieser Zug war nun endgültig abgefahren …

Gleich halb zehn. Wenn Franz die Wohnung pünktlich übergeben und den Zug, der um acht Minuten nach neun in Bamberg losfuhr, noch bekommen hatte, war er jetzt schon unterwegs und traf in spätestens einer Stunde ein. Sie schloss aus, dass er doch noch eine Geldquelle hatte auftun können, um die Reparatur des Boxter zu bezahlen, der sein ganzer Stolz war und nun in der Werkstatt festgehalten wurde, bis die Rechnung komplett beglichen sein würde. Selbst die paar Euro für das Bahnticket waren genau genommen Verschwendung. So wie es aussah, war bei ihnen ab sofort Schmalhans Küchenmeister. Franziska griff nach ihrer Handtasche und zog das Handy heraus, rief die Nummer ihres Sohnes auf, unterbrach jedoch den Wählvorgang rasch wieder.

Franz würde ihr nicht glauben, er war völlig besessen von der Idee, ein Vermögen aus dem Schloss, das sein Vater einem reichen Amerikaner beim Kartenspiel abgeluchst hatte, zu schlagen. Mit dem Reichtum des Amis, schoss es Franziska durch den Kopf, kann es nicht besonders weit her gewesen sein. Dieser Spielgewinn hatte eine fatale Ähnlichkeit mit dem Trojanischen Pferd, und sie verspürte nicht die geringste Lust auf weitere unliebsame Überraschungen. Wäre es nicht am besten, diesem Ort so schnell wie möglich den Rücken zu kehren und irgendwo noch einmal von vorne anzufangen?

Und als was willst du deine neue Karriere starten, Franziska Schmitz? Die spöttelnde Stimme in ihrem Inneren klang wie ihre eigene und zählte in just jener tiefen, zugleich samtigen und angerauten Tonlage, die manche Männer als direkte Aufforderung zum Tanz interpretierten, jene Möglichkeiten auf, die ihr bei realistischer Betrachtung als mittellose Frau jenseits der magischen Zahl fünfzig noch blieben. Die Bilanz war niederschmetternd, sie musste der Wahrheit ins Gesicht sehen: In all den Jahrzehnten hatte sie im Grunde nichts gelernt, außer perfekt auf hohen Hacken durch die Gegend zu tänzeln und einen Hintern zu schwenken, der früher oder später – vermutlich früher – absacken würde, weil letztendlich jeder Hintern und jeder Busen dem Gesetz der Schwerkraft folgt. Als kluge Frau sollte man seine Schäflein bis dahin ins Trockene gebracht haben. Genau das hatte sie versäumt, und nun bekam sie die Rechnung.

Franziska schleuderte ihre Ballerinas von den Füßen, krempelte die mit Schlag versehenen Beine der Hüfthose und die Ärmel des seidigen Cardigans hoch und machte sich an die Arbeit. Sie musste etwas tun, sonst würde sie verrückt werden. Außerdem wollte sie dafür sorgen, dass wenigstens ein paar Quadratmeter in dieser Bruchbude staubfrei waren, bevor Franz eintraf. Hoffentlich brachte der etwas Essbares mit, denn was sie selbst an Proviant dabeigehabt hatte, war über Nacht verschwunden. Den Spuren nach zu urteilen war der Dieb auf vier Pfoten gekommen und hatte deshalb auch weder an ihren Preziosen noch an ihrer Garderobe Interesse gezeigt. Was ein Glück war!

Franziska wählte für ihren Tatendrang eine Art Wintergarten im ersten Stock, der an einen Saal angrenzte, welcher wiederum mit der darunter liegenden Küche durch einen Schacht verbunden war, in dem sich ein rostiger Seilzug befand. Damit hatte man früher offenbar Speisen und Getränke nach oben befördert. Der Blick aus dem rundum bleiverglasten Wintergarten, in den das Licht der Morgensonne honiggelb gefiltert hereinfiel, war unglaublich schön, sofern man auf Natur pur stand: Wiesen und Wälder, wohin das Auge reichte, ein Eldorado für Tiere jeder Art. Franziska glaubte in der Ferne sogar einen Fuchs auf einem Feldweg ausmachen zu können, wobei sie als eingefleischte Großstädterin zugeben musste, einen Fuchs oder Wolf möglicherweise nicht von einem Hund unterscheiden zu können. Letzteres schied aber mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit aus, weil Hunde sich gewöhnlich in der Nähe von Menschen aufhalten, und diese Spezies war hier offenkundig Mangelware.

Im Grunde gab es nicht mal eine richtige Ortschaft, geschweige denn eine Shoppingmeile mit netten Restaurants. Nur ein paar kümmerliche Häuser sowie eine Kirche mit einem lächerlich kleinen Turm standen jenseits der Liegenschaften rund um das Schloss, und auf dem Hügel vis-à-vis sah man ein recht imposant wirkendes Gebäude, vor dem eine Fahne wehte. Während Franziska mit Hilfe eines zum Putzeimer umfunktionierten Plastikbehälters, in dem sich laut Etikett einmal Kartoffelsalat befunden hatte, Wasser aus dem Brunnen schöpfte und auf Teufel komm raus zu schrubben begann, ging es in ihrem Kopf rund. Wie sollte irgendein Mensch, zumal ein Stadtmensch wie sie klar denken können, wenn es um ihn herum in einem fort zwitscherte, zirpte und quakte? Franziska machten diese Töne nervös, sie war nun mal an eine andere Geräuschkulisse gewöhnt, etwa an lautes Hupen und Bremsgeräusche. Mindestens einmal die Woche hatte es in ihrer alten Straße gescheppert, worauf dann meist wenig später das Martinshorn zu hören gewesen war. Wenn einer sich zu Tode bumste oder bumsen ließ, erklang es ebenfalls …

Franziska zwang ihre Gedanken zurück zu ihrer Arbeit und schöpfte eine gewisse Befriedigung aus der Verfärbung des Putzwassers, das von Schwarz zu Grau überwechselte. Die Handtaschenhülle aus Wollfilz, die sie als Putzlappen benutzte, löste sich langsam in ihre Bestandteile auf. Aber immerhin tat sie etwas gegen den Dreck. Und gegen diese Art Dreck konnte man wenigstens etwas tun. Verbissen piddelte sie an etwas, das wie ein prähistorischer Kaugummi in Kuhfladengröße aussah, und bemerkte zu spät, dass sich die eklige Masse unter ihre Nägel schob und dort fette schwarze Ringe bildete. Unwillkürlich kam ihr die Erinnerung an jene Zeit, als sie mit Männern am Tisch sitzen musste, die auch noch stolz auf die Trauerränder unter ihren Fingernägeln waren.

»Das sind noch echte Arbeiterfäuste!« Ihre Brüder waren alles andere als zimperlich gewesen, wenn es darum ging, die kleine Schwester vor allem Unbill zu schützen. Ihr Bruder Erich hatte beispielsweise dem Arzt, der ihr die Pille ausgehändigt hatte, ein paar aufs Auge gegeben. Von da an war sie komplett blamiert. Der »Klassenfeind im weißen Kittel« hatte selbstverständlich Anzeige gegen ihre Familie erstattet. Kurz darauf war sie dann von zu Hause abgehauen, mit siebzehneinhalb …

»Siebzehn Jahr, blondes Haar ...«, der Refrain dieses Schlagers schoss Franziska durch den Kopf. Sie war nie blond gewesen, zumindest nicht soweit es ihre Haarfarbe betraf. In ihrer Klasse hatte es ein blondes Mädchen gegeben, das wie ein Engel aussah. Anke Roesle hieß sie, alle hatten sie bewundert und sich von ihr um den kleinen Finger wickeln lassen, die Lehrer ebenso wie die Mitschüler. Und die Jungs sowieso, dabei war sie eine falsche Schlange gewesen und hatte Franziska das Leben zur Hölle gemacht. Ein Gerücht nach dem anderen hatte diese Anke über sie in Umlauf gebracht. Sie war es auch gewesen, die den Tuchscherers steckte, dass ihre Kleine die Pille nahm. Der Skandal war perfekt gewesen, als Franziskas Frauenarzt tags darauf mit zwei Veilchen und einem Bluterguss in seiner Praxis erschien. Der Arzt ging im Haus der Roesles ein und aus, und selbst wenn Franziska damals die Wahrheit über den alten Schmecklecker preisgegeben hätte, der ihr nicht ohne Grund die Pille geschenkt hatte, geglaubt hätte ihr sowieso niemand.

Einer wie ihr glaubte man nicht. Vielleicht wenn sie blond genug gewesen und in einer anderen Familie groß geworden wäre. Wenn das Wörtchen wenn nicht wär, wär mein Vater Millionär! Ihr Vater hatte allerdings nicht von einer Million, sondern vom Sieg des Proletariats geträumt. Franziska glaubte ihren Vater noch heute mitunter zu riechen und seine polternde Stimme zu hören, dabei war er schon viele Jahre tot. Wenn er nicht polterte, war es noch ärger gewesen. Dann schlich er sich an und erschreckte Franziska, die sich für gewöhnlich mit einem Buch in der Waschküche oder auf dem Trockenboden versteckte, zu Tode. »Gib! Zeig her! Hast du nichts Besseres zu tun?« Er hatte aus den Büchern, die lediglich geliehen waren, wütend die Seiten herausgerissen. »Und ewig singen die Wälder« war ihm ebenso zum Opfer gefallen wie »Die Barrings« oder »Vom Winde verweht«. Ihre Brüder hatten nur gelacht, wenn sie jammerte und sich sorgte, wie sie den Verlust ersetzen sollte. Es war eine schreckliche Zeit gewesen.

»Maman! Bist du da? Wo verdammt bist du? Was bedeutet das alles?« Die Stimme schraubte sich in Franziskas trostlose Rückschau. Es war, als ob jemand dunkle schwere Wolken wegdrückte. Zärtlichkeit wallte in ihr auf. Ihr Kleiner war angekommen. Ihr kleiner Großer, ihr Ein und Alles, sie musste ihn beschützen, er sollte all das haben, was sie nicht gehabt hatte. Sie beide würden der Welt da draußen die Stirn bieten, koste es, was es wolle.

»Ich bin hier oben!«, rief sie zurück. Ihre Stimme hallte in dem riesigen, leeren Treppenhaus.

Es dauerte, bis Franz sie gefunden hatte. In seinen wunderschönen blauen Augen stand das schiere Entsetzen. »Sag mir, dass das ein Scherz ist, Maman. Das ist doch kein Schloss, sondern eine Bruchbude, dabei ist es in zig Reiseführern erwähnt. Sogar gekrönte Häupter und ein Bundespräsident sollen hier schon übernachtet haben.«

»Das muss ziemlich lange her sein.«

»Und was machen wir jetzt, Maman?«

»Am besten fahren wir wieder heim.«

»In unsere Wohnung sind heute früh mit Sack und Pack die Neuen eingezogen, so 'ne Art Großfamilie mit einem halben Dutzend Kindern, einfach grausam. Außerdem würden uns dort bestimmt nur weitere Gläubiger, von denen wir bisher noch nichts wissen, die Bude einrennen. Unser Konto ist leer bis auf den letzten Cent, ich konnte nicht mal eine Fahrkarte für den Zug kaufen, geschweige denn meinen Boxter abholen.«

»Es waren doch noch rund hundert Euro auf dem Sparbuch, das du auflösen wolltest.«

»Die musste ich der kleinen Schlampe geben, damit sie nichts ausplaudert.«

»Redest du von Aga? Was gibt es denn da noch groß auszuplaudern? Hinz und Kunz wissen, wie dein Vater umgekommen ist, besser gesagt, wobei. Unser Ehebett ist vermutlich öfter fotografiert worden als der Sitz des Erzbischofs.«

»Ich will nicht, dass du noch mehr durch den Kakao gezogen wirst, Maman.«

»Das ist lieb von dir.« Franziska schossen die Tränen in die Augen, was bei ihr eher selten vorkam. Sie hatte im Lauf der Zeit gelernt, ihre Emotionen zu verbergen. Wenigstens einer, dachte sie, dem es etwas ausmacht, was mit mir passiert. »Und wie bist du nun hergekommen?«, fuhr sie in dem Bemühen fort, das Gespräch in eine sachliche Richtung zu lenken, bevor sie wirklich losflennte.

