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Todesschüsse in St. Georg

Kriminalroman

©2015 67 Seiten

Zusammenfassung

Wenn Krimiautoren sterben – „Todesschüsse in St. Georg“ von Regula Venske jetzt als eBook bei dotbooks.

Ein Schuss, ein letzter Atemzug – und Krimiautorin Kinky ist tot. Es ist wirklich ein Unglück, dass sie ausgerechnet kurz nach der Lesung ihres neuen Romans erschossen wird. Bei ihren Kollegen sorgt der Todesfall für Gesprächsstoff: Wieso musste Kinky sterben – und wie? Der ein oder andere kennt sich jedenfalls verdächtig gut mit Schusswaffen aus …

Hamburg sehen und sterben – „mit ihren Krimis schlägt Regula Venske immer gnadenlos zu“ (Emma)!

„Venske erzählt ihre spannende Geschichte mit jener ironischen Unterströmung, die das Lesen zum überaus unterhaltsamen Vergnügen macht.“ Hamburger Abendblatt

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Todesschüsse in St. Georg“ von Regula Venske. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Ein Schuss, ein letzter Atemzug – und Krimiautorin Kinky ist tot. Es ist wirklich ein Unglück, dass sie ausgerechnet kurz nach der Lesung ihres neuen Romans erschossen wird. Bei ihren Kollegen sorgt der Todesfall für Gesprächsstoff: Wieso musste Kinky sterben – und wie? Der ein oder andere kennt sich jedenfalls verdächtig gut mit Schusswaffen aus …

Hamburg sehen und sterben – „mit ihren Krimis schlägt Regula Venske immer gnadenlos zu“ (Emma)!

Über die Autorin:

„Intelligent, humorvoll und immer mit einem ungewöhnlichen Plot, sind ihre Bücher ein Vergnügen.“ Gabriela Wenke

Regula Venske wurde 1955 in Minden geboren und wuchs in Münster auf. 1987 promovierte sie mit einer Studie über „Mannsbilder – Männerbilder. Konstruktion und Kritik des Männlichen in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur von Frauen“ zum Doktor der Philosophie.

Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie u. a. mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis, dem Deutschen Krimipreis und dem Lessing-Stipendium des Hamburger Senats ausgezeichnet, ihr Kurzgeschichtenband "Herzschlag auf Maiglöckchensauce" wurde für den Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden nominiert.

Regula Venske lebt als freie Autorin in Hamburg und ist Mitglied im Autorenverband deutschsprachiger Kriminalschriftsteller SYNDIKAT (www.das-syndikat.com) und im PEN (www.pen-deutschland.de), dessen Generalsekretärin sie seit Mai 2013 ist.

Bei dotbooks erscheinen außerdem Regula Venskes Romane Schief gewickelt – Das perfekte Verbrechen, Double für eine Leiche, Die garstigen Greise und Kommt ein Mann die Treppe rauf.

Weitere Titel sind in Vorbereitung.

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Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2015

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Rotwein mit Schuss bei Hamburger Abendblatt Axel Springer Verlag AG, Hamburg

Copyright © der Originalausgabe 2003 Hamburger Abendblatt Axel Springer Verlag AG, Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildabbildung: Thinkstockphoto/Hemera/istock

ISBN 978-3-95824-275-3

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Regula Venske

Todesschüsse in St. Georg

Kriminalroman

dotbooks.

Kapitel 1

Dem Reisenden, der die fünf Stufen zum Villon hinabgestiegen war und die Tür mit einem entschlossenen Ruck öffnete, beschlugen die Brillengläser. Einen Augenblick lang erschien ihm die in Zwielicht gehüllte Kneipe wie das Vorloch zur Hölle. Hilflos verharrte er auf der Schwelle, den Türgriff noch in der Hand, und versuchte sich zu orientieren. Eine Lachsalve scholl ihm entgegen, Beifall brandete auf. Doch galt beides nicht ihm, dem Provinzler, wie er im nächsten Moment beruhigt feststellen sollte, sondern dem Vortrag einer rothaarigen jungen Frau in schwarzem Lederkostüm. Sie saß rechts von der Eingangstür auf einem kleinen Podest – »Bühne« wäre zu viel gesagt – und las aus einem schwarzen Büchlein vor. Der Reisende rief sich den gelben Plakatanschlag in Erinnerung, der den Gästen außen an der Tür entgegenleuchtete und den auch er im Vorübergehen flüchtig wahrgenommen hatte.