»Ich bin getrampt, das letzte Stück war am schwierigsten, und wenn da nicht dieses Mercedes-Sportcoupé mit roten Ledersitzen und einem weißen Königspudel auf dem Beifahrersitz vorbeigekommen wäre, stünde ich wohl noch immer irgendwo am Straßenrand. Der Hund hat mich übrigens keines Blickes gewürdigt, wohl weil er gerochen hat, dass ich keinen Cent mehr in der Tasche habe. Wir brauchen Geld, Maman. Viel Geld, damit dieses verfluchte Schloss bald wieder so aussieht wie auf den alten Fotos.«

»Zuerst einmal brauchen wir etwas zu essen. Ich sterbe vor Hunger. Hast du an den Korb gedacht?«

»Du meinst diesen Fresskorb, den du gewonnen hast?«

»Genau den.«

»Den habe ich dem Hausmeister gegeben, damit er die alten Stühle in den Keller schafft. War sowieso nur billiger Ramsch drin, in dem Korb, meine ich.«

»Und was sollen wir jetzt essen und trinken? Wir haben beide noch nicht mal gefrühstückt. Genau genommen habe ich praktisch seit gestern Morgen nichts mehr gegessen.«

»Ich schon.«

»Ich denke, du hattest kein Geld mehr?«

»Stell dir vor, diese Großfamilie hat mir in letzter Sekunde doch noch euer Ehebett abgekauft, für läppische dreißig Euro, aber immerhin.«

Franziska wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als sie erfuhr, dass ihr Sohnemann sein letztes Geld in ein opulentes Frühstück im Bamberger Schlösschen investiert hatte, um, wie er meinte, schon mal der adligen Konkurrenz auf den Zahn zu fühlen.

***

Während Franz schlief, radelte Franziska mit einem Fahrrad, das diese Bezeichnung kaum noch verdiente, weil es ebenso altertümlich wie rostig war, ins Blaue beziehungsweise durch den Wald und über Feldwege in die Richtung, in der sie die Ortschaft vermutete. Sie brauchte dringend etwas zu beißen, mit vollem Bauch sah die Welt bestimmt gleich viel freundlicher aus. Außerdem wollte sie herausfinden, ob es in diesem gottverlassenen Kaff wenigstens ein Geldinstitut mit einer Kreditabteilung gab.

Als die ersten Häuser sichtbar wurden, hielt sie an und legte das Rad in den Graben neben dem Feldweg, ein Sicherheitsschloss gab es nicht. Wozu auch? Wenn eins sicher war, dann, dass sich niemand an dieser Rostlaube vergreifen würde. Als Nächstes bückte sie sich hastig, um die weiten Umschläge ihrer Hose aus den Stiefeletten zu ziehen. Sie richtete ihren Seidenpulli, schüttelte ihre Haare auf, kontrollierte rasch Lippen und Nase im Spiegel ihrer Puderdose, puderte noch einmal nach und machte sich dann auf den Weg.

Der Ort, der nach ihrem Schloss benannt war, besaß im Grunde genommen eine einzige asphaltierte Straße, an der entlang Häuser aufgereiht waren, die alle eins gemeinsam hatten: Sie wirkten trost- und farblos – und seltsam ausgestorben. Lediglich aus dem Gasthof an der Ecke drang verhaltenes Klappern, der Geruch von Gebratenem wehte Franziska in die Nase, ein paar Meter weiter sichtete sie eine Metzgerei sowie eine Bäckerei und ganz am Ende eine Kreissparkasse. Sie reckte sich. Auf in den Kampf! Doch die Glastür war verriegelt, ein Schild machte die »verehrte Kundschaft« auf die Mittagspause von zwölf bis zwei aufmerksam. Noch über eine Stunde, bis die Würfel fallen würden. Ihr knurrender Magen konnte nicht so lange warten, sie war derart ausgehungert, dass sie den paar Schulkindern, die gerade an ihr vorbeiliefen, am liebsten die Butterbrotdosen aus den Ranzen geklaut hätte. Kein guter Einstieg, um sich als neue Schlossherrin einzuführen und einen Kredit zu erwirken.

Franziska beschloss, das Rückgeld des Taxifahrers in Brötchen und in ein paar Puddingteilchen für Franz zu investieren. Er liebte Pudding in jeder Form.

Sie machte kehrt. Beim Anblick der Schaufensterauslage lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Hinter der Kuchentheke hantierte geschäftig eine kräftige Person mit roten Apfelbäckchen, die erst aufsah, als Franziska an der Ladentür rüttelte. Abgeschlossen! Ob das hier so üblich war? Erst als die Frau auf das in den Türrahmen geklemmte Pappschild zeigte, dämmerte Franziska, dass auch hier Mittagszeit angesagt war. Um Haltung bemüht ging sie weiter. Als ob das Schicksal nichts weiter im Sinn hätte, als ihr Leid noch zu vergrößern, traten genau in dem Augenblick, als sie das Gasthaus passierte, drei Männer heraus und ließen einen Schwall Essensgerüche auf sie los, der ihr die Knie weich machte. Sie blieb stehen und atmete tief durch.

»Fehlt Ihnen etwas? Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte einer aus dem Trio, dessen Gesicht näher kam und plötzlich verschwamm. Auch der Mast, an dem Franziska sich festhalten wollte, rückte in unendliche Ferne. Ehe Franziska sich versah, landete sie an einem Sakko, das roch, als ob darin ein Braten eingewickelt worden wäre. Köstlich!

»Möchten Sie vielleicht einen Schluck Wasser? Oder eine Kreislauftablette? Ich glaube sogar, ich habe noch ein oder zwei Tabletten in meinem Büro. Warten Sie, ich helfe Ihnen, es ist nicht weit, nur ein paar Schritte.«

»Aber ...!«

»Keine Sorge! Helmut Wagner mein Name, hier kennt mich jeder. Stimmt's?«

Die beiden anderen Männer nickten und entfernten sich mit der Maßgabe, abends beim Stammtisch ausnahmsweise pünktlich zu sein. Franziska ließ sich bereitwillig unterhaken. Es tat gut, einen Moment lang gestützt und geleitet zu werden, sie fühlte sich noch immer ziemlich wackelig. Sie staunte nicht schlecht, als ihr Helfer ausgerechnet vor der Doppeltür des Geldinstituts hielt, einen Schlüssel zückte und aufschloss. Wenig später wusste sie, dass es sich um den Zweigstellenleiter persönlich handelte. Sie glaubte nicht an höhere Fügung und nach allem, was sie erlebt hatte, erst recht nicht an ein Eingreifen der Schicksalsmächte zu ihren Gunsten. Trotzdem hätte es nicht besser kommen können.

Dieser nicht mehr ganz junge und nicht mehr ganz schlanke Mensch gehörte offenbar zu denen, die gern den Samariter gaben. Konkret bestand die geleistete Hilfe zunächst in einem Glas Wasser und, weil sich die Tabletten nicht fanden, einer Keksdose. »Wenn mein Kreislauf spinnt«, hatte Franziska beim Anblick der bunt bemalten Dose behauptet, »hilft mir am besten etwas Süßes.« Sie ging davon aus, dass ihr Helfer an seinem Arbeitsplatz keinen Rostbraten hortete, auch wenn er noch immer intensiv danach roch. In Ermangelung von etwas Herzhaftem futterte Franziska also Zuckerbrezeln, Kokosplätzchen und Vanillekringel und konnte gar nicht mehr damit aufhören.

»Sie sind zu beneiden. Wenn ich ein Gebäckstück nur ansehe, lege ich schon zu.« Der Blick der Männeraugen galt aber diesmal eindeutig nicht dem Inhalt der Blechdose, sondern ihr selbst.

Dieses begehrliche Blinzeln erinnerte Franziska schlagartig daran, was sie sich geschworen hatte. Vor ihr stand wieder mal ein Mann, der sie als Beute anpeilte, folglich hatte sie jedes Recht der Welt, den Spieß herumzudrehen. Allerdings so, dass kein Eigentor daraus wurde.

»Sie sollten nicht so streng mit sich sein«, erwiderte sie laut und fügte mit, wie sie fand, genau der richtigen Dosis Bewunderung in der Stimme hinzu: »An einem richtigen Mann muss doch etwas dran sein!« Geld, wie wäre es mit Geld für unser Schloss, ergänzte sie stumm.

»Finden Sie wirklich? Dabei sind Sie selbst gertenschlank und mit Verlaub überhaupt ausgesprochen attraktiv. Derart attraktive Frauen verirren sich nur höchst selten nach Trebelsbach. Leider, wie ich betonen möchte, und dann auch höchstens, weil sie sich verfahren haben. Haben Sie sich verfahren?«

»Nein.«

»Sie sind also mit voller Absicht hier gelandet? Lassen Sie mich raten! Sie besuchen entweder unseren Apotheker oder den Grafen oder ...«

»Ich denke, der Graf ist längst tot«, fiel Franziska dem Mann, der sich ihr als Helmut Wagner vorgestellt hatte, ins Wort. Das Schild an der Tür seines Büros wies ihn zudem als Diplomsparkassenwirt aus.

»Der alte Graf ist verstorben, aber sein Großneffe ist quicklebendig und froh, das Schloss an einen reichen Amerikaner losgeworden zu sein, bevor es völlig zusammenkracht.«

»Es ist eine Schande um dieses wunderschöne Schloss, das bereits im elften Jahrhundert Erwähnung findet.«

»Sie sind ja bemerkenswert gut über unsere Ruine informiert.«

»Tut es Ihnen nicht in der Seele weh zuzusehen, wie dort alles verfällt?«

»Ich bin Kaufmann, und als Kaufmann ...«

»... erkennen Sie auf Anhieb das brach liegende Kapital in solch einem Objekt. Man sollte ein Nobelhotel daraus machen, mit Seminarräumen und dergleichen, versteht sich. Hier könnten Kongresse abgehalten werden, die mitgeführten Ehefrauen oder Geliebten könnten währenddessen herrlich relaxen, selbstverständlich müssten auch Küche und Weinkeller stimmen, die Patisserie nicht zu vergessen. Zu einem richtigen Schloss gehört auch eine Spezialtorte, finde ich. Stellen Sie sich nur vor, wie es wäre, wenn das Schloss zu neuem Leben erwachen würde und Sie mir demnächst bei einem Stück Trebelsbacher Schlosstorte gegenüber sitzen könnten.«

»Sie sind eine wirklich bemerkenswerte Frau. Trotzdem ist mir immer noch nicht ganz klar, was genau Sie hierher führt und zur Fürsprecherin von Schloss Trebelsbach macht.«

»Ganz einfach, ich bin die neue Besitzerin.«

»Sie sind mit diesem Amerikaner verheiratet?«

»Ich bin mit niemandem mehr verheiratet. Ich bin Witwe und fest entschlossen, dieses Juwel an Schloss wieder zu dem zu machen, was es einmal war. Helfen Sie mir?«

»Sie meinen mit Geld?«

Franziska nickte, lächelte und schlug die Beine gekonnt übereinander. Leider trug sie keinen Rock, weshalb die Wirkung weniger überzeugend ausfiel, als von ihr gewünscht. Vielleicht hätte die aufblitzende Haut ihrer Schenkel ja die brav gedrosselte Rechenmaschine in Helmut Wagners Kopf ausgeschaltet. So aber …

»Das ist für uns eine Nummer zu groß«, wehrte er ab und vermied es ausnahmsweise, sie anzusehen.

»Machen Sie sich nicht kleiner, als Sie sind. Wie heißt es so schön? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!«

»Hören Sie, wir sind eine winzig kleine Kreissparkasse in einem winzig kleinen Ort, die meisten hier halten sich mehr schlecht als recht über Wasser.«

»Und was ist mit diesem Großneffen, der das Schloss verkauft hat? Oder dem Besitzer der Villa gegenüber von meinem Schloss?«

»Man könnte die beiden immerhin fragen, ob sie Interesse daran haben, in einen entsprechenden Fonds zu investieren und so mit gutem Beispiel voranzugehen. Die beiden kennen Gott und die Welt, und wenn sie sich für etwas stark machen ... Natürlich geht so etwas nicht von heute auf morgen.«

»Die Zwischenzeit könnten wir ja mit einem Kredit überbrücken, der Ihren Rahmen nicht sprengt.«

»Wir dürfen nur gegen Sicherheit ...«

»Ich wusste doch, dass Sie der richtige Mann für mich sind«, fiel Franziska ihm ins Wort, bevor er etwas sagen konnte, was sich dann später nur schwer zurücknehmen ließ. »Was halten Sie davon, wenn wir das nach Geschäftsschluss in aller Ruhe im Detail bereden? Die offizielle Mittagspause ist ohnehin gleich vorbei.«

»Davon halte ich sehr viel. Dürfte ich Sie heute Abend zum Essen einladen? Wir könnten nach Bamberg fahren, selbstverständlich hole ich Sie ab. Wo wohnen Sie überhaupt? Unser Dorfgasthof dürfte den Ansprüchen einer Dame wie Ihnen kaum genügen.«

»Ich wohne auf dem Schloss.«

»Aber das ist unmöglich.«

»Nichts ist unmöglich, wenn man es nur ernsthaft will. Denken Sie daran!« Franziska stand auf und schenkte ihrem Gegenüber einen Blick, der es in sich hatte. Eine Schneeschmelze war nichts dagegen. Es war beinahe rührend, wie dieses Männchen an ihrem Angelhaken zappelte und sich ernsthaft einbildete, sie würde nicht bemerken, was in seinem Kopf vorging. Eben das Übliche! Die ganz übliche Geschichte eines alt gedienten und gelangweilten Ehemannes, der eine Chance wittert, noch einmal so richtig über die Stränge schlagen zu können. Und zwar an einem Tag, an dem die treu sorgende Gattin Bridge spielt oder ihre Mutter versorgt und in jedem Fall nicht mitbekommt, wie er sich daheim herausputzt und seinen Adrenalinspiegel in die Höhe jagt. Ein Gockel halt! Sie kannte sich mit Gockeln aus, mittlerweile wusste sie, dass Gockel nur einen einzigen Zweck erfüllen mussten. Sie würde an das Geld für die Schlosssanierung kommen, das schwor Franziska sich, als sie an der nun wieder besetzten Kasse vorbei ins Freie stolzierte. Dass sie zuallererst etwas zu beißen brauchten, fiel ihr erst wieder ein, als sie an der Bäckerei vorbeikam, die ihre Mittagspause nun ebenfalls beendet hatte. Einer Eingebung folgend berief Franziska sich auf ihren neuen Gönner und durfte prompt anschreiben lassen, bis »ihr Geld« – schön wär's! – auf dem Konto eingegangen war. Sie kaufte Brot und Teilchen und in der zugehörigen Gemischtwarenecke außerdem Marmelade, Butter, Milch, Eier, Käse und zwei Flaschen Cola für Franz. Das Dorfleben hatte vielleicht doch seine Vorteile.

***

Erneut kam Franziska zugute, worunter sie als Kind und als junges Mädchen gelitten hatte. Ungeachtet der erbärmlichen Zustände im Schloss ohne fließendes Wasser und ohne einen einzigen vernünftigen Spiegel schaffte sie es, zu ihrem Rendezvous in einem Outfit anzutreten, das Fritz Joseph immer dann gefordert hatte, wenn wieder mal Holland in Not gewesen war und die Gläubiger die Geduld zu verlieren drohten. Sogar Franz musste zugeben, dass sie blendend aussah.

»Sieh nur zu, dass dieser alte Sack dich nicht vernascht, bevor er uns den Kredit bewilligt hat.«

»Es geht um Kontakte, nicht mehr und nicht weniger.«

»Nennt man das jetzt so? Vielleicht sollte ich mitkommen, der Typ hat nicht zufällig eine Tochter, die mit seinem cremeweißen Mercedes Cabrio durch die Gegend juxt, wenn Papi es ihr erlaubt? Von mir hätte so ein Töchterchen übrigens garantiert mehr als von einem hoffnungslos überzüchteten, total arroganten Königspudel.«

»Ich weiß, mein armer Liebling, aber es wäre wirklich nicht besonders klug, dich jetzt schon ins Spiel zu bringen.«

»Und was soll ich machen, während du fürstlich in Bamberg schlemmst?«

»Ich habe dir genug zu futtern mitgebracht.«

»Frischen Holländer, ich mag aber nur alten, und in dem Brot sind überall Körner, die Butter ist auch von der falschen Marke.«

»Aber die Puddingteilchen sind goldrichtig. So gute bekommst du in Bamberg nirgends.«

»Phhh! Teilchen! Ich würde wahrlich lieber mit dir tauschen.«

»Ich glaube nicht, dass du ernsthaft auf Herren fortgeschrittenen Alters mit eingebautem Rettungsring stehst.«

»Wenn es Schampus und Trüffel dazu gibt.«

»Die besten Trüffel kommen sowieso erst wieder im November aus Alba, und bis dahin können wir die selbst bezahlen, warte es nur ab.«

»Versprochen?«

»Versprochen!«

»Dann toi, toi, toi!«

»Danke. Und jetzt sehe ich am besten zu, dass ich unseren Herrn Diplomsparkassenfachwirt abfange, bevor er auf die Idee kommt, diese Ruine betreten zu wollen.«

Franziska musste gerochen haben, dass ihr Kavalier für diesen Abend im Anmarsch war, und zwar zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit. Kaum hatte sie das Ende der Zufahrt erreicht, als sich auch schon die Scheinwerfer eines zügig näher kommenden Wagens auf sie richteten. Die perfekte Inszenierung, denn als Hintergrund war ein solches von wildem Wein und Efeu über und über beranktes Gemäuer sogar ausgesprochen dekorativ. Das bestätigten ihr wenig später Männeraugen, welche, Saugnäpfen gleich, an dem Etuikleid klebten, das ihre Haut raffiniert umschlängelte und auf den ersten Blick trotzdem fast züchtig wirkte. Das Kleid reichte vom Hals bis übers Knie, nur wenn sie ging oder wie gerade jetzt ein Bein anwinkelte, sprang seitlich ein hoher Schlitz auf. Den tiefen Spalt zwischen den unterfütterten Stehbündchen, die ihren schlanken Hals zusätzlich streckten, würde sie erst später beim Dinner zum Einsatz kommen lassen, etwa wenn sie sich vorbeugte, um mit ihrem Gegenüber anzustoßen. Ihr Körper war ihr Instrument, sie beherrschte jede Saite, das durfte sie nicht vergessen.

»Darf ich Ihnen beim Einsteigen behilflich sein? Ich bin davon überzeugt, dass wir einen mehr als angenehmen Abend miteinander verbringen werden.« Die gedrechselten Worte verbündeten sich mit einer Hand, die nach ihrem nackten Ellbogen griff und wie zufällig ein Stück an der Innenseite ihres Oberarms hoch rutschte.

Franziska unterdrückte den Impuls, auf der Stelle kehrtzumachen und zusammen mit Franz klebrige Puddingteilchen zu vertilgen und dazu den billigen Spumante zu trinken, der so süß war, dass es einem den Gaumen zupappte. Sie war es Franz und natürlich sich selbst schuldig, dass dieser Abend zu einem Erfolg wurde, also stieg sie hastig ein.

Helmut Wagner fuhr einen Passat Kombi, dem man ansah, dass darin normalerweise die Familie kutschiert wurde. Die Rücksitze waren leer, trotzdem konnte Franziska noch genau erkennen, wo normalerweise der Kindersitz befestigt war. Offen blieb lediglich, ob es sich bei dem kleinen Würmchen, das sonst hier saß, um ein Kind oder Enkelkind des Bankers handelte. Eine dies klärende Frage war indes nicht angesagt, denn es war unverkennbar, dass Helmut Wagner an diesem Abend weder als Ehemann noch als Vater oder gar als Großvater auftreten wollte.

Spätestens beim Anblick der Druckspuren im Polster des Rücksitzes entschied Franziska, es auf gar keinen Fall zu Übergriffen kommen zu lassen, die möglicherweise ernsthaft den Familienfrieden torpedieren könnten. Wenn Kinder, vor allem kleine Kinder, im Spiel waren, hörte für sie der Spaß auf. Sie stieg ein und begnügte sich damit, gerade so viel Bein zu zeigen, um den Zweigstellenleiter weiter an der Angel zappeln zu lassen. Eine sehr kluge Entscheidung, wie sich eine Weile später herausstellte.

Sie hatten bereits die ersten beiden Gänge ihres Menüs verspeist, als der Oberkellner katzbuckelnd ein Paar zum Nebentisch geleitete. Der Mann war groß und schlank, fast hager, und hatte eine Stimme, die bestens geeignet wäre, um eine Militärparade abzunehmen. An der weiblichen Begleitung stach besonders der nach oben gepresste und damit auf Volumen getrimmte Busen ins Auge, der Rest war eher langweilig. Der zackige Neuankömmling blieb stehen, begrüßte Helmut Wagner mit Namen und ließ keinen Zweifel daran, dass er Franziska vorgestellt zu werden wünschte. Als der Sparkassenmann zögerte, der unausgesprochenen Aufforderung nachzukommen, vermutlich weil er den Abend zügig einem Höhepunkt zutreiben wollte, der nicht in der Menüfolge vorgesehen war, nahm Franziska die Sache persönlich in die Hand.

»Franziska Schmitz. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Erich von und zu Trebelsbach.« Ein gekonnter Bückling und dazu ein Blinzeln zu dem Schlitz hin, der züchtig über ihrer Brust geschlossen blieb, jedoch ahnen ließ, dass die kleinste Bewegung ausreichen würde, diesem Zustand abzuhelfen. Franziska konnte förmlich riechen, wie der Jagdinstinkt des jungen Grafen erwachte. Wobei dieses »jung« relativ zu sehen war, sie schätzte ihr Gegenüber auf mindestens Mitte fünfzig. Was durchaus passte, denn den alten Grafen hatte es, wie sie wusste, wenige Tage nach seinem achtzigsten Geburtstag erwischt. Für sie bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass sie den Großneffen des verstorbenen Schlossherrn vor sich hatte.

»Wie schön, Sie jetzt auch noch ganz aus der Nähe kennen zu lernen«, erwiderte sie.

»Aus der Nähe? Heißt das, wir sind uns schon einmal von weitem begegnet? Auf einer Benefizveranstaltung? Lassen Sie mich überlegen ...«

»Unsere Begegnung war eher metaphysischer Art. Es gibt da nämlich eine Art Bindeglied zwischen uns.«

»So? Gibt es das?« Die Frage kam gedehnt und mit einem Anflug von Zweifel oder sogar Langeweile in der Stimme, dabei hatte dieser Blaublütige längst Lunte gerochen. Ihr Spiel war auch sein Spiel. Ein guter Typ, dachte sie, einer der nicht gleich wie die meisten mit der Tür ins Haus fällt.

Sie lehnte sich zurück und schenkte ihrem eigenen Begleiter ein inniges Lächeln, bevor sie sich zu einer Antwort aufraffte, die keine war und einzig und allein dem Zweck diente, die Neugier zu schüren. »Ich glaube, Sie sollten Ihre reizende Begleitung jetzt wirklich nicht länger warten lassen, Herr von Trebelsbach.«

»Und wie erfahre ich, wie genau dieses metaphysische Band zwischen uns beiden beschaffen ist?«

»Wenden Sie sich einfach an Herrn Wagner, er ist mein Vertrauter.«

Bis zum Kaffee, der als Letztes zusammen mit einer Etagere voller süßer Köstlichkeiten gereicht wurde, schenkte Franziska dem Fachwirt der Kreissparkasse das Gefühl, ein toller Hecht zu sein. Erst als sie wieder in dem Passat Kombi saß, fuhr sie das Tempo zurück. Was nicht ganz leicht war, denn ihr Begleiter schien trotz der vorgerückten Stunde über hinreichend viel Zeit zu verfügen und drängte darauf, noch einen Abstecher in der Altstadt zu machen.

»Ich kenne da eine schnuckelige kleine und sehr intime Bar, die Ihnen garantiert gefallen würde.«

»Ich fürchte, das geht nicht.«

»Und warum geht das nicht? Hören Sie ...«

»Wegen unseren Kindern«, unterbrach sie ihn sanft. »Kinder, besonders kleine Kinder wie Ihres, können abends einfach nicht gut durchschlafen, wenn der Papi nicht noch mal bei ihnen war.«

»Woher wissen Sie ...? Hat etwa meine ...« Helmut Wagner brach mitten im Satz ab.

Franziska streichelte über den Sakkoärmel neben sich, das durfte sie sich jetzt leisten, ohne einen neuen Brand zu entfachen. Verunsicherte Männer beißen nicht, und dieses Exemplar war nun ziemlich von der Rolle.

»Nennen wir es weibliche Intuition. Ich spüre einfach, dass Sie Vater sind, und das noch nicht allzu lange. Es ist etwas ganz Wunderbares, wenn ein Mann im besten Alter innehält und trotz Karriere beschließt, Vater zu werden. Ist ein Kind nicht die beste Investition in die Zukunft? Ich bin ja selbst begeisterte Mutter, ich weiß schließlich, wovon ich rede.«

»Sie haben auch noch ein kleines Kind?«

»Ich habe einen Sohn. Franz ist mein Augapfel.«

»Ich bewundere Sie. Zuerst verlieren Sie Ihren Gatten, und dann wollen sie trotz des kleinen Mannes ein Projekt in Angriff nehmen, vor dem selbst gestandene Männer kneifen würden.«

»Kneifen Sie auch?« Franziska packte den Mann neben sich bei seiner Ehre.