Dienstag, 1. Oktober – Krimiabend im VillonEppendorfer Kaiser-Schnitt ...

Auch der Name der Vortragenden hatte da gestanden, Kinky Atemnot. Kein guter Name, dachte der Reisende. So hieß doch kein Mensch. Sicher ein Pseudonym.

Unterdes breitete sich im Inneren der Kneipe Unmut aus. »Tür zu!«, rief jemand. »Rein oder raus!«, kreischte eine schrille Stimme.

Die Stimme tat dem Mann an der Tür fast körperlich weh. Einen Moment noch hielt er inne, fast hätte er den Rückzug angetreten, aber dann wagte er sich doch in die Rauchschwaden und den Alkoholdunst hinein und zog die Tür hinter sich zu.

An der Theke fand er sich neben einem halbwüchsigen Jugendlichen wieder, der ihn zwar wütend anstarrte, aber dennoch höflich zur Seite rückte, als er sich neben ihn stellte. Mit gedämpfter Stimme, um kein weiteres Aufsehen zu erregen, bestellte er eine Schorle aus Johannisbeersaft. Nachdem er sich die Brille geputzt hatte, blieb sein Blick an einer Heiligenfigur hängen, die im Regal hinter dem Tresen neben diversen Gläsern stand, freundlich dem zur Tür Hereinkommenden, wer immer es auch sein mochte, zugewandt. In den altrosafarbenen Rosen, die sie gegen ihre Brust presste, verbarg sich ein Kruzifix. Die heilige Elisabeth von Thüringen, um die sich die wohl bekannteste Legende vom Rosenwunder rankte, konnte es der Kleidung nach nicht sein. Er tippte auf Thérèse Martin von Lisieux, die »kleine heilige Therese«. Auch sie wurde ja oft mit Rosen in der Hand dargestellt. Mit Heiligen kannte er sich aus, hätte in dieser Umgebung jedoch keinen von ihnen erwartet. Der Junge neben ihm zum Beispiel war doch sicher noch keine vierzehn Jahre alt. Was hatte das Kind abends in einer Kneipe zu suchen? Die Eltern gehörten bestraft! Kopfschüttelnd wandte er sich der winzigen Bühne zu und konzentrierte sich auf Kinky Atemnots Lesung.

»Es gibt zwei Arten, ungestraft zu morden«, hörte er. »Auf dem Papier und im Wochenbett. Sela hatte sich für die letztere Art und Weise entschieden.«

Hier legte Kinky Atemnot eine kurze, aber kunstvolle Pause ein, um den Zuhörenden Gelegenheit zum Lachen zu geben. Nach einem kessen Blick in die Runde setzte sie ihren Vortrag fort.

»Wird in Frankreich bereits das prämenstruelle Syndrom als strafmildernd anerkannt, so muss man es hierzulande schon bis zum Wochenbett bringen, um nicht mehr als ganz zurechnungsfähig zu gelten. Aber dann! Wenn frau dann einen Porsche kauft, kann der Ehemann das Geschäft rückgängig machen. Und wenn sie ihren Mann erschlägt, so wird man es getrost auf die Hormonumstellungen schieben.«