Die Rechnung ging auf. Helmut Wagner versprach ihr in die Hand und fast ganz ohne zweideutigen Unterton, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um sie zu unterstützen. Sie bedankte sich mit einem zarten Kuss auf seine Wange, stieg aus und hoffte, dass ihr »Kleiner« nicht zur Unzeit auftauchte. Franz war brav. Er war eingeschlafen, an den nachgewachsenen Bartstoppeln rund um seine vollen Lippen klebten ein paar Krümel und ein Puddingrest, was sehr rührend aussah. In gewisser Weise war er noch immer ihr Kleiner, auch wenn er jetzt über ein Meter und achtzig maß.

***

Der Abend in Bamberg gab Franziska die nötige Kraft, nach vorn zu blicken und sich am nächsten Tag auch nicht von der extrem miesen Stimmung ihres Sohnes anstecken zu lassen. Franz wachte gegen Mittag mit einer mordsmäßig schlechten Laune auf. Wenn er so verstimmt war, hatte sie ihm sonst immer ein Bad eingelassen und ihn mit kleinen Leckereien umsorgt und überhaupt so getan, als ob er wieder ihr Verwöhnbaby sei. Das war praktisch das Einzige, was ihm dann half. Doch von einer Badewanne mit fließend warmem und kaltem Wasser konnten sie zumindest im Augenblick nur träumen. Und es war kaum anzunehmen, dass es in einem Kaff wie Trebelsbach ein Badehaus oder eine öffentliche Sauna gab. Also versuchte Franziska, ihren Filius abzulenken, indem sie ihn auf das phantastische Wetter hinwies.

Der Himmel war von einem solch strahlenden Blau, das selbst eine eingefleischte Stadtpflanze wie sie Lust am Landleben bekommen könnte. Die Wiesen erschienen ihr in ihrem saftigen Grün lieblicher als je zuvor, der Waldsaum geheimnisvoller, das Konzert der Vogelstimmen harmonischer, selbst die Mücken tanzten irgendwie beschwingter durch die Luft.

»Nun komm schon raus, Franz! Es ist wirklich kein Wölkchen am Horizont zu sehen, so einen Himmel kannst du dir gewöhnlich nur malen. Ich habe dir extra den kleinen Tisch aus der Kammer rausgestellt, damit du draußen sitzen kannst.«

»Das ist kein Tisch, sondern eine Krankheit.«

»Nun mach schon! Es ist ja nicht für lange.« Franziska ging vor, sie setzte auf die Neugier von Franz. Mit Erfolg. Griesgrämig dreinblickend folgte er ihr auf die große Terrasse, von der man weit über das Tal hinweg auf eine Hügelkette und jede Menge Nadelwald sehen konnte.

»Heißt das, wir kriegen das Geld?«, verlangte Franz zu wissen.

»Die Chancen stehen zumindest nicht schlecht. Fürs Erste wird es wohl auf einen Zwischenkredit hinauslaufen.«

»Wie viel?«

»Nun mal langsam mit den jungen Pferden!«

»Es ist also ein Pferdefuß dabei? Hätte ich mir ja denken können. Vielleicht hätte ich mich besser auch von Aga zu Tode ...«

»Es gibt keinen Pferdefuß«, fiel Franziska ihm ins Wort. »Wir müssen lediglich im Gegenzug eine Einnahmequelle vorweisen, mit der wir den Kredit nebst anlaufenden Zinsen dann auch wieder tilgen können.«

»Womit willst du denn hier in dieser verfluchten Einöde etwas einnehmen? Vielleicht mit gegrillten Eichhörnchen?« Franz zeigte auf einen buschigen Schwanz, der genau in diesem Moment schnurgerade an einem Baumstamm in die Höhe zu gleiten schien. »Oder dachtest du eher an einen Streichelzoo?«

»Wir werden für den Übergang einfach ein paar Gäste aufnehmen, die es gerne etwas urtümlicher haben.«

Franz begann umgehend, alles aufzuzählen, was er unter urtümlich im Sinne von schrecklich verstand: Die fehlenden Sanitäreinrichtungen zählten ebenso dazu wie die fehlenden Möbel. »Sollen deine Gäste vielleicht auf dem Fußboden schlafen? Und an diesem Krüppel von Tisch kriegst du gerade einmal uns beide untergebracht. Der Herd ist zur Kloake verkommen. Es gibt nicht mal einen vernünftigen Stuhl, fernsehen kannst du auch nicht, und wenn mein Walkman nicht über Batterie liefe, könnte ich nicht mal Musik hören. Die Batterien sind übrigens auch fast leer, und aufladen kann ich sie nicht, weil es ja keinen Strom gibt. Wer für eine Nacht in diesem Saftladen auch nur einen Cent ausgibt, muss von allen guten Geistern verlassen sein.«

»Ich habe heute Morgen in aller Frühe einen Rundgang gemacht.«

»Wie Interessant! Und was hast du entdeckt? Einen Schatz?«

Franziska war fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. »Es gibt mehrere Nebengebäude, zwei davon sind erstaunlich gut intakt. Und ob du es glaubst oder nicht, es gibt dort sogar fließendes Wasser und elektrisches Licht, darauf deuten zumindest die Schalter an den Wänden und etliche Steckdosen hin. Sogar ein paar Möbel habe ich gefunden, die noch ganz gut in Schuss sind, und zusammen mit dem, was wir in Bamberg eingelagert haben ...«

»Redest du etwa von dem Krempel für den Sperrmüll?«

»Es ist ja nur für den Übergang und damit wir der Bank etwas vorweisen und die Zeit überbrücken können, bis das dicke Geld fließt.«

»Ich glaub nicht dran. Irgendwie glaube ich nach dieser Nacht an gar nichts mehr. Jeder Knochen tut mir weh, außerdem kratzt es mir im Hals. Wetten, dass man hier krepiert, ohne vorher auch nur einen Arzt gesehen zu haben.«

»Selbstverständlich gibt es in Trebelsbach einen Arzt. Ich habe das Schild selbst gesehen, als ich im Dorf war. Außerdem wirst du nicht krank, diese Luft ist wie Balsam für deine Bronchien, du wirst sehen.«

»Ich steh nicht auf Balsam. Mir fällt hier die Decke auf den Kopf, was sollen wir denn den ganzen Tag lang machen, ohne verrückt zu werden? Wenn ich wenigstens meinen Boxter hätte und mal 'ne kleine Spritztour unternehmen und der kleinen eingebildeten Schnepfe mit ihrem noch viel eingebildeteren Köter zeigen könnte, dass sie keineswegs die Einzige ist, die was Ordentliches unterm Hintern hat.« Nur weil sie mich mal in ihrem zugegebenermaßen ganz netten roten Flitzer aufgepickt hat, als ich am Tag meiner Ankunft nach diesem elenden Fußmarsch ohne Auto wie der letzte Hänger über die Straße schlich, gibt ihr niemand das Recht, mich weiter von oben herab zu behandeln.«

»Deinen Boxter lösen wir auch bald aus.«

»Und wann soll das sein? Wenn ich vor Langeweile oder an 'ner Staublunge krepiert bin und der Viehdoktor mir einen Totenschein auf Staupe ausgestellt hat? Oder woran sterben Viecher sonst so? Dann nützt mir der Wagen auch nichts mehr. Ich hab's mir überlegt, Maman, lass uns hier abhauen, das halte ich nicht durch.«

»Und wenn ich dir verspreche, dass du dein Auto bis Ende der Woche ausgelöst bekommst?«

»Dann fresse ich einen Besen.«

»Bitte nicht! Wir brauchen hier jeden Besen dringend, um die Bude für unsere zahlenden Gäste auf Vordermann zu bringen. Am besten bringst du, wenn du nach Bamberg zur Werkstatt fährst, gleich einen ordentlichen Schwung Putzzeug mit. Ich schreibe dir eine Liste, okay?«

»Du meinst das wirklich ernst, wie?«

»Ich habe nie zuvor etwas so ernst gemeint. Lass es uns versuchen, ich habe da ein paar ziemlich gute Karten im Ärmel.«

»Wie heißt der Kerl?«

»Es geht nicht nur um einen.«

»Du willst mit mehreren Männern gleichzeitig ...?«

»Wir richten einen Fond ein und müssen möglichst alle wohlhabenden Männer aus der Region animieren, sich an diesem zu beteiligen.«

»Hoffentlich wirst du nicht von den zugehörigen Ehefrauen als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«

»Erich Graf von und zu Trebelsbach ist überhaupt nicht verheiratet.«

»Verstehe!«

»Nichts verstehst du! Es wird keinen Ehemann mehr in meinem Leben geben, falls du das meinst. In Zukunft bist du das einzige männliche Wesen, das ich auf Dauer um mich herum zu ertragen bereit bin, alle anderen gibt es höchstens noch auf Abruf, wenn man sie gerade braucht.«

»Gute Idee! Da bin ich dabei. Immer vorausgesetzt, es funktioniert.«

»Es wird funktionieren.« Es muss, dachte Franziska und überlegte, wie viel sie wohl für das Kollier bekam, das sie zur Geburt von Franz geschenkt bekommen hatte. Damals vor fünfundzwanzig Jahren, als sie noch an die Liebe geglaubt hatte. An eine Liebe, die sich auf dem Oktoberfest einer ofenwarmen Laugenbrezel bediente und sie, Franziska, nach drei Fehlstarts endlich schnurstracks in den Himmel führte.

Mein Gott, war sie naiv gewesen! Brezeln werden hart, die Liebe vergeht, woran man sein Herz sonst noch hängt kommt schneller unter den Hammer, als man denkt, gute Freunde wechseln plötzlich die Straßenseite, nur das eigene Kind bleibt einem. Sie wollte, dass wenigstens Franz ihr blieb. Die Hälfte ihres Lebens hing an Franz, er war das Zünglein an der Waage, wenn er scheiterte, waren die letzten fünfundzwanzig Jahre für die Katz.

Kapitel 2
Mit Apfelkronen zieht man keinen Kerl an Land

Gertrud Hops kannte den Wald wie ihre Westentasche, schließlich war sie in dieser Gegend groß geworden. Vor langer Zeit, als sie selbst noch ein Kind war, hatte sie den Wald immer ihren Märchenwald genannt und sich vorgestellt, man könnte dort gute Feen treffen und Zuckerbrezeln oder Schokoriegel von den Zweigen pflücken. Ein paar Mal war sie sogar ihrer Mutter entwischt, um die Probe aufs Exempel zu machen. Leider war sie vorher immer wieder eingefangen worden, sodass sie nicht in den Genuss der Verheißungen ihres Traumwalds kam. Leider aus kindlicher Sicht, zum Glück aus der Warte eines Erwachsenen.

Mittlerweile war sie nicht nur längst erwachsen, sondern sogar alt, richtig alt, daran biss die Maus keinen Faden ab. Sie hatte gelernt, dass die süßen Dinge des Lebens nicht an Bäumen und auch sonst nirgends wuchsen, zumindest nicht für eine Gertrud Hops. Vielleicht, wenn sie etwas bescheidener gewesen wäre ...

Sie knickte um, das hatte sie davon, fehlte nur noch, dass sie sich die Knochen brach. Ihre Gelenke waren nicht mehr die besten, der Arzt hatte eine fortgeschrittene Osteoporose diagnostiziert. Wenn ihr etwas passierte, war sie allein. Kein Kind und kein Rind und nicht mal solch ein mittelmäßiges Exemplar von Mann, wie man sie alle naslang traf. Während ihrer Zeit als Hebamme hatte sie die Webart der Männer kennen gelernt wie kaum eine andere, am Bett einer Wöchnerin wurden sie ganz klein und wehleidig und manchmal sogar ausgesprochen schäbig, halt so wie bei Mandy vor nicht mal einem Jahr ...