Begeistertes Gekicher und Schenkelklopfen neben ihm zeigten, dass das überwiegend weibliche Publikum sich köstlich amüsierte. Die Geschichte handelte offenbar von einer verwirrten jungen Frau namens Gisela Kaiser, Sela genannt, die nichts anderes im Kopf hatte, als ihre alte Mutter unter die Erde zu bringen. Um bei Gericht damit durchzukommen, beschloss sie, zunächst selbst ein Kind zu kriegen und den Muttermord im Wochenbett zu begehen. Auf diese Weise würden ihr die Richter ein postnatales Trauma zugute halten. Während andere Schwangere sich im Säuglingspflegekursus im korrekten Wickeln eines Babys übten, legte sich die verrückte Sela eine aufblasbare Gummipuppe zu, die sie im Hobbykeller ihres Ehemannes probeweise strangulierte. Mit einer Mullwindel – dieser Einfall sorgte im Publikum für besondere Heiterkeit. Eppendorfer Kaiser-Schnitt – im siebten Monat stach die gestörte Seele sodann mit einem Käsemesser auf die Gummipuppe ein, bis dieser die Luft entwich und die Heldin für Nachschub sorgen musste. Ihren bizarren Übungen ging diese Sela natürlich nur nach, wenn ihr braver Mann Mattis, ein Realschullehrer, frühmorgens zur Arbeit gegangen war; der Muttermord sollte schließlich nicht als vorsätzlicher Mord erkannt, sondern für eine Tat im Affekt gehalten werden. Außer mit diesen praktischen Übungen waren ihre Tage ganz mit Schwindel- und Speianfällen ausgefüllt, und die Autorin ließ ihre Heldin mehrmals zur Toilette eilen, um sich die Seele aus dem Leibe zu kotzen. Aber diese drastischen Szenen dienten nicht etwa dazu, die Gewissensbisse der jungen Frau zu demonstrieren, wie der Reisende zunächst geglaubt oder vielleicht sogar gehofft hatte. Nein, all dieses Elend schien nach Meinung der Autorin notwendiger Bestandteil einer Schwangerschaft zu sein.

Von Heißhungerattacken und Gebärmutterkrämpfen war alsbald die Rede, von gefährlichen Blutstürzen, Schwangerschaftsvergiftung und nächtlichen Wadenkrämpfen. »Mutterkuchen und Muttermund!« Dem Reisenden gellte es in den Ohren. Im Unterschied zu ihm schienen die anderen Zuhörer diesen abstrusen Quark allerdings lustig zu finden. Auch wenn Kinky Atemnots Text von Schweiß und Schleim, Blutpfropfen und Fruchtwasser – all dies in bunter Abfolge – nur so strotzte, außer ihm störte sich anscheinend niemand daran.

Zum Abschluss ihrer Darbietung erläuterte die Autorin die von ihr gewählten Kapitelüberschriften; mit ihnen hatte sie einen symbolischen Bogen von der »Empfängnis« bis zum »Wochenfluss« gespannt.

»Wochenfluss, so ist mein letztes Kapitel überschrieben, das nur noch aus einer Zeile besteht«, ereiferte sie sich kokett. »Ich erlaube mir, darin Heraklit zu zitieren, nur so zum Spaß, verstehen Sie. Alles fließt! Damit endet mein Krimi. Aber wer von allen Genannten im vorangegangenen Kapitel, Kindspech überschrieben, das Zeitliche segnen muss und wie und warum, das werde ich Ihnen heute Abend natürlich noch nicht verraten.«

Der Reisende nutzte die kleine Pause in Kinky Atemnots Geschwafel, warf ein paar Münzen auf den Tresen und stürzte fluchtartig aus dem Villon. An seiner Johannisbeerschorle hatte er nicht einmal genippt. Ihre Farbe erinnerte ihn an dünnes Blut, das mit Fruchtwasser vermischt war. Ihm war speiübel zu Mute.

Kapitel 2

Ein Käseteller! Vier Mineralwasser! Ein grüner Tee! Ein Ginger Ale. Zwei Bier! Und in fünfeinhalb Minuten vielleicht dann der Rotwein ...«

Die hübsche Rebecca rief es dem Wirt zu, während sie gleichzeitig mit flinkem Griff ein paar Gläser aus dem Regal schnappte. Henry zwinkerte seiner Angestellten verständnisvoll zu. Die Runde der Krimiautorinnen und –autoren, die sich im Anschluss an Kinky Atemnots Lesung im hinteren Zimmer zusammengefunden hatte, war für ihre Entscheidungsunfähigkeit längst bekannt. Das heißt, bei den männlichen Autoren war es vergleichsweise einfach, sie tranken ein, zwei Gläser Bier oder Wein, stellten keine großen Ansprüche und machten keine weitere Arbeit. Aber die Damen, und die waren in dieser Runde in der Überzahl, waren kompliziert. Erst tranken sie grünen Tee, »zum Aufputschen!«, wie es hieß – hatte man so etwas schon je gehört? Danach stiegen sie auf Bananensaftschorle um – »Die sättigt so schön« – und stellten überhaupt die sonderbarsten Kombinationen zusammen. Und meistens gingen sie auch noch mit guten Vorsätzen aus.