Quasi als ob Hollywood Regie führte, trat Gertrud Hops in genau diesem Augenblick aus dem Wald und sah die Lichtung vor sich, zu der es Mandy noch immer hinzog, obwohl es wirklich besser wäre, wenn sie nicht mehr herkäme. Dieser Ort hatte Mandy nichts als Unglück gebracht, daran änderten auch die munter um die Wette zirpenden Vögel und die am Waldsaum possierlich in der Abendsonne miteinander spielenden Häschen nichts. Wenn Mandy klug wäre, würde sie die Beine in die Hand nehmen und sich aus dem Staub machen, statt mit ihren achtundzwanzig Jahren Abend für Abend auf einer morschen Bank zu sitzen, weiter mit großen braunen Augen in die Welt zu träumen und sich aus einem rotbackigen Apfel eine Krone zu schneiden, bei der ein Zacken so gleichmäßig wie der andere war. Pah, mit Apfelkronen zog man ganz bestimmt keinen passablen Kerl an Land, und ohne Kerle gibt's keine Babys, das ist das Tragische daran. Sie, Gertrud Hops, hatte Dutzende von Neugeborenen im Arm gehalten, schrumpelige und rosige und immer fremde, sie gäbe sonst was dafür …

Ein herzhaftes Knacken durchbrach ihr Sinnieren. Mandy hatte in ihren Apfel gebissen und kaute genüsslich. Am liebsten hätte die alte Hebamme ihr die rotbackige Frucht aus der Hand geschlagen. Wie konnte man nur so dumm sein? Wenn Mandy so weitermachte, würde sie noch in zwanzig Jahren hier festsitzen, allerdings mit dem Unterschied, dass ihr dann keiner mehr den Rock lupfen wollen würde, nicht mal der Dorftrottel oder der für seine Geilheit berüchtigte Küster, von reimenden Franzmännern ganz zu schweigen. Eine alte Jungfer ähnlich wie sie selbst wäre Mandy dann. Eine, die nicht mal auf einen Beruf zurückgreifen könnte, den sie erlernt hatte und der sie ohne fremde Hilfe ernährte.

Gertrud Hops war bereit, jeden Eid darauf zu schwören, dass Mandys Vater und ihre drei Brüder sich auch in Zukunft immer wieder etwas Neues einfallen lassen würden, um Mandy bei der Stange zu halten. Die vier waren hausgemachte Egoisten, das hatte schon Mandys Mutter zu spüren bekommen. Schließlich war sie nicht mit dem Kellermeister durchgebrannt, weil es ihr als angetraute Putzfrau, Köchin und Buchhalterin so gut ging. Sie war es leid gewesen, und nun war die arme Mandy an der Reihe. Vielleicht erinnerten diese dummen Kerle die Kleine ja sogar im Suff an etwas, wovon sie besser schweigen sollten. Diesem Etienne hatte der Hungerpoet auf der Stirn gestanden, doch so ausgemergelt und versponnen war er nun auch wieder nicht gewesen, dass er nicht gewusst hätte, wie man einer Frau ein süßes kleines Souvenir oder auch gleich zwei verpasst und sich dann schleunigst aus dem Staub macht ...

»Hallo? Ist da wer?« Die helle Stimme ließ Gertrud Hops zusammenzucken, beinahe als ob sie diejenige wäre, die sich schämen müsste. Von wegen! Sie richtete sich auf, ihr Kreuz schmerzte, trotzdem lächelte sie automatisch, als ihr Blick dem der jungen Frau begegnete.

»Grüß dich, Mandy! Ich bin es nur.«

»Oh, hallo Frau Hops. Ich habe schon einen Schreck bekommen. Wollen Sie auch ein Stück von meiner Krone haben?«

»Das ist ein Apfel und bleibt ein Apfel. Wann hörst du endlich einmal auf, dir die Welt zurechtzuträumen?«

»Wenn ich träume, geht es mir gut.«

»Du hättest deine Stelle auf dem Lindhof nicht aufgeben dürfen. Dann ginge es dir bald auch in der Wirklichkeit gut, du hast es schließlich schon zur persönlichen Assistentin des Hotelmanagers gebracht.«

»Meine Brüder und Paps wären ohne mich verhungert und verdurstet.«

»So schnell krepieren die nicht. Die sind aus einem anderen, härteren Holz als du geschnitzt.«

Mandy schüttelte den Kopf. »Sie sollten sie erleben, wenn sie abends so traurig herumhängen und anfangen von früher zu reden. Mit Tränen in den Augen, manchmal weinen sie auch richtig.«

»Ja, weil du ihnen den Hintern noch nicht so perfekt wie deine Mutter nachträgst.«

»So was sollten Sie nicht sagen, Frau Hops.«

»Wenn ich das Kind nicht beim Namen nenne, tut es ja sonst keiner, und ehe du es dich versiehst, bist du genauso eine alte Jungfer wie ich.«

»Nächste Woche erscheinen gleich zwei Anzeigen für eine erfahrene Haushaltshilfe mit Grundkenntnissen in der Buchhaltung, und dann ...«

»... findet einer von den vieren unweigerlich wieder ein Haar in der Suppe. Es gibt niemanden, der sich so ausnutzen lässt wie du und vor dir deine Mutter, erst recht nicht bei dem Jammerlohn, den dein Vater zu zahlen bereit ist.«

»Er kann im Moment nicht mehr bezahlen.«

»Sagt er oder weißt du?«

»Warum sind Sie nur so verbittert, Frau Hops?«

»Weil ich das Leben im Gegensatz zu dir nicht mit einem Märchen verwechsele, wo die Guten automatisch belohnt und die Bösen bestraft werden.«

Mandy sprang auf und wandte den Kopf lauschend in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Bestimmt suchen sie mich schon. Ich muss los, Frau Hops.«

»Ja, beeil dich nur und lauf deinem Unglück in die Arme. Irgendwann wirst du an meine Worte denken, aber dann ist es zu spät.« Die Hebamme machte auf dem Absatz kehrt, ihr Gang fast so steif wie ihre Hände, die einmal so geschickt gewesen waren. Wut stieg in ihr auf. Dieses dumme Geschöpf verdiente es nicht besser.

***

Für gewöhnlich sah Anton Riebschläger es gar nicht gern, wenn seine Tochter sich zu der ehemaligen Waldschänke aufmachte. Dagegen einwenden konnte er allerdings nicht viel, schließlich war Mandy längst erwachsen und erledigte zuerst immer brav ihre Pflichten. Für solch ein junges Ding war sie recht zuverlässig, das konnte er nicht anders sagen, obendrein liebevoll und auf eine unschuldsvolle Weise hübsch, wenngleich dieser äußere Schein, wie Anton wusste, trügen konnte. Nicht ohne Grund misstraute er den stundenlangen Ausflügen zu einem Ort, wo Fuchs und Hase die einzigen Augenzeugen blieben. Heute allerdings war es ihm nur lieb, dass mit Mandys Heimkehr nicht so rasch zu rechnen war. Sie mochte behänd wie eine Gämse sein, aber für drei Kilometer hin und drei zurück brauchte auch sie gut eine Stunde, die Pause zum Verschnaufen und Träumen dauerte bei ihr etwa ebenso lang. Einmal hatte Mandy allerdings nicht nur – wie es so ihre Art war – an dem lauschigen Ort vor sich hingeträumt, sondern etwas in Bewegung gesetzt: Mit dem Resultat musste er sich jetzt zu allem Überfluss auch noch herumschlagen. Hoffentlich kam diese Frau wenigstens pünktlich …

Er warf erneut einen Blick auf die alte Standuhr und fragte sich, um wie viele Minuten diese mittlerweile wieder nachging. Nichts lief mehr so, wie es sollte, seitdem Donata ihn schnöde verlassen und zum Gespött der Leute gemacht hatte. Mit seinem eigenen Kellermeister! Bis heute wurde er das Gefühl nicht los, dass sie sich unten im Dorf hinter seinem Rücken das Maul zerrissen und seine Qualitäten als Ehemann in Frage stellten. Dabei war er seiner Frau immer ein guter Gatte gewesen, treu wie Gold, selten betrunken und nie gewalttätig, zum Geburtstag hatte Donata jedes Mal etwas Hübsches bekommen, und zu Weihnachten auch.

Nicht mal ihre Geschenke hatte sie mitgenommen, so als ob sie geahnt hätte, dass ihm jedes Mal der Kamm schwoll, wenn er an der vollautomatischen Buttermaschine oder der Nähmaschine vorbeikam, mit der sich sogar Monogramme aufsticken ließen. Er hatte sich vorgestellt, wie bald alle Handtücher und die Bettwäsche und natürlich auch Tischdecken und Servietten auf diese Weise verziert und gleichzeitig vor Langfingern geschützt sein würden. Aus der Traum! Er wollte auch nicht, dass Mandy die Geräte benutzte. Geschenkt ist geschenkt! Er wusste, was sich gehört. Lieber noch hätte er gewusst, ob das Leben die Frau, die noch immer seinen Namen trug, ähnlich hart rannahm wie ihn selbst …

»Vater? Warum machst du denn die verdammte Tür nicht auf?«, dröhnte es plötzlich aus dem Treppenschacht über seinem Kopf. »Wenn du selbst die neue Klingel nicht hörst, brauchst du wirklich schnell ein paar Kunstohren!«

»Wie? Was? Ich werde euch Kunstohren geben! Hier unten hat es nicht geklingelt«, polterte Anton wider besseren Wissens zurück und steuerte gleichzeitig die Haustür an. Seine Ohren waren wirklich nicht mehr die besten, und wenn er sich nicht voll konzentrierte, ging ihm in jüngster Zeit so manches durch, was insbesondere sein Jüngster schamlos ausnutzte. In der Nacht zuvor hatte Stefan sich schon wieder heimlich mit seinem Auto auf und davon gemacht und war erst im Morgengrauen heimgekehrt. Eine Schande war das! Der Junge würde noch einmal alles versaufen und verzocken, was die Riebschlägers sich seit Generationen mühsam als Winzer erarbeitet hatten.

Die Tür war, wie es sich bei Einbruch der Dämmerung gehört, abgeschlossen, Anton drehte den Schlüssel herum und zog die Tür auf. Doch vor ihm stand keineswegs die Frau, die er erwartete, sondern ein Mann mittleren Alters, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Eine Type, die ihm auf Anhieb unsympathisch war. Dandyhaft, seine Haare stießen auf dem Hemdkragen auf, und seine Schuhe liefen vorne beinahe so spitz zu wie die Pantoletten eines Eunuchen.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?« Anton dachte nicht im Traum daran, den Fremden hereinzubitten. Wer war er denn? Außerdem erwartete er die Frau, mit der er einen sauberen Vertrag geschlossen hatte. Und einen Vertrag muss man bekanntlich einhalten. Punktum.

»Ich bin der Verlobte von Sabrina.«

»Sie meinen, Sie sind mit Sabrina Hops verlobt?«

»Sage ich doch!«

»Und warum kommt sie nicht selbst?« Dumme Frage! Die schickt diesen Typen vor, kapierst du das nicht, Anton Hans Peter Riebschläger? Und wenn Frauen das tun, ist fast immer Geld im Spiel. Zum Verhandeln werden Männer an die vorderste Front geschickt, daran hat sich nichts geändert. Wobei noch zu klären blieb, ob das, was sich da in seiner Haustür breit machte, tatsächlich unter der Flagge »Mann« ins Rennen gehen durfte.

»Weil sie packt.«

»Und warum packt sie?«

»Weil wir umziehen.«

Umziehen war nicht übel, gar nicht übel, je mehr Kilometer zwischen ihnen lagen ... »Und wohin soll es gehen?«, erkundigte Anton sich vorsichtig.

»In die Türkei. Wir bauen dort für meine Firma.«

»Und wie lange wird das dauern?« Je länger, desto besser, dachte Anton.

»Es ist ein sehr großes Projekt, wenn alles fertig ist, übernehmen wir vor Ort die Wartung, unter fünf Jahren läuft da gar nichts, aber es können locker auch zehn daraus werden.«

»Gratuliere! Wollen Sie nicht lieber hereinkommen?« Anton trat beiseite und holte sogar eine Trockenbeerenauslese aus dem Keller, um auf ein Ereignis anzustoßen, von dem er annahm, dass es ihn auf einen Schlag um eine Sorge ärmer machen würde, eine Sorge, die darüber hinaus anhänglicher als ein Schoßhund war. Er hätte es bleiben lassen sollen. Gerade als sich ihm das köstliche Bouquet erschloss und er den ersten Schluck genießen wollte, drangen jene Worte zu ihm durch, die alles wieder zunichte machten. Weil er seinen Ohren misstraute, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach.

»Was haben Sie da gerade gesagt?«

»Es tut mir wirklich leid, aber wir können unmöglich zwei so kleine Kinder mit in die Türkei nehmen, das müssen Sie doch verstehen.«

»Aber wir haben einen Vertrag, Ihre Verlobte und ich.«

»Der sittenwidrig ist, das wissen Sie genauso gut wie ich.«

»Und was wollen Sie jetzt machen?«.

»Ihnen die Kinder zurückgeben, immerhin sind es Ihre Enkelkinder, ganz egal welches Ihrer vier Sprösslinge sie in die Welt gesetzt hat.«

»Hören Sie, das geht nicht. Das ist absolut unmöglich.«

Ein Schulterzucken war die einzige Reaktion. Der Schnösel, der sich als Sabrina Hops Verlobter ausgab, stand auf, griff nach dem halb vollen Weinglas, trank auf ex, nickte anerkennend und nannte gleichzeitig schon im Hinausgehen den letztmöglichen Termin der Übergabe.

»Also nächsten Donnerstag. Dann ist Sabrina den ganzen Tag über mit meiner Schwester in Bamberg, um das Brautkleid zu kaufen. Sie will ganz romantisch in Weiß heiraten, mit Schleppe und allem Pipapo.«

»Sie wird es bereuen.«

»Das glaube ich nicht. Rüschen, Schleppen und so etwas liegen voll im Trend.«

»Ich rede von den Zwillingen.«

»Sie sind sehr niedlich, die beiden, zugegeben. Vielleicht behalten Sie sie ja doch selbst. Zumindest Ihre Tochter soll ja ausgesprochen kinderlieb sein. Und wenn nicht, steht Ihnen bestimmt wieder Sabrinas Tante mit Rat und Tat zur Seite. Soweit ich weiß, ist die sogar weitläufig mit Ihnen verwandt, und als Hebamme kennt sie bestimmt noch genug andere Paare, die sich ein Baby wünschen.«

»Es geht um zwei Babys«, erwiderte Anton. Seine Stimme hörte sich mindestens genauso blechern an wie die von diesen körperlosen Navigatorwesen, die einen mit Hilfe eines Satelliten durch den Verkehr lotsen, wahlweise als Mann oder Frau getarnt. »Bitte wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit ... folgen Sie dann dem Straßenverlauf ...

»Zwei zum Preis von einem«, konterte Antons ungebetener Besucher und grinste breit. Anscheinend war ihm zugetragen worden, dass Anton etwas in dieser Richtung gesagt hatte, als vor nicht mal einem Jahr die Übergabe der Neugeborenen erfolgt und dabei die Kostenfrage zur Sprache gekommen war. Anton hatte sich erst auf Zureden von Gertrud Hops breitschlagen lassen, ein Sparbuch anzulegen. Prämiensparen nannte man das wohl. Er zahlte ein, und das Geld vermehrte sich und stand zur Verfügung, wenn besondere Ausgaben anfielen. Von Zahnklammern und sogar vom Studieren war die Rede gewesen …

Anton überging die billige Retourkutsche, auf dieses Niveau ließ er sich erst gar nicht herab. »Und was ist mit dem Sparbuch?«, verlangte er zu wissen. »Das Sparbuch bekomme ich dann ja wohl auch zurück, mittlerweile müssen da schon fast zweitausend Euro drauf sein.«

»Das Geld ist wie vereinbart für besondere Ausgaben verwendet worden.«

»Halt! Das ist Betrug! Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Säuglinge Zahnspangen brauchen?« Anton schnappte nach dem Revers seines Gegenübers, doch dieser war ungeachtet seines affigen Äußeren erstaunlich wendig und zudem kräftig. Er wehrte den Zugriff geschickt ab und machte sich von dannen.

Anton starrte ihm wie einem Gespenst nach. Das konnte doch nicht wahr sein! So etwas durfte nicht wahr sein! Er fühlte sich so alt wie Methusalem, als er zum Tisch zurück stolperte, wo er zuerst die noch halb volle Flasche Beerenauslese und dann die Cognacflasche, die er zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, an die Lippen setzte. Als Mandy eintraf, war er sturzbesoffen. Alles, was er noch mitbekam, war, dass seine Söhne ihn davon abzuhalten versuchten, ihr die Leviten zu lesen. Dabei war Mandy schuld an dem ganzen Desaster.

Anton wehrte sich dagegen, festgehalten zu werden, den Mund verbieten ließ er sich noch viel weniger, am allerwenigsten von seinen eigenen Kindern. Tunichtgute alle miteinander! Er war wild entschlossen, diesem vermeintlichen kleinen Unschuldsengel ins Gesicht zu sagen, was er davon hielt, dass sie ihm solch einen Schlamassel eingebrockt hatte. Von wegen »Vater, was machst du denn da für Geschichten?«. Davon, dass sie diejenige war, die diese Geschichten machte, hatte sie offenbar nichts mitbekommen. Warum sollte er den Kopf für etwas hinhalten und schlimmer noch für etwas zahlen, wovon er erst erfahren hatte, als es bereits zu spät war? Warum um alles in der Welt sollte er das tun?

»Weisuwerebendawa?« Jemand trieb Schindluder mit seiner Zunge und verkochte sein »Weißt du wer eben da war?« zu einem unverständlichen Brei. Jemand? Mandy wäre nicht die erste Hexe in der Familie, seine leibliche Mutter war genauso gewesen, das lag den Riebschläger'schen Frauen im Blut. Nicht umsonst zog es Mandy ständig zu der alten Waldschänke, wo ihre Großmutter im Krieg Zaubertränke gemixt hatte. Hundert Jahre früher wäre so eine auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Er verschränkte zwei Finger, so wie seine Klassenkameraden es einst getan hatten, um sich vor dem bösen Blick zu schützen, und wollte erneut loslegen. Ihm machte diese kleine Hexe keine Angst, er fürchtete sich vor niemandem. Mal sehen, was sie sagen würde, wenn sie erfuhr ...

»Denk dran, was wir ausgemacht haben!«, zischte ihm sein Jüngster ins Ohr und machte tatsächlich Anstalten, ihm den Mund zuzuhalten. Soweit kam es noch! Anton schlug Stefans Hand beiseite und zeigte anklagend auf Mandy, die ihre himmelblauen Augen wieder mal bis zum Anschlag aufriss und ihn ansah, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. In seinem Brummschädel formierten sich die Worte, die er gleich auf dieses Himmelblau abschießen würde, die Worte standen trotz des sinnlos verschwendeten guten Gesöffs stramm und gehorchten ihm endlich wieder. Besser gesagt, sie wollten ihm gehorchen, doch er wurde erneut heimtückisch daran gehindert, sie auszusprechen.

Diesmal waren es Erich und Dietmar, die ihn ohne viel Federlesen packten und die Treppe hoch zerrten. »Du schläfst jetzt besser 'ne Runde, Vater!« Seine Gliedmaßen schwenkten hin und her, sein Kopf schaukelte vorwärts und rückwärts, dann wurde ihm übel, sehr übel. Der einzige Triumph, der ihm blieb, war, dass Mandy die Schweinerei wegmachen musste. Der Radius oben von der Treppe war phantastisch.

Das hat sie verdient, die kleine Franzosenschlampe, wummerte es in seinem Schädel, welcher gewaltige Ausmaße anzunehmen schien. Vielleicht sagte er es sogar laut. Und wieder bekam er Kontra. Das »Pssst, Vater! Mach uns nicht unglücklich!« zog sich wie ein roter Faden durch einen wirren Traum und endete erst gegen sechs Uhr am nächsten Morgen in der Kloschüssel. Im Gegensatz zu vielen anderen Männern seines Alters war sein Morgenstrahl gewaltig, bei ihm tröpfelte nichts, er stand noch voll im Saft. Der Anblick dessen, was sich dort in die sauber weiß geschrubbte und nach Zitrone riechende Sanitärkeramik ergoss, erfüllte ihn mit Stolz, gleichzeitig empfand er so etwas wie Erleichterung darüber, dass er am Abend zuvor geschwiegen hatte. Er erinnerte sich nur zu gut, wie dieses Klo in den paar Wochen ohne Frau im Haus ausgesehen hatte. Nicht nur das verdammte Klo, in diesem Haus und auch drüben in der Winzerei war es drunter und drüber gegangen. Zwei vaterlose Säuglinge, die Mandy von früh bis spät beschäftigten, waren das Letzte, was sie hier brauchen konnten.

***

Jeder kann etwas mit der Formulierung »schwarzer Freitag« anfangen. Auch Gertrud Hops gehörte zu denen, die dem Freitag – vorzugsweise wenn er auf einen dreizehnten fiel – mit größter Vorsicht begegneten. Dabei wusste sie nun, dass sie, was einschneidende negative Ereignisse betraf, ihr Hauptaugenmerk besser auf den Donnerstag gerichtet hätte.

Es war ein Donnerstag gewesen, an dem sie sich wie eine Diebin aus dem Haus der Riebschlägers hatte schleichen müssen, obwohl sie dort doch nur ihrer Arbeit nachgegangen war. Und nun hatte sie die beiden Würmchen, die sie damals nach dem denkwürdigen Ereignis, für das sie keine Verantwortung übernahm, glücklich bei ihrer Nichte untergebracht hatte, selbst am Hals.

Der Schoß ihrer Nichte war ähnlich unfruchtbar wie ihr eigener geblieben, doch es ist ein Unterschied, ob eine Leihmutter gerade mal Mitte dreißig oder gut doppelt so alt ist. Warum musste Sabrina auch ausgerechnet einem Mann begegnen, den es in die Türkei zog? Und wenn das schon so war, konnte man dort etwa keine Kinder großziehen? Totaler Unfug! Es sei denn, und zu genau diesem Schluss kam Gertrud an diesem Donnerstagmorgen, die potenziellen Zieheltern wollten in Wahrheit gar kein Kind – geschweige denn zwei – mehr haben.

An diesem Morgen hatte die alte Hebamme noch einmal mit Engelszungen auf den Mann eingeredet, dem Sabrina anscheinend hörig war. Es hatte nichts genützt. Und jetzt saß sie inmitten lauter Babysachen in ihrem kleinen Häuschen, das sowieso schon aus allen Nähten platzte, und fragte sich, wie sie auf die Schnelle neue Zieheltern für das Duo vor sich in dem doppelten Kinderwagen auftun sollte?

Ein Junge und ein Mädchen, beide nuckelten im Schlaf an ihren Däumchen. Sehr herzig sahen die beiden aus und strotzten nur so vor Gesundheit. Eine Sünde und eine Schande, wie konnte man solche Kinder bloß freiwillig wieder hergeben? Und das wegen einem Kerl! Herrschte in der Türkei nicht noch immer das Recht auf Vielweiberei? Was, wenn Sabrinas Verlobter sich noch eine zweite und dritte Frau nahm, die dann unweigerlich schwanger werden würden, was mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit dazu führte, dass ihre eigene Nichte über kurz oder lang verstoßen werden würde? Gertrud glaubte sich zu erinnern, dass dazu in der Türkei das Aussprechen einer Floskel genügte: »Ich verstoße dich!«, und schon saß die Frau auf der Straße. Im Fall von Sabrina wäre es dann auf einer Straße in der Fremde. Spätestens dann würde sie hierher zurückkehren und ihren Schritt bereuen und verzweifelt versuchen, Katrin und Simon zurückzubekommen. Natürlich vergeblich! Es sei denn …

Während Gertrud Hops Haferflockenbrei für die Kleinen kochte und auf einer altmodischen Glasreibe zwei Äpfel rieb und etwas Zitronensaft darüber presste, was ihr mit ihren gichtigen Fingern nicht eben leicht fiel, entfaltete sich in ihrem Kopf ein Bild, genau genommen war es eine ganze Bildergeschichte. Fast so wie beim Kreuzgang, wo man von Station zu Station geht und am Ende die vollständige Geschichte kennt. Am Ende, so sah die alte Hebamme es vor sich, würde sie die Zwillinge erneut und diesmal für immer ihrer Nichte übergeben, die endlich für alle Zeit genug von den treulosen Männern haben und sich fortan nur noch Katrin und Simon widmen würde, mit der tatkräftigen Unterstützung ihrer Großtante Gertrud Hops. Und falls eines Tages die Gicht oder ein anderes Zipperlein heftiger werden sollten, würde es jemanden geben, der sich zur Abwechslung auch einmal um sie kümmerte.

Mit zitternden Fingern zog Gertrud den Kochtopf vom Herd und drehte die Gasflamme aus. Sie wartete einen Augenblick, bis sie die Apfelmasse unterrührte und die Pampe gerecht auf zwei Schüsselchen verteilte. Dann nahm sie zwei Lätzchen aus dem aufgeklappten Koffer auf ihrem Bett, warf noch einen Kontrollblick auf die Uhr – es war auf die Minute zwölf Uhr – und nahm zuerst den kleinen Simon hoch. Obwohl er die Augen noch geschlossen hielt, ballte er schon die Fäustchen und sperrte gierig das Mündchen auf, das kannte sie nur zu gut. Wer behauptete, der Unterschied zwischen den Geschlechtern entwickle sich erst nach und nach, hatte ja keine Ahnung. Die Jungs waren vom ersten Atemzug an die Gierigen, nicht umsonst waren die Ambulanzen und Kinderarztpraxen voll von Miniaturmännern, die sich verbrüht oder einen Zahn ausgeschlagen hatten, weil ihnen alles zu langsam ging.