»Für mich bitte heute Abend nur Pfefferminztee.«

»Ich bin auf Diät! Schon der vierte Tag! Du etwa auch?«

Ein anderer Gastwirt hätte das vielleicht nervig gefunden, hätte gereizt reagiert. Aber nicht er. Henry kannte das Leben. Er kannte die Literatur und die Probleme ihrer Verfasser dazu. Im Innersten seiner Seele war er selbst Literat. Ein Philosoph und ein Künstler, ein Lebenskünstler dazu. Gutmütig und gelassen nahm er jede einzelne Bestellung auf und bestätigte die jeweilige Auftraggeberin in ihrer Entscheidung. Nein, dieser Käseteller mache auf keinen Fall dick, von den paar Oliven würde man doch kein Fett ansetzen. Ein Gläschen Rotwein mache keine Alkoholikerin. Und Rebecca, seine Mitstreiterin, war ihm ebenbürtig. So hübsch sah doch keine Bedienung in einer Säuferkneipe aus! Wer im Villon saß, wähnte sich für die Dauer des Abends zu Hause. Oder im Himmel. Auf jeden Fall an einem utopischen Ort. Hier waren die Gespräche tiefer, hier vertrug man den Alkohol besser, hier war man ein Mensch und durfte es sein. Deshalb hatte Henry vor anderthalb Jahren seine Stammkneipe gekauft. Und deshalb trafen auch sie sich regelmäßig in diesem so verkehrsgünstig gelegenen Lokal in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, Hamburgs Krimiautoren und solche, die es noch werden wollten. Hier hatten sie ihren Jour fixe, hier hielten sie Hof. Und ab und an luden sie, wie heute, zu ihren Lesungen.

Natürlich war Kinky Atemnot der Star dieses Abends. Soeben zählte sie die Münzen in ihrem Hut. Sogar ein kleiner Schein war dabei. Zwar war es keine Summe zum Reichwerden, die man ihr hineingeworfen hatte. Aber doch mehr, als Marina und Wiebke im September bekommen hatten. Und die beiden waren zu zweit aufgetreten und hatten sich das bescheidene Honorar auch noch geteilt.

Kinky bemerkte, wie die beiden älteren Kolleginnen ihre Zählung mit Argusaugen verfolgten. Marina Pichowiak und Wiebke Timmerloh waren nicht die größten Sterne in diesem Kreis. Marina war eigentlich von Beruf Bibliothekarin und am Germanischen Seminar im Philosophenturm angestellt. Immerhin hatte sie es mit ihrem Erstling Wandsbeker Blutaufguss zu einigem Ansehen gebracht. Darin erstach ein verhuschtes graues Mäuschen, wie sie selbst eines war, den Schönling von Bademeister, der in ihrem Fitnessstudio den Aufguss in der Sauna betreute. Offenbar hatte der Macho das Mäuslein noch nie auch nur eines einzigen Blickes gewürdigt; für manche ein verständliches, durchaus hinreichendes Motiv.

Bei einem ihrer Plauderabende hatte Marina Kinky zu später Stunde, als alle anderen schon gegangen waren, unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass sie vor drei Jahren beinahe ihren langjährigen Geliebten Elmar, einen Professor der Mediävistik, abgemurkst hätte; nur ihrer Blödheit war es zu verdanken gewesen, dass sie nicht zur Mörderin geworden war. Insgeheim aber hegte Kinky den Verdacht, dass Marina noch weitere düstere Geheimnisse in sich barg und dass doch ein paar Tropfen Blut an ihren Händen klebten. Sie besaß eine Aura, die nicht nur aus Blödheit und verhuschtem Wesen bestand. Kinky hatte da auch schon eine Ahnung. Hatte Marina nicht vor einem Jahr so einiges geerbt? Wie hätte sie sich sonst als Bibliothekarin ein Sabbatjahr leisten können? Genug zum Leben warf der Wandsbeker Blutaufguss doch wohl noch nicht ab? Und woran war eigentlich Marinas Vater gestorben, zu dem sie erst in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod ein – angeblich herzliches – Verhältnis entwickelt hatte? Kinky hoffte auf eine günstige Gelegenheit, um bald einmal tiefer in Marinas Vorleben eindringen zu können. Es war immer gut, über ein paar Zusatzinformationen zu verfügen.