»Du kleiner Vielfraß«, schimpfte sie liebevoll, »willst du dich etwa verbrennen?« Die Antwort war ohrenbetäubendes Geschrei, die Lungen des Kleinen funktionierten prächtig. Er schrie sogar noch, als endlich seine Schwester an der Reihe war. Der schiere Futterneid. Gertrud ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, in diesem Geschäft war sie zu Hause. Es schreckte sie auch nicht, dass Sabrina sich gegen ihren ausdrücklichen Rat entschieden hatte, spontan zu füttern und sogar die Schlafzeit flexibel zu handhaben. Totaler Humbug! Kinder, davon war Gertrud Hops überzeugt, brauchen einen festen Rhythmus. Die Umstellung würde vielleicht etwas anstrengend sein, aber sie traute sich diese Erziehungsmaßnahme zu. Immer vorausgesetzt, sie behielt die beiden Würmchen wirklich bei sich, bis Sabrina zurückkam. Eine wichtige Voraussetzung war allerdings, dass der alte Riebschläger zahlte. Mit ihrer winzigen Rente kam sie gerade mal selbst über die Runden. Außerdem dachte sie nicht im Traum daran, den alten Geizkragen ungeschoren davonkommen zu lassen und ihm womöglich noch gratis einen Riesengefallen zu tun. Diesmal musste er mehr springen lassen als ein Sparbuch, so viel stand fest. Und wenn er sich weigerte, würde sie mit dem Zwillingswagen zu seinem Haus kutschieren, mal sehen, was er dann sagte.

Und Mandy? Bei dem Gedanken an Mandy entglitt Gertrud Hops der Breilöffel und landete auf ihrem linken Schuh. Sie bückte sich, das kleine Wesen auf ihrem Arm wimmerte, wohl weil es sich eingeengt fühlte, sein Bruder hätte wahrscheinlich gleich das Haus zusammengebrüllt. Gertrud leckte den Löffel ab, das war Desinfektion genug, kratzte den Rest auf dem Teller zusammen und stand umständlich auf, um das Wickelgeschäft anzugehen. Ihre alten Knochen brauchten immer ein paar Minuten, um sich auf einen Bewegungswechsel einzustellen. In Ermangelung einer Wickelkommode packte sie die Zwillinge nebeneinander auf ihr Bett, was den beiden zu gefallen schien. Sie strampelten und quiekten und zogen an einer bunten Rassel, während Gertrud in aller Ruhe die durchnässten Höschenwindeln abnahm und sich zwei frische griff.

Einen Moment lang lag das Pärchen halbnackt vor ihr, der Unterschied war keineswegs nur zwischen den speckigen Schenkelchen auszumachen. Erneut stellte Simon seine männlichen Gene unter Beweis, ein kurzer Ruck, und schon hatte er die Rassel für sich allein erbeutet und rollte sich damit blitzschnell auf die Seite. Statt nun zu schreien und um ihren Anteil zu kämpfen, verzog die kleine Katrin nur kurz das Mündchen und tröstete sich dann mit einem Zipfel der Bettdecke, den sie sich in den Mund stopfte. Gertrud zögerte. Sie war sich nicht schlüssig, ob sie der Natur ihren Lauf lassen oder die Kleine unterstützen sollte. Wenn sie an Sabrina oder Mandy dachte, war es womöglich besser, ein wenig nachzuhelfen.

Der Gedanke an Mandy verfolgte Gertrud auch noch, als sie mit dem Kinderwagen loszog, um frische Luft zu tanken. Beinahe automatisch hatte sie den Weg eingeschlagen, der zur alten Waldschänke führte, doch sie bog wieder ab und beschloss, die Spaziergänge mit den Zwillingen besser in die entgegengesetzte Richtung stattfinden zu lassen. Es wäre nicht gut, die leibliche Mutter und die beiden Kinder aufeinander treffen zu lassen. Man soll das Schicksal bekanntlich nicht herausfordern, und falls es wirklich so etwas wie eine Stimme des Bluts gab ... Gertrud tröstete sich damit, dass eine ledige Mutter vom Naturell Mandys nichts weniger als dieses Pärchen gebrauchen konnte.

***

Der Zustand ihres Vaters hatte Mandy zutiefst beunruhigt. Was sollte sie bloß tun, wenn er jetzt auch noch dem Alkohol verfiel? Reichte es nicht, dass er seit fast zwei Jahren immer wieder haarscharf am Abgrund vorbeischlitterte?

»Wenn du mich jetzt auch noch im Stich lässt, Mandy, bringe ich mich um!« Als er das zum ersten Mal gesagt hatte, war Mandy in Tränen ausgebrochen und hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis ihre Brüder den Hausarzt der Familie aus dem Bett geholt hatten. Der hatte ein starkes Schlafmittel gespritzt und war wieder schlafen gegangen, nach dem dritten Notruf hatte er auf Tabletten umgestellt, die Mandy selbst verabreichen durfte. Sie tat das höchst ungern, weil diese Hämmer ja nicht wirklich heilen, sondern lediglich betäuben. Obwohl Mandy selbst nie Schlafmittel nahm, kam es ihr mitunter so vor, als ob die künstlich erzeugte Taubheit langsam auf sie selbst übergriffe und eine winzige Kleinigkeit genüge, um den dünnen Schutzmantel zu zerreißen und sie selbst in ein tiefes Loch fallen zu lassen, aus dem ihr dann auch die bittersüßen Reime Etiennes nicht mehr heraushalfen.

Zumal sie sich kaum noch erinnern konnte, wie der Mann ausgesehen hatte, der drei wunderschöne Wochen und auch eine ganze Nacht lang um sie gekreist, allein für sie da und randvoll mit Worten gewesen war, die nur schön und kein bisschen nützlich gewesen waren. Halt ein richtiger Poet. Es war kein Tag vergangen, an dem er kein Gedicht auf sie verfasst hatte. Diese Reime gab es noch immer, Mandy hatte sie sicherheitshalber in dem großen Nähkasten ihrer Mutter versteckt, dort ging keiner der vier Männer dran, darauf war Verlass. Und dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Nadel und Faden griff, erschien normal. Es war die perfekte Täuschung.

Aber was, wenn sie auch sich selbst täuschte?

Verrückter Gedanke! Verrückt und schrecklich! Hastig, als ob sie sich an den säuberlich beschriebenen und teils sogar zusätzlich bemalten Blättern verbrennen könnte, legte sie den Stoß Gedichte zurück in den Holzkasten, der sich wie eine Ziehharmonika nach rechts und links aufziehen ließ, und klappte ihn wieder zu. Was sollte sie nur tun? Ihr Liebster verblasste, als ob es ihn nie gegeben hätte. Sogar die Stimme ihrer Großmutter wurde stetig schwächer. Einzig und allein dieser Geruch von Nagellack blieb hartnäckig und ragte wie die Spitze eines Eisbergs aus ihrer Erinnerung an jene Nacht, die sie doch vergessen sollte, heraus. Was man nicht ändern kann, vergisst man besser! Warum nur kam sie nicht davon los?

Diesmal war es besonders schlimm. Vielleicht weil ihre eigene Familie Geheimnisse vor ihr hatte? Was ihr jüngster Bruder wohl gemeint hatte, als er den die Treppe hoch torkelnden Vater an eine Abmachung erinnerte, auf die sie sich partout keinen Reim machen konnte? »Denk daran, was wir vereinbart haben! Willst du uns alle unglücklich machen?« Ausgerechnet Stefan, von dem der Vater behauptete, er sei der Nagel zu seinem Sarg, wagte es, so etwas zu fragen.

Als Mandy in dieser schrecklichen Nacht endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, träumte sie, dass Stefan etwas widerfuhr, was das Leben in diesem Haus komplett auf den Kopf stellte.

Ein Unfall? Was wenn Stefan verunglückt war? Mit diesem Horrorgedanken wachte sie auf, tastete nach der Nachttischlampe, knipste sie an, lauschte in die Stille, schob die Bettdecke beiseite und tappte zögernd auf Zehenspitzen zum Fenster. Die Außenbeleuchtung war längst abgeschaltet worden, doch das diffuse Licht der Morgendämmerung reichte aus, um zu erkennen, dass in dem Unterstand, der als Garage diente, solange die eigentliche Garage als Ersatzlager für Verpackungsmaterial fungierte, eine Lücke klaffte. Eins der insgesamt drei Autos fehlte.

Bis vor kurzem hatten dort sogar vier Fahrzeuge gestanden, eins für jedes männliche Mitglied der Familie, aber dann hatte Stefan einen Unfall mit Totalschaden gebaut. Sein Fahrstil war ausgesprochen forsch, manchmal trank er auch zu viel. Nach dem soundsovielten Blechschaden war niemand aus der Familie mehr bereit gewesen, ihm mit einem Auto auszuhelfen. Mit ihren Autos waren die drei anderen seit jeher eigen. Wenn Mandy sich für den wöchentlichen Einkauf notgedrungen hinters Steuer setzte, stellten sie sich an, als ob statt Lauchstangen oder Bratwurst eine ausblutende Schweinehälfte auf dem Beifahrersitz befördert werden sollte. Was das Risiko einer Kollision anging, sorgten sie sich bei Mandy weniger, in dieser Kategorie belegte eindeutig Stefan Platz eins. Er mochte schwören und betteln, wie er wollte, sie ließen ihn nicht mehr fahren.

»Aber ich werde verrückt hier!« Die ewig gleiche Klage ihres jüngsten Bruders begleitete Mandy hinaus ins Freie. Sie fror, so früh am Morgen war es empfindlich kühl, vielleicht rührte dieses Frösteln aber eher von der Furcht, was passieren würde, wenn Stefan sich erneut gegen das ausdrückliche Verbot des Vaters dessen Opel Omega genommen hatte. »Bitte lass Stefan nicht so dumm gewesen sein!«, flehte sie zu einer unsichtbaren Kraft, die in ihrem Kopf automatisch Ähnlichkeit mit ihrer verstorbenen Großmutter annahm. Und gib Acht, dass ihm nichts passiert!

Ängstlich sah Mandy zu dem Fenster hoch, hinter dem ihr Vater seinen Rausch ausschlief. Vielleicht kam Stefan ja früh genug zurück, es begann gerade erst zu dämmern, und der im Übermaß genossene Alkohol mochte den Schlaf ihres Vaters, der ansonsten ein Frühaufsteher war, verlängern.

Doch Mandys Wunsch ging nicht in Erfüllung. Als sie sich zurück ins Haus tastete, rauschte über ihr die Wasserspülung, und noch ehe sie sich unsichtbar machen konnte, ging die Klotür auf, und Anton Riebschläger starrte sie vom obersten Treppenabsatz aus durchdringend an. Er schien einen sechsten Sinn für alles zu haben, was seinen Anordnungen zuwider lief.

»Wo ist dein Bruder? Hol ihn her! Hol Stefan her! Auf der Stelle!«

Sie schüttelte den Kopf. »Das geht nicht!«

Wer immer hier die Regie führte, er schien es auf dramatische Effekte abgesehen zu haben. Diese drei jämmerlichen Worte bildeten den Auftakt zu einem Tobsuchtsanfall, auf dessen Höhepunkt das Geräusch der sich leise, aber nicht leise genug öffnenden Hintertür zu hören war. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit für jemanden, der vor ein paar Stunden noch keinen Fuß gerade vor den anderen hatte setzen können, rannte Mandys Vater in die Küche runter. Wie erwartet war es Stefan, der sich gerade wie ein Einbrecher ins Haus schleichen wollte, das schlechte Gewissen stand ihm auf der Stirn geschrieben.

Mit reumütiger Miene ließ er das väterliche Donnerwetter über sich ergehen, gelobte, wie schon so oft, Besserung und verdrückte sich dann mit der Begründung, sonst unmöglich seinen ersten Kundentermin einhalten zu können, ins Bad. Wenig später hörte man Wasser in die Dusche prasseln, und Mandy bereitete schon einmal das Frühstück vor. Sie selbst kam sowieso immer erst als Letzte ins Badezimmer, schließlich hatte sie ja als einzige keinen direkten Kontakt zur Kundschaft und deshalb auch keinen Termindruck. Wenn sie an der Reihe war, durfte sie erst mal Haare aus dem Abfluss fischen, pitschnasse Handtücher und Wäschestücke einsammeln und Seife sowie sonstige Hilfsmittel zur Körperhygiene trockenlegen. Gerade als sie die Eier für die von ihrer Familie zum Frühstück heißgeliebten Pfannkuchen aufschlagen wollte, kam ihr Vater schon wieder angestürmt. Nur halb angezogen, was sonst gar nicht seine Art war.

»Wo ist der Wagen?«, wollte er wissen.

»Welcher Wagen?«

»Dumme Frage! Mein Wagen natürlich! Soll ich dir auch noch die Type und das Kennzeichen sagen? Wieso ist dein jüngster Bruder zurück und mein Opel Omega trotzdem nicht da?«

Mandy blieb ihm die Antwort schuldig. Ihre beiden Brüder, der mittlere und der älteste ebenso. Das Geschrei hatte die beiden in die Küche gelockt, aber noch in der Tür machten sie schon Anstalten, auf der Stelle wieder zu verschwinden. Doch das wurde ihnen nicht erlaubt. Mandys Vater bestand darauf, dass sie ihren jüngsten Bruder tropfnass unter der Dusche hervorholten und zu ihm schleppten. Der Vater bezichtigte ihn dann ganz unverblümt des Diebstahls. »Du hast mir mein Auto gestohlen! Ich zeige dich an! Ich bringe dich um! Wenn der Wagen nicht bis heute Mittag wieder da ist ...!«

Die Drohung wirkte. Irgendwie schaffte Stefan es, fast pünktlich zum Mittagessen mit dem Opel Omega aufzutauchen. Der Kofferraum stand offen, darin lag Mandys Fahrrad, mit dem er sich nach dem schrecklichen Wutausbruch seines Vaters wohin auch immer auf den Weg gemacht hatte. Er schwieg sich beharrlich über den Verbleib des Fahrzeugs in den letzten paar Stunden aus, und weil dieses weder eine Beule noch sonst eine Beschädigung und nicht mal Dreckspritzer aufwies, ließ Anton Riebschläger es irgendwann genug sein.

Am frühen Abend verzehrten alle vier Männer wieder einträchtig ihre Linsensuppe mit Speck und zum Nachtisch den noch warmen Apfelkuchen, bevor sie sich wie an jedem Freitagabend zur Skatrunde um den höhenverstellbaren Couchtisch formierten. Freitags wurde immer schon um fünf Uhr gegessen. Mandy nahm kaum etwas zu sich, sondern räumte nur rasch das schmutzige Geschirr ab, spülte – eine Spülmaschine hielt ihr Vater für Firlefanz – und brachte den Männern ihr gut gekühltes Bier und frische Gläser sowie ein paar Käsestangen. Die nächsten zwei, drei Stunden würden sie damit versorgt sein, der Streit war zumindest fürs Erste vergessen, sodass sie selbst getrost noch ein wenig frische Luft schöpfen konnte. An dem Ort, der auf geheimnisvolle Weise den Alltag und die Traurigkeit aussperrte.

Wie meist hatte Mandy sich einen Apfel mitgenommen und begann mechanisch, eine Krone daraus zu schneiden. Die Bemerkung der alten Hebamme kam ihr in den Sinn. »Mit Apfelkronen zieht man keinen Kerl an Land!« Wer wollte das schon? Sie jedenfalls nicht! Sie wollte das nicht alles noch einmal durchmachen müssen. Sie wollte ... ja, was wollte sie überhaupt?

Etwas Schönes, dachte sie, etwas, was schön und gut und ganz nah ist. So wie früher, wenn Großmutter mich auf den Schoß genommen und vom Krieg erzählt hat. Ein Krieg war nichts Lustiges, das wusste Mandy inzwischen, doch wenn die Rede davon gewesen war, wie verzweifelte Menschen in jener Zeit heimlich hierher kamen und ihr Herz ausschütteten und darauf vertrauten, dass Mandys Großmutter ihnen half, hatte es stets so geklungen, als ob der Frieden anklopfte, gepaart mit einem Lachen. Ihre Großmutter und sie hatten viel zusammen gelacht. Mandy vermisste das Lachen und die Wärme. Sie litt darunter, nichts von alldem bewahren oder sogar weitergeben zu können. Was blieb vom Leben ihrer Großmutter übrig? Sie war die Einzige, die überhaupt noch an die alte Frau dachte. Das Messer in ihrer Hand zitterte und glitt an der Schale ab, ein Zacken brach aus der Krone und fiel ihr genau in den Ausschnitt.

Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war?

»Sei nicht so abergläubisch, Amanda!«, schalt sie sich selbst. Amanda! Sie war nach ihrer Großmutter benannt, die einige Dorfbewohner für eine Hexe gehalten hatten. Manch einer, der sich heimlich hierher geschlichen und hatte helfen lassen, wollte hinterher nichts mehr davon wissen. Im Grunde hatte sogar die Großmutter selbst geleugnet, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen. »Das ist alles Unfug!« Ein helles und sehr junges Lachen, das aus dem runzeligen Mund herausperlte, hatte dieses Statement begleitet, und dann nochmals die Versicherung, dass nichts von alldem, was man ihr andichtete, stimmte.

»Glaub das nicht, Mandy! Alles, was ich kann, ist genau hinzusehen und mir meinen Reim darauf zu machen. Wer genau hinsieht und eine Mücke nicht mit einem Elefanten verwechselt, der kann auch anderen helfen, mit ihrem Leben klarzukommen.« Mandy hatte genickt, damals war sie noch nicht einmal in der Schule gewesen. Sie hatte genickt, obwohl sie nicht wirklich verstand, was ihre Großmutter ihr damit sagen wollte. Nur dass es etwas Schönes und Gutes war. »Kann ich das später auch, anderen helfen?«, hatte sie gefragt und ein Augenzwinkern als Antwort erhalten. »Versuch es halt, Mandy!«

Mandy senkte die Hand mit dem Messer, der Apfel rollte von ihrem Schoß auf die Wiese und weiter auf das Bächlein zu. Sie blickte ihm nach, ihre Gedanken rollten mit, wurden aufgewickelt und wieder losgelassen und mündeten bei dem Traum der letzten Nacht. Seltsam! Sie hatte geträumt, dass ihr jüngster Bruder einen Unfall erlitt, aber er hatte keinen Unfall gehabt, denn an dem Auto war nicht der kleinste Kratzer gewesen, ebenso wenig wie an ihm selbst. Aber halt! Der Traum war anders gewesen. Bevor sie die Augen aufschlug, hatte sie in eine andere Richtung geträumt, da war Stefan etwas widerfahren, was das Leben im Haus der Riebschlägers komplett auf den Kopf stellen würde. Nur was? Und galt das auch für ihr eigenes Leben? Besaß sie überhaupt noch etwas wie ein eigenes Leben?

Wie sollte sie das Stückchen Leben, das allein für sie bestimmt war, zu packen bekommen? Wo?

»Versuch es halt, Mandy!«

Sie schüttelte den Kopf, sprang auf und schalt sich selbst eine unverbesserliche Träumerin. Gertrud Hops hatte ja Recht. Vielleicht hatte sie sogar in mehr als einer Hinsicht Recht. Es kam immer wieder öfter vor, dass Mandy sich selbst fragte, warum sie sich das alles von ihrem Vater und ihren Brüdern gefallen ließ, warum sie nicht einfach ihre Siebensachen packte und dem Beispiel ihrer Mutter folgte. So konnte es doch nicht ewig weitergehen, die Tage und Nächte zerrannen ihr zwischen den Fingern. »Pass nur auf, Mandy ...!« Einem Impuls folgend schlug sie die Richtung ein, in der das winzige Haus der Hebamme lag. Gewöhnlich mied Mandy diesen Ort, er war zu sehr mit etwas verknüpft, woran zu denken sie sich verbot. Ein innerer Drang schien sie jetzt jedoch zum ersten Mal seit zehn Monaten in diese Richtung dirigieren zu wollen. Warum? Um Gertrud Hops zu sagen, dass sie mit ihrer Vorhaltung Recht hatte? Und dann?

»Versuch es halt, Mandy!«

Mandy wollte schon weitergehen, als ihr der Vater und die Brüder einfielen. Nach dem Kartenspiel bekamen sie immer noch einen strammen Max, das war Usus. Bis vor zwei Jahren hatte ihre Mutter Freitag für Freitag ein Pfund Schinkenspeck kross angebraten und acht Eier darüber geschlagen und zuletzt alles mit dem ausgetretenen Fett auf vier Teller verteilt. Dazu gab es Roggenbrot und sauer eingelegte, in Fächer geschnittene Gurken und Perlzwiebeln, jeden Freitagabend. Wie lange noch?

Zögernd machte Mandy kehrt. Seltsam dieses Gefühl, als wollten unsichtbare Fäden sie in die andere Richtung ziehen. Das gab keinen Sinn, überhaupt schlief die Hebamme bestimmt schon, alte Menschen gehen meist früh zu Bett. Trotzdem, dachte Mandy. Als sie an diesem Abend ins Bett ging, konnte sie trotz ihrer Müdigkeit schon wieder keinen Schlaf finden. Sie kam sich feige vor, so als ob sie die Chance verpasst hätte, ein Stück eigenes Leben zu erwischen und festzuhalten.

***

Auf die Anzeige hin hatten sich nicht eben wenige Frauen gemeldet. Aus der näheren Umgebung kam zwar nur eine einzige Bewerbung für die Stelle als Haushälterin, dafür gab es eine lebhafte Resonanz von der Hauswirtschaftsschule in Bamberg, die, wie zu lesen war, eng mit dem dortigen Arbeitsamt kooperierte. Dem den Bewerbungen jeweils beigefügten Begleitbrief der Schulleitung war auch zu entnehmen, dass man großes Interesse daran hatte, die Absolventinnen persönlich und selbstredend gut zu vermitteln. Es wurde sogar angeboten, die Einarbeitungsphase zu begleiten und bei gegebenenfalls auftretenden Schwierigkeiten zwischen Arbeitgeber und Haushälterin zu vermitteln. Und für den Fall, dass man sich für eine Umschülerin entschied, die zuvor längere Zeit arbeitslos gewesen war, erhielt man sogar einen, wenngleich befristeten Zuschuss zum zu zahlenden Gehalt. Aus Mandys Sicht hörte sich das alles recht viel versprechend an, auch das, was die Frauen über sich schrieben, klang Vertrauen erweckend. Eine war sogar vorher Köchin in einem Restaurant gewesen, in dem die Riebschlägers einmal zusammen mit der ganzen Belegschaft gegessen hatten, weil die Geschäfte besonders gut liefen. Für das Unternehmen war es ein ungewöhnlich erfolgreiches Jahr gewesen, es war sogar eigens ein Kellermeister eingestellt worden.

Nun gut, Mandy verstand, dass die Erinnerung an diesen treulosen Mitarbeiter ihren Vater schmerzte. Vielleicht war es ja wirklich unsensibel von ihr, daran zu erinnern, wie gut allen der Rostschmorbraten mit den handgeschabten Spätzle und die sämige Suppe und überhaupt alles, was ihnen dort aufgetischt wurde, geschmeckt hatte. Aber das hieß doch noch lange nicht, dass deshalb die ehemalige Köchin und mit ihr automatisch alle anderen Kandidatinnen ausschieden.

»Warum bittest du nicht wenigstens ein paar von ihnen zu einem persönlichen Gespräch hierher? Das kostet dich doch nichts.«

»Doch«, kam es wie aus der Pistole geschossen, »oder willst du denen ihr Fahrgeld erstatten?«

»Meinetwegen zahle ich dir auch die paar Euro Fahrgeld zurück«, konterte sie und kämpfte gegen den Impuls an, die Gegenrechnung aufzumachen. Was war mit dem Geld, das sie nie zurückbekommen hatte, wenn sie etwa den Wagen ihres Vaters volltankte? Oder mit Weihnachtsgeld, wie es alle anderen bekamen? Oder wenigstens ab und an einem Dankeschön?

»Du scheinst es ja dicke zu haben, offenbar verdienst du viel zu viel. Was hältst du davon, wenn du etwas davon in die Familienkasse fließen lässt? Die ist nämlich leer.«

Mandy war einen Augenblick lang sprachlos. Meinte er das etwa ernst? Was sie gespart hatte, reichte gerade mal, um sich halbwegs vernünftig einzukleiden, das war enorm wichtig, wenn man, wie sie das vorhatte, in seinen alten Beruf zurückkehren wollte. Zumindest auf dem Lindhof hatte es für sie als Assistentin des Managers keine Hoteluniform mehr gegeben, die einzige Auflage an ihre selbst zu stellende Garderobe waren gedeckte Farben und gute Qualität gewesen. Die beiden Kostüme vom vorletzten Jahr waren zwar noch so gut wie neu, doch sie passten ihr nicht mehr so richtig, ihre Figur war eben weiblicher geworden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2015
ISBN (eBook)
9783958244504
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Frauenroman Liebesroman Romantik Schicksal Feelgood-Roman Humor Schloss Sophie Kinsella Petra Hülsmann eBooks
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Titel: Wer liebt schon seinen Ehemann?
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