Auch Wiebke Timmerloh war keine richtige Schriftstellerin, wie Kinky verächtlich dachte. Jürgen, ihr Mann, ein ehemaliger Klassenkamerad, mit dem Wiebke seit ihrem elften Schuljahr zusammen war, war Lehrer geworden. Kinky hielt ihn für einen Langweiler vom Dienst – was sie allerdings nicht daran gehindert hatte, auf Wiebkes Gartenfest im August heftig mit ihm zu flirten. Danach hatte er ihr als Vorlage für den Ehemann ihrer schwangeren Heldin gedient. Auch Wiebke Timmerloh hatte das Lehrerexamen gemacht, sich aber in den letzten fünfzehn Jahren als Hausfrau und Mutter verwirklicht. Nun, da ihr Sohn Jo-Lasse ein Alter erreicht hatte, in dem sich die Mutter dringend von ihm abnabeln musste, suchte sie einen neuen Lebensinhalt. Allmählich sah man ihr an, dass sie aus Langeweile zu viele Kochrezepte ausprobierte. Aber seit sie beim Osterfeuer am Elbstrand selbst Zeugin eines Mordes geworden war, hatte sie einen neuen Zeitvertreib im Schreiben von Kriminalgeschichten gefunden.

Um diese Erfahrung aus erster Hand wurde Wiebke von ihren Kolleginnen glühend beneidet. Aber jetzt schaute sie selbst mit einem Anflug von Neid und einem Stich Eifersucht im Herzen Kinky Atemnot zu.

»So eine Geschichte wie deinen Muttermord kann sich nur eine ausdenken, die selbst keine Kinder hat«, sagte sie kopfschüttelnd.

Marina meldete sich zu Kinkys Verteidigung.

»Wieso?«, fragte sie. »Auch wer keine Kinder hat, kann doch seine Mutter umbringen wollen.«

Kinky sah Marina interessiert an. Käme jetzt gleich noch ein Geständnis hinterdrein?

»Ich würde sogar sagen, gerade wer keine Kinder hat...«, setzte Marina ihren Gesprächsbeitrag unsicher fort, brach dann aber ab. Es war ihr immer unangenehm, wenn alle zu ihr herübersahen.

»Ach, bitte, nicht schon wieder dieses Thema«, meldete sich Marthe Flachsmann zu Wort. »Kinder oder nicht Kinder, Mutter oder nicht, das ist doch völlig wurscht. Hauptsache, man kann schreiben.«

Im richtigen Moment trat Rebecca mit einem Tablett an die Runde heran und nahm, nachdem sie die Getränke verteilt hatte, neue Bestellungen auf.

»Für mich doch einen Rotwein.« Etwas verschämt äußerte Marina Pichowiak ihren Wunsch. Vor ein paar Jahren hatte sie geglaubt, Brustkrebs zu haben; zum Glück hatten sich ihre Befürchtungen als falscher Alarm herausgestellt. Damals war sie auf den Geschmack gekommen und gönnte sich seitdem gern einmal einen guten Tropfen. Es galt, das Leben zu genießen, solange man es noch konnte. Zu genießen und dankbar zu sein.

»Hat Henry noch den guten Sardinischen da?«

»Den Sardischen, ja. Es ist gerade eine Lieferung von Sella & Mosca gekommen. Den Tanca farrà?«

»Nein, den, der so heißt wie ich – Villa Marina?«

»Marchese di Villa Marina, in Ordnung. Gibts aber nur als Flasche.«

»Beteiligt sich jemand daran?«

»Ach, was solls, ich bin dabei.«

»Okay, für mich auch ein Gläschen.«

»Und für mich einen Rotwein mit Schuss.«

»Immer eine Extrawurst, Kinky!«

»Dafür ist der Sella & Mosca aber zu schade!«

»Ich hab da was ganz Spezielles für Sie«, überlegte Rebecca. »Lassen Sie sich mal überraschen.«

Kinky Atemnot nickte. Für Überraschungen war sie immer zu haben.

»Hört mal, Kinnings«, meldete sich Marthe zu Wort, nachdem Rebecca die Bestellungen aufgenommen hatte. »Ich wette, keine von euch hatte in den letzten Tagen so einen intimen Kontakt mit der Bullerei wie ich.«

Marthe Flachsmann war für ihre Döntjes berühmt. Böse Zungen behaupteten zwar, sie könne überhaupt nichts anderes, als Anekdoten zu erzählen, was ein Plot und ein größerer Spannungsbogen sei, müsse man ihr erst noch erklären. Aber das kümmerte sie nicht. Ihre Berufung schien darin zu bestehen, jedwede Runde nach ein paar Gläsern Wein zu unterhalten. Heute Abend kam sie jedoch nicht sogleich zu Wort. Gerade als sie loslegen wollte, fiel Männe Degenhardt, einem der wenigen Männer in der Runde, plötzlich ein, dass er gehen müsse. Unvermittelt sprang er auf.

»Mein Tatort wartet auf mich. Muss heute Nacht noch eine wichtige Szene umschreiben.«

Marthe sah missmutig zu ihm hinüber. Das war doch typisch für diese Kerle! Sofort beleidigt, wenn sie einmal nicht im Mittelpunkt standen. Nein, diesem Glatzkopf trauerte sie nicht hinterher. Aber kaum war er aufgestanden, da sprang auch Franziska Fusch auf, das stille Wasser der Runde. Sie wurde leicht nervös, als sie merkte, wie alle zu ihr herübersahen. Mit fahriger Geste warf sie sich einen Poncho über und eilte Männe Degenhardt hinterher. Kinky Atemnot sah den beiden stirnrunzelnd nach.

»Haben die etwa was miteinander?«, fragte sie.

»Und wenn schon?« Marthe zuckte die Achseln. »Also letzten Sonntag war ich zum Fitness und ...«

»Der Männe ist impotent«, unterbrach Kinky den Ansatz ihrer Erzählung.

Ihre Kolleginnen kicherten. Kilian Bangemann, der einzige noch verbliebene Autor in der Runde, blickte betreten in sein Bierglas. Tommi Schneider-Schlüter hingegen, ein junger Krimifan, spitzte interessiert seine Ohren. Betont lässig nippte er an seinem Ginger Ale. Zum Leidwesen seiner Eltern, seiner Lehrer und des Pastors, der ihn konfirmieren sollte, interessierte er sich mehr für Kriminalliteratur als für die Grundlagen der Geometrie, den Zweiten Punischen Krieg und Martin Luthers Kleinen Katechismus. Seit seinem elften Lebensjahr hatte er sämtliche deutschsprachigen Kriminalromane, die er in die Finger bekam, verschlungen. Als echter Freak ließ er außerdem kaum eine Lesung aus. Die Autoren kannten ihn und schätzten diesen treuesten aller Leser. Gern führten sie den Dreizehnjährigen als leuchtendes Vorbild ins Felde, wenn irgendwo über das Desinteresse der Jugend und den mangelnden Lesernachwuchs lamentiert wurde. Sicher würde Tommi einmal Professor mit dem Schwerpunkt Kriminalliteratur werden. Und dann würde er in einer seiner gelehrten Studien das Wissen verbreiten, dass der große Männe Degenhardt nicht nur unter Haarausfall litt, sondern impotent war, dachte Marthe in diesem Moment amüsiert. Laut sagte sie:

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2015
ISBN (eBook)
9783958242753
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Schlagworte
eBooks Kriminalroman Hamburg schwarzer Humor Hamburger Abendblatt Kurzkrimi
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Titel: Todesschüsse in St. Georg
